Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden
Dr. Uwe Holtz, SPD | Lothar Ibrügger, SPD >> |
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Ich stimme für Bonn als Sitz von Bundestag und Bundesregierung. Erstens. Bonn steht für ein anderes Deutschland als jenes, das 1945 bezwungen wurde. Es ist schon längst kein Provisorium mehr. Seit Jahrzehnten ist es Sinnbild für ein friedliches, freiheitliches, demokratisches, föderales und wohlständiges Deutschland, das auf Freundschaft mit den europäischen Partnern und denen in der Welt hin angelegt ist und mit dem Ziel einer Einigung Europas eng verbunden ist. Bonn ist auch ein Symbol für den Verzicht auf hegemoniale und nationalistische Ansprüche in Deutschland, wie der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, zu Recht festgestellt hat. Zweitens. In einem vereinten Europa aber -- dessen Schaffung ich rascher vorangetrieben sehen möchte -- ist es geradezu anachronistisch, mit einem Riesenaufwand eine neue große nationalstaatliche Hauptstadt herzurichten. London, Paris, Madrid, Rom platzen aus den Nähten. Warum sollte man diese besonders durch die Machtkonzentration verursachten Fehler hier wiederholen? Die mit Bonn verbundene Bescheidenheit und Zuverlässigkeit der deutschen Politik hat weltweit ihre hohe Anerkennung gefunden. Was spricht eigentlich dagegen, hier weiter Kontinuität zu wahren und Bonn in seiner erfolgreichen Rolle zu belassen, statt in den noch immer sogenannten Reichstag umzuziehen? Drittens. Die Entscheidung für Bonn stellt keine »Hauptstadt-Lüge« dar. Der Bundestag hat nur zweimal, und zwar 1949 und 1957, einen Beschluß zugunsten Berlins gefaßt -- zu einer Zeit, als die große Mehrheit des Bundestages von der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze noch nichts wissen wollte und sich die westeuropäische Integration erst andeutete. Im übrigen sind die jeweils gewählten Bundestage nicht die politischen Rechtsnachfolger ihrer Vorgänger. Sie sind jeweils frei, neu zu entscheiden. Seit der sozialliberalen Koalition bis zu den Reformereignissen in Deutschland hat es im Bundestag keine Äußerung verantwortlicher SPD-Bundestagsmitglieder zugunsten einer Hauptstadt Berlin mehr gegeben. Insofern lasse ich mich, der ich seit 1972 dem Deutschen Bundestag angehöre, nicht für Äußerungen oder Abstimmungen Dritter, aus denen ein »Versprechen« für Berlin -- das ja seit letztem Jahr Hauptstadt ist! -- konstruiert wird, in Anspruch nehmen. Bereits bei der Abstimmung zum Einigungsvertrag hatte ich nur unter Bedenken mit Ja gestimmt -- auch wegen der dort schon erfolgten Festlegung Berlins als nomineller Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Ich meine, jetzt sollte Bonn wenigstens Arbeitshauptstadt bleiben. Viertens. Der Argumentation, Bundestag und Regierung müßten auch deshalb nach Berlin verlegt werden, weil bei der sich abzeichnenden Erweiterung der EG um osteuropäische Staaten Berlin eine Brückenfunktion zukomme, vermag ich nicht zu folgen, weil nach meinem Urteil, das von vielen Westeuropäern geteilt wird, keine von Deutschland dominierte Mission mehr für eine europäische Ostpolitik besteht, sondern dies vor allem eine europäische Aufgabe ist. Fünftens. Ich bin nicht der Auffassung, daß die »Verantwortung vor der Geschichte« einen Wechsel von Parlament und Regierung nach Berlin gebietet. Die historische Verantwortung der Deutschen macht vielmehr einen besonnenen Umgang mit der Symbolkraft der alten Reichshauptstadt nötig. Es stünde der Bundesrepublik Deutschland gut an, beiden Städten eine Chance zu geben: Berlin repräsentiert das erneuerte, vereinte Deutschland, und Bonn macht die Kärrnerarbeit wie bisher. Sechstens. Eine Trennung von Parlament und Regierung halte ich nicht für sinnvoll, weil das möglicherweise zu einer Verselbständigung der Regierung führt und die parlamentarische Kontrolle schwächt. Völlig an der politischen Arbeitswirklichkeit vorbei geht der Vorschlag, regelmäßig per Videokonferenzen miteinander zu kommunizieren. Die Folge wäre vermutlich eine Entpersönlichung der politischen Auseinandersetzung und auf längere Sicht eine Degradierung der Abgeordneten zu Vidioten. Auch ein teuer hin- und herreisendes Parlament wäre weder dem Steuerzahler noch den Beteiligten zuzumuten. Den Bonn-Befürwortern allerdings »Eigeninteressen« zu unterstellen ist unseriös, polemisch, heuchlerisch und zuletzt sinnlos, weil dieser Vorwurf umgekehrt auch die Berlin-Befürworter treffen würde. Siebtens. Ein Umzug des Parlaments und der Ministerien an die Spree ist auch finanzpolitisch nicht zu verantworten. Den von den Einheitskosten gebeutelten Bundesbürgern kann man nicht auch noch die Kosten eines fragwürdigen Umzugs nach Berlin zumuten. Der finanzielle Aspekt darf auf dem Hintergrund zukünftiger Entwicklungen in Deutschland nicht außer acht gelassen werden. Ich halte es für falsch, auf dem Altar der Erfüllung einer politisch-historischen Symbolik den Pragmatismus finanzpolitischer Solidität und Verantwortung zu opfern. Auch wäre es viel eher ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen in den neuen Bundesländern, wenn nicht zig Milliarden Mark in den Umzug, in neue Parlaments- und Regierungsbauten u. a. gesteckt würden, um das schon jetzt riesengroße Berlin zu einem Megalopolis aufzublähen, sondern statt dessen mehr Geld für den Aufbau der bitter notwendigen Infrastruktur im Osten Deutschlands zur Verfügung gestellt würde. |
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Lothar Ibrügger, SPD >> |