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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Dr. Günther Müller, CDU/CSU Franz Müntefering, SPD >>

Die Debatte zu der Frage, wo Bundestag und Bundesregierung in Zukunft ihren Sitz haben soll, ob in Berlin oder Bonn, hat in mir Ängste hervorgerufen. Ganz offensichtlich geht es nicht um eine Zweckmäßigkeitsentscheidung oder eine Frage, die unter Kostengesichtspunkten gesehen wird; es geht auch um eine neue politische Weichenstellung. Die Ausführungen der Kollegen Thierse (SPD), Gysi (PDS), Weiss (Bündnis 90) und de Maizière (CDU) gehen wieder von einem deutschen Sonderweg aus. Die Argumente, Berlin sei das Maß aller Dinge, wer für die Wiedervereinigung gewesen sei, müsse auch für Berlin sein (de Maizière), »Wer A sagt, muß auch B sagen« oder die ungeheure Arroganz der Bemerkung, Bonn sei ein Dienstmädchen der Macht, in den Ausführungen von Konrad Weiss zeigen, daß der Sonderpfad deutscher Geschichte im europäischen Konsens schon wieder betreten wird. Man blickt nach Warschau und Moskau und verliert Paris und Brüssel aus dem Auge. Man ist nicht, so betont mancher Berlin-Befürworter, nach Art. 23 der Bundesrepublik beigetreten, sondern ein neuer Staat mit neuer Verfassung, dessen Symbol Berlin sein soll, ist ihr Ziel.

Das Drohende ist nicht zu überhören. Wenn die größte deutsche Zeitung in einem Kommentar schreibt, daß Schluß sein muß mit der Quatschbude in Bonn, dann vergißt der Kommentator, daß »Quatschbude« ein Agitationswort des Berliner Gauleiters Joseph Goebbels gegen die Weimarer Demokratie war.

Bonn ist diejenige Regierungs- und Parlamentsstadt Deutschlands, die am längsten demokratische Tradition verkörpert, dreimal so lange -- 1949 bis 1991 -- war sie das Symbol einer parlamentarischen Demokratie, das Berlin nur von 1919 bis 1933 sein konnte. Also, auch die historischen Argumente sprechen für Bonn.

Es sei mir die Anmerkung erlaubt, daß all diejenigen in der Debatte, die die Abstimmung über den Antrag der KPD, den Bundestag »alsbald in Berlin sich versammeln zu lassen« erwähnen, den historischen Ablauf der Debatte 1949 nicht kennen. Im Protokoll der 14. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages ist nachzulesen, daß man bei der Debatte über die Hauptstadt selbstverständlich von einer Hauptstadt Berlin des Deutschen Reiches ausging, wie es in den Grenzen von 1937 bestanden hat. Aus den Ausführungen der einzelnen Redner zu dem KPD-Antrag geht hervor, daß die Frage der »Hauptstadt« recht relativ gesehen wurde. So betonte der Berliner Abgeordnete Dr. Krone (CDU), daß, wenn das deutsche Volk (in den Grenzen von 1937) frei wählen und frei abstimmen kann, dann auch »Berlin wiederum in diesem Reich eine große und entscheidende Rolle spielen wird«. Diese »große« und »entscheidende« Rolle bestreitet auch heute niemand Berlin, auch wenn es ein 4. Reich bis jetzt nicht gibt.

Von den großen Männern der Bundesrepublik Deutschland äußerte sich nur Franz Josef Strauß. Er betonte, daß mit der Entscheidung des Bundestages, den vorläufigen Sitz der Bundeshauptstadt der Bundesrepublik Deutschland nach Bonn zu verlegen, der Tagesordnungspunkt erledigt sei; sein Antrag auf Übergang zur Tagesordnung wurde allerdings mit knapper Mehrheit abgelehnt.

Wenn also selbst historische Argumente nicht für Berlin sprechen, müssen die Argumente der Vernunft um so mehr Gewicht bekommen. In Tokio und Paris überlegt man sich, wie man Regierung und Parlament verlagern könne, weil die Millionenstädte immer mehr im Chaos versinken. Berlin würde ähnlich wie in den zwanziger Jahren eine Stadt, die für Reiche lebenswert, für den kleinen Mann aber unerschwinglich würde. Aus dem nur 60 km entfernten Polen müßten Hunderttausende angeworben werden, um einfache Dienstleistungsfunktionen aufrechterhalten zu können. Berlin wird nicht nur viertgrößte türkische, sondern auch viertgrößte polnische Stadt werden. Welcher Konfliktstoff hier geschaffen wird, zeigen die Ereignisse in Paris und seinen Vorstädten.

Vier Jahrzehnte Bundesrepublik mit Bonn als Regierungs- und Parlamentssitz haben uns die längste Demokratieperiode in der deutschen Geschichte ermöglicht. Wir brauchen keine neuen Experimente, wie sie von den Herren de Maizière, Thierse, Gysi und Weiss gefordert werden. Wer ein bißchen Politik im Vorfeld des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland beobachtet hat, konnte ahnen, daß der Vereinigungsvertrag dazu dienen sollte, die Republik von Bonn zu verändern. Dies war für mich übrigens schon damals ein Grund, meine Stimme nicht für den Vereinigungsvertrag abzugeben. Ich bin der festen Überzeugung, daß eine Entscheidung für Berlin als Regierungs- und Parlamentssitz die Bundesrepublik verändern wird. Deutschland wird sich zum dritten Mal in den letzten hundert Jahren auf einen unheilvollen Sonderweg begeben.

Franz Müntefering, SPD >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_161
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