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Nahles: Regelsätze für Hartz IV steigen ab 2017


Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können und auf Grundsicherung angewiesen sind, sollen ab Januar mehr Geld erhalten. Der Regelsatz für Alleinstehende steigt dann um fünf Euro von 404 Euro auf 409 Euro pro Monat. Die Grundsicherung für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren erhöht sich um 21 Euro. Auf einen entsprechenden „Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“ hat sich das Bundeskabinett geeinigt.

Die geplante Neuregelung „stellt niemanden schlechter. Einige Bedarfsstufen steigen sogar deutlich an“, sagte Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs in der Regierungsbefragung des Bundestages am Mittwoch, 21. September 2016. Die Opposition hingegen kritisierte, die Anhebung falle zu gering aus, als dass Bezieher von Grundsicherung damit wirklich ihren realen Bedarf decken könnten.

Größte Erhöhung bei Kindern

Für Paare soll es so statt 364 künftig 368 Euro pro Partner geben. Die größte Steigerung ist allerdings bei den Sechs- bis 13-Jährigen geplant: Sie erhalten ab kommenden Jahr 291 Euro im Monat. „Das ist eine ordentliche Steigerung“, betonte Nahles. Der Erhöhung lägen neue Einkommens- und Verbrauchsstichproben des Statistischen Bundesamtes zugrunde.

Demnach sei der Bedarf in dieser Altersgruppe für Lebensmittel und Getränke erheblich höher als bisher berechnet, so die SPD-Politikerin. Der Regelsatz für Kinder bis zu sechs Jahren bleibe allerdings unverändert bei 237 Euro im Monat. Jugendliche bis 18 Jahren erhalten vom nächsten Jahr an 311 statt bisher 306 Euro. Der Satz für unter 25-Jährige, die im Haushalt der Eltern wohnen, steigt von 324 auf 327 Euro.

Verbesserungen für Menschen mit Behinderung

Künftig erhalten nicht erwerbsfähige oder behinderte erwachsene Sozialhilfeempfänger 100 statt 80 Prozent der Grundsicherung. Wenn sie zum Beispiel mit den Eltern oder in einer Wohngemeinschaft leben, gehören sie zur Regelbedarfsstufe 1. Zudem können erwachsene Sozialhilfeempfänger künftig leichter ihre Kosten für Unterkunft und Heizung geltend machen, wenn sie beispielsweise im Haushalt der Eltern leben. „Damit sorgen wir nun für eine Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen“, so Nahles. Das hätten Sozialverbände und Kirchen lange gefordert.

Neue Statistik als Grundlage für Neuberechnung der Regelsätze
Grundlage der Berechnung ist eine neue amtliche Statistik über die Lebensverhältnisse von Privathaushalten. Auch der Anstieg von Preisen und Gehältern wird berücksichtigt. Einfließen würden zudem Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts von 2014, teilte Nahles mit. Das Gericht habe die Sätze zwar als verfassungsgemäß gebilligt, aber Nachbesserungen angemahnt. So würden nun zum Beispiel Kosten für Mobilität besser berücksichtigt.

Opposition: Regelsätze nicht künstlich herunterrechnen

Die Opposition kritisierte die geplante Erhöhung der Regelsätze als zu gering und nicht bedarfsdeckend. Katja Kipping (Die Linke) warf der Sozialministerin vor, die Regelsätze „künstlich herunterzurechnen“. Die Berechnung der Bedarfssätze auf Basis eines Statistikmodells berge zudem die Gefahr einer „Verarmungsspirale“. Kipping wollte wissen, ob es nicht besser wäre, das Statistikmodell mit einem „Bedarfs-TÜV“ zu kombinieren.

Nahles entgegnete, sie verstehe nicht, was die Abgeordnete damit meine. Die Ministerin forderte im Gegenzug Länder und Kommunen auf, sich stärker zu engagieren und zum Beispiel „Sozialtickets“ anzubieten. „Das halte ich für eine Notwendigkeit“, so die Sozialdemokratin. Der Bund könne nicht alles allein stemmen.

Unterhaltsmehrbedarf von Alleinerziehenden berücksichtigen

Kippings Kollege Jörn Wunderlich, familienpolitischer Sprecher der Linksfraktion, wollte darüber hinaus wissen, warum der Gesetzentwurf keine Neuregelung hinsichtlich des Unterhaltsmehrbedarfs bei getrennt lebenden Eltern enthalte. „Was spricht eigentlich dagegen?“, fragte Wunderlich die Ministerin.

Diese räumte ein, dies wäre „eine wünschenswerte Ergänzung“. Doch gebe es diesbezüglich noch „Abstimmungsbedarf“ zwischen den beiden Regierungsfraktionen. Nahles zeigte sich aber zuversichtlich, dass man im Laufe des parlamentarischen Verfahrens zu einer Einigung kommen werde.

Ausgaben willkürlich gestrichen

Ähnlich wie auch die Linke-Vorsitzende hielt Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Sprecher für Sozialpolitik von Bündnis 90/Die Grünen, der Bundesregierung vor, die Hartz-IV-Sätze kleinzurechnen. So würden willkürlich Ausgaben, wie Malstifte für Kinder oder Adventsschmuck, gestrichen. Auch Handykosten würden nicht berücksichtigt. „Wie rechtfertigen Sie das?“, fragte der Abgeordnete.

Nahles verwies auf den Unterschied von Leistungen, die zur Gewährleistung das Existenzminimums erforderlich seien, und soziokulturellen Leistungen. „Bei diesen Leistungen haben wir einen Spielraum“, verteidigte sich die Ministerin. „Und ich halte dies für angemessen.“

„Unrealistische Berechnung“

Ganz anderer Meinung war die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, die die Antwort der Ministerin als „zynisch“ kritisierte. Die in der Berechnung des monatlichen Regelsatzes enthaltenen drei Euro für die Anschaffung eines Kühlschranks oder einer Waschmaschine seien völlig „unrealistisch“. „Warum nehmen Sie weiße Ware nicht aus der Berechnung des Regelsatzes heraus?“, wollte Haßelmann wissen.

Nahles entgegnete, man könne nicht „Punkt für Punkt“ aus der Berechnung herausnehmen: „Dann sind wir ganz schnell wieder bei dem Warenkorb-Modell.“ Zur Finanzierung von Sonderbedarfen könnten Bezieher von Grundsicherung auch Darlehen beantragen. Die Beantragung sei vereinfacht worden. „Auch die Modalitäten der Rückzahlung sind zu bewältigen“, so die Ministerin.

Verdeckte Armut nicht berücksichtigt?

Daniela Kolbe (SPD), Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, bat die Ministerin daraufhin, Stellung zu nehmen zu Vorwürfen, verdeckte Armut sei bei der Regelsatz-Berechnung nicht berücksichtigt worden. „Es gibt die Kritik, dass sich in der Referenzgruppe verdeckt Arme befunden haben“, sagte die Abgeordnete aus Leipzig

Nahles gab zu, dies sei eine „wichtige Frage“. Die Kritik könne sie nicht völlig ausräumen. Tatsächlich sei es „methodisch nicht gelungen“, dies zu erfassen. Als verdeckt arm gelten Menschen, die ihren Anspruch auf Grundsicherungsleistungen aus Scham, Unkenntnis oder anderen Gründen nicht einlösen.

Kosten für Mobilität bei der Berechnung berücksichtigt

Antje Lezius (CDU/CSU), ebenfalls Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, erkundigte sich schließlich, ob künftig auch Kfz-Kosten bei der Berechnung des Regelbedarfs berücksichtigt würden. Dies habe das Bundesverfassungsgericht angemahnt.

Nahles korrigierte, als Reaktion auf das Urteil der Karlsruher Richter würden nun allgemein Kosten für Mobilität angerechnet. „Wir haben uns darauf geeinigt, Verbrauchsangaben im ÖPNV zu berücksichtigen.“ Diese seien bei in der Berechnung nun eingeschlossen. (sas/21.09.2016)