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Kritik von Experten am Cannabis-Gesetzentwurf


Mediziner, Psychologen und Rechtsexperten begrüßen die geplante reguläre Verordnungsmöglichkeit für cannabishaltige Arzneimittel, sehen in dem von der Bundesregierung vorgesehenen Verfahren aber einige Mängel. Anlässlich einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses über den Gesetzentwurf (18/8965) am Mittwoch, 21. September 2016, unter Vorsitz von Dr. Edgar Franke (SPD) im Bundestag wiesen Ärzte, auch in ihren schriftlichen Stellungnahmen, den geplanten Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen strikt zurück.

Cannabisarznei auf Kosten der Krankenversicherung

Sehr kritisch gesehen wird auch die Verordnungsfähigkeit von Cannabisblüten, weil es für deren therapeutischen Nutzen keine hinreichenden Belege gebe. Von vielen Experten abgelehnt wird überdies die verpflichtende Datenerhebung für die Begleitforschung, die an die Kostenerstattung gekoppelt werden soll. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass schwer kranke Patienten künftig auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit Cannabisarzneimitteln und Rezepturen versorgt werden können. Dazu sind Änderungen im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) nötig. Cannabis ist eine Droge, die bisher nur in Ausnahmefällen als Heilmittel zum Einsatz kommt, etwa um Schmerzpatienten zu therapieren. Die Kosten müssen die Patienten in der Regel selbst tragen.

Patienten sollen künftig auch getrocknete Cannabisblüten und Cannabisextrakte in kontrollierter Qualität auf ärztliche Verschreibung hin in Apotheken erhalten können. Für die Versicherten wird zudem, auch in eng begrenzten Ausnahmefällen, ein Anspruch auf Arzneimittelversorgung mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon geschaffen. Um die Versorgung sicherzustellen, wird der Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland ermöglicht. Geplant ist der Aufbau einer staatlichen Cannabisagentur. Um die genaue Wirkung der Cannabisarzneimittel zu erforschen, soll die Kostenerstattung an eine wissenschaftliche Begleiterhebung geknüpft werden. 

Probleme beim Datenschutz

Nach Ansicht der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ist der Genehmigungsvorbehalt durch die Krankenkassen nicht sachgerecht. Auch das geplante Verfahren zur Erhebung und Verarbeitung von Patientendaten wird abgelehnt, weil dafür die datenschutzrechtliche Grundlage fehle. So sei wegen der Verknüpfung des Behandlungsbedarfs mit der Verpflichtung zur Teilnahme an der Begleiterhebung ,,eine Einwilligung mangels Freiwilligkeit nicht wirksam", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Von einer Verpflichtung sollte daher abgesehen und auf eine freiwillige Teilnahme gesetzt werden.

Auch der Medizinrechtsexperte Dr. Oliver Tolmein, der die Reform im Grundsatz befürwortete, gab zu bedenken, dass die Verpflichtung zur Teilnahme an der Begleiterhebung auf unverhältnismäßige Weise in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen eingreife. Hinzu kämen datenschutzrechtliche Probleme.

Studienlage ist nicht ausreichend gefestigt

Der Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland hält die Begleiterhebung für sinnvoll, um weitere Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Cannabisblüten und Cannabisextrakten zu gewinnen. Wissenschaftliche Studien belegten, dass bei chronischen Schmerzen, in der Tumorschmerztherapie und in der Palliativmedizin Cannabis wirksam sei. Auch Übelkeit bei Tumorschmerzpatienten könne mit medizinischem Cannabis effektiv behandelt werden.

Allerdings sei die Studienlage nicht so gefestigt, dass die Verschreibungs- und Erstattungsfähigkeit von Cannabisblüten und Cannabisextrakten vorbehaltlos zu rechtfertigen wäre. Problematisch sei zudem, für die Erstverordnung die Genehmigung der Krankenkasse einzufordern. Die Kassen gingen mit solchen Anträgen sehr unterschiedlich um, von strikter Ablehnung bis hin zu raschen Bewilligungen. Das Genehmigungsverfahren sollte möglichst einfach gehalten, die Genehmigung durch die Kassen gestrichen werden. Damit könnten die Ärzte auch von neuen bürokratischen Belastungen freigehalten werden.

Dürftige Datenbasis im Hinblick auf Wirksamkeit

Nach Ansicht der Deutschen Schmerzgesellschaft besteht für die Schmerz- und Palliativmedizin keine wissenschaftlich erkennbare Notwendigkeit für eine Verschreibungsfähigkeit von Medizinalhanf. Die Datenbasis für die Wirksamkeit von Medizinalhanf im Vergleich zu etablierten Medikamenten sei dürftig. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Medizinalhanf wirksamer oder nebenwirkungsärmer sei als die definierten chemischen Substanzen. Auch sei eine genaue Dosierung nicht möglich. Jedoch sollten die verfügbaren Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden.

Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hält die vorliegenden Belege für die Wirksamkeit von Cannabisblüten für unbefriedigend. Eine Versorgung der Patienten mit Cannabis zulasten der GKV stehe somit im Widerspruch zu den geltenden Normen und sei weder mit dem Solidarprinzip noch dem Wirtschaftlichkeitsgebot vereinbar. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Ergebnisse der Begleiterhebung ausreichend sein würden, um eine Leistungspflicht in der GKV zu begründen. Problematisch seien auch die Kosten bei einem Apothekenaufschlag von hundert Prozent.

Warnung vor Verharmlosung von Drogen

Der Dachverband der Betriebskrankenkassen wandte sich dagegen, die Droge zu verharmlosen und plädierte für einen weiter restriktiven Umgang mit medizinischem Cannabis. Da der Konsum mit psychischen, sozialen und körperlichen Risiken verbunden sei, sollten die mit Cannabisblüten und Cannabisextrakten behandelten Patientengruppen möglichst eng begrenzt werden. Zudem müsste geregelt werden, wer für gesundheitliche Schäden hafte.

Das sieht die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) ähnlich und kommt zu dem Schluss, dass die Abgabe hochwirksamer Pflanzendrogen im Rahmen einer Arzneimitteltherapie und das Vertrauen auf eine richtige Anwendung und Dosierung durch die Patienten einen Rückschritt für die Arzneimitteltherapiesicherheit bedeuten würden. Die DGP trete daher für die Verwendung von Fertigarzneimitteln mit standardisiertem Wirkstoffgehalt und definierten Dosierungen ein.

Unterschiedliche Wirkungen und Nebenwirkungen

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände warnte vor Unter- und Überdosierungen und verlangte präzisere Vorgaben, welche Art Cannabis mit welchem THC-Gehalt (Tetrahydrocannabinol) verordnet werden soll. Es sei zudem inakzeptabel, Cannabis zu rauchen. Für Cannabis-Kekse gebe es keine standardisierten Verfahren. Denkbar wäre eine Dampfinhalation.

Auf die Sortenvielfalt bei Cannabis machte der Deutsche Hanfverband aufmerksam. Berichte von Patienten zeigten, dass die vielen verschiedenen Sorten und Züchtungen ganz unterschiedliche medizinische Wirkungen und Nebenwirkungen mit sich brächten. Dieser bislang wenig beachtete Aspekt sollte zum Wohl der Patienten beachtet werden. Nach Ansicht des Hanfverbandes sollte den Patienten künftig deshalb auch erlaubt werden, jene Sorte Cannabis selbst anzupflanzen, die für sie am besten geeignet sei. Das wäre dann auch die preiswerteste Variante, zumal mit erheblichen Kosten durch die Verschreibung von Cannabis gerechnet werden müsse.

Experte: Stärke liegt in komplementärer Wirkung

Der Einzelsachverständige Maximilian Plenert, Mitglied im Selbsthilfenetzwerk Cannabis als Medizin und selbst Patient mit einer Ausnahmegenehmigung für die Droge, erklärte, die Stärke von Cannabis liege in der komplementären Wirkung bei mehreren gleichzeitigen Leiden. In der Summe ergebe sich ein sehr gutes Verhältnis von Wirkung zu Nebenwirkungen und Risiken. Die Therapieentscheidung müsse beim Arzt und dem Patienten liegen.

Auch Plenert lehnte den angedachten Zwang zur Begleiterhebung aus medizinisch-ethischen sowie datenschutzrechtlichen Gründen ab. Es sei außerdem zu befürchten, dass durch die Verordnungshürden beim Arzt, der Krankenkasse und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, darunter die Vorgabe, sich zuvor ,,austherapieren" zu lassen, das Gesetz zum Papiertiger werde. Mehrere andere Experten schlossen sich in der Anhörung dem Punkt an und empfahlen, von dem ,,Flaschenhals" des Austherapierens Abstand zu nehmen, weil dies nicht im Interesse der Patienten sei.

In der Anhörung mitberaten wurde ein Antrag der Fraktion Die Linke (18/6361), der Forderungen enthält, die sich zum Teil mit dem Gesetzentwurf der Regierung decken und auf eine liberalere Verordnungspraxis für Cannabis im Sinne der Patienten zielt. (pk/21.09.2016)

Liste der geladenen Sachverständigen

Verbände:

Einzelsachverständige: