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EU-Kommissar Günther Oettinger (Digitale Wirtschaft und Gesellschaft), li., im Gespräch mit Mitgliedern des Ausschusses für Kultur und Medien, 29.06.2015 © DBT/Melde
Die grundsätzliche Überlegung der EU-Kommission sei es, einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen und eine Vision, die man auch als Digitalunion umschreiben könne, zu entwickeln. Ohne die Europäisierung der digitalen Politik drohten die Europäer in dem Prozess, der einer Revolution in Bezug auf den Stand der Technologie gleichkomme, als Verlierer dazustehen.
Mit der Vorstellung der Mitteilung KOM (2015) 192 - „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa“ - sei am 6. Mai 2015 ein erster Aufschlag gemacht und eine Agenda für die Umsetzung der Vision vorgelegt worden, die für die Jahre 2015 und 2016 in wesentlichen Zügen klar sei. Diese Agenda berühre in wichtigen Teilen auch das Aufgabengebiet des Ausschusses für Kultur und Medien. Weitere Schritte schlössen sich in den kommenden Jahren an.
Regelung für einen europäischen digitalen Urheberrechtsschutz
In Bezug auf das das Urheberrecht sei von Belang, dass es zwar zahlreiche urheberrechtliche Bestimmungen auf europäischer Ebene gebe, davon aber einige veraltet seien. Er habe deshalb den Auftrag, vor Jahresende 2015 einen Gesetzgebungsvorschlag für ein europäisches Copyright, mithin eine Regelung für einen europäischen digitalen Urheberrechtsschutz, vorzulegen. Im Wesentlichen gehe es dabei darum, die Interessen der europäischen Bürgerinnen und Bürger, der Netzgemeinde, der Bildungs- und Informationsgesellschaft, nach Möglichkeit alles, was an Daten, Informationen und Filmen verfügbar ist, aus dem Internet abzurufen, herunterzuladen und möglichst kostenfrei zu nutzen und die der Eigentümer und Urheber geistiger Werke, für die die Erlöse mitunter die Lebensgrundlage bilden, in Einklang zu bringen. Gebe es im digitalen Bereich keine Verwertungskette mehr und keinen Markt wie bisher, breche die existenzielle Perspektive für die Eigentümer und Urheber geistiger Werke weg. Vor diesem Hintergrund erwarteten Schauspieler, Journalisten, Komponisten, Dichter und Musiker von der EU-Kommission eine Regelung im Binnenmarkt, die Autorität genieße und nicht durchbrochen werden könne. Zwischen den beiden Polen, der Urheberseite und der Nutzerseite, stünden die Formateure und Transporteure, mithin die Rundfunkanbieter, Zeitungs-, Zeitschriften- und Fachbuchverlage sowie die Kinobranche. Immer wieder komme die Frage auf, ob diese künftig noch gebraucht würden. Klar sei, wenn man ein europäisches digitales Urheberrecht schaffe, dann sei die Prüfung unabdingbar, welche Instrumente letztlich erforderlich seien und wo es Ausnahmen geben müsse. Eine besondere Situation sei im Hinblick auf Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen gegeben, wo entsprechende Werke kostenfrei genutzt werden sollten. Fraglich sei, ob so etwas auch für die industrielle Forschung in Frage komme.
Allein Territorialität zählt bei der Vermarktung von Filmen
Nach gegenwärtigem Stand könnten das Textmining und Datamining im Bereich Bildung und Forschung ein möglicher Bereich für die Ausnahme von der Kostenpflicht sein. Eine zweite werde voraussichtlich den Film betreffen. Der europäische Film habe in den vergangenen Jahren nicht ohne Grund reichlich Förderung erfahren, denn er habe Tradition und sei ein Kulturgut. Das gelte auch für Deutschland, wo der Bund und die Länder gemeinsam viel unternommen hätten, um den Film an den zahlreichen Standorten zu fördern. Skeptisch äußert sich Oettinger in Bezug auf einen möglichen Binnenmarkt in der Sparte, denn darin sei der europäische Film nicht lebensfähig. Wenn einem an dem Thema Film mit all seinen identitätsstiftenden und kulturellen Besonderheiten etwas liege, müsse man vom Gedanken eines einheitlichen Marktes Abstand nehmen und anerkennen, dass allein Territorialität bei der Vermarktung zähle.
Eine dritte Ausnahme im Hinblick auf künftige urheberrechtliche Regelungen sei der Sport. Was beispielsweise den Fußball angehe, sei nicht zu erwarten, dass europäische Sportrechte deutschen Mannschaften eine angemessene Stellung in Bezug auf die Vermarktung bieten würden. Insofern hätten deutsche Sportfunktionäre ein großes Interesse daran, dass am eingeführten Vermarktungsmodell festgehalten werde.
Der zweite Schwerpunktbereich der Agenda seines Zuständigkeitsbereichs mit Bezug zum Ausschuss für Kultur und Medien betreffe die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie). Aus den Jahren 2007 und 2008 stammend, solle sie für die Konvergenz, mithin das Zusammenwachsen des Fernsehens mit dem Internet, einen Rechtsrahmen setzen. Mittels eines Grünbuchs habe man Fragen aufgeworfen und vielfältige Antworten erhalten. Auf dieser Grundlage werde gerade geprüft, welche Artikel sich bewährt haben, wo unverändert Regulierungsbedarf gesehen werde, wo man deregulieren könne und welche Bestimmungen im Markt nicht sachgerecht gewesen seien. Auf diesen Refit-Prozess aufbauend wolle er sodann im ersten Halbjahr 2016 einen Review-Prozess durchführen, um zu einer Modernisierung der AVMD-Richtlinie zu kommen. Es liege ihm sehr daran, die Materie möglichst zügig zu bearbeiten, denn wenn man erst im Jahr 2019 basierend auf dem Wissen von 2015 fertig werde, hätten einen längst das Nutzerverhalten, das Anbieterverhalten und die Technik überholt.
Abg. Ansgar Heveling (CDU/CSU) griff die Ausführungen des EU-Kommissars zum Thema Urheberecht auf und wollte wissen, ob es neben der Orientierung auf die Schranken und Ausnahmen noch ein zweites Standbein für die Copyright-Gesetzgebung geben werde, das z. B. Leistungsschutzrechte betreffe.
Sodann griff Abg. Heveling das Thema Panoramafreiheit auf, das aktuell sehr breit in der Öffentlichkeit diskutiert werde, weil in dem Zusammenhang eine Gefährdung der Pressefreiheit befürchtet werde.
Abg. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sprach die Themen Netzneutralität und Roaming an. In Bezug auf Roaming habe den Medien entnommen werden können, dass EU-Kommissar Oettinger mit einem Wegfall der Roaming-Zuschläge im zweiten Quartal 2017 rechne. Was die Themen Konditionalität und Netzneutralität betreffe, sei es wichtig, Definitionen und Kriterien für Ausnahmen zu erfahren. Sie treibe die Sorge um, dass am Ende keine wirkliche Netzneutralität mehr gegeben sei, obwohl man sich sowohl im Europäischen Parlament als auch im Deutschen Bundestag für ihre Beibehaltung ausgesprochen habe.
Die AVMD-Richtlinie betreffend erkundigte sich Abg. Rößner, welche unterschiedlichen Regulierungsregime zwischen linearen und nichtlinearen Diensten der EU-Kommissar sehe.
In Bezug auf das Urheberrecht merkte Abg. Rößner an, die Materie in einem mehrstufigen Verfahren anzugehen und zeitnah eine Regelung zu finden, halte sie für sehr ambitioniert. Sie interessierte, was unter „ungerechtfertigtem Geoblocking“ zu verstehen sei. Verwertungsketten könnten sich langfristig gesehen ändern.
Des Weiteren erkundigte sich Abg. Rößner nach einem Leistungsschutzrecht für Presseverlage auch auf europäischer Ebene.
Abg. Martin Dörmann (SPD) merkte positiv an, EU-Kommissar Oettinger sei offen für den Meinungsaustausch und stehe immer wieder Rede und Antwort.
Das Thema Urheberrecht und Panoramafreiheit interessiere auch ihn. Insbesondere, wenn es um die gewerbliche Nutzung der Motive gehe.
Im Zusammenhang mit dem Thema Revision der AVMD-Richtlinie wollte Abg. Dörmann wissen, bis wann Deutschland eine gemeinsame Position von Bund und Ländern einbringen müsse, um auf die anstehende Beratung noch Einfluss nehmen zu können.
Ergänzend erkundigte sich Abg. Dörmann nach der Situation in den anderen Mitgliedstaaten, die der EU-Kommissar skizziert habe. Ihn interessierte, ob es gravierende Unterschiede in den Mitgliedstaaten der EU gibt, was die Herangehensweise zu den einzelnen Themen angeht. Möglicherweise müsse man sich auf einen Prozess in Europa einstellen, um länderübergreifend zu gemeinsamen Positionen zu kommen, die dann bei der AVMD-Richtlinie zum Tragen kommen.
Rechtsrahmen für das Zusammenwachsen des Fernsehens mit dem Internet – Die Überarbeitung der Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste
Günther Oettinger (EU-Kommissar) bekräftigte hinsichtlich der Fragen nach der Überarbeitung der AVMD-Richtlinie, dass es darum gehe, für das Zusammenwachsen des Fernsehens mit dem Internet einen aktuellen und zukunftsfähigen Rechtsrahmen zu setzen. Vor diesem Hintergrund werde der geltende Rechtsrahmen daraufhin überprüft, welche Vorschriften sich vereinfachen lassen und welche Vorschläge man zurücknehmen könne, um den Aufwand für die Unternehmen zu reduzieren und die Rechtsanwendung zu erleichtern. Dieser Refit-Prozess werde noch im Jahr 2015 angepeilt. In dem Zusammenhang würden auch Angebot und Nachfrage in Bezug auf lineare und nichtlinearen Angebotsformen, mithin das Nutzerverhalten, untersucht und bewertet. Die Frage sei insbesondere für öffentlich-rechtliche Fernsehveranstalter von gravierender Bedeutung, da von den Antworten abhänge, welche Arten der Bereithaltung und Darbietung audiovisueller Angebote als „Fernsehen“ und damit als unbestrittener Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags oder aber als ergänzende Telemediendienste anzusehen seien. All das sei nicht unerheblich auch für den in Deutschland erhobenen Rundfunkbeitrag und den Umgang mit Werbung, Werbegrenzen und Werbefreiheit.
Auf diese Untersuchung im Rahmen von Refit aufbauend beabsichtige er einen Review-Prozess anzuschließen, um spätestens bis zur Jahresmitte 2016 einen Regelungsentwurf zur Modernisierung der AVMD-Richtlinie vorzulegen. Es sei hilfreich, wenn insofern spätestens bis April 2016 Hinweise und ggf. Anregungen im Sinne einer deutschen Position an die EU-Kommission herangetragen würden.
Die vom Abg. Dörmann nachgefragte Einschätzung der Lage in den anderen Mitgliedstaaten, griff EU-Kommissar Oettinger nicht näher auf, sondern gab allgemein an, die Situation in den einzelnen Ländern habe man im Blick. Er gehe davon aus, dass dies auch für die Bundesregierung gelte.
Panoramafreiheit als aktuelles Stichwort im Zusammenhang mit der laufenden Urheberrechtsreform
Was die Panoramafreiheit angehe, sei die EU-Abgeordnete Juli Reda (Piraten) sehr rührig. Mitte Juni 2015 habe der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments eine bearbeitete Fassung ihres Urheberrechtsberichts beschlossen. In dem Bericht erkenne das Parlament an, dass eine Urheberrechtsreform dringend nötig sei – nicht nur zur Verbesserung des Digitalen Binnenmarktes, sondern auch, um den Zugang zu Bildung und Wissen für alle Menschen in Europa zu erleichtern. Der Bericht fordere die Kommission auf, eine Reihe von Maßnahmen zu prüfen, um das Urheberrecht mit der Lebensrealität in der EU in Einklang zu bringen und den grenz-überschreitenden Zugang zur vielfältigen Kultur zu erleichtern. In dem Zusammenhang sei auch die mögliche Lizensierungspflicht für gewerbliche Aufnahmen von Kulturgütern angesprochen worden. Damit gehe der Bericht in Details weiter als die bisher vorgestellte Strategie der Kommission.
Technik zur regionalen Sperrung von Internetinhalten – das so genannte Geoblocking
Die Abschaffung des Geoblockings sei ein wichtiges Anliegen der Kommission, so EU-Kommissar Oettinger. Sie strebe deshalb an, die Richtlinie über die Dienstleistungen im Binnenmarkt punktuell zu überarbeiten. Geoblocking liege dann vor, wenn aus kommerziellen Gründen der Zugang zu Webseiten bzw. der Einkauf von Waren und Dienstleistungen auf diesen Webseiten unterbunden werde. Daneben könne es auch in unterschiedlichen Verkaufspreisen je nach Wohnsitzland des Kunden bestehen. Ein gerechtfertigtes Geoblocking liege vor, wenn dem Unternehmen nennenswerte zusätzliche Kosten, z. B. für den Versand, entstünden. Auch der bereits erwähnte Vorschlag zur Reform des Urheberrechts werde Regelungen zur Beendigung des Geoblockings vorsehen.
Zu einer möglichen Leistungsschutzrechtsregelung auf europäischer Ebene angesprochen, antwortete der EU-Kommissar mit Hinweisen auf Regelungen in anderen EU-Mitgliedstaaten, die der in Deutschland geltenden Regelung vergleichbar seien. Er habe nicht den Eindruck, dass die Einführung einer solchen Regelung auf europäischer Ebene als prioritär eingestuft werde.
Das Roaming betreffend teilte er mit, das EP signalisiere, bei der Beendigung der Roamingzuschläge schneller voranschreiten zu wollen als der Rat und habe auf ein festes Enddatum Ende des Jahres 2016 gedrängt. Er hingegen gehe davon aus, dass ein Auslaufen im Frühjahr 2017, spätestens Ende Mai 2017, realistisch sei.
Einschränkungen vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Daten bei der Übertragung im Internet denkbar
Im Hinblick auf die Netzneutralität führte er aus, dass Einschränkungen von dem Grundsatz vorstellbar seien. Jedoch sollten diese nur dann zulässig sein, wenn die Notwendigkeit der vorrangigen Übertragung im Internet, z. B. im Bereich der Gesundheits- und Verkehrsdienste, nachgewiesen werde. Er gehe davon aus, dass frühestens im Frühjahr 2017 eine Konkretisierung zu erwarten sei. Hier scheine auch das EP kompromissbereit zu sein. Künftige Vorschläge der Kommission werden vor allem die Frequenzpolitik, die Beendigung der Fragmentierung und die Investitionen in die digitalen Netze betreffen. Obwohl die Kommission eine bedeutendere Rolle in der Frequenzpolitik anstrebe, sei unstrittig, die Versteigerungserlöse aus der Vergabe von Frequenzen in den Mitgliedstaaten zu belassen.
Die Regulierung des Telekommunikationsmarkts grundsätzlich zu überprüfen, sei eine nahezu permanente Aufgabe. Die Kommission habe dem EP kürzlich zahlreiche Maßnahmen vorgestellt, deren Umsetzung bis zum Ende des Jahres 2016 geplant seien, um sie im Jahr 2017 durch weitere Maßnahmen zu verstärken. Wichtig sei, nicht in langjährigen Gesetzgebungsverfahren zu verharren, die von den technischen Entwicklungen überholt werden können. Bereits im Jahr 2016 denke die Kommission deshalb auch an eine Überarbeitung des Telekompakets. Eine Einigung zum sog. TSM-Paket stehe dabei im Vordergrund. Um die Verordnung über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents zu ändern, habe Anfang Juni 2015 der dritte Trilog stattgefunden. Es sei nun davon auszugehen, dass das EP in den kommenden Monaten einen Initiativbericht zu dem Paket erarbeiten und Stellungnahmen der Fachausschüsse einholen werde.
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