Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > INFORMATIONS-CENTER > Plenarprotokolle > Vorläufige Plenarprotokolle >
15. Wahlperiode
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

   59. Sitzung

   Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Der Kollege Gerhard Rübenkönig hat sein Amt als Schriftführer niedergelegt. Die Fraktion der SPD benennt als Nachfolgerin die Kollegin Rita Streb-Hesse. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist die Kollegin Streb-Hesse als Schriftführerin gewählt.

   Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt 1 - fort:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2004
(Haushaltsgesetz 2004)

- Drucksache 15/1500 -

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007

- Drucksache 15/1501 -

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

   Ich erinnere daran, dass wir gestern für die heutige Aussprache achteinhalb Stunden, für morgen acht Stunden und für Freitag eineinhalb Stunden beschlossen haben.

   Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes.

   Als erster Redner hat der Kollege Michael Glos von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In der Geschichte unseres Landes wurden die Menschen noch nie derart skrupellos hinters Licht geführt, wie es bei der Bundestagswahl im letzten Jahr der Fall war.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Machen wir uns nichts vor: Die neue Mitte, um die Sie damals geworben haben, hätte Sie nicht gewählt, wenn sie gewusst hätte, wie stark die Sozialversicherungsbeiträge ansteigen und dass die Beitragsbemessungsgrenze heraufgesetzt würde. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hätte Ihnen keine millionschwere Wahlhilfe gegeben, wenn er gewusst hätte, was mit der Agenda 2010 kommt. Ich will damit nicht sagen, dass das alles nicht auch ein Stück weit sein muss; man muss das den Wählerinnen und Wählern aber vorher sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was hat die CDU denn gesagt?)

   Verehrter Herr Bundeskanzler, verschiedene Leute haben mir gesagt, ich solle heute ein bisschen netter zu Ihnen sein. Ich will das gerne tun: Ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich für die Wahlhilfe, die Sie uns in Bayern geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich finde das großartig und eindrucksvoll. Dank der schlechten Politik, die Sie hier, in Berlin, machen, werden wir in Bayern ein gutes Wahlergebnis einfahren.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Nicht nur deswegen!)

Es ist bekannt, dass Sie „out of Rosenheim“ nicht auftreten dürfen. Rosenheim hat eine CSU-Oberbürgermeisterin. Weil die CSU liberal und tolerant ist,

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): So ist es! Deswegen brauchen wir keine FDP!)

waren Sie dort willkommen. In München wurden Sie von Herrn Ude und in Nürnberg von Herrn Maly ausgeladen. Grund dafür war in erster Linie, dass die Finanzlage der Kommunen dank einer dilettantisch gemachten Körperschaftsteuerreform mindestens genauso desolat, wenn nicht noch desolater ist als die des Bundes und der Länder. Deutschland wird bald zur körperschaftsteuerfreien Zone. Außerdem wurden Sie ausgeladen, weil man sich Ihre Erfolgslosigkeit nicht an die Backe kleben will.

   Das wird den Genossinnen und Genossen dort aber wenig helfen. Sie handeln so verkehrt, wie man verkehrter nicht handeln kann: Sie entscheiden sich weder für noch gegen diese Bundesregierung. Die Wählerinnen und Wähler wollen aber klar wissen, woran sie sind. Ich glaube, den Genossinnen und Genossen in Bayern droht das gleiche Schicksal, das unser Land insgesamt ergriffen hat: Sie werden in eine tiefe Rezession abgleiten.

   Sie programmieren und plakatieren für viel Steuergeld „Deutschland bewegt sich“. Diese Kampagne ist meiner Ansicht nach ein Stück weit das Geständnis, dass es in Deutschland bisher Stillstand gegeben hat.

(Ludwig Stiegler (SPD): Vor allem schwarzen!)

Im Grunde ist diese Kampagne ein Offenbarungseid der Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich finde es gut, dass Sie Ihre eigenen Fehler mit dieser Kampagne noch bekannter machen.

   Die misslungene Steuerreform - die Körperschaftsteuer ist die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer - hat neben der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage dazu geführt, dass die Kommunen wegen der schwachen Wirtschaftslage derart am Krückstock gehen, dass heutzutage Leistungen, die die Bürgerinnen und Bürger direkt betreffen, gestrichen werden müssen. Daran sind nicht die Kommunalverwaltungen, nicht die Bürgermeister oder Oberbürgermeister schuld. Die Schuldigen sitzen vielmehr hier auf der Regierungsbank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) - Ludwig Stiegler (SPD): Redet lieber von der Kirch-Pleite! Sie hat München Millionen Gewerbesteuerverluste gebracht!)

- Herr Stiegler, es wäre besser, wenn Sie zuhören würden, anstatt zu schreien. Sie müssen wissen, dass man beim Selber-Reden-und-Schreien nichts lernen kann, sondern nur beim Zuhören.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Ludwig Stiegler (SPD): Woher kommt der Gewerbesteuerverlust in München?)

Ich rufe Ihnen noch einmal in Erinnerung - wenn Sie zuhören können -, dass Sie alle unsere Initiativen, mithilfe derer die finanzielle Situation der Kommunen rasch hätte verbessert werden können, im Deutschen Bundestag abgeschmettert haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Trotz Riester-Rente, Ökosteuer, steigender Beiträge und höherer Bemessungsgrenze steht die Rentenversicherung vor einem Kollaps. Das macht uns und den Menschen draußen Sorgen. Ohne unsere Mitarbeit - ich bedanke mich bei Horst Seehofer und seinen Mitstreitern - stünden die Krankenversicherungsbeiträge ebenfalls vor einer gewaltigen Explosion.

   Ohne das Störfeuer aus geschwätzigen Kommissionen wäre die Politik für die Bürger wenigstens ein Stück weit transparenter. Herr Bundeskanzler, bei Ihrem Hang zu Kommissionen wäre es passender gewesen, Sie wären nicht Bundeskanzler, sondern Kommissionspräsident geworden.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Kommissionen sind ein Ablenkungsmanöver: Deutschland hat kein Erkenntnisdefizit, Deutschland hat ein Umsetzungsdefizit.

   Denken Sie an den immer währenden Herrn Rürup: Keine Kommission ohne Rürup. Sie wissen, dass er seine Erkenntnisse schon sehr oft mitgeteilt hat.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben noch nicht einmal Erkenntnisse!)

Wenn Sie es ernst meinen und diese Kommissionen kein reines Ablenkungsmanöver sein sollen, müssen Sie diese Erkenntnisse aber auch umsetzen.

   Auch wenn die Grünen die neue Lehrerpartei geworden sind, muss man feststellen, dass die SPD immer noch von den Lehrern geprägt ist. August Bebel hat einmal gesagt, die Lehrer würden die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften einmal kaputt machen.

(Zurufe von der SPD)

Beide Gruppen haben nicht nur ein gewaltiges Umsetzungsdefizit, sondern wir haben in unserem Land auch gewaltige volkswirtschaftliche Erkenntnisdefizite. Herr Bundeskanzler, deswegen müssen Sie zu Sonderparteitagen und Regionalkonferenzen. Sie müssen versuchen, die Menschen dort ein wenig nachzubilden. Das fällt bei den Betonköpfen in den DGB-Gewerkschaften natürlich sehr schwer.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sagen Sie doch mal etwas über Ihre Konzepte!)

Quasseln ersetzt jedenfalls keine Entscheidung.

   Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, welche Platte Sie anschließend vorspielen werden. Sie werden wieder fragen: Wo sind denn Ihre Alternativen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das habe ich gerade gefragt!)

Dabei liegen auch im Bundesrat jede Menge Alternativen und Initiativen vor. Bisher ist von Ihnen alles abgeschmettert worden.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Man kann doch ein Nichts nicht abschmettern!)

Die rot-grüne Arbeitsmarktpolitik ist doch eine unendliche Geschichte von Murks und Widersprüchen.

   Nur ein Beispiel: Die Berufung von Herrn Gerster an die Spitze der Bundesanstalt für Arbeit sollte ein neues Zeitalter einleiten. Heute sind Gersters Umbaupläne nicht einmal mehr eine Fußnote in der deutschen Arbeitsmarktpolitik.

   Die nächste Wunderwaffe, die dann aktiviert wurde, war Herr Hartz. Hartz und Murks - das klingt schon so ähnlich.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zurufe von der SPD: Oh!)

Ich hoffe, dass es VW nicht schadet, wenn man diese Dinge in eine so nahe Verbindung bringt. Die Zelebration des neuen Golfs lief unlängst ähnlich ab wie die Zelebration des Hartz-Programms seinerzeit hier in Berlin. Im Interesse unseres Landes hoffe ich nur, dass der neue Golf besser einschlägt als das, was Hartz vorher gezündet hat.

(Ludwig Stiegler (SPD): Machen Sie doch Reklame für BMW und nicht für VW!)

   Die Ich-AG ist nur sehr zäh angelaufen. Die Folgen für etablierte Handwerker und Dienstleister bleiben abzuwarten. Sie soll eine neue Wunderwaffe sein. Zum Ausgleich dafür entzieht man dem Handwerk einen großen Teil seiner Grundlage. Das ist doch eine ungeheuer widersprüchliche und falsche Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Da haben Sie aber schnell mal das Klatschen versucht!)

   Von dem Jobfloater wurden 50 000 neue Stellen erwartet. Es sind nicht einmal 10 000. Auch durch die Personal-Service-Agenturen sollten 50 000 Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Bislang sind es gerade einmal 608. Wissen Sie, was PSA heißt? Es bedeutet: Pleite statt Arbeit. Das ist ein Kennzeichen Ihrer Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Wir haben konkrete Alternativen vorgelegt.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Wo denn?)

Ich nenne unsere Vorschläge zur Veränderung des Kündigungsschutzes, für betriebliche Bündnisse für Arbeit und für die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit einer möglichst dezentralen Zuständigkeit. Wir wollen keine neuen Großbehörden und Bürokratien schaffen, wie es Grüne und Sozialisten immer anstreben.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie warten doch auf die nächste Kommission!)

Wir möchten, dass das bei den Kommunen bleibt und das sie für die Durchführung und Umsetzung weiterhin hauptverantwortlich sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP) - Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie schützen doch die Machtkartelle!)

Wir haben die Neuregelung der 400-Euro-Jobs durchgesetzt. Das ist eines der wenigen Dinge, die Erfolg gehabt haben. Das stammt aber nicht von Rot-Grün, sondern von der Union.

(Ludwig Stiegler (SPD): Das hat Wolfgang Clement getan!)

   Herr Bundeskanzler, Deutschland bewegt sich. Ja, aber es bewegt sich bis jetzt immer noch in die falsche Richtung. Bis heute konnte der Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge nicht gestoppt werden. Die Löcher in den öffentlichen Haushalten wachsen von Monat zu Monat und die Wirtschaft stagniert seit über zwei Jahren. Nach gängiger Definition bezeichnet man einen Rückgang in zwei Quartalen hintereinander als Rezession. Die Arbeitslosenzahl bricht einen traurigen Rekord nach dem anderen. Für den Niedergang sind diejenigen verantwortlich, die auf der Kommandobrücke dieses Landes stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Bundeskanzler, deswegen ist es eine Drohung, dass Herr Fischer und Sie sagen, Sie wollten das nächste Mal wieder antreten.

(Ludwig Stiegler (SPD): Für euch ist das sicherlich eine Drohung!)

- Wenn es nur für uns eine Drohung wäre, wäre es kein Problem; wir würden damit fertig werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Joseph Fischer, Bundesminister: Nein!)

Deutschland wird aber nicht damit fertig werden. Die Bürgerinnen und Bürger wollen eine bessere Politik. Ihnen ist es vollkommen egal, wer oben steht. Sie sagen: Tut etwas, verändert etwas und redet nicht nur! Ich habe die Befürchtung, dass alles bei Ihnen beiden so bleiben würde, wie es ist, falls Sie, was die Wähler durch ihre Einsicht verhindern mögen, noch einmal gewählt würden. Das würde für Deutschland einen gewaltigen Schaden bedeuten.

   Deutschland bewegt sich unter Ihrer Führung, Herr Bundeskanzler, nicht im Tempo eines Rennpferdes, sondern im Tempo einer Schnecke. Das ist das Tempo Deutschlands. Die Wirtschaft dümpelt vor sich hin. Clement verkündet: Konjunkturerholung in Sicht. Der Kanzler sieht Licht am Ende des Tunnels. Wissen Sie, wenn Sozialdemokraten Licht am Ende des Tunnels sehen, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder sehen sie den Gegenzug - denn bei ihm ist das Licht vorne - oder wenn sie ganz sicher sind, dass es ein Licht am Ende des Tunnels gibt, dann werden sie den Tunnel mit immer neuen Vorschlägen und neuen Kommissionen verlängern, wodurch immer mehr Pessimismus ausgelöst wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP))

   Wenn ich den regierungsamtlichen Prognosen Glauben schenken darf, dann müssten wir uns eigentlich statt in einer Rezession in einem Boom befinden; denn für den Herbst 2003 wurde uns der Wirtschaftsaufschwung versprochen. Die Fakten sprechen eine andere Sprache: 40 000 Pleiten und Insolvenzen. Herr Bundeskanzler, es gibt neue Arbeitsplätze und Investitionen in diesem Land. Es gibt durchaus internationale Unternehmungen, die sich in Deutschland neu niederlassen. Das sind nämlich diejenigen, die sorgfältiger Marktanalysen betreiben, als das bei Ihnen der Fall ist. Ich meine die Zunft der Konkurs- und Insolvenzanwälte. Auch internationale Kanzleien dieser Art lassen sich nun verstärkt in Deutschland nieder, weil sie wissen, dass ihnen Rot-Grün Arbeit gibt und sie gewaltig Geld verdienen lässt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die einzige Hoffnung, die Ihnen noch bleibt und die immer wieder beschworen wird, ist die Hoffnung auf einen Aufschwung in den USA. Wenn dieser eintrifft - dies wird ein Stück weit geschehen -, wird dies aber in Deutschland ein Aufschwung ohne Schwung werden, weil unsere Wirtschaftsschwäche hausgemacht ist. Sie kommt nicht von den internationalen Märkten her, sondern sie resultiert, wie gesagt, aus dem Verschieben von Reformen und Veränderungen, die wir brauchen. Dies führt zu einem Vertrauensverlust bei den Bürgerinnen und Bürgern. Die Sprunghaftigkeit und die mangelnde Wahrhaftigkeit der rot-grünen Regierung haben Deutschland in diese Vertrauensfalle geführt. Es ist ungeheuer schwierig, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen.

   Der Attentismus der Verbraucher und Investoren ist eine zwangsläufige Folge Ihrer Politik. Die Menschen in diesem Lande schauen und warten, statt zu handeln, weil sie Ihren Ankündigungen keinen Glauben schenken. Es hat sich im Land zu sehr der Eindruck verfestigt: Die in Berlin Regierenden haben den Überblick verloren.

   Dazu gibt es ein ganz konkretes Beispiel, Herr Bundeskanzler. Ich habe unlängst zufällig im ZDF die Sendung „logo!“ eingeschaltet. Dort sind Sie von ein paar Kindern befragt worden. Die erste Frage war, ob Sie wirklich den Ausdruck „kotzen“ verwendet haben. Dieser Ausdruck hat den Kindern schon Probleme bereitet,

(Lachen bei der SPD)

weil sie offensichtlich aus Familien kommen, in denen eine solche Sprache nicht gebraucht wird. Sie haben das ein bisschen heruntergespielt.

(Zurufe von der SPD: Oh! - Weitere Zurufe von der Regierungsbank)

- Herr Struck, an Ihrer Stelle wäre ich ganz ruhig.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Er hat doch gar nichts gesagt!)

Sie haben unlängst in einer Talkshow ein noch viel schlimmeres Wort in den Mund genommen.

(Lachen bei der SPD)

- Jetzt hören Sie doch einen Moment zu! - Kommen wir wieder zurück zu Zahlen. Über Zahlen lässt sich viel schwieriger streiten. Herr Bundeskanzler, Sie sind von einem kleinen Jungen auch gefragt worden: Wie viel verdienen Sie, Herr Bundeskanzler? Er wollte eigentlich wissen, wie viel Sie bezahlt bekommen. Was Sie verdienen, steht auf einem ganz anderen Blatt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Lachen bei der SPD)

Sie haben als Erstes gesagt, man müsse Ihre Frau fragen. Auch bei mir ist dies bei konkreten Dingen ein Stück weit der Fall.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist doch schon peinlich, was Sie da veranstalten!)

- Das ist nicht peinlich, sondern typisch. - Danach haben Sie die Zahl von 10 000 Euro im Monat genannt. Nun weiß man, dass es bei der SPD mit brutto und netto immer große Probleme gibt. Aber es ist in Gesetzen nachzulesen - das Einkommen von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern ist transparent -, dass Sie circa das Zweieinhalbfache bekommen.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Brutto oder netto?)

- Ich weiß das schon. Aber wir sind noch nicht bei 70 Prozent Steuern und Abgaben in diesem Land. Wenn Sie aber noch eine Weile weiterregieren, werden wir auf 70 Prozent oder mehr kommen. Dann kann es passieren, dass aus 25 000 Euro brutto 10 000 Euro netto werden.

   Regieren hat aber auch etwas mit Detailkenntnis zu tun. Entweder fehlen Ihnen wirklich die Kenntnisse über die Zusammenhänge, was ich nicht glaube, oder Ihnen fehlt der Mut, das zu sagen, was richtig ist, aber im Moment vielleicht nicht opportun erscheint.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Mit dieser Regierung - das sage ich noch einmal, auch wenn Sie noch so laut rufen - kommt Deutschland nicht auf die Füße. Es fehlt an Innovationen, an Mut zum Risiko und echtem Gründergeist. Die Saat der Leistungsfähigkeit der 68er-Bewegung ist aufgegangen.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Genau!)

Rot und Grün verfahren heute nach dem Motto: Haltet den Dieb! Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen.

Frau Bulmahn beklagt die verbreitete Bildungsschwäche, obwohl sie die Bildungsministerin ist. Dann soll sie doch etwas dagegen tun. Frau Ministerin Künast beleidigt gleichzeitig den öffentlichen Dienst, indem sie sagt, die Leistungen der Schüler würden allenfalls noch für den öffentlichen Dienst ausreichen. Herr Müntefering, Sie haben unlängst - ich glaube, ich habe es im „Handelsblatt“ gelesen - beklagt, dass Deutschland zu technologiefeindlich sei und dass wir zu wenig Naturwissenschaftler hätten - was ja auch stimmt. Auch das erinnert an den Spruch: Haltet den Dieb!

   Wer ist denn die Ursache dafür? Warum ist das so in unserem Land? Es ist doch wie bei Goethes „Zauberlehrling“: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los. In die Ecke, Besen! Besen!“

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Das läuft doch alles nicht. Sie haben diese Technikfeindlichkeit, diese Zukunftsangst, diese Skepsis und den mangelnden Mut in unserer Gesellschaft zu verantworten. Das war nie Unionspolitik, sondern das war die Politik, die die Grünen nach oben gespült hat. Herr Bundeskanzler, Ihr größtes Problem ist, auch wenn Herr Fischer jetzt umgeschwenkt ist - - Wenn jemand durch Leistung nach vorne kommt, dann habe ich großen Respekt. Aber mit Menschen, deren Leben zu große Brüche aufweist, habe ich Probleme.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Fischer, für mich stellt sich überhaupt die Frage, ob Sie sich wirklich verändert haben oder ob Sie Ihr Rabaukentum nur auf einem höheren Niveau weiterpflegen.

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben heute wohl nichts zu sagen!)

Das weiß auch seine eigene Partei. Sie wissen doch, wie er mit Ihnen umgeht, wenn ihm irgendetwas nicht gefällt.

   Es ist die Saat der 68er-Bewegung, die dafür sorgt, dass unser Land da ist, wo es heute steht.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es ist doch alles noch peinlicher! Nur weiter so, Herr Glos! - Zuruf des Bundesministers Joseph Fischer)

- Herr Präsident, darf ich Sie bitten, für Ruhe auf der Regierungsbank zu sorgen? Es reicht, wenn von den Abgeordnetensitzen der SPD bewusst gestört wird.

   Auch die Sozialdemokraten sind vielen Irrtümern erlegen. Die Geschichte der Sozialdemokratie ist eine Geschichte von Irrtümern und von Zu-spät-Kommen. Sie hinken den Entwicklungen hinterher.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Die Geschichte der Schwarzen ist eine Geschichte der Katastrophen, lieber Mann!)

- Hören Sie es sich doch an, bevor Sie Nein sagen! - Das Godesberger Programm ist zu spät gekommen. Der Zug war schon weit gefahren, als Sie erkannt haben, dass die soziale Marktwirtschaft das richtige Programm ist.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Gucken Sie mal in die Geschichte der Schwarzen in den letzten 100 Jahren!)

Das war bei der NATO und der Bundeswehr ebenso. Auch da sind Sie hinterhergehinkt. Es hat sich wiederholt, als es um die Globalisierung ging. Diese war nicht aufzuhalten. Statt die Konsequenzen daraus zu ziehen, hat man sie lange beklagt. Heute, 13 Jahre nach den friedlichen Revolutionen im Osten,

(Ludwig Stiegler [SPD]: Cheerleader!)

wächst langsam die Erkenntnis, dass mit Sozialismus nichts mehr zu machen ist. Das hat Herr Scholz mutig ausgesprochen.

(Zuruf von der SPD: Wir haben Haushaltsberatungen!)

Dann sind wieder Teile der SPD über ihn hergefallen. Sie hängen alten Chimären nach. Auch das ist eine der Schwierigkeiten unseres Landes.

   Der Umverteilungsstaat hat die Grenzen der Belastbarkeit unserer Wirtschaft längst überschritten, mit fatalen Folgen für das Wachstum in Deutschland. Wir dürfen nicht nur auf das Heute sehen.

   Das ist das Allerschlimmste an Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler. Sie sind ein Mann, der seine Popularität immer nur in Augenblickserfolgen sucht. Darin sind Sie zugegebenermaßen Meister.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Neid ist die höchste Form der Anerkennung!)

Es geht aber nicht um Augenblickserfolge, sondern es geht um Nachhaltigkeit in der Politik. Die Jungen müssen später die Zeche dafür zahlen, dass heute immer noch massenhaft Kredite aufgenommen werden und das Tilgen dieser Schulden auf übermorgen verschoben wird.

(Beifall bei der CDU/CSU - Ludwig Stiegler [SPD]: Das sagt einer, der 1 500 Milliarden Schulden hinterlassen hat!)

Sie haben den von Helmut Kohl und Norbert Blüm eingeführten demographischen Faktor in der Rentenversicherung wieder abgeschafft.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir zahlen 40 Milliarden Zinsen für die Schwarzen!)

Sie haben gewaltig Zeit verloren. Wir müssen auch den Älteren sagen, dass sie auf Zuwächse verzichten müssen, damit auch die Jungen noch etwas haben. Ich bin sehr dafür, dass wir Bildung und Forschung stärker fördern und man nicht die Saatkartoffeln nimmt, um daraus Pommes frites zu machen, und davon noch die Hälfte auf dem Tisch stehen lässt. Den Zusammenhang zwischen dem, was man heute tut, und dem, was sich morgen entwickelt, zu leugnen ist einer der fatalen Fehler.

   Dabei kann ich wieder auf Bayern verweisen. Warum ist Bayern denn - zum Beispiel bei der Investitionsquote im Landeshaushalt - besser gestellt?

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Weil die CSU regiert!)

Weil eine nachhaltige Finanzpolitik betrieben worden ist. Bayern ist nicht jeder modischen Entwicklung nachgelaufen, sondern hat auch immer für schlechtere Zeiten vorgesorgt.

   Menschen, die hart arbeiten und kräftig Steuern zahlen, müssen mehr in der Tasche haben als diejenigen, die alle Gesetzeslücken ausnutzen. Auch in dieser Hinsicht ist bei Ihnen nichts vorangegangen.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Wer hat denn die Gesetzeslücken geschlossen und wer verhindert denn das Schließen der Gesetzeslücken?)

- Bei Ihnen, Herr Stiegler, muss erst die „Bild-Zeitung“ über „Florida-Rolf“ und „Yacht-Hans“ berichten, bis Sie sich in Bewegung setzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Leute haben diese Sozialschmarotzer gestrichen satt. Immer wenn ein solcher Fall bekannt wird, werden vollmundig entsprechende Änderungen angekündigt. Letztlich geschieht dann aber nichts.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wenn Sie das schon vorher gewusst hätten, hätten Sie schon einen Antrag einbringen können!)

So war es auch, als der Bundeskanzler festgestellt hatte, dass Kinderschänder weggesperrt werden müssen, und zwar für immer. Dann hat aber Rot-Grün keine gesetzliche Grundlage geschaffen, die das erlaubt hätte. Ich hoffe, dass die Gesetzeslücken zumindest im Falle von „Florida-Rolf“ gestopft werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Eichel ist eine tragische Figur.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Aber der Stoiber ist noch tragischer!)

Er hat die Geschichte des Hans im Glück der Gebrüder Grimm inzwischen vollendet. Lesen Sie sie einmal nach! Sie beginnt mit einem Klumpen Gold und endet mit einem Stein, den Hans im Glück am Ende weggeworfen hat. Ich bin bereit, eine Wette einzugehen, dass Sie, Herr Eichel, nicht mehr sehr lange im Amt sein werden. Sie haben nur versäumt, rechtzeitig zu gehen.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte Ihnen so gepasst!)

Sie hätten sagen müssen, Herr Eichel: Meine Politik der Konsolidierung - diesen Weg sind Sie eine Zeit lang recht glaubwürdig gegangen - ist mit Rot-Grün nicht zu machen; ich trete ab und stelle mich nicht zur Verfügung, das krasse Gegenteil zu machen, indem ich einen Haushalt vorlege, zu dem ich bei der Einbringung selber feststellen muss, dass er nicht stimmt.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Das habt ihr doch jahrelang gemacht!)

Das haben Sie, Herr Eichel, schließlich gesagt und Frau Scheel und andere haben das in Interviews wiederholt.

   Ich finde das nicht tragisch für Sie. Sie werden schließlich durch die Addition verschiedener Bezüge aus öffentlichen Kassen gut versorgt in den Ruhestand gehen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es wird immer peinlicher mit Ihnen! - Walter Schöler [SPD]: Das ist eine Riesensauerei!)

- Entschuldigung, das ist keine Sauerei, sondern eine Tatsache. Ich gönne es Ihnen ja; aber Sie werden einen Scherbenhaufen und Chaos in unserem Land hinterlassen. Das ist unser eigentliches Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das darf doch nicht wahr sein!)

   Lassen Sie mich noch etwas anmerken, weil Sie so laut dazwischenrufen. Herr Eichel hat immer wieder Bekenntnisse zu dem in Maastricht beschlossenen Stabilitätspakt abgelegt. Er hat aber all diese Bekenntnisse nicht eingehalten.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So haben Sie zugegeben, dass das Haushaltsdefizit in diesem Jahr 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen wird. Um davon abzulenken, haben Herr Fischer und Herr Schröder sofort erklärt, dass sie bei den nächsten Wahlen wieder antreten werden.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Logo!“!)

Sie werden aber tatsächlich ein Defizit von etwa 4,5 Prozent erzielen; es liegt also noch höher, als angekündigt.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie mal zu „logo!“ und erklären Sie dort, was das ist!)

Unter diesen Umständen hat es auch keinen Wert, wenn Sie - um von der Debatte abzulenken - ankündigen, bis 2010 zu bleiben. Vielmehr müssen harte Konsolidierungsschritte eingeleitet werden.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon habe ich gestern nichts gehört!)

   Wir sind alle gespannt, wenn die Schweden am Sonntag über die Einführung des Euro abstimmen. Ich habe gehört, dass das deutsche Beispiel als abschreckend gilt. In einem Gespräch, das ich gestern mit britischen Politikern geführt habe, haben diese erwähnt, dass sie zwar gern den Euro einführen würden, dass die Deutschen dies aber erschwerten; denn der Euro sei bald keine starke Währung mehr, wenn Deutschland, Frankreich und andere große Länder so weitermachten.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Haben Sie schon mal in die Börse geguckt? 1,12! So ein Unsinn! Das ist lächerlich!)

- Ich wiederhole Ihren Zwischenruf, weil die Zuhörer nicht hören können, was Sie schreien. Ihr Zwischenruf lautete: „Haben Sie schon mal in die Börse geguckt?“ - Die Börse hatte ihren Tiefpunkt erreicht.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber der Euro doch nicht! Es ging um den Euro!)

Auch Sie wissen, dass die Amerikaner derzeit enorme Mittel an sich ziehen und Dollars horten müssen, um die gewaltigen Defizite zu finanzieren. Die Börse als Ausrede zu nutzen ist völlig falsch.

   Das, was heutzutage die Börsen und die Märkte sehr stark bestimmt, sind die Ratingagenturen; denn diese legen das Kreditranking fest. Ich befürchte, dass dann, wenn Sie so weitermachen, die Bundesrepublik Deutschland ihr gutes Kreditrating nicht wird halten können.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Herr Koch!)

Wenn das der Fall ist, dann müssen wir alle, also nicht Sie alleine, sondern die gesamte Bevölkerung, höhere Zinsen für Staatsanleihen zahlen; denn der Bund wird sich das zur Deckung seiner Mehrkosten bei der Kreditaufnahme notwendige Geld wieder bei den Bürgern holen müssen. Auch das ist eine erschreckende Entwicklung, die uns erst recht zwingt, auf solide Finanzen zu achten.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: In Hessen!)

   Stichwort Europa: Beim Verfassungsvertrag ist manches erreicht worden. Andere wollen noch mehr erreichen. Ich finde, Herr Bundeskanzler, dass Sie bei der Regierungskonferenz auch unsere Forderungen einbringen sollten. Wir müssen zum Beispiel die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank festschreiben. Das halte ich für ganz entscheidend. Auch das muss im Verfassungsvertrag abgesichert werden. Der Vertrag von Maastricht reicht ja offensichtlich nicht; denn Sie halten ihn nicht ein. 3 Prozent waren als Obergrenze eines möglichen Defizits und nicht als Normalfall gedacht. In dem Vertrag wird explizit darauf hingewiesen, dass ausgeglichene Haushalte anzustreben sind. Aber Sie wollen die Defizitobergrenze immer weiter hinausschieben. Es würde außerdem nicht schaden, wenn Sie die Verantwortung vor Gott, wie sie im deutschen Grundgesetz steht, in der europäischen Verfassung verankern würden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir brauchen eine realistische Europapolitik mit Augenmaß. Auf Europa sind sehr viele zusätzliche Belastungen zugekommen. Die Ost- und Südosterweiterung der Europäischen Union - das ist eine gewaltige Aufgabe - ist zwar politisch sehr wünschenswert, wirtschaftlich aber sehr gefährlich. Es ist außerdem versäumt worden, die Grenzen Europas zu definieren. Europa reicht nicht bis zum Ural und nach meinem Verständnis auch nicht bis zum Kaspischen Meer oder bis zum Hindukusch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen wäre es ein Akt der Ehrlichkeit gewesen, dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan bei seinem Deutschlandbesuch zu sagen: Wir bleiben Freunde und werden alle Beziehungen, die unsere beiden Länder haben, ausbauen und vertiefen; aber ihr könnt aus wirtschaftlichen Gründen nicht Vollmitglied in der Europäischen Union werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unglaublich!)

Es ist falsch, wenn Sie behaupten, eine Vollmitgliedschaft der Türkei liege im nationalen deutschen Interesse. Das könnte höchstens im Interesse der SPD liegen, weil Sie wissen, dass die eingebürgerten Türkinnen und Türken zum großen Teil die SPD und die Grünen wählen.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist doch ein Grund, warum Sie dafür sind.

(Zuruf von der SPD: Pfui!)

Ich sage Ihnen aber eines voraus: Es werden im Deutschen Bundestag auch türkische Parteien vertreten sein, wenn die Einwanderungsströme so kommen, wie es befürchtet wird.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Hören Sie doch zu! Sie können ja später sagen, was Sie denken.

(Zuruf von der SPD: Hilfe!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Glos, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Michael Glos (CDU/CSU):

Die Deutschen wissen nicht, dass mit einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU die Freizügigkeit verbunden ist. Der Publizist Scholl-Latour befürchtet, dass dann, wenn die Türkei Vollmitglied ist, 10 Millionen bis 15 Millionen rasch nach Deutschland einwandern werden. Das ist, wie gesagt, nicht meine Befürchtung. Aber ich muss mich auf Menschen verlassen, die mehr von geschichtlichen Zusammenhängen verstehen als ich. Von Geschichte verstehen Sie jedenfalls nichts.

   Nach meiner Auffassung können wir Deutsche unsere Verantwortung, die wir für Europa und die Welt haben, am allerbesten wahrnehmen, wenn wir dafür sorgen, dass wir wirtschaftlich stark bleiben. Unsere Möglichkeiten, anderswo in der Welt zu helfen, gründen sich nämlich auf unsere wirtschaftliche Stärke. Diese müssen wir deshalb zurückgewinnen.

   Herr Bundeskanzler, Sie haben 1998 im Wahlkampf oft gesagt - das wird Ihnen jedenfalls zugeschrieben -: Das Volk ist viel besser als seine Regierung. - Unsere Hoffnung ruht deshalb auf der Kraft des deutschen Volkes und nicht auf der rot-grünen Regierung. Sie würden dem Land einen großen Dienst erweisen, wenn Sie den rot-grünen Spuk - am allerbesten durch Neuwahlen - beenden könnten.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Bundeskanzler Gerhard Schröder.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerhard Schröder, Bundeskanzler:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte findet in einer Zeit außergewöhnlich schwieriger Problemlagen im internationalen wie im nationalen Maßstab statt. Ob die Debattenbeiträge - jedenfalls der, den wir bisher gehört haben - dieser Tatsache gerecht werden, muss jeder für sich selber entscheiden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Glos (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Oberlehrer!)

   Nur wenige Bemerkungen zu den Problemlagen. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist nicht gewonnen, nicht in Afghanistan, nicht in anderen Teilen der Welt. Kein Zweifel: Die Situation im Irak ist außerordentlich besorgniserregend. Wir haben vor einem Jahr darüber geredet und wir werden auch jetzt darüber reden müssen. Die Situation im Nahen Osten muss uns alle besorgt machen. Das Töten und der Terrorismus gegen Israel haben nicht aufgehört und es wird schwierig sein, zur so genannten Roadmap, die den Friedensprozess im Nahen Osten voranbringen kann, zurückzukehren.

   National - das wird gar nicht bestritten - sind wir im dritten Jahr der Stagnation. Das hat natürlich Auswirkungen auf unser Land. Wir sind in einer ökonomischen Situation, in der die Steuereinnahmen eingebrochen sind, weil die Arbeitslosigkeit gewachsen ist, weil wir kein Wachstum haben

(Michael Glos (CDU/CSU): Warum haben wir kein Wachstum, Herr Bundeskanzler? Das ist doch nicht gottgegeben!)

und die Aufwendungen für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit natürlich gestiegen sind.

   Herr Merz, ich möchte mich auf das beziehen, was Sie gestern gesagt haben: Das ist kein Phänomen, das sich allein auf Deutschland bezieht.

(Michael Glos (CDU/CSU): Billige Ausrede! - Gegenruf des Abg. Ludwig Stiegler (SPD): Sie haben eine Horizontverengung!)

- Das ist keine Ausrede. 

   Ich habe hier die Zahlen über das Wachstum in Europa, die vom Statistischen Amt der EG gestern veröffentlicht worden sind. Das Wachstums in der Eurozone im Verhältnis vom zweiten zum ersten Quartal ist minus 0,1 Prozent, Niederlande minus 0,5 Prozent, Frankreich minus 0,3 Prozent, Italien, Belgien und Deutschland minus 0,1 Prozent. Ich sage das nicht, um irgendetwas weniger besorgniserregend darzustellen, als es ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Basis ist nicht gegeben!)

- Ich komme gleich zu der Basis. - Ich sage das nur vor einem Hintergrund, der in der Auseinandersetzung zwischen Herrn Merz einerseits und Herrn Eichel andererseits auch gestern eine Rolle gespielt hat.

   Die Zahlen, die ich Ihnen über Europa mitteile - etwa über Frankreich, über die Niederlande, aber auch über die anderen, die ähnliche oder gleiche Wachstumsraten wie wir haben -, haben natürlich einen ganz anderen Hintergrund. Ich sage das mit Bezug auf die Debatte über die Folgen der Wiedervereinigung, die gestern angeklungen ist. Herr Merz, der Hinweis von Herrn Eichel war kein Vorwurf an irgendjemanden, sondern sollte verdeutlichen, dass Deutschland im Unterschied zu den europäischen Staaten mit gleichen oder noch schlechteren Wachstumsraten etwas schultern muss, was kein Land der Welt - schon gar keines in Europa - zu schultern hat.

   Der Hinweis auf die Tatsache nämlich, dass wir wegen der Einheit - ich denke, Gott sei Dank haben wir sie -

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie waren doch immer dagegen!)

jährlich 4 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes von West nach Ost transferieren, ist kein Vorwurf, dass irgendwer schuld daran sei; es ist im Grunde der Hinweis darauf, dass wir - ungeachtet der Anstrengungen, die wir vornehmen müssen und vornehmen wollen - auf den internationalen Märkten präsenter sind als in der Vergangenheit. Unsere Volkswirtschaft hat an Kraft also nicht verloren, sondern gewonnen, und zwar sowohl absolut als auch relativ. Das ist doch der Zusammenhang, den man herstellen muss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin stolz auf die Leistungsfähigkeit, die dahinter steckt. Es ist nicht die Leistungsfähigkeit dieses Hohen Hauses und seiner Mitglieder; es ist die Leistungsfähigkeit unseres Volkes.

Darauf dürfen und müssen wir auch einmal stolz sein, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben es dann - das ist der zweite Problemkreis im nationalen Maßstab; darüber ist ja nicht hinwegzusehen - mit der Überalterung unserer Gesellschaft zu tun. Das ist - das weiß ich wohl - keine neue Erkenntnis. Ich will auch zugeben, dass die Frage, ob es richtig war, den demographischen Faktor, der seinerzeit von Ihnen eingeführt worden ist - auch das haben Sie gestern schon angesprochen, Herr Merz -, aufzuheben, durchaus berechtigt gestellt werden kann. Ich sage Ihnen: Das war ein Fehler.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Ja, aber vorher, vor der Wahl, haben Sie die Leute belogen! Unglaublich! - Volker Kauder [CDU/CSU]: Damit haben Sie die Wahl gewonnen!)

- Das war ein Fehler; keine Frage. Natürlich haben wir den zu verantworten. Die Einzigen, die keine Fehler zu verantworten haben, sind Sie, weil Sie - so treten Sie jedenfalls auf - keine machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): So ein Unfug!)

   Ich sage Ihnen mit Bezug auf diese Debatte nur eines: Der Bericht der Rürup-Kommission liegt bereits vor. Wenn auch das vorliegt, was Herr Herzog für Sie erarbeitet, dann werden wir in puncto Rente vielleicht ähnlich rational miteinander reden können wie bei der Gesundheitsreform. Eines ist doch klar - die Kenner jedenfalls wissen es -, nämlich dass uns auch die Beibehaltung des demographischen Faktors, den Sie seinerzeit beschlossen haben, die Probleme nicht vom Hals gebracht hätte, mit denen wir wegen der Überalterung unserer Gesellschaft zu kämpfen haben. Der demographische Faktor allein hätte es nicht gebracht.

   Ich will daran erinnern, dass wir es gewesen sind, die zum ersten Mal in der deutschen Geschichte auch in Bezug auf die Rente das gemacht haben, was man Herstellung von Kapitaldeckung nennt. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, wenn man die Rente für die Alten in dieser Gesellschaft so sicher wie möglich machen und sie für die Jungen bezahlbar halten will.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir werden uns sehr rational darüber unterhalten müssen, welche Konsequenzen das im Übrigen hat. Um es den Menschen draußen zu erklären: Wir sind in der Situation, dass im Vergleich zu 1960 - das hat mit dem Älterwerden zu tun - die Bezugsdauer der Altersrenten heute Gott sei Dank um 70 Prozent höher ist. Dass das Druck auf die Finanzierung ausübt, liegt doch auf der Hand. Wir haben, bezogen auf die Probleme, die ich genannt habe, zu handeln und das versuchen wir auch.

   Die Aufgabe, die wir haben, ist, unter radikal veränderten Bedingungen, sowohl was das weltwirtschaftliche und das europäische wirtschaftliche Umfeld angeht als auch was die Alterspyramide unserer Gesellschaft angeht, Wohlstand in unserem Land und Gerechtigkeit in unserem Land zu sichern. Das ist die gemeinsame Aufgabe. Es mag unterschiedliche Wege geben, über die es sich zu streiten lohnt, allerdings nicht in dem Ton wie eben, Herr Glos;

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Das ist ja unglaublich!)

nur sollten wir das dann auch sehr rational tun und den Menschen klar machen, wer welche Vorschläge hat.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Woher ist denn der Ton gekommen? Von Ihrer Seite!)

   Unsere Aufgabe ist es, angesichts dieses veränderten Umfelds, angesichts des veränderten Altersaufbaus unserer Gesellschaft dafür zu sorgen, dass wir unsere sozialen Verpflichtungen erfüllen können, gleichzeitig aber die Ressourcen unseres Landes freisetzen, um in das zu investieren, was wirklich über die Zukunft entscheidet, das heißt bessere Betreuung unserer Kinder, mehr Investitionen in Bildung, mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung. Das alles entscheidet jetzt darüber, ob Deutschland in fünf, in zehn, in 20 Jahren noch ein Land ist, das soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau gewährleistet. Das ist die Aufgabe, die uns gestellt ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Um diese Aufgabe zu erfüllen, unternimmt der Haushalt und unternehmen seine Begleitgesetze den ernsthaften und schwierigen Versuch, auf der einen Seite die Wachstumskräfte unseres Landes - sie sind sichtbar - zu unterstützen und auf der anderen Seite die Konsolidierung nicht aufzugeben. Es sind nämlich zwei Seiten einer Medaille, auf der einen Seite den Versuch zu unternehmen, Wachstumskräfte, Trends, die positiv sind, zu unterstützen, und auf der anderen Seite durch Strukturveränderungen dafür zu sorgen, dass das auch objektiv möglich ist und immer mehr möglich wird.

Das heißt, meine Damen und Herren, dass wir uns zunächst einmal darum kümmern müssen, wie wir konjunkturell das Positive, das es Gott sei Dank auch gibt, unterstützen können. Das ist ja eben verschwiegen worden. So weist der Ifo-Geschäftsindex zum vierten Mal in Folge eine aufsteigende Tendenz aus.

   Gemäß den jüngsten Zahlen steigt auch die Industrieproduktion wieder an. Das gilt für die Bereiche, die sich jetzt gerade auf der Messe in Berlin präsentiert haben, das gilt aber auch für die Automobilindustrie, die optimistisch auf die bevorstehende Automobilmesse schaut. Ich sage nicht, dass damit die Probleme schon gelöst wären oder so gelöst werden könnten, aber ich finde, dass wir alle miteinander die Verpflichtung haben, die positiven Trends, die es in unserem Land gibt, und nicht die negativen Trends zu stützen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deshalb, meine Damen und Herren, appelliere ich wirklich an die Mehrheit im Bundesrat, das, was in der jetzigen Situation nötig und möglich ist, auch mitzutragen, nämlich das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform von 2005 auf 2004.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Machen Sie einmal einen Finanzierungsvorschlag!)

- Ja, mache ich gleich. - Warum? Ich denke, dass wir Anlass haben, davon auszugehen, dass über eine solche Maßnahme, wie alle Forschungsinstitute sagen, die Wachstumsraten um zusätzlich 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte erhöht werden können. Das brauchen wir nämlich, wenn es wirklich auf dem Arbeitsmarkt vorangehen soll.

   Kern unseres Vorschlages ist es, jetzt den Eingangsteuersatz, der 1998 übrigens bei 26 Prozent lag, auf 15 Prozent zu senken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er liegt ja mittlerweile schon bei 19 Prozent. Daran muss man gelegentlich einmal erinnern, denn dahinter steht ja eine steuerpolitische Leistung von Hans Eichel, die nicht von Pappe ist. Wir werden außerdem - das wird den einen Teil des Hauses vielleicht mehr freuen als den anderen - den Spitzensteuersatz, der 1998 bei 53 Prozent lag, auf 42 Prozent senken.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage es noch einmal, meine Damen und Herren: 1998, also zu Ihrer Regierungszeit, ein Spitzensteuersatz von 53 Prozent,

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Bleiben Sie einmal bei der Wahrheit! Sie haben die Senkung damals verhindert!)

2004 einer von 42 Prozent. Dies ist auf die Politik der rot-grünen Bundesregierung zurückzuführen und nicht etwa einem anderen politischen Lager geschuldet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Sie sind ein Oberverschweiger! Sie haben die Senkung im Bundesrat verhindert!)

- Man kann natürlich immer noch mehr fordern; aber das hätte man auch selber 16 Jahre lang machen können, hat es aber nicht getan. Das ist ja wohlfeil, was Sie jetzt machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Reden Sie über Ihren Freund Lafontaine! Der hat es verhindert! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

   Jetzt lautet die Frage: Schaffen wir es miteinander,

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ja, jetzt wollen wir es wieder miteinander machen!)

diese wichtige und in der jetzigen Situation nötige und mögliche Maßnahme, nämlich das Vorziehen der nächsten Steuerreformstufe auf 2004, durchzuführen oder nicht,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt einmal zur Sache!)

damit der Konjunktur zusätzlichen Schub zu geben und auch auf dem Arbeitsmarkt für Bewegung zu sorgen? Hier stehen auch Sie in der Verantwortung. Sie werden sich nicht davor drücken können, sondern Sie werden immer wieder an Ihre Verantwortung erinnert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sie wollten es doch drei Jahre nicht! - Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt ein Finanzierungsvorschlag! Auf geht’s!)

- Ich komme jetzt dazu: Wir haben gesagt, wir finanzieren dies durch einen Mix aus Privatisierungserlösen und Neuverschuldung, welche wir, da wir sie auf ein Jahr begrenzen, für verantwortbar halten.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ja, genau! Immer das Gleiche! Ein Schuldenkönig sind Sie!)

- Ich komme ja gleich dazu. - Neben Privatisierungserlösen und Neuverschuldung ist das Ganze außerdem in die strukturpolitischen Maßnahmen eingebettet, die mit der Agenda 2010 verbunden sind. Das darf man ja nicht übersehen.

   Jetzt sagen Sie, man dürfe nicht die Neuverschuldung für ein Jahr erhöhen, und wollen das nicht mitmachen, obwohl wir Ihnen anbieten, die Zins- und Tilgungslasten für die Neuverschuldung dieses einen Jahres über zusätzlichen Subventionsabbau zu begrenzen.

Auch das liegt Ihnen vor, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Uns liegt gar nichts vor!)

   Sie kritisieren das und sagen, das dürfe man auf gar keinen Fall machen. Das lässt sich hören. Jetzt will ich Ihnen aber einmal einen Beitrag aus einer Debatte vorlesen, die im letzten Jahr etwa zur gleichen Zeit wie jetzt, Ende August, stattfand. Es ging um die Frage, ob es zulässig sei, wegen der Flutkatastrophe die Steuerreform zu verschieben, oder ob es zulässig sei, die notwendigen Ausgaben über zusätzliche Neuverschuldung zu finanzieren.

   Ich sage es noch einmal: Es ist ökonomisch möglich, darüber zu streiten, ob das eine oder das andere besser ist, aber man sollte wenigstens zugeben, dass das, was wir jetzt vorschlagen, vor dem Hintergrund eigener Aussagen nun nicht wirklich der Gottseibeiuns schlechthin sein kann.

   Ich lese einmal vor, was Herr Stoiber am 29. August 2002 in der Debatte hier im Deutschen Bundestag sagte: „Mit unserem Konzept“, also dem der Finanzierung der 10 Milliarden über Nettoneuverschuldung - -

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

- Was ist denn die Verwendung der Bundesbankgewinne anderes als Nettoneuverschuldung? Machen Sie sich doch nichts vor, meine Damen und Herren. Jeder, der etwas von Ökonomie und Haushalt weiß, muss das doch bestätigen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja Unsinn!)

Herr Stoiber sagte vor einem Jahr:

Mit unserem Konzept werden die Schulden langsamer abgebaut. Zwar fallen vorübergehend höhere Zinsen an, aber das ist auch gerechtfertigt und sinnvoll. Höhere Zinsen sind ein kleineres Übel als höhere Steuern. Höhere Steuern lähmen die Konjunktur, hemmen das Wachstum und vernichten Arbeitsplätze. Das ist der entscheidende Punkt.

Wohl wahr, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich weiß, dass wir in der gleichen Debatte gesagt haben: Es ist angemessen, die Stufe nach hinten zu verschieben. Ich will hier nicht verschweigen, dass wir das mit dem Argument begleitet haben, dass das Geld, das man dadurch hereinbekommt, ja nicht einbehalten und nicht für konsumtive Ausgaben verwendet wird, sondern dass es investiert wird in die Wiederherstellung der Infrastruktur in den betreffenden Gebieten. Das war also ein ganz anderer Sachverhalt, als wenn man es für konsumtive Ausgaben verwendet hätte.

   Ich erwähne diese Auseinandersetzung überhaupt nur, um deutlich zu machen, dass die gesamte Argumentation der Opposition nach dem Muster „Wir wollen das Vorziehen auch, aber der von euch konkret vorgeschlagene Weg geht auf keinen Fall“ auf sehr, sehr tönernen Füßen steht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Weil diese Frage für die Mobilisierung zusätzlichen Wachstums von ungeheurer Bedeutung ist, bitte ich darüber in diesem Zusammenhang noch einmal gründlich nachzudenken, es mit den Landesregierungen, die im Bundesrat das Sagen haben, zu bereden und vielleicht gemeinsam dafür zu sorgen, dass das gelingt, was für die Konjunktur, für den Arbeitsmarkt und für die Wirtschaft in unserem Land von großer Bedeutung ist. Denn in der Einschätzung, dass das hilfreich und von großer Bedeutung ist, unterscheiden wir uns ja nicht; wir unterscheiden uns in der Frage der Finanzierung. Es sollte Ihnen möglich sein, wenigstens tendenziell zu dem zurückzukehren, was Sie vor einem Jahr für richtig gehalten haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der zweite Punkt, um den wir uns kümmern müssen und den wir angeschoben haben, hängt mit der Agenda 2010 zusammen. Wir müssen den Menschen im Land vor allen Dingen einmal sagen: Die notwendigen Reformanstrengungen haben mit der Tatsache zu tun, dass wir, anders als in früheren Zeiten, nicht mehr oder nie mehr werden darauf hoffen können, die sozialen Probleme und die Defizite, die sich in den sozialen Sicherungssystemen ergeben - ich habe die Gründe dafür genannt -, über Wachstum allein in den Griff kriegen zu können. Das wird nicht mehr funktionieren.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Aber ohne Wachstum funktioniert gar nichts!)

Die Veränderungen in den sozialen Sicherungssystemen, die wir dem deutschen Parlament vorgeschlagen haben, sind notwendig. Sie sind unausweichlich wegen der Veränderung der Alterspyramide in unserer Gesellschaft. Wenn wir es schaffen wollen - und wir müssen das schaffen -, den Jungen durch Bildung Chancen zu geben, den Frauen über bessere Kinderbetreuung Möglichkeiten zu geben, am Erwerbsleben teilzunehmen, und über massive Investitionen in Forschung und Entwicklung technologisch Spitze zu bleiben, dann müssen die Anstrengungen, die sich in der Agenda 2010 finden, Wirklichkeit werden.

Da hat jeder Verantwortung, wir im Bundestag genauso wie Sie im Bundesrat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Mir kommt es darauf an, den Zusammenhang deutlich zu machen zwischen der Chance, in Zukunftsbereiche zu investieren und dafür Ressourcen zu mobilisieren, und der Notwendigkeit, die sozialen Sicherungssysteme den radikal veränderten Bedingungen anzupassen. Das ist die Aufgabe. Im Haushalt und seinen Begleitgesetzen wird diese schwierige Balance versucht, und zwar - ich will dem Thema gar nicht ausweichen - unter den Gegebenheiten und Notwendigkeiten, die mit Maastricht, mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zusammenhängen.

   Aber - wir haben das auch in der gestrigen Debatte zwischen Ihnen und Hans Eichel gehört - der Pakt heißt nicht Stabilitätspakt, sondern vielmehr Stabilitäts- und Wachstumspakt. Hinsichtlich der konjunkturellen Entwicklung gibt es weltweit positive Anzeichen, sowohl in Amerika - ob sich das dort auf den Arbeitsmarkt auswirkt, wird man sehen - als auch in Asien. Wir wissen, dass Europa in dieser Dreiergruppe ökonomisch hintenan ist. Wenn wir als Europäer unseren Beitrag zur Entwicklung der Weltwirtschaft leisten wollen, dann können wir nicht nur stabilitätsfixiert agieren - wobei die Stabilität nicht aus den Augen verloren werden darf -, sondern dann müssen wir in dieser Situation einer Stagnation im dritten Jahr alle zusammen - ich habe hinsichtlich der Wachstumsschwäche auch und gerade anderer Länder Zahlen genannt - etwas für das Wachstum tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Was bei Ihnen wächst, sind die Schulden! Nur das wächst!)

   Wir erbitten von der EU-Kommission in den Diskussionen lediglich, die Möglichkeiten für uns zu schaffen, Wachstum anzustreben, ohne dass wir die Perspektive der Konsolidierung aufgeben wollen. Es ist richtig, was Hans Eichel gesagt hat. Wir haben uns in den guten Zeiten auf Wachstum fixiert - Wachstum wird’s schon richten - und Konsolidierung nicht entschieden genug betrieben. Das geschah aber am wenigsten unter Herrn Eichel, sondern eher unter anderen, die vor ihm Finanzminister waren; da meine ich nicht nur seinen unmittelbaren Vorgänger, sondern spreche auch von Ihrer Regierungszeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es gibt Situationen, in denen die Grenze von 3 Prozent zwar nicht überschritten werden sollte, aber doch nicht um den Preis des Abwürgens der Konjunktur, jeder volkswirtschaftlichen Vernunft zum Trotz. Das ist das Einzige, worauf wir hinweisen. In diesem Punkt sind wir im Übrigen einig mit anderen Ländern. Sie haben Frankreich und Italien genannt, wo wahrlich keine - wie Sie sagen würden, Herr Glos - strammen Sozialisten, die nicht mit Geld umgehen könnten, regieren. Da sind wir uns vielleicht einig.

   Die Wachstumsraten in anderen Ländern, die gerne als Beispiele angeführt werden, zum Beispiel 0,7 Prozent Wachstum in Spanien, sind ja ganz schön. Aber ein solches Wachstum ist auch nicht besonders schwierig, wenn man mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes von Brüssel überwiesen bekommt. Nebenbei gesagt: 25 Prozent davon zahlt Deutschland. Auf diese Weise können Wachstumsraten natürlich leichter erzielt werden, als wenn erstens die deutsche Einheit geschultert werden soll und muss und zweitens 25 Prozent des europäischen Haushalts bestritten werden müssen. Auch dieser Punkt gehört in eine solche Debatte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich glaube, meine Damen und Herren, dass wir durch den Zusammenhang von wachstumsfördernder Politik - siehe Steuerreform - einerseits und dem Versuch, die Strukturen in unserer Gesellschaft zu verändern - Umsetzung der Agenda 2010 -, andererseits auf einem guten Weg sind.

   Außerdem will ich hier ganz klar sagen: Wir haben beim Thema Gesundheitsreform miteinander etwas zuwege gebracht. Dafür bin ich allen Beteiligten - in den Koalitionsfraktionen und der Ministerin ebenso wie Herrn Seehofer und denen, die mit ihm zusammengearbeitet haben - dankbar. Das war richtig, vernünftig und wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Man kann darüber streiten, ob in bestimmten vermachteten Bereichen genügend Markt hergestellt worden ist. Ich denke an die Kassenärztlichen Vereinigungen oder an die Apotheken. Im Übrigen sage ich in Parenthese an die Freien Demokraten gerichtet: Sogar Ihr Altmeister, Herr Lambsdorff, hat geschrieben, dass man aufpassen müsse, über den Markt nicht ausgerechnet dann zu schweigen - Stichwort: Mehrfachbesitz und Fremdbesitz bei Apotheken -, wenn es an das Leder der eigenen Klientel geht. Darüber müssen Sie einmal nachdenken, ehe Sie wieder lautstark über Marktwirtschaft mit uns reden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte über das hinaus, was ich im Hinblick darauf deutlich zu machen versucht habe, was wir im nationalen Maßstab leisten können und leisten müssen, was wir ökonomisch mit Bezug auf den einzuhaltenden Stabilitäts- und Wachstumspakt an vernünftiger Interpretation, an wachstumsgerechter Interpretation in Europa brauchen, noch ein paar Bemerkungen zur internationalen Situation machen.

   Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Herr Schäuble gesagt hat, die Union könne einem Einsatz der deutschen Soldaten in Kundus zustimmen.

(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Moment! - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Sie haben nicht genau hingehört!)

- Ich kann es nur so sagen, wie ich es zur Kenntnis genommen habe. Sie können es hier ja richtig stellen, wenn es anders ist.

(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Lesen müsste man können!)

   Ich habe das mit Freude zur Kenntnis genommen. Warum? Es ist ja sehr interessant, einmal die Debatten, die im letzten halben Jahr über die Bekämpfung des internationalen Terrorismus geführt worden sind, zur Kenntnis zu nehmen. Wir sind uns alle einig, dass Ausgangspunkt der Diskussion um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus der 11. September war, und dies völlig zu Recht. Sie kennen die Gegebenheiten. Wir haben damals entschieden, dass wir uns an der militärischen Niederwerfung derer beteiligen, die dem internationalen Terrorismus über Ausbildung und über Schutz eine Heimstatt geben, der Taliban also.

(Zuruf des Abg. Hartmut Schauerte (CDU/CSU))

- Ja, richtig. - Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus gerade in Afghanistan ist nicht gewonnen. Er ist alles andere als das.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig!)

- Ja, jetzt kommt es. - Es ist sehr interessant, dass während der gesamten Diskussion um den Irakkrieg über diesen Aspekt des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus kein Wort geredet worden ist, obwohl er weiterhin notwendig war. Ich bin froh darüber, dass der Zusammenhang jetzt wieder hergestellt wird. Man kann den Kampf gegen den internationalen Terrorismus in jedem Land, vor allem aber in Afghanistan, verlieren. Man wird ihn dann verlieren, wenn man den Zusammenhang zwischen der militärischen Niederwerfung der Taliban einerseits und dem, was man Nation Building nennt, andererseits nicht sieht oder nicht hinreichend zur Kenntnis nimmt und nicht für eine entsprechende Ausstattung sorgt. Das ist der Punkt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das ist die Begründung dafür, dass wir gesagt haben: Wir können nicht uferlos Ressourcen einsetzen, weil wir sie uferlos gar nicht haben. Aber wir sind bereit, der Aufforderung der Vereinten Nationen, unserer Partner zu folgen und zu sehen, was wir über Kabul hinaus machen können, immer aber unter Beachtung des Zusammenhangs, dass sich unser Begriff der Herstellung von Sicherheit, unser Begriff des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus niemals in der militärischen Seite erschöpfen darf und erschöpft, sondern dass man dabei immer auch die zivile Seite im Auge behalten muss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir darüber in diesem Parlament Einigkeit erzielen können, dann bin ich sehr froh.

   Dann geht es um die Frage, über die hier vielfach diskutiert worden ist - mir liegt wirklich daran, dass wir diese Diskussion so sachlich wie irgend möglich weiterführen können -: Wie entwickelt sich das im Irak? Was für einen Beitrag können wir leisten? - Dazu zunächst nur so viel: Ich habe nicht die geringste Lust, im Nachhinein in eine Diskussion darüber einzusteigen, wer in der Bewertung des Krieges Recht hatte und wer nicht Recht hatte, weil das niemanden weiterbringt. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass der Wiederaufbau des Irak mit der Perspektive auf Stabilität und Demokratie gelingen muss; denn das liegt in unserem, im europäischen Interesse genauso wie im Interesse der Alliierten und des irakischen Volkes.

Es liegt auch im Interesse der gesamten Region, dass der Aufbau gelingt.

(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

Dabei spielt die Frage, wie man zu dem Krieg stand, keine Rolle. Genugtuung wäre das Verkehrteste.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Dies vorausgeschickt, will ich darauf hinweisen, dass es auch um die Frage geht: Welchen Beitrag kann Deutschland leisten? Wir engagieren uns im Bereich der humanitären Hilfe. Wir können uns auch beim Wiederaufbau im Rahmen bestimmter Projekte engagieren, die unsere Institutionen und Nichtregierungsorganisationen durchführen können und die wir natürlich finanzieren müssen. Es ist keine Frage, dass wir das tun können, wenn die Sicherheit gewährleistet ist.

   Noch einmal: Bezogen auf die Sicherheit im Irak wird es Zeit, auf internationaler Ebene darüber zu reden - das wird sicherlich geschehen -, was die Sicherheitslage im Irak wirklich verbessern könnte. Ich habe Zweifel - ich sage das bewusst zurückhaltend -, ob ein Aufwuchs des gegenwärtig vorhandenen Kontingentes an Soldaten, gleichgültig von wem gestellt, ein objektives Mehr an Sicherheit bedeuten würde.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass die Stimmen - sie gibt es auch in den Vereinigten Staaten von Amerika - Recht haben, die sagen: Was wir wirklich brauchen, ist die Ausbildung der irakischen Polizei und des irakischen Militärs. Wenn es trotzdem zusätzliche Kräfte geben muss, dann sollten es Kräfte sein, die eine engere Beziehung zum islamischen Glauben haben, als wir sie jemals haben können. Eine solche Debatte weist in die richtige Richtung.

   Unsere Meinung ist, dass wir eine andere Rolle der Vereinten Nationen brauchen. Diese ist schon legitimatorischen Gründen notwendig, weil sich sonst nur wenig in Richtung mehr Sicherheit bewegt. Wir müssen, so schnell es geht - es ist klar, dass man das nicht über Nacht schaffen kann -, dazu kommen, eine wirkliche irakische Autorität in diesem Land zu installieren. Das sind die beiden Punkte, um die es geht.

   Ich sage mit Bezug auf das, was wir leisten können und leisten wollen: Auch die deutschen Ressourcen sind begrenzt. Ich sage aber mit Stolz: Mit unserem Engagement auf dem Balkan, in Afghanistan und im Rahmen von Enduring Freedom leisten wir Erhebliches. Im Übrigen - das wird auch zur Kenntnis genommen - finanzieren wir unser Engagement selber. Unsere Partner wissen das inzwischen. Vor diesem Hintergrund ist es verantwortbar, zu sagen: Wir sind bereit, bei der Ausbildung der irakischen Polizei, die in Deutschland stattfinden kann und die wir zusammen mit anderen oder alleine durchführen können, zu helfen. Wir sind auch bereit, die für die Ausbildung unseres Militärs vorhandenen Hochschulen zu öffnen, soweit es die Ressourcen hergeben. Aber ich glaube nicht, dass wir in einer Situation sind, in der wir uns im Irak militärisch beteiligen sollten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie mich abschließend ein paar Bemerkungen zur bevorstehenden Regierungskonferenz in Rom machen - es wird Nachfolgekonferenzen in Brüssel und danach vermutlich wieder in Rom geben -, die über die Verfassung Europas entscheidet. Wir sind uns mit unseren französischen Freunden und mit anderen darüber einig, dass das, was der Konvent vorgelegt hat, ein wirklich sehr guter Verfassungsentwurf ist. Es ist der geglückte Versuch, das Verhältnis der Institutionen zueinander unter den obwaltenden Umständen vernünftig zu regeln. In Europa ist das natürlich schwieriger, als wenn es sich um einen Zentralstaat handeln würde. Auf der anderen Seite wird auch das Verhältnis zwischen der europäischen Ebene und den Nationalstaaten vernünftig geregelt. Wir sind letztlich alle davon überzeugt, dass es gut und richtig ist, die Grundrechte-Charta in einer solchen Verfassung zu verankern. Noch einmal: Es ist ein wirklich geglückter Entwurf.

   Ich will etwas zu der Frage des Gottesbezuges sagen. Ich unterstelle, dass es Ihnen damit ernst ist. Der Bundesaußenminister und ich hatten damit überhaupt kein Problem.

(Unruhe bei der CDU/CSU)

Nach meiner Auffassung ist der Gottesbezug nicht erforderlich.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist klar!)

- Hören Sie doch einmal zu, bevor Sie den Mund so weit aufreißen!

   Ich bin der Auffassung, dass diejenigen, denen das - ihrer Verankerung im Glauben wegen - wichtig ist, ein größeres Recht haben als die, die das nicht für so wichtig halten. So habe ich mich in der niedersächsischen Verfassungsdebatte verhalten. So verhalte ich mich auch in dieser Debatte.

   Sowohl der Außenminister als auch ich sind für den Gottesbezug eingetreten. Aber Sie kennen die Tradition anderer Länder. Was jetzt im Entwurf steht, ist das Optimum des Möglichen. Herr Glos, Sie wollen doch nicht ernsthaft fordern, dass wir wegen dieser Tatsache die Verfassung scheitern lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die rot-grüne Bundesregierung, der man ansonsten alles Mögliche unterstellt, ist mit dieser Fragestellung verantwortungsbewusst umgegangen und hat getan, was sie konnte. Was dabei herausgekommen ist, mag denen, die ganz besonders viel Wert darauf legen - ich hoffe, wirklich innerlich und nicht nur zum Kampf untereinander -,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nicht ausreichen. Aber wir haben mehr erreicht, als man für möglich hielt.

   Weil die Verfassung insgesamt ein ausgewogener Kompromiss ist, warne ich davor - uns muss man diese Warnung nicht sagen -, die Forderung zu erheben, das Paket aufzuschnüren. Es wird kein besseres geben. Ich bin fest davon überzeugt.

   Ich verstehe, dass einzelne Staaten auf Ewigkeit einen Kommissar stellen wollen. Wenn Bulgarien und Rumänien dazukommen, wären es 27 Kommissare. Es wäre nicht leicht, sie - womöglich ohne Richtlinienkompetenz - zu einer gemeinsamen Haltung zu bringen. Ich glaube, das wird jeder verstehen. Stellen Sie sich einmal ein Unternehmen mit 27 Vorstandsmitgliedern vor!

(Michael Glos [CDU/CSU]: Wie die SPD-Fraktion wäre das dann!)

Im Übrigen darf man nicht übersehen: Wenn man so viele Kommissare hat, suchen sie sich alle ein Betätigungsfeld - und sie finden eines.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will das aber nicht in extenso ausführen.

   Wenn wir das Paket aufschnüren, dann werden wir kein besseres zusammenbekommen, wenn überhaupt. In dieser Befürchtung sind wir uns völlig einig. Deswegen wird Deutschland auf der Regierungskonferenz dafür sorgen, das Paket zusammenzuhalten.

   Meine Damen und Herren, ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass wir eine Menge internationaler Probleme haben, die uns zusätzliche wirtschaftliche Schwierigkeiten machen. Wir sind mitten in einem ungeheuren Reformprozess im Innern. Wir tun das alles, um Ressourcen freizubekommen, um in die Zukunft zu investieren. Diejenigen, die nach uns kommen, sollen so gute Chancen haben, wie wir sie hatten. Das ist unsere Verantwortung.

   Ich gebe zu: Das ist unter den obwaltenden Bedingungen nicht einfach. Was den Haushalt angeht, ist es in der gegenwärtigen Situation schwierig genug. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir es mit der Strategie der Unterstützung von Wachstum einerseits und des wirklich beherzten Angehens von Strukturreformen andererseits schaffen werden, dass diejenigen, die nach uns kommen, eine gute Zukunft erlangen. Das begreife ich als meine und unsere Verantwortung.

   Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Friedrich Merz.

Friedrich Merz (CDU/CSU):

Herr Bundeskanzler, Sie haben zu Beginn Ihres Debattenbeitrags auf eine Auseinandersetzung Bezug genommen, die der Bundesfinanzminister und ich gestern zu Beginn der Aussprache miteinander hatten. Ich möchte Ihnen zunächst Dank dafür sagen, dass Sie das richtig gestellt haben. Es konnte gestern durchaus der Eindruck entstehen, dass der Bundesfinanzminister einen großen Teil der Probleme, die er jetzt hat, nicht Ihrer Regierungspolitik, sondern der Tatsache zuordnet, dass wir die deutsche Teilung zu überwinden hatten.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Quatsch! - Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur durch Sie konnte der Eindruck entstehen!)

- Sie haben doch alle zugehört,

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Nur Sie nicht!)

tun Sie es jetzt doch bei mir wenigstens 30 Sekunden lang. Ich habe mich beim Bundeskanzler dafür bedankt, dass er diese Situation richtig dargestellt hat, sodass kein falscher Eindruck bleibt.

   Herr Bundeskanzler, in einem Punkt möchte ich Ihnen jedoch widersprechen. Sie haben darauf hingewiesen, dass auch andere Wachstumsschwächen haben; das ist richtig. Nur: Die Überwindung der deutschen Teilung kostet Geld, aber sie kostet nicht zwangsläufig Wachstum.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Gegenteil: Richtig gemacht - lassen Sie uns jetzt nicht über Versäumnisse und Fehleinschätzungen sprechen; auch wir hatten Fehleinschätzungen -;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

könnte sie sogar einen Wachstumsschub auslösen. Wenn die These, die Sie verschiedentlich vorgetragen haben, dass nämlich diejenigen, die schlechter entwickelt sind, ein höheres Wachstumspotenzial haben, richtig wäre, dann müsste das in diesen Tagen und Wochen ganz besonders für die neuen Bundesländer gelten. Aber das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Erlauben Sie mir eine zweite Bemerkung. Sie haben heute erstmalig eingeräumt, dass es ein Fehler Ihrer Regierung war, den Demographiefaktor abzuschaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe Respekt davor, dass Sie das so deutlich gesagt haben, Herr Bundeskanzler. Sie hätten Ihrem Finanzminister und Ihrer Regierung viele Probleme ersparen können, wenn Sie diesen Fehler nicht gemacht hätten. Dann hätte Ihr Bundesfinanzminister gestern auch nicht so laut Klage darüber führen müssen, dass mehr als ein Drittel seines Haushalts in die Rentenversicherung fließt. Gleichwohl habe ich Respekt davor, dass Sie das so gesagt haben.

   Es würde mich allerdings wesentlich mehr beruhigen, wenn Sie nicht weitere Fehler machten; aber diese Bundesregierung setzt die Reihe von Versuch und Irrtum fort. Es ist schön, dass Sie heute im Nachhinein davon sprechen, dass es ein Fehler war. Was Sie aber in der Wirtschafts-, Sozial- und Rentenpolitik machen, lässt nicht darauf schließen, dass Sie aus diesem Fehler gelernt haben. Deswegen kann uns das, was Sie gesagt haben, Herr Bundeskanzler, bei allem Respekt nicht beruhigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zur Erwiderung der Bundeskanzler.

Gerhard Schröder, Bundeskanzler:

Herr Merz, mit Ihrer Bemerkung zu den ökonomischen Fragen, die im Zusammenhang mit der deutschen Einheit stehen, haben Sie Recht und Unrecht zugleich. Sie haben Recht -

(Zurufe von der SPD: Aufstehen!)

- lassen Sie ihn ruhig sitzen -, wenn Sie sagen, dass die Einheit einen Boom hätte auslösen können.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Aber fremdfinanziert!)

Das hat sie im Übrigen auch ohne jeden Zweifel zu Beginn der 90er-Jahre. Er bezog sich insbesondere auf die Konsumgüter und die Bauwirtschaft.

   Das Problem der Wachstumsschwäche aber bleibt trotzdem bestehen, weil wir einen großen Teil der Kosten der Einheit über die Arbeitskosten finanziert haben. Das hat exakt zu den Wachstumsproblemen beigetragen, die wir jetzt miteinander zu beklagen haben. Ich glaube, man muss beides sehen; denn beides gehört zusammen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich komme nun auf den Demographiefaktor zu sprechen. Ich habe die Sozialministerin gebeten, das, was Herr Rürup vorgelegt hat, bis zum Ende dieses Monats, spätestens bis Mitte des nächsten Monats auszuwerten und der Bundesregierung einen Vorschlag zu machen. Zu diesem Zeitpunkt - wenn ich den Pressemeldungen glauben darf - wird das vorliegen, was Herr Herzog - übrigens mit einer Kommission, Herr Glos - für die CDU erarbeitet. Dann werden wir beide Vorschläge nebeneinander legen und überlegen, was wir im Interesse der Rentensicherheit für die älteren Menschen und mit Blick auf die Beitragsentwicklung für die jüngeren Menschen in unserem Land tun können.

   Angesichts der Tatsache, dass Sie eigene Arbeiten auf den Tisch legen wollen, werden Sie sich, wie ich denke, der Verantwortung eines gemeinsamen Abgleichs und, wo möglich, einer gemeinsamen Umsetzung nicht entziehen können. Wir werden sehen, welche Vorschläge die eine Seite und welche die andere Seite zur Lösung der Probleme vorlegen wird. Ich bin mir ganz sicher, dass wir über unsere Vorschläge, die wir in den Deutschen Bundestag einbringen werden, sehr rational und sehr problemorientiert streiten können. Das jedenfalls wünsche ich mir.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Guido Westerwelle von der FDP-Fraktion.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen einen Fehler eingestanden. Das fällt Ihnen ein, nachdem es fünf Jahre her ist, dass Sie diesen Fehler, wie Sie selbst sagen, gemacht haben. Ein Eingeständnis, in der Rentenpolitik einen Fehler gemacht zu haben, ist dann honorig, wenn man fahrlässig etwas falsch gemacht hat, wenn man es nicht besser wusste. Sie dagegen haben die damalige Regierung für die Rentenpolitik in besonderer Weise beschimpft, obwohl Sie wussten, dass es in Wahrheit falsch war, was Sie gemacht haben. Sie wollten nur an die Macht kommen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Und so regieren Sie auch heute noch: Sie wissen, dass Ihre Politik falsch ist, wollen sich aber an der Macht halten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Unterhalten wir uns nun über die weiteren Fragen, die Sie angesprochen haben. Es ist schon ein starkes Stück, dass Sie hier von einer besonders wachsenden Volkswirtschaft gesprochen haben. Sie sagten, die Volkswirtschaft sei gewachsen, sie habe an Kraft zugenommen - und das, nachdem unsere Wirtschaft über zwei Quartale hinweg geschrumpft ist. Noch nie hat ein Kanzler das Wirtschaftswachstum in Deutschland so bagatellisiert. Wir leben seit zwei Quartalen in einer Rezession; Stagnation ist noch die höfliche Umschreibung dafür. Nicht das Ausland oder die Weltkonjunktur sind die Ursache, Ihre Politik ist die entscheidende Ursache für diese Entwicklung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wie viele Fehler wollen Sie eingestehen?

(Zuruf von der SPD: Vorsicht!)

Nur den bei der Rente? Sie sagen, Sie wollten die Steuersätze senken. Einverstanden, wir werden konstruktiv daran mitarbeiten; das ist keine Frage. Das haben wir Ihnen immer wieder gesagt, auch nach Ihrer Regierungserklärung im Bundestag zur Agenda 2010. Sie allerdings erwecken den Eindruck, als habe die Steuersenkungspolitik erst mit Ihnen begonnen. So wie Sie bei der Rente das wider besseres Wissen aufgehoben haben, was richtig war, haben Sie damals mit den Petersberger Beschlüssen die Steuersenkungspolitik blockiert, obwohl Sie wussten, wie sehr Deutschland im Interesse neuer Arbeitsplätze auf Steuersenkungen angewiesen war.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie machen keinen Einkommensteuertarif mit einem Eingangssteuersatz von 15 Prozent. Wir hätten seit sechs Jahren Steuersätze zwischen 15 und 39 Prozent haben können, wenn Sie damals nicht einen Fehler nach dem anderen gemacht hätten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Es ist schon eine feine Arbeitsteilung in diesem Haus: Der Finanzminister hat hier gestern den Sündenbock gegeben. Herr Eichel, das Schicksal von Herrn Scharping wird auch Sie ereilen; das ist klar. Dann, wenn Sie nicht mehr gebraucht werden, werden Sie abgeräumt. Bis dahin sollen Sie noch haften. Doch für diese katastrophale Lage im deutschen Haushalt - das muss der deutschen Öffentlichkeit gesagt werden - ist nicht ein Herr Eichel alleine verantwortlich. Dafür haftet diese Regierung insgesamt, dafür haften Sie, Herr Bundeskanzler, persönlich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Das ist eine Haushaltsdebatte. Deswegen will ich jemanden von außen, der sich heute Morgen dazu geäußert hat, zitieren. Der Finanzwissenschaftler Rolf Peffekoven bescheinigt Ihnen, dass es einen solchen Haushalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben habe. Eichels Etat sei der unsolideste Haushalt der Nachkriegszeit.

Genau das ist das Problem.

   Sie meinen, es reiche, einen Fehler einzugestehen. Das sei die Volte und Deutschland verzeiht. Nein, in Wahrheit war die Wirtschaftspolitik von Rot-Grün fünf Jahre lang ein einziger Fehler. Sie haben nicht einen Fehler gemacht, Ihre Regierung ist ein Fehler.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie machen damit weiter: Deutschland muss sparen, mit Ausnahme - das ist erstaunlich - beim Etat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Deutschland ist in Finanznot, aber für die Propaganda wird Geld ausgegeben. Die Stellen, an denen Geld ausgegeben wird, sind bemerkenswert. Für die Agenda 2010 gibt es eine Werbekampagne. Jeder Bürger kann zurzeit die Plakate sehen. Die Bundesregierung wirbt für ihre Agenda 2010 mit Steuergeldern in Höhe von 2,3 Millionen Euro - und das, obwohl bisher nichts in trockenen Tüchern ist. Seit dem 14. März haben Sie viel geredet, aber nichts gemacht. Eine Sommerpause ist vorbeigegangen. Sie haben nichts vorgelegt.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist doch Unsinn! Das wissen Sie ganz genau! Sie haben sich doch ausgeklinkt! Sie sind ausgestiegen! Die FDP hat Sommerpause gemacht! Wo waren Sie denn?)

   Wenn man drei Wochen vor der bayerischen Landtagswahl Propandamittel in Höhe von 2,3 Millionen Euro einsetzt, obwohl diese Politik noch gar nicht beschlossen ist, dann ist das eine eklatante Steuergeldveruntreuung. Wir sagen es so, wie es ist: Sie wollen die Wahlkampfkassen Ihrer Partei in Bayern schonen. Das ist alles.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Es ist erstaunlich, wofür Ihre Regierung Geld ausgibt: 2,3 Millionen Euro für eine Propaganda für ein Produkt, das es noch gar nicht gibt. Der Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion entnehmen wir, dass es ein neues Spiel der Bundesregierung für die ökologische Vorschulerziehung von Kindern gibt: „Kater Krümels Bauernhof“. Dafür wurden 1,7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Dafür hat die Regierung Geld!

(Zuruf von der SPD: Für Kinder haben wir immer Geld!)

Die Gebühren für Krippenplätze stiegen allein im letzten Monat um über 6 Prozent. Sie sollten das Geld dort investieren und nicht für Ihren Propagandaunfug ausgeben, den Sie auf Kosten der Steuerzahler begehen.

   Kater Krümels Bauernhof - Kater Krümels Regierungserklärung. Man wundert sich, was wir in diesem Sommer alles erleben mussten.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Aussteigen der FDP!)

- Frau Sager, auf Sie komme ich noch zu sprechen. Fangen wir doch gleich einmal mit Ihnen an.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie waren doch eben bei einem anderen Thema!)

   Liebe Frau Sager, bei allem Respekt: Rot-Grün führt wieder eine Debatte über die Ausbildungsplatzabgabe. Frau Sager sagte in diesem Frühjahr dazu: Wenn die Wirtschaft nicht spure, dann müsse man der Wirtschaft „die Folterwerkzeuge“ zeigen. Sie sagen das in einem Jahr, in dem es so viele Pleiten im Mittelstand gibt wie noch nie zuvor. Es gab noch niemals eine solche Pleitewelle wie unter dieser Bundesregierung.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und noch nie so viele Unternehmen, die sich gründen!)

Und Sie sagen, dass Sie der Wirtschaft die Folterwerkzeuge zeigen wollen. Diese Wirtschaft braucht keine Folter von Rot-Grün, sondern Freiheit. Das ist ein entscheidender Unterschied.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nur dann gibt es wieder Arbeitsplätze.

   Es ist faszinierend, was Ihnen alles einfällt. Künftig werden noch mehr Beamte eingestellt, die zu prüfen haben, wie viele Einstellungen in mittelständischen Betrieben vorgenommen werden müssen.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt eine Gerechtigkeitslücke bei der Ausbildung! Das wissen Sie!)

Frau Sager, so redet nur jemand, der in seinem Leben noch niemals einen Euro selbst erwirtschaften musste. Das muss Ihnen einmal gesagt werden. So sieht Ihre Politik aus.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vom BAföG über die Grundsicherung in den Vorruhestand - das ist Ihr grünes Lebensideal.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP - Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben richtig was beizutragen heute! - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist eine Beleidigung! - Joachim Poß (SPD): So ein Jüngelchen muss das gerade sagen!)

   Die Bundesanstalt für Arbeit hat in diesem Sommer mitgeteilt, dass es fast 5 Millionen Arbeitslose geben kann. Das ist die dramatische Lage, in der wir uns befinden.

Wollen Sie den 5 Millionen Arbeitslosen sagen, dass alles ein Fehler war und es Ihnen Leid tut? Das sind Schicksale und nicht nur Statistiken.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das interessiert Sie aber nicht, Herr Westerwelle!)

Das sind Frauen, die in den Arbeitsmarkt einsteigen möchten, nachdem vielleicht die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind. Das sind junge Leute, die eine Chance und eine Perspektive suchen. Das sind Menschen, die Mitte oder Ende 50 sind und aufgrund Ihrer Arbeitsmarktpolitik zum alten Eisen gestempelt worden sind,

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist doch unglaublich!)

sodass sie keinen Platz mehr finden. Wollen Sie denen sagen: Sorry, die fünf Jahre waren ein Fehler?

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Wer hat denn den Vorruhestand eingeführt? Unfassbar!)

So leicht stehlen Sie sich nicht aus Ihrer Verantwortung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ihre Steuerpolitik war ein Fehler, Ihre Sozialpolitik war ein Fehler, Ihre Haushaltspolitik war ein Fehler und Ihre Subventionspolitik war ein Fehler - und das in Zeiten, in denen Deutschland sparen muss und in denen der Entwurf des Subventionsberichts an die Öffentlichkeit kommt, aus dem wir erfahren, dass bei Ihnen die Subventionen sogar noch steigen, anstatt dass sie zurückgeführt werden.

(Hans Eichel, Bundesminister: Das ist doch das Letzte!)

Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Wir wollen Steuersenkungen! Diese sind das beste Beschäftigungsprogramm.

(Joachim Poß (SPD): Kein einziger Vorschlag! Alles abgelehnt!)

Wir wollen sie aber nicht mit neuen Schulden, sondern durch Subventionskürzungen finanzieren. Herr Bundeskanzler, dazu fehlt Ihnen der Mut. Genau dieser Mut ist aber das Wichtigste in Ihrem Amt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie haben das Steuervergünstigungsabbaugesetz im Bundesrat doch abgelehnt! Sie waren das doch!)

   Wir haben erlebt, dass Sie den demographischen Faktor bei der Rente aufgehoben haben. Sie haben die Petersberger Beschlüsse blockiert und in Ihrer Amtszeit die gesamten Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Arbeitsrecht beseitigt. Gott sei Dank kommt jetzt Herr Clement mit Vorschlägen, die nach und nach in die richtige Richtung gehen. Er hat dabei größte Widerstände bei Ihnen zu überwinden. Das ist das Problem. Ihre Regierung ist eine einzige Momentaufnahme; sie möchte auf Stimmungswogen gleiten.

(Zuruf von der SPD: Wir heißen ja nicht Westerwelle!)

Leider sind Sie keine Regierung, die eine verlässliche Perspektive definiert. In diesen Zeiten müsste ein deutscher Bundeskanzler bzw. eine Bundesregierung sagen: Wir wollen eine Staatsquote von einem Drittel erreichen, weswegen wir die Steuersätze auf 15, 25, 35 Prozent reduzieren. Wir werden das durch Privatisierung, Subventionsabbau und eben nicht durch neue Schulden finanzieren.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist ein blanker Unsinn ohnegleichen! - Weiterer Zuruf von der SPD: Sie werden gar nichts, weil Sie nicht dran sind!)

Wir werden das Ganze mit einer Reform auf dem Arbeitsmarkt verbinden und dazu neue bildungspolitische Akzente setzen. - All das kommt von Ihnen nicht. Sie haben keine Perspektive; Sie sind ein Stimmungskanzler. Das ist das Problem für Deutschland.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich will die einzelnen Punkte der Gesundheitspolitik ansprechen, die Sie hier selbst eingeführt haben. Herr Bundeskanzler, bezogen auf die Gesundheitspolitik haben Sie zunächst einmal die Freien Demokraten angesprochen. Das war so gut wie alles, was Ihnen zur Gesundheitspolitik eingefallen ist. Sie sagen, dass es keine Steuererhöhungen geben soll. In Wahrheit ist in diesem Kompromiss vorgesehen, dass die Tabaksteuer erhöht wird, damit das Gesundheitssystem bezahlbar bleibt. Die Vorstellung, dass man erst möglichst viel rauchen muss, damit man, wenn man wegen des Rauchens krank wird, eine Behandlung bezahlt bekommen kann, ist in meinen Augen geradezu absurd.

(Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer hat denn den Wettbewerb verhindert?)

Rauchen für die Gesundheit ist auch ordnungspolitisch nur noch gaga.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darüber werden wir hier aber noch beschließen.

   Daneben haben Sie noch einmal meine Haltung und die Haltung meiner Fraktion in der Gesundheitspolitik angesprochen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Klientelpolitik!)

Da Sie auf den Wettbewerb eingegangen sind, will ich es Ihnen gerne sagen: Sorgen Sie doch für einen echten Wettbewerb aller Versicherungen!

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ja, bei den Apotheken!)

Sorgen Sie dafür, dass die Versicherungen in einen echten Wettbewerb miteinander treten! Dann sind wir sofort mit Ihnen dabei, auch in den Gesundheitsberufen mehr Wettbewerb durchzusetzen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): So ist das!)

Wir verstehen unter Wettbewerb: frei und fair!

   Sie haben gerade die Apotheken angesprochen. Wir als Freie Demokraten möchten, dass auch künftig zum Beispiel jemand auf dem Lande einen Notdienst für ein Medikament seines Kindes in Anspruch nehmen kann, ohne dass er dafür zwei Stunden im Auto unterwegs sein muss.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch diese Menschen brauchen jemanden in diesem Hause, der darauf aufmerksam macht.

   Nein, Herr Bundeskanzler, wir brauchen keine Bürgerversicherung. Wir brauchen mehr Wettbewerb und mehr Freiheit. Wir brauchen keine Pflichtversicherung, sondern eine Pflicht zur Versicherung. Das haben wir Ihnen in diesem Hause als Gegenkonzept vorgelegt.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Blanke Ideologie!)

Das werden wir auch durchsetzen.

   Ich will zu einem weiteren Bereich kommen, den Sie angesprochen haben. Das ist nach der Innenpolitik, der Haushaltspolitik und der Sozialpolitik die Außenpolitik. Es soll ausdrücklich anerkannt werden, Herr Bundeskanzler, dass wir Gemeinsamkeiten haben.

(Jörg Tauss (SPD): Bis die Lobbyisten kommen!)

Das muss auch in einer solchen Debatte, zu der der Schlagabtausch gehört, erwähnt sein.

(Franz Müntefering (SPD): Das ist kein Schlagabtausch, das ist Pöbelei, was Sie hier machen! Schlagabtausch ist etwas anderes! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU): Für Pöbeleien sind Sie Experte!)

   Aber ich sage Ihnen: Ich halte es schon für einen Fehler, wenn Sie bei der europäischen Verfassung den Eindruck erwecken, als dürfe nichts mehr verändert werden, obwohl doch Ihr eigener Außenminister über 50 eigene Änderungsvorstellungen zum Verfassungsentwurf des Konvents vorgelegt hat. Wir teilen die sachliche Bewertung, die Sie haben. Aber der Appell meiner Fraktion richtet sich an Sie und das ganze Haus: Wenn wir wollen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger hinter dieser europäischen Verfassung versammeln - das ist eine historische Frage -, dann sollten wir auch gemeinsam dafür sorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in einer Volksabstimmung für diese Verfassung entscheiden können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Auch da sollten Sie Ihren Worten Taten folgen lassen. So, wie Sie das bisher in der Europapolitik gemacht haben, geht es nicht. Sie haben einiges gesagt, was anerkannt werden soll, insbesondere was das deutsche Engagement im Irak angeht. Auch wir sind der Überzeugung: Das Militärische darf Außenpolitik nicht ersetzen. Das sollten Sie mehr Ihrem Außenminister und weniger diesem Haus sagen. Aber in der Europapolitik können Sie sich nicht zum Staatsmann aufschwingen.

(Jörg Tauss (SPD): Was heißt hier „aufschwingen“?)

Das ist nach diesem Sommer vorbei. Wie Sie einen Sommer lang einen wirklich drittrangigen Staatssekretär aus Italien zum großen Thema von Regierungspolitik gemacht haben, indem Sie Deutschland durch regierungsamtliche Mitteilungen Ihres Sprechers darüber rätseln ließen, ob man denn jetzt noch an die Adria fahren darf oder nicht, ist nur noch Operettenaußenpolitik gewesen.

   Ich finde wirklich, ein Bundeskanzler - das war bei früheren Bundeskanzlern der Fall - hat bei Irritationen zwischen befreundeten Ländern die Verpflichtung, eine solche Irritation aufzuarbeiten, zu begrenzen und diese nicht auch noch für innenpolitische Stimmungswogen hochzuspielen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Bundeskanzler, Urlaubsabsagen als Instrument der Außenpolitik taugen nicht. Das ist eine Mischung aus Wilhelm II. und Ludwig II. Das passt nicht in unsere Zeit, Herr Bundeskanzler. Auch das soll gesagt werden. Sie sind eben nicht nur in der Innenpolitik und der Wirtschaftspolitik am Ende angekommen, sondern Sie sind in Wahrheit auch in der Außenpolitik konzeptionslos. Hinter Ihnen liegt nicht eine Phase der Einigung Europas. Hinter Ihnen liegt eine Phase, in der Europa zerstrittener ist als je zuvor. Dafür tragen viele Verantwortung, Sie auch.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Diese Regierung ist nach fünf Jahren wirtschafts-, innen- und außenpolitisch gescheitert. Sie war ein einziger Fehler, Herr Bundeskanzler. Das ist das Eingeständnis, das kommen muss.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Beschimpfen Sie das deutsche Volk nicht!)

Drohen Sie Deutschland nicht damit, Rot-Grün nach 2006 fortzusetzen. Kündigen Sie lieber an, dass Sie sich nach und nach zurückziehen. Deutschland sehnt sich nicht nach vier weiteren Jahren Rot-Grün. Deutschland bräuchte Neuwahlen. Das wäre das beste Beschäftigungsprogramm.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Immer nur die alten Parolen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt von Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Präsident! Herr Westerwelle, das Geschrei, das Sie hier veranstaltet haben,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

mag vielleicht in den eigenen Reihen ankommen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Sie keifen!)

   Aber ich will auf etwas eingehen, was Sie besser getan hätten. Sie haben ein Spiel kritisiert, das die Bundesregierung produziert und das zur vorschulischen Erziehung gehört. Es geht um Ernährungserziehung.

Gestern sagte jemand in der Kantine - ein Erwachsener übrigens - er wolle noch etwas von dem Blumenkohl, und er hat dabei auf den Fenchel gezeigt. Das ist die Situation, mit der wir es zu tun haben.

(Heiterkeit - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist die Zielgruppe Ihres Sprechers! - Michael Glos (CDU/CSU): Nein, war das ein Gag!)

In diesem Zusammenhang, Herr Westerwelle, hätte es Ihnen vielleicht besser getan, wenn Sie sich mit der Frage, wer für was zuständig ist, beschäftigt hätten.

(Michael Glos (CDU/CSU): Herr Ober, ein Brecheisen, der Witz klemmt!)

Für die Kindergartenbeiträge ist nicht die Bundesregierung zuständig, sondern die Kommunen, wie Sie wissen. Insofern würde Ihnen lebenslanges Lernen gut tun, statt hier am Morgen herumzubrüllen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir debattieren seit gestern über den Bundeshaushalt und ich habe sehr genau zugehört, insbesondere bei den Redebeiträgen der Opposition.

(Michael Glos (CDU/CSU): Was?)

Man könnte fast denken, alles ist wie immer. Die Regierung legt etwas vor und die Opposition fordert erst einmal - fast jedenfalls, Herr Merz - den Rücktritt des Finanzministers oder veranstaltet ein bisschen Klamauk, wie das Herr Glos heute Morgen gemacht hat.

(Michael Glos (CDU/CSU): Ihnen fällt auch nichts Neues ein!)

Dabei reden wir in wirklich schwierigen Zeiten über einen Haushalt und gleichzeitig über die Reformagenda 2010, die einen tief greifenden Reformprozess in Gang setzt und in Gang setzen muss.

(Michael Glos (CDU/CSU): Sie Blumenkohlanalystin! - Gegenruf des Abg. Walter Schöler (SPD): Wir sollten mal die Lohnliste von Herrn Kirch offen legen!)

Das Land redet darüber, wie Deutschland zukunftsfähig werden kann. Nur Sie debattieren nicht darüber, sondern veranstalten eine Art Karneval. Das Land redet darüber, was wir machen müssen, damit wir vorankommen, und Sie veranstalten nichts anderes als Affentheater. Herr Glos, Deutschland bewegt sich schon.

(Michael Glos (CDU/CSU): Wohin denn?)

Der Stillstand ist nur auf der rechten Seite dieses Hauses. Das ist das Problem, das wir haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Frau Merkel,

(Michael Glos (CDU/CSU): Rot-grüner Ringelpiez ist alles, was sich bewegt!)

wir hören sehr genau hin, wenn Sie Vorschläge machen. Wenn man in den letzten Tagen hinhört, was die Politik der Union ist, dann fällt auf, dass es eigentlich nur ein Thema gibt, das eine Rolle spielt, und das ist der Kandidatenstadl. Man liest nichts darüber, wer der beste Bundespräsident oder die beste Bundespräsidentin ist, sondern darüber, wer in das Machtkalkül von wem passt. Ich finde, das ist dem Amt und der Lage, in der wir uns befinden, nicht angemessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das fällt Ihnen aber spät ein!)

   Da gibt es keine Alternativkonzepte. Sie sagen nichts zur Rente, sondern warten auf Herzog. Herr Glos sagt noch, man müsse das alles ein Stück weit so machen, wie es von der Regierung vorgeschlagen werde. Letzten Endes bleibt eine einzige Sache übrig - Herr Westerwelle hat das eben noch einmal gemacht -: Es geht darum, dass Sie sich vor Ihre Klientel werfen, vor die Handwerksmeister, vor die Ärzte, vor die private Krankenversicherung und vor die Pharmaindustrie. Ich kann nur sagen: Mit Rot-Grün bewegt sich Deutschland. Der Stillstand ist auf Ihrer Seite.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dieser Haushalt birgt Risiken. Hans Eichel hat darauf hingewiesen. Das gehört zur Ehrlichkeit und das gibt es nicht oft in der Politik.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Bei Eichel ist das auch eher die Ausnahme!)

Wenn Sie während Ihrer Regierungszeit darauf hingewiesen hätten, dann wären wir heute auch schon weiter. Das gehört zur Ehrlichkeit.

(Michael Glos (CDU/CSU): So ein Quatsch!)

Das größte Haushaltsrisiko haben wir dann, wenn Sie von der Opposition das Jahr so beenden, wie Sie es angefangen haben.

(Michael Glos (CDU/CSU): Die Grünen sind das größte Haushaltsrisiko!)

Sie sagen: Subventionsabbau ja, aber bloß keine Subventionen abbauen. Das ist Ihre Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Spiel machen wir seit Januar. Sie beklagen, dass die geplanten Steuersenkungen im nächsten Jahr überwiegend durch Schulden finanziert werden. Auch ich bin darüber nicht glücklich. Das weiß hier jeder. Aber warum ist das denn so? Weil Sie Anfang des Jahres verhindert haben, dass überhaupt ein Subventionsabbau begonnen werden konnte. Das war eine Größenordnung von 14 Milliarden Euro. Das ist mehr, als wir zur Gegenfinanzierung für das Vorziehen der Steuerreform brauchen. Das haben Sie verhindert, nicht wir. Das ist die „solide“ Finanzpolitik, die Sie machen. Ich sage: Nein, das ist sie nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Schauen Sie sich einmal den famosen Herrn Koch an. Ich habe ihn heute Morgen wieder im Radio gehört.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Viele Köche verderben den Brei!)

   Er möchte den Bundeshaushalt im Bundesrat stoppen. Da kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, Herr Koch. Sie hätten in den letzten Jahren Ihren eigenen Landeshaushalt stoppen sollen, der nämlich dazu geführt hat, dass Hessen im Ranking nach unten gerutscht ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer in Wiesbaden mit dünnem Wasser kocht, der sollte nicht versuchen, in Berlin Schaumschlägerei zu betreiben. Deutschland bewegt sich, Stillstand ist bei der Opposition.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Göring-Eckardt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn von Klaeden?

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Frau Kollegin Göring-Eckardt, da Sie seit einiger Zeit immer wieder Hessen erwähnen, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, dass das von Rot-Grün regierte Schleswig-Holstein überhaupt nicht mehr geratet wird?

(Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Noch nie geratet worden ist!)

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr von Klaeden, ich habe die Entwicklung in den vergangenen Jahren dargestellt. Ich habe vor allem darstellen wollen, wie auf der einen Seite über solide Finanzpolitik gesprochen und auf der anderen Seite das Gegenteil gemacht wird. Wenn man zum Beispiel über die Einhaltung der Kriterien von Maastricht redet, dann muss man auch Herrn Koch in den Blick nehmen, der nämlich erheblich dazu beiträgt, dass wir die Kriterien nicht einhalten werden. Dafür sind nicht nur die Bundesregierung oder Hans Eichel verantwortlich.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Aber sehr wesentlich, Frau Göring-Eckardt!)

Auch das muss der Ehrlichkeit halber berücksichtigt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Meine Damen und Herren, der Konzeptionslosigkeit der Union ist entgegenzuhalten: Wir hätten es gern ein bisschen konkreter. Die Politik, die Sie hier vorstellen, erinnert mich an das, was wir zurzeit in den DDR-Shows erleben: viel Nostalgie und Klamauk, aber wenig reale Geschichte.

   Frau Merkel, Ihre Vorschläge zur Atomkraft zum Beispiel sind für die Energiefragen der Zukunft ungefähr so tauglich wie der Drink, den Katarina Witt in der DDR aus Rotwein, Eiern und Kaffeesahne gemixt hat und der angeblich gegen Schnupfen helfen sollte.

   Lieber Herr Bundeskanzler, angeblich ist dieser Drink in der DDR getrunken worden. Ich möchte aber nicht, dass Sie sich diesen Geschmack vorstellen, weil Ihnen ja so leicht übel wird.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das ist ein roter Saft, mit Rotwein!)

   Aber zurück zu Ihnen, Frau Merkel. Beim geplanten Subventionsabbau durch die Bundesregierung hören wir von Ihnen wieder einmal, was alles nicht möglich ist: Die Pendlerpauschale muss bleiben und die Eigenheimbesitzer brauchen weiterhin die Staatsknete. So funktioniert es aber nicht. Auf der einen Seite die Steuersenkungen zu begrüßen und eine Neuverschuldung abzulehnen, aber auf der anderen Seite jede vernünftige Gegenfinanzierung zu blockieren ist die Quadratur des Kreises. Das ist sozusagen Voodoo-Ökonomie, die wir nicht mehr akzeptieren können.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Was heißt „nicht mehr“?)

Die konnten Sie vielleicht in Ihrer Regierungszeit noch betreiben. Jetzt aber sind Sie in der Mitverantwortung durch den Bundesrat. Diese Verantwortung müssen Sie annehmen. Wir und auch die Öffentlichkeit werden Sie dazu zwingen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich bin überzeugt, dass die Menschen von uns vor allem eines erwarten, nämlich Ehrlichkeit. Sie wollen, dass wir deutlich sagen, welche Veränderungen notwendig sind und was auf sie zukommt. Das betrifft die demographische Entwicklung wie auch die Tatsache, dass sich die Welt verändert und wir nicht mehr in einem isolierten Nationalstaat leben. Das betrifft auch den weltweiten Wettbewerb um die besten Ideen, die besten Produkte und die besten Köpfe, in dem wir stehen.

   Von Sofortprogrammen, wie Sie es wieder im Zusammenhang mit den Gemeindefinanzen vorgeschlagen haben, und einseitigen Wachstumshoffnungen müssen Sie sich verabschieden. Darüber haben wir von der rechten Seite dieses Hauses bereits genug gehört.

   In den goldenen 70er- und 80er-Jahren war es wohl relativ leicht, erfolgreich zu sein. Deutschland ging es gut und es gehörte zu den Spitzennationen. Die Sehnsucht nach diesen Zeiten springt einen regelrecht an. Das gilt nicht nur für die Nationalelf, sondern auch für die Nation. Aber um wieder vorne mitspielen zu können, müssen wir etwas tun und uns ändern. Wir dürfen nicht auf unseren Stühlen hocken bleiben, wie Sie es tun. Aus meiner Sicht geht das nur, wenn alle mitmachen: die Kleinen, aber auch die Großen. Es geht nur, wenn wir nicht vergessen, was Sozialstaat für uns bedeutet: nämlich nicht das Anspruchsdenken von allen, sondern das Eintreten für die Schwachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Dass die sozialen Sicherungen in Zukunft nicht mehr allein über die Arbeitskosten finanziert und bewältigt werden können, ist bekannt. Schon jetzt zahlen wir den hohen Preis der Massenarbeitslosigkeit.

   Herr Merz, Sie haben sich sehr darüber gefreut, dass der Bundeskanzler die Abschaffung des demographischen Faktors als einen Fehler bezeichnet hat. Dabei müssen Sie aber eines berücksichtigen:

Der von Ihnen eingeführte Demographiefaktor hätte bei weitem nicht ausgereicht, um das Rentensystem zu konsolidieren. Dafür brauchte man die private Vorsorge und einen Kapitalstock in der Altersvorsorge. Sicherlich sind noch weitere Veränderungen notwendig. Sie können sich hier jedenfalls keinen „weißen Fuß“ machen; denn der Demographiefaktor war zwar ein richtiges, aber nicht ausreichendes Instrument.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann hätte man ihn erst recht nicht zurücknehmen dürfen!)

Sowohl Herr Blüm als auch Sie haben das schon damals gewusst. Das ist Ihr Fehler gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Mit der Agenda 2010 haben wir mit echten Strukturveränderungen begonnen. Wir brauchen weiter gehende Veränderungen. Für uns Grüne ist klar, dass eine Bürgerversicherung notwendig ist, in die alle einzahlen und die in stärkerem Maße von den Arbeitskosten abgekoppelt wird. So sehen soziale Systeme der Zukunft aus. Das ist auch kein grüner Traum mehr. Herr Seehofer wird sich ja aus Vernunftgründen durchsetzen.

   Liebe Freundinnen und Freunde von der Sozialdemokratie, um den Kompromiss bei der Gesundheitsreform haben wir gemeinsam gerungen. Wir haben bei den Verhandlungen mit den Schwarzen sicherlich viel schlucken müssen. Aber jetzt können wir gemeinsam zeigen, was wir unter Gerechtigkeit verstehen. Eine Bürgerversicherung - das ist meine ehrliche Überzeugung - ist eine echte Chance, die Lasten auf mehr Schultern und auch auf diejenigen der Starken zu verteilen. Bei einer Bürgerversicherung geht es nicht darum, mehr Geld in das Gesundheitssystem fließen zu lassen, sondern um mehr Gerechtigkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Vorerst gilt trotzdem: Wir werden dem beschlossenen Kompromiss zustimmen, damit überhaupt etwas geschieht. Aber Sie müssen sich schon gefallen lassen - das gilt auch für Sie, Herr Westerwelle -, dass man deutlich macht, wer für was zuständig war. Natürlich haben Sie den Wettbewerb verhindert und sich schützend vor Ihre Klientel, die Ärzte, die Apotheker und die Pharmaindustrie, gestellt. Die FDP als Partei der freien Marktwirtschaft hat sich angesichts dessen, was Sie bei den Verhandlungen über den gesundheitspolitischen Kompromiss veranstaltet haben, im Grunde genommen bereits selbst überlebt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie dürfen nicht vergessen, dass das Geld, das Sie so freizügig verteilen und mit dem Sie umspringen wollten, als ob es keine Bedeutung hätte, nicht Ihnen gehört. Es handelt sich noch nicht einmal um Steuergelder, sondern um Gelder der Beitragszahler und der Versicherten.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Wo ist denn bei den Versicherungen Wettbewerb? Warum schützen Sie denn die GKV?)

- Herr Gerhardt, vielleicht gibt es Ihnen zu denken, dass es zwei Menschen gibt, die kritisieren, dass die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP mehr Wettbewerb bei den Verhandlungen über den gesundheitspolitischen Kompromiss verhindert haben. Der eine ist Herr Sommer, der DGB-Chef, und der andere ist Herr Rogowski, der Ihnen ja sehr nahe steht. Ich kann nur sagen: Deutschland bewegt sich. Stillstand - das ist eindeutig - herrscht auf Ihrer Seite.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Herr Westerwelle, Sie haben sich außerdem bei einem anderen Problem aufgeblasen, das wirklich schwerwiegend ist und mit dessen Lösung wir uns beschäftigen müssen. Das ist das Thema Ausbildungsplätze. Wenn es um dieses Thema geht, erzeugen Sie regelrecht einen Kältestrom in diesem Hohen Haus, worüber ich mich nur wundern kann. Ende September dieses Jahres werden vermutlich 50 000 Lehrstellen fehlen. Ich finde, dass wir das definitiv nicht hinnehmen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Westerwelle, die 50 000 jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz finden, brauchen wir aber als Fachkräfte. Sie müssen eine Chance bekommen. Wer viel über Schule und Studium redet, der darf die betriebliche Ausbildung nicht vergessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir haben den Unternehmen wirklich sehr viel Zeit gelassen, um neue Lehrstellen zu schaffen. Das Ergebnis ist - Herr Westerwelle, das müsste auch Ihrer Wettbewerbspartei zu denken geben -, dass gerade einmal 30 Prozent der deutschen Unternehmen ausbilden. Die meisten Betriebe bilden also nicht aus. Damit muss Schluss sein. Wenn es nicht anders funktioniert, dann muss es eine entsprechende gesetzliche Regelung geben. Dann brauchen wir eine Ausbildungsumlage, damit Jugendliche in Ausbildung kommen und damit es Gerechtigkeit bei den Unternehmen gibt. Darum geht es.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Sie sprechen aber noch ein anderes „Wettbewerbsthema“ ständig an, nämlich die Handwerksordnung, die eigentlich eine mittelalterliche Zunftordnung ist. Sie haben sich schützend vor den Meisterbrief geworfen. Man kann hier sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Ich halte das Ganze für sehr bürokratisch und für überkommen.

   Aber man kann sich auch einmal mit der Realität beschäftigen. Beispielsweise gibt es in Berlin einen Meister seines Faches, dem sich - ich habe das gehört und gelesen - auch einige Mitglieder dieses Hauses anvertrauen - nicht Herr Glos, der sich seine Haare immer von seiner Frau färben lässt, aber andere. Dieser Mann hat nach Auskunft der Handwerkskammer Berlin keinen Meisterbrief. Es handelt sich um Udo Walz. Dass er keinen Meisterbrief hat, ist, wie ich finde, kein Drama. Ich hoffe, niemand hier ist anderer Meinung. Ich weiß nicht, ob sich Guido Westerwelle bei Herrn Walz die Haare föhnen lässt.

   Dieses Beispiel zeigt: Die Handwerksordnung hat sich überlebt. Wir brauchen sie in dieser Form nicht mehr. Man kann einen Schritt nach vorn tun, entbürokratisieren, endlich einmal Freiheit und Wettbewerb schaffen und die damit verbundenen Möglichkeiten aufzeigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich möchte auf ein Problem zu sprechen kommen, mit dem eine große Zukunftsfrage verbunden ist: 1,6 Millionen Menschen, und zwar vor allen Dingen Frauen, sind in Deutschland vom Erwerbsleben ausgeschlossen, und zwar nur deswegen, weil die entsprechenden Kinderbetreuungsangebote fehlen. 41 Prozent der Frauen in Deutschland sind nicht erwerbstätig. Das ist in anderen europäischen Ländern anders: In Schweden und Großbritannien arbeiten 70 Prozent. Die Schaffung der Kinderbetreuungseinrichtungen ist insofern eine Frage der gesellschaftlichen Gerechtigkeit und eine knallharte ökonomische Frage. Das Fehlen von Kinderbetreuungsangeboten verhindert Wachstum und das Entstehen von Arbeitsplätzen in Deutschland.

   Die Beantwortung der Frage, ob die Rahmenbedingungen stimmen und ob deswegen mehr Kinder geboren werden, ist für die Zukunft weit wichtiger als zum Beispiel die Lösung der Rentenversicherungsprobleme, Stichwort: Renteneinstieg mit 67.

   Auch hierbei gilt, liebe Frau Merkel: Ihre Antwort ist wieder von gestern. Im Wahlkampf sind Sie noch für die Zahlung von Familiengeld eingetreten und jetzt sollen die Eltern warten, bis sie Rentnerinnen oder Rentner sind. Dann wird bei ihnen „eine Schippe draufgelegt“. Fragen Sie die Frauen in Deutschland! Sie wollen heute Beruf und Familie verbinden. Die Eltern wollen, dass es ihnen heute besser geht, sie wollen heute Möglichkeiten haben, sie wollen nicht warten, bis sie im Ruhestand sind, um dann dafür belohnt zu werden, dass sie Mütter oder Väter gewesen sind. Ich kann nur sagen: Deutschland bewegt sich. Stillstand herrscht auf Ihrer Seite; Sie richten den Blick zurück, und zwar sehr weit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Menschen wissen auch, dass wir auf Dauer nicht länger immer neue Schulden machen können. Neue Schulden bedeuten Einengung der Bewegungsspielräume für unsere Kinder und Kindeskinder. Wir müssen heute die Möglichkeit haben, in die Zukunft zu investieren. Dabei geht es um Bildung, um Familien, um Forschung und um technische Innovationen. Dabei geht es übrigens auch um Energiefragen. Dem, was Sie, Frau Merkel, zum Thema Atomkraft gesagt haben, möchte ich Folgendes entgegnen: Es gibt auf der Welt kein einziges privates Unternehmen, das mit eigenem Geld Atomkraftwerke baut. Das müssen Sie sich einfach einmal bewusst machen, wenn Sie mit solchen Vorschlägen kommen. Wenn Sie den Sicherheitsaspekt nicht berücksichtigen wollen, dann berücksichtigen Sie bitte wenigstens das bisschen, was mit Ökonomie zu tun hat. Ihre Art, mit Reformen umzugehen, funktioniert nach dem Motto „Zurück auf Los“. Das funktioniert nicht, wenn man den Aufbruch in Deutschland schaffen will.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn man den Aufbruch in Deutschland schaffen will, dann muss man tatsächlich nach vorn blicken und die Sozialreformen anpacken. Frau Merkel, Sie haben hier vor ein paar Monaten gesagt: Es muss endlich etwas vorgelegt werden. - Jetzt liegt etwas vor. Was fehlt, ist Ihre Antwort. Die Reformvorschläge liegen vor, der Haushalt liegt vor, das Haushaltsbegleitgesetz liegt vor und Vorschläge zum Subventionsabbau liegen vor. Was fehlt, ist irgendeine Antwort aus Ihren Reihen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Michael Glos (CDU/CSU): Das stimmt doch alles nicht! Das wissen Sie doch! So ein wirres Zeug! Wer hat Ihnen denn diesen Schmarren aufgeschrieben? Entlassen Sie Ihre Referentin!)

   Ich bin froh darüber, dass sich die rot-grüne Koalition entschieden hat, ehrlich zu sein. Ich bin übrigens auch ein bisschen stolz darauf. Ich habe Respekt vor denjenigen, die sich haben überzeugen lassen, alte Pfade tatsächlich zu verlassen und so nicht weiterzumachen. Das „Weiter so“ ist das eigentliche Problem im Zusammenhang mit sozialer Gerechtigkeit. Auch wenn es bei einzelnen Punkten schwer fällt, brauchen wir die Bereitschaft - auch Ihre -, tatsächlich Veränderungen vorzunehmen, damit wir zukunftsfähig werden. Darauf kommt es an. Wir können den Weg in die Sackgasse nicht weiter beschreiten. Es geht jetzt wirklich um ein neues Deutschland.

   Wir haben uns für beides entschieden: für Selbstbestimmung und für Solidarität, für Freiheit und für Verantwortung.

Sie haben sich für Klientelismus und Machtspiele entschieden.

   An die Adresse von Herrn Stoiber, der die Probleme in Deutschland auf ganz andere Weise beschreibt, will ich hier einmal sagen: Unser Problem ist nicht, dass wir ein Volk von Drückebergern sind, die Sozialhilfe beziehen - diese Strukturen haben wir selbst geschaffen -; unser Problem ist, dass wir die Ausgrenzung hingenommen haben und dass daraus Sozialhilfekarrieren geworden sind;

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

unser Problem ist, dass wir 1 Million Kinder in Deutschland haben, die von Armut bedroht sind, die von Sozialhilfe leben. Wenn wir über Gerechtigkeit reden, dann heißt das: Wir wollen Gerechtigkeit auch für diejenigen, die draußen sind. Die Spaltung der Gesellschaft in die, die drin sind, und die, die draußen sind, zu überwinden, das ist die Zukunftsaufgabe, die wir haben. Eine solche Spaltung wollen wir nicht. Eine solche Spaltung können wir nicht hinnehmen. Das ist die neue Gerechtigkeitsfrage, vor der wir stehen.

   Wenn Herr Stoiber damit ein Problem hat, dann soll er sich bitte einmal die Armutsberichte anschauen und sich klar machen, was das für diese Kinder bedeutet, was es für ihre Gesundheit bedeutet, was es für ihre Chancen in der Schule, bei der Ausbildung und erst recht beim Studium bedeutet. Soziale Gerechtigkeit fängt bei den Schwächsten an und dafür steht diese Regierung ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Letztlich ist das natürlich auch ein Potenzial, das wir verschenken. Aber mit solchem ökonomischem Potenzial hat es Bayern ja nicht so. Das betrifft im Übrigen auch die Zuwanderung. Ob Deutschland ein ausländerfreundliches Land ist oder nicht, ob Deutschland den Wettbewerb um die besten Köpfe gewinnen kann oder nicht, ist eine harte Standortfrage; Ihre Freunde in der Wirtschaft und Ihre eigenen Experten erzählen Ihnen das jeden Tag aufs Neue. Mit der Weigerung, endlich ein modernes Zuwanderungsgesetz in Kraft zu setzen, schaden Sie direkt, ganz direkt der deutschen Wirtschaft: weil die klugen Köpfe nicht hierher kommen und weil Ausländerfreundlichkeit und Offenheit eines Landes ein Wirtschaftsfaktor ist, ein Standortfaktor ist, ein Markenzeichen ist. Ein solches Markenzeichen brauchen wir in Deutschland, wenn wir tatsächlich Zukunft gewinnen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Das betrifft auch die unheimlich platte Attitüde von Herrn Stoiber zu der Frage des EU-Beitritts der Türkei. Wenn es nach der CSU ginge, besonders in Wahlkampfzeiten, müssten wahrscheinlich erst alle Türkinnen und Türken Weißbier trinken und Dirndl oder Lederhose tragen, bevor man darüber überhaupt reden kann.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): So ein dummes Zeug! So ein dummes Geschwätz! Es ist einer Fraktionsvorsitzenden nicht würdig, so ein dummes Zeug daherzureden! Sie möchte ich im Dirndl gar nicht sehen!)

Ich finde: Das ist unverschämt. Das spaltet. Ihre Argumentation spaltet unser Land und spaltet auch Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben sehr klar gesagt, wohin wir mit unseren Reformen wollen. Wir wollen, dass Deutschland ein Land wird, in dem sich etwas bewegt, und zwar hoffentlich auch die Opposition, ein Land, in dem Innovationen und Kreativität etwas wert sind, ein Land, in dem nicht Gleichmacherei herrscht, sondern Unterschiede genutzt werden, ein Land, das Querdenken fördert und Quereinsteiger befördert, ein offenes Land, das kinderfreundlich ist und in dem wirklich keiner mehr außen vor bleibt, ein Land, von dem Frauen sagen können: „Das ist mein Land“, ein Land, in dem alle bei den Veränderungen, die nötig sind, mitmachen, so wie sie es können, und ein Land, in dem es keine Schande ist, zu den Schwachen zu gehören, sondern eine Ehre, sich der Schwachen anzunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch und gerade das gehört dazu, wenn wir über Bewegung reden.

   Nun bringt uns ja der Fußball in diesen Tagen manche Erkenntnisse. Wir haben gelernt: Es hilft nicht, zu jammern: Es sind viele verletzt, der Platz ist schlecht bespielbar, der Druck war riesengroß usw. Wahrscheinlich erwartet auch niemand, dass jedes Spiel haushoch gewonnen wird. Aber was wir sehen wollen, ist echte Anstrengung und den Willen und die Bereitschaft, etwas zu leisten,

(Michael Glos (CDU/CSU): Ein bisschen Können sollte auch noch sein!)

vielleicht sogar einmal über sich hinauszuwachsen. Das ist im Fußball wie mit Deutschland.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Auch bei Plenarreden!)

   Heute Abend geht es für die Nationalmannschaft um viel. Wenn ich das richtig verstanden habe, wäre es schon ganz gut, wir würden gewinnen. Vor allem wollen wir eine Mannschaft sehen mit Herz, die gut kombiniert,

(Michael Glos (CDU/CSU): Das wäre dann ein Unterschied zu Rot-Grün!)

die kreativ und flexibel ist, in der Einzelne ihre Stärken ausspielen können

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Jetzt fordert sie auch noch den Rücktritt der Bundesregierung!)

und in der gleichzeitig Teamgeist zur Geltung kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann kann Deutschland wieder Spitze werden - im Fußball, aber auch als Land; da sind wir sozusagen alle Mitglieder des deutschen Teams.

   Frau Merkel, wenn Sie nicht so sehr mit der Manndeckung in der eigenen Mannschaft beschäftigt wären, könnten Sie vielleicht auch vorn mitspielen. Ich kann Sie nur auffordern, das mit vollem Einsatz zu tun, hier im Bundestag und im Bundesrat.

(Michael Glos (CDU/CSU): Was verstehen Sie von Manndeckung?)

Edmund Stoiber leidet ja wohl noch immer darunter, dass er die Qualifikation verpasst hat. Jetzt hockt er auf der Ersatzbank und es schwant ihm, dass er bei der nächsten Aufstellung gar nicht mehr dabei sein wird. Ich kann nur sagen: Gut so! Schließlich wollen wir gewinnen. Es geht um viel für Deutschland, nicht bloß heute Abend in Dortmund.

   Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Angela Merkel, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben hier heute generös einen Fehler zugegeben: die Abschaffung des demographischen Faktors. Die eigentlich viel spannendere Frage - die andere Frage ist ja lange geklärt - lautet: Was lernen Sie daraus? Wie vorsichtig gehen Sie voran? Ich möchte nämlich nicht erleben, dass Sie in drei oder vier Jahren hier stehen - -

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Ludwig Stiegler (SPD): Da war Siegmund Freud wieder dabei!)

- In vier Jahren stehen Sie nicht mehr hier, aber in drei Jahren könnte es noch der Fall sein.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der Regierungsbank)

- Jetzt freuen Sie sich einmal nicht zu früh, Herr Bundeskanzler, es kann auch schneller gehen. Hochmut kommt immer vor dem Fall; das sollten Sie beherzigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich möchte nicht erleben, dass Sie in absehbarer Zeit hier stehen und sagen müssen: Ja, die Verletzung der Stabilitätskriterien der EU war ein Fehler. Ich möchte es insbesondere deshalb nicht erleben, weil es bei den Stabilitätskriterien der EU nicht nur um eine nationale Frage, sondern um weit mehr geht. Wenn Sie mit einem gewissen Laisser-faire und einer gewissen Sicherheit, weil Sie sich darin mit Frankreich einig wissen, diese Stabilitätskriterien Jahr für Jahr verletzen, gehen Sie die durchaus begründete Gefahr ein - Sie wissen das -, dass in Europa Dämme brechen, die wir alle miteinander nur ganz schwer wieder schließen können. Genau das beschäftigt uns hier.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Leute spüren das doch. Irgendjemand hat eben gesagt, der Bundesfinanzminister habe gestern zugegeben, dass es Risiken gebe. Wenn man Risiken kennt, dann muss man sie doch - das weiß jeder vernünftige Mensch - konservativ bewerten. Es gibt eine ganze Schar von Bundesländern in der Bundesrepublik Deutschland, die von 1 Prozent Wachstum ausgehen. Frau Scheel hat doch gesagt, dass die Annahme überholt sei. Damit ist es Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, nicht von 2 Prozent, sondern von 1 Prozent auszugehen,

(Ludwig Stiegler (SPD): Für Wachstum zu sorgen!)

um die Risiken verantwortbar zu bewerten, Herr Bundeskanzler. Sie aber lassen zu, dass das Gegenteil geschieht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es ist so, dass die Menschen - man spürt es inzwischen überall - nur begrenzt belastbar sind. Übrigens gilt das, wie man hinzufügen muss, auch für Ihre eigenen Abgeordneten.

(Joachim Poß (SPD): Machen Sie sich da einmal keine Sorgen! - Weiterer Zuruf von der SPD: Ihre Belastung reicht!)

Dass die Grenze der Belastbarkeit, also die Grenze dessen, was den Menschen in diesem Lande zugemutet werden kann, überschritten ist, werden Sie bei der bayerischen Landtagswahl serviert bekommen; am 21. September abends werden Sie es schwarz auf weiß haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Nun ist es ja nicht so, dass Sie in Wahlkämpfen dazu neigen, nur die Wahrheit zu sagen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Den Vorwurf kann man ihm nicht machen!)

aber es gibt halt Spitzenkandidaten, die das noch tun, wie zum Beispiel der bayerische.

(Lachen und Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

- Ihrer! Ich spreche gerade vom sozialdemokratischen Spitzenkandidaten.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Der sagt nämlich:

Die Stimmungslage für die SPD ist derzeit überall in Deutschland beispiellos schlecht. Die Verunsicherung der Menschen ist mit Händen zu greifen.

Recht hat er, der Herr Maget.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist doch auch der Grund, warum man Sie, Herr Bundeskanzler, in Bayern nicht auf den Plätzen sehen will. An Ihrer Person macht sich nämlich diese Verunsicherung fest.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Er ist sie!)

Weil Sie, Herr Bundeskanzler, inzwischen spüren, dass Sie auf bayerischen Plätzen entbehrlich sind, haben Sie die Sorge, dass Sie überall entbehrlich werden könnten. Daher haben Sie sicherheitshalber schon einmal erklärt, Sie müssten 2006 wieder kandidieren. Das ist der einfache Grund. Sie werden entbehrlich und spüren es. Sie werden langsam, aber sicher für dieses Land entbehrlich, so wie auf den bayerischen Plätzen in diesen Tagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ludwig Stiegler [SPD]: Er wird öfter eingeladen als Sie, Madame! - Weiterer Zuruf von der SPD: Reines Wunschdenken!)

   Diese Bundesregierung ist in diesen Tagen fünf Jahre im Amt. Verunsicherung ist ihr Markenzeichen. Sie sind damals Ihr Amt angetreten unter dem Motto, Sie wollten nicht alles anders, aber vieles besser machen. Das erlaubt doch nun die Frage: Was ist in diesen fünf Jahren geschehen? Das Wachstum ist von über 2 Prozent in die Stagnation abgerutscht. Wir haben die rote Laterne in Europa. Sie können noch so viel reden: Es gibt Länder in Europa, die stehen einfach besser da - Spanien, Großbritannen.

(Joachim Poß [SPD]: Niederlande!)

Ich sage es noch einmal: Es liegt eben nicht an der deutschen Einheit; denn aus der deutschen Einheit heraus könnte, wie in anderen mittel- und osteuropäischen Ländern, größeres Wachstum kommen, wenn man es richtig machte. Sie verantworten heute in Deutschland eine Neuverschuldung von 87 Milliarden Euro.

(Hans Eichel, Bundesminister: Das ist ja abenteuerlich! - Joachim Poß [SPD]: Sie waren doch schon bei de Maizière! Sie waren doch das Mädchen von Kohl! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Seien Sie mal ruhig, Sie Flegel!)

- Sie müssen sich wenigstens mit den Fakten auseinander setzen. - Als Sie die Regierung übernommen haben, betrug das Defizit 2,2 Prozent und die Schulden der öffentlichen Haushalte waren halb so hoch wie heute. Am Ende dieses Jahres werden sich die Schulden verdoppelt haben und wird das Defizit mehr als 4 Prozent betragen. Das ist die Wahrheit nach fünf Jahren Rot-Grün, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie verantworten darüber hinaus die höchsten Krankenkassenbeiträge. Wir zahlen in diesem Jahr 18,8 Milliarden Euro aus dem Aufkommen der Ökosteuer als Zuschuss in die Rentenversicherung. Trotzdem sind die Beiträge nahe 20 Prozent und Frau Schmidt hat noch nicht einmal gesagt, wie es im nächsten Jahr weitergehen soll. Das ist die Wahrheit, Herr Bundeskanzler. Und trotz demographisch bedingter Entlastung auf dem Arbeitsmarkt - das macht Jahr für Jahr mindestens 200 000 Menschen aus - liegt die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr um 300 000 über der des Jahres 1998. Das ist die Bilanz von fünf Jahren Rot-Grün.

   Meine Damen und Herren, Ihre Bilanz kann man auch so zusammenfassen:

(Zuruf von der SPD: Sie wollten doch Vorschläge machen!)

„Es gibt keine Volkswirtschaft, die so viel Geld im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit einsetzt wie wir, und keine ist so erfolglos wie wir.“ Gesagt hat das nicht etwa einer von uns, sondern gesagt hat es der Bundeswirtschaftsminister am „Tag der offenen Tür“ der Bundesregierung. Tage der offenen Tür scheinen zu offenen Einsichten zu führen. Wo der Mann Recht hat, hat er Recht. Es ist ernüchternd nach fünf Jahren Rot-Grün.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie wollten zwar nicht alles anders, aber vieles besser machen. Das Ergebnis ist jedoch: Besser geworden ist so gut wie nichts, dafür aber vieles komplizierter, unberechenbarer. Oder um es mit den Worten der SPD-Oberbürgermeisterin von Halle, Ingrid Häußler, zu sagen: „Alles ist besser als das, was die Bundesregierung vorschlägt.“ Das ist eine klare Aussage einer Kommunalpolitikerin.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, es hätte ja heute gar nicht so kommen müssen, denn am 14. März - ob uns als Opposition das nun gepasst hat oder nicht - haben Sie einen Anlauf genommen und hatten alle Trümpfe in der Hand. Sie hatten die Möglichkeit - und vielleicht wollten Sie es sogar -, Ihre Politik um 180 Grad in die richtige Richtung zu drehen. Da fielen auch die richtigen Worte: Es war die Rede vom Kündigungsschutz, ich habe etwas von Privatisierung des Krankengeldes gehört, es fiel der Begriff „betriebliche Bündnisse für Arbeit“.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war alles ein Fehler!)

Wir waren nicht geschockt, aber doch neugierig.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Gerührt!)

Herr Bundeskanzler, von all dem, was Sie damals gesagt haben, ist nicht viel übrig geblieben. Ich glaube, irgendetwas läuft schief. Die Diskussionslage im Lande scheine nicht so zu sein, erklären Sie immer wieder nach einem Blick auf Ihre Umfragewerte. Ihr Problem ist Folgendes: Sie haben in Ihrer Politik kein Ziel und keine Grundausrichtung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben kein Konzept und keine Linie.

(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt hören wir Ihr Konzept!)

Hierzu sagt einer aus Ihren Reihen, nämlich Ihr Generalsekretär, in einem zugegebenermaßen etwas verschachtelten Satz: „Ich will nicht die Theorie entwickeln,“ so Olaf Scholz, „dass alles, was wir schon einmal gesagt haben, zueinander passt.“

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP - Michael Glos [CDU/CSU]: Der Mann ist ein Genie!)

Der Mann hat es auf den Punkt gebracht. Genau das ist Ihr Problem: Die Dinge passen nicht zueinander, die Leute verstehen Sie nicht, Sie sagen heute etwas anderes als gestern und morgen wieder anderes. Deshalb kommen Sie nicht „aus dem Knick“, wie man so schön sagt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Der Bundeshaushalt, über den wir heute hier sprechen,

(Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommen die Vorschläge! Jetzt kommt Frau Merkel aus dem Quark!)

ist - das ist bedauerlich - das klassische Beispiel dafür: Die Grundannahme des Etatentwurfs, nämlich die Wachstumsprognose, ist überholt. Das ist bereits gestern gesagt worden. Frau Scheel hat versucht, sich da wieder herauszureden, aber es wird Ihnen nicht entgangen sein, Herr Bundeskanzler, dass sie ihre grundsätzliche Aussage nicht widerrufen hat; sie hat gestern lediglich nicht mehr davon gesprochen. Die Grundannahme ist überholt und deshalb brauchen wir uns mit diesem Haushalt nicht weiter aufzuhalten.

(Zurufe von der SPD: Aha!)

   Aber ich gehe gerne auf etwas ein, worüber Sie hier ausführlich gesprochen haben, nämlich die Frage: Ist es richtig, angesichts der kleinen konjunkturellen Impulse, die es weltweit vielleicht gibt, die Steuerreform vorzuziehen? Herr Bundeskanzler, ich erinnere Sie: Am 14. März, als Sie die Neuausrichtung Ihrer Politik eingeläutet haben, haben Sie uns vehement gewarnt, angesichts der noch fehlenden Strukturreformen - die bis heute noch nicht wirksam sind - für ein Vorziehen der Steuerreform zu werben. Dann haben Sie sich anscheinend anders entschieden. Aber, Herr Bundeskanzler, wenn wir damals Ihrer Argumentation, das Vorziehen der Steuerreform dürfe nicht fast ausschließlich durch Neuverschuldung finanziert werden, zugestimmt haben, so dürfen Sie es uns jetzt nicht übel nehmen, dass wir bei dieser Auffassung bleiben und sagen: Sie haben bis jetzt nichts Anständiges auf den Tisch gelegt. Das ist für uns kein Finanzierungskonzept. Sie müssen schon etwas Besseres vorlegen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

   Ich habe heute mit großen Ohren zugehört, weil ich dachte, zwischen den ganzen salbungsvollen Worten stecke vielleicht noch etwas Neues. Aber es ist nichts Neues gekommen. Es gibt nach wie vor kein Finanzierungskonzept und deshalb müssen Sie weiter daran arbeiten, Herr Bundeskanzler, wenn Sie Ihr Ziel für vernünftig halten. Wann immer Sie ein Konzept vorlegen, sind wir bereit, uns das anzuschauen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Aber eines wird nicht gehen: Wir werden nicht im Anschluss an eine Idee, die nicht die unsrige war,

(Lachen bei der SPD)

Ihre Arbeit machen. Das ist so, als wenn Sie sich hinstellen und sagen - ich habe das schon öfter festgestellt -: Wir brauchen Kirschkuchen, kennen Sie ein Backrezept dafür? - Wenn Sie Kirschkuchen brauchen, backen Sie ihn sich selbst! Wir essen dann gerne mit, Herr Bundeskanzler.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Scherzkeks!)

Sie haben die Verantwortung in diesem Haus.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Aber Spaß beiseite, denn die Lage in Deutschland ist wirklich mehr als ernst. Natürlich sind Einschnitte und Kürzungen notwendig. Dadurch, dass wir mit Ihnen gemeinsam den Weg der Gesundheitsreform gegangen sind, haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet und gezeigt, dass wir uns nicht vor unangenehmen Entscheidungen drücken. Wenn Sie das anzweifeln, sprechen Sie die Unwahrheit.

   Die Gespräche haben wir wie Sie. Die Frage vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist: Müsst ihr uns das jetzt zumuten? Ist es richtig, dass ihr beim Kündigungsschutz etwas macht? Wir haben betrieblich schon so viel miteinander vereinbart. - Natürlich müssen wir diese Fragen genauso beantworten wie Sie. Aber Ihr Problem ist, dass Sie eine Kürzungsagenda abarbeiten, ohne das Ziel der Veranstaltung jemals deutlich nach draußen getragen zu haben. Ihr Problem ist außerdem: Geld - das beweisen Sie mit diesem Haushalt - kann man sich pumpen. Vertrauen der Menschen in die Richtung, die Sie einschlagen, kann man sich nicht pumpen. Das ist das, womit Sie sich auseinander zu setzen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Gewisse Fragen muss man eben beantworten. Eine Frage - Sie haben sie zumindest ansatzweise gestellt - lautet: Womit will Deutschland sein Geld verdienen?

(Michael Glos [CDU/CSU]: Mit Windrädern! - Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mit Atomkraftwerken jedenfalls!)

Klar, das Wachstumsklima ist weltweit im Augenblick nicht besonders gut. Aber wir in diesem Hause müssen doch miteinander darüber sprechen: Machen wir das aus Deutschland, was in diesem Land steckt? Ist das, was wir könnten, auch wirklich Gegenstand Ihrer Politik?

   In diesem Zusammenhang müssen wir uns - da sind Sie überhaupt nicht konkret geworden - doch einmal mit der Frage auseinander setzen: Ist es in einer Situation, in der die Kaufkraft eines Landes sinkt und die Binnennachfrage gering ist, eigentlich richtig, dass 1,3 Milliarden Euro zur Unterstützung der Windkraft ausgegeben werden, was die Verbraucher tragen müssen? Ist das richtig?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich sage hier ausdrücklich: Ich bin für die Förderung der Windenergie. Aber dort, wo kein Wind weht, in den Tälern dieses Landes,

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Da machen die noch Wind!)

da müssen Sie nicht noch einen Windmast aufstellen und den produzierten Strom mit 9 Cent pro Kilowattstunde fördern. Es muss schon überlegt sein, ob wir da das Geld hineinstecken.

   Wir müssen uns auch die Frage stellen, was denn eigentlich beim Herrn Bundesverkehrsminister los ist. Mindestens 400 Millionen Euro sind dort - ich sage es etwas lax - in den letzten Monaten versäckelt worden, weil dieser Mann die Warnungen der Europäischen Union nicht ernst genommen hat. Das sind Gelder des Steuerzahlers, die wir weiß Gott für etwas anderes hätten gebrauchen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, tun Sie wirklich alles, was Sie können, um das Gerede über die pharmazeutische Industrie - ständig spricht man von „Pharmalobby“ -, eine Branche, die immerhin viele Arbeitsplätze in unserem Lande sichert und die ausgebaut werden müsste, in Ihren Reihen einmal zu unterbinden? Haben Sie eigentlich schon alles getan, um in Europa auf den Tisch zu hauen und zu sagen: Die Änderung der Chemikalien-Richtlinie, die jetzt geplant ist, gehört weg! - Glauben Sie allen Ernstes, Sie könnten Ihr Lissabon-Ziel, wonach Europa der dynamischste Kontinent der Welt werden soll, mit einem Tausende von Seiten starken Monster von Vorschriften für die chemische Industrie Europas erreichen? Ich sage Nein. Das ist völlig offensichtlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Glauben Sie eigentlich, angesichts der weltweiten Entwicklung war es richtig, der grünen Gentechnologie in Deutschland einen langen Stillstand verordnet zu haben? Glauben Sie nicht, dass dadurch zahlreiche zukunftsorientierte Arbeitsplätze verloren gehen?

(Joachim Poß [SPD]: Sie bauen Pappkameraden auf!)

Ich sehe Sie schon irgendwann in der Opposition hier stehen und sagen: Schade, dass wir daran nicht gedacht haben.

   Als Herr Fischer - er ist leider schon gegangen - -

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Nein, er sitzt da hinten!)

- Gut, da kann ich ihn ja noch besser ansprechen. - Über wie viele Jahre haben Sie es verhindert - es waren sieben! -, bis die gentechnische Produktion von Insulin bei Hoechst in Gang gekommen ist? Sie waren stolz darauf.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe es genehmigt!)

- Ja, irgendwann haben Sie es genehmigt, weil Sie gar nicht mehr daran vorbeikamen. Deutschland ist unendlich viel Zeit verloren gegangen. Das ist die Wahrheit. Das wird bei der grünen Gentechnologie wieder so passieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, glauben Sie wirklich, dass es das wichtigste Ziel Ihrer Bildungsministerin sein muss, im Hochschulrahmengesetz das Verbot von Studiengebühren zu verankern? Finden Sie nicht, es wäre prima, wenn man den Langzeitstudenten in Deutschland ein bisschen Beine machen würde - und Baden-Württemberg sähe sich nicht vor dem Bundesverfassungsgericht entsprechenden Klagen ausgesetzt -, indem ihnen Gebühren drohen, wenn sie mehr als 13 Semester studieren? Das wäre doch einmal ein Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Schlicht und ergreifend: Natürlich sind die Zeiten schwierig. Aber es gibt serienweise Beispiele, die zeigen, dass Sie sich genau mit dem beschäftigen, was uns nicht voranbringt, und dass Sie das schleifen lassen, was uns voranbringt. Das beklagen wir. Für die Menschen in diesem Lande fordern wir eine andere Politik ein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Joachim Poß (SPD): Machen Sie mal Vorschläge!)

   Wir müssen uns nicht nur fragen, womit Deutschland sein Geld verdient, sondern auch, wie die Strukturen in Deutschland sein müssen, damit die notwendigen Änderungen funktionieren. Es ist klar, dass wir ein Aufbrechen des alten Denkens brauchen. Ich persönlich halte das Drohen mit einer Ausbildungsabgabe für das Allerletzte, das in Deutschland Lehrstellen schaffen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich halte es für einen kapitalen Fehler, dass Sie sich in dem Jahr, als Sie wussten, wie schwer es wird, genügend Lehrstellen zu schaffen, ausgerechnet das Handwerk vorgenommen und ihm so richtig eines vor den Kopf gegeben haben, damit die Linken bei Ihnen einen Grund zum Feiern haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD)

   Frau Göring-Eckardt, Ihr Beispiel geht doch nach hinten los: Die Tatsache, dass Herr Walz auch ohne Herrn Clements neue Handwerksordnung Meister ist und ein Geschäft hat, zeigt doch, dass das Vernünftige heute schon möglich ist. Es bedarf also nicht Ihres radikalen Schnittes, um in Deutschland das Handwerk nach oben zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich bin mir im Gegensatz zu Ihnen absolut sicher: Wenn Sie mit uns gemeinsam das Vermögensteuergesetz - es ist ohnehin nur noch ein Torso - abschaffen würden, dann würde dies eine unglaublich belebende Auswirkung auf sehr viele Betriebe haben;

(Lachen bei der SPD)

denn sie wüssten dann, dass es mit diesem Spuk in Deutschland endlich vorbei ist. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   In der heutigen Zeit, in der viele Unternehmen nicht Gewinne, sondern Verluste machen, ist die immer wiederkehrende Androhung der Mindestbesteuerung für alle genau das falsche Signal, um in Deutschland die Konjunktur wieder in Gang zu setzen. Unsere Alternative ist, die Mindestbesteuerung nicht einzuführen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Joachim Poß (SPD): Nur wenn Gewinne da sind, gnädige Frau!)

   Nach dem 14. März haben wir eine groteske Situation erleben müssen, die von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern glücklicherweise auch so empfunden wurde, nämlich den Streik in den neuen Bundesländern um die 35-Stunden-Woche, der die IG Metall in eine tiefe Krise geführt hat.

(Ludwig Stiegler (SPD): Das hat Schröder angezettelt!)

- Herr Stiegler, das hat Herr Schröder zwar nicht angezettelt. Ein klares Wort von ihm gegen diesen Schwachsinn hat aber gefehlt. Das müssen Sie zugeben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin mir ganz sicher, dass Herr Schröder den Streik als schwachsinnig empfunden hat. Aber er hat es erstaunlicherweise nicht ausgesprochen.

   Man kann aus dieser Angelegenheit zwei Lehren ziehen. Die erste Lehre ist, dass die Gewerkschaften allein nicht vernünftig genug sind, als dass man den Betrieben vor Ort die Möglichkeit betrieblicher Bündnisse für Arbeit nicht gesetzlich eröffnen müsste.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aus dieser Schlussfolgerung ergibt sich unser Vorschlag, der Ihnen Paragraph für Paragraph auf dem Tisch liegt: Änderung des Tarifvertragsgesetzes, Änderung des Betriebverfassungsgesetzes samt einer sinnvollen Veränderung des Kündigungsschutzes. Was Herr Clement in Bezug auf den Kündigungsschutz vorlegt, spottet jeder Beschreibung. Dennoch gibt es darüber Diskussionen bei Ihnen. Ein komplettes Arbeitsmarktreformgesetz, das wir beraten können, liegt Ihnen vor. Wir bauen darauf, dass Sie konstruktiv darauf eingehen.

   Die zweite Lehre, die wir aus diesem Streik ziehen müssen, ist, dass wir mit den Tarifvertragsparteien auch über das, was jenseits gesetzlicher Regelungen in Deutschland notwendig ist, sprechen müssen. Wir können doch nicht unsere Augen vor der Tatsache verschließen, dass 51 Prozent der Lohnzusatzkosten in Deutschland nicht auf uns, den Gesetzgeber, zurückgehen, sondern durch Tarifverträge vereinbart sind.

(Joachim Poß (SPD): Das ist Tarifautonomie!)

- Richtig, das ist Tarifautonomie. Aber die Tarifautonomie ist deshalb genauso wie die Parteien und anderes grundgesetzlich geschützt, weil die Tarifautonomie dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Sie kann nicht in Besitzstandsdenken umdefiniert werden kann. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es kann nicht sein - das sage ich ausdrücklich in Richtung der Gewerkschaften und der Wirtschaft -, dass uns die Wirtschaft sagt, was wir in diesem Hause zu tun haben,

(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

wir aber den Mund halten müssen, wenn wir der Meinung sind, auch einmal sagen zu müssen, was man an anderer Stelle tun könnte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Genau aus diesem Grund habe ich gesagt, dass es nicht um die Frage geht, ob in den westlichen Bundesländern mehr oder weniger gearbeitet wird und ob der Osten so werden muss wie der Westen. Es geht vielmehr darum, dass wir insgesamt in Deutschland länger arbeiten müssen. Daran führt kein Weg vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Bundeskanzler, an dieser Stelle brauchen wir glücklicherweise nicht das Prinzip „Hire and fire“ bzw. Amerika als Abschreckung zu instrumentalisieren. Wir müssen nur in die Schweiz gehen, die noch nicht wegen Asozialität und Unsozialität weltweit bekannt geworden ist. Dort arbeitet man mehr als 220 Tage pro Jahr; wir arbeiten 175 Tage pro Jahr. Dort arbeitet man pro Woche im Durchschnitt 40,5 Stunden und bei uns 37,5 Stunden. Glauben Sie, alle deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien so viel schneller und unsere Maschinen so viel besser, dass wir dies aufholen könnten? Es ist sinnvoll und notwendig, dass wir auch bei uns ohne Schaum vor dem Mund über einen solchen Prozess diskutieren und dies ansprechen. Das ist - jedenfalls nach meinem Verständnis - die Pflicht der Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Dann geht es darum - zumindest im Ziel stimmen wir überein -, dass wir die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zusammenlegen müssen, um in Deutschland wieder bessere Leistungsanreize zu schaffen. Ich weiß wie Sie, dass es gerade in neuen Bundesländern eine verdammt schwierige Sache ist, wenn Menschen in einer Region, in der auf einen freien Arbeitsplatz 25 oder 30 Bewerbungen kommen, gesagt werden muss: Passt auf, ihr bekommt jetzt Sozialhilfe.

   Wir müssen auf jeden Fall dafür Sorge tragen, dass bei Menschen, bei denen dies der Fall ist, insbesondere bei Menschen mit Familien, bei Alleinerziehenden und Müttern, die Bedürftigkeitsprüfung nicht die eigene Alterssicherung einschließt. Es wäre nämlich wirklich fatal, wenn jemand, der für das Alter vorgesorgt hat, deswegen, weil er Sozialhilfe bekommt, diese Vorsorge mit angerechnet bekommt. Das muss beachtet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir sind uns im Ziel einig. Trotzdem haben wir einen anderen Gesetzentwurf eingebracht als Sie. Denn wir glauben, dass dieser Prozess so weit wie möglich von unten nach oben organisiert werden sollte. Die Kommunen sollten also so weit wie möglich die subsidiäre Verantwortung übernehmen. Denn diese kennen die Menschen und ein solcher Prozess muss nahe am Menschen stattfinden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es ist leider wahr: Die Kommunen, durchaus auch von uns während unserer Regierungszeit enttäuscht, nun aber durch das, was sie im Zusammenhang mit der Körperschaftsteuerreform unter Herrn Eichel erlebt haben, völlig vor den Kopf gestoßen, sagen: Wir wollen bestimmte Aufgaben nicht mehr übernehmen; wir trauen euch nämlich nicht zu, dass ihr uns die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung stellt.

   Deshalb schlagen wir vor, eine Grundgesetzänderung vorzunehmen, in der die finanzielle Ausstattung der Kommunen klar geregelt wird.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Dazu legen wir Ihnen den Gesetzentwurf des Landes Hessen vor; Weiteres werden wir beraten müssen. Das ist eine ganz andere Grundlage als das, was Sie vorsehen. Sie wollen die Bundesanstalt für Arbeit um 12 000 Leute aufstocken. Diese wurde schon bisher ihren Aufgaben nicht gerecht. Wir haben erhebliche Zweifel, dass sie ihre Arbeit mit 12 000 bzw. 16 000 Leuten mehr besser bewältigen kann. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Frau Göring-Eckardt, bitte erzählen Sie nicht, wir hätten keine Alternative. Unsere Alternative steht samt dem Arbeitsmarktreformgesetz und dem Soforthilfeprogramm für die Kommunen in einem großen Konvolut, das 300 Seiten dick ist. Insbesondere in einem Punkt sind wir unterschiedlicher Meinung im Vergleich zu Ihnen: Wir halten es für einen ziemlichen Schwachsinn, jetzt auch noch alle Freiberufler zu besteuern. Dies ist im Übrigen nicht finanzwirksam für die Kommunen. Deshalb hören wir mit Freude, dass Sie als Fraktion - Herr Müntefering, alle Achtung, wir haben es vier Mal eingebracht - die Gewerbesteuerumlage jetzt wieder auf den alten Stand bringen wollen. Das wäre nämlich für die Kommunen eine verlässliche Einkommensquelle.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Herr Eichel, es war einer Ihrer großen Finanzierungstricks: Sie haben den Kommunen den Anteil an der Gewerbesteuer weggenommen und eine Ihrer beliebten Luftbuchungen, nämlich irgendetwas mit AfA, gemacht und dabei nicht bedacht, dass wir dem nicht zustimmen werden, weil es mittelstandsfeindlich ist. Dadurch haben Sie die Kommunen auf dem Trocknen sitzen lassen. Das ist die Genesis der finanziellen Entmachtung der Kommunen durch diese Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joachim Poß [SPD]: Deshalb wollen Sie die Gewerbesteuer abschaffen!)

   Im Zusammenhang mit den Fragen danach, wer für was verantwortlich ist und wie wir die Bundesrepublik unter den neuen Bedingungen organisieren, möchte ich eine Mahnung an den Bundeswirtschaftsminister aussprechen.

(Joachim Poß [SPD]: Der nächste Pappkamerad!)

Herr Wirtschaftsminister, Sie haben im Augenblick einen Fall auf dem Tisch liegen, der sich mit dem befasst, was man Pressefreiheit und Wettbewerb im Pressebereich nennt. Ich rate Ihnen dringend, sich an dieser Stelle nicht über das Votum des Kartellamtes und der Monopolkommission hinwegzusetzen; denn wenn in der deutschen Hauptstadt die Presselandschaft durch Eingriff des Bundeswirtschaftsministers so geordnet wird, wie es die Bundesregierung gerne hätte, wäre es das schlechtest mögliche Signal für Deutschland. Das können wir im Moment wirklich nicht gebrauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wenn wir die Fragen „Womit wollen wir unser Geld verdienen?“

(Walter Schöler [SPD]: Mit Leo Kirch usw., das ist doch bekannt!)

und „Wie müssen wir das Land organisieren?“ beantwortet haben, dann müssen wir uns die Frage stellen: Wie ist unser Verständnis von unserem Land und von Europa?

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

   Der Bundesaußenminister hat neulich gesagt, dass wir unsere Interessen europäisch definieren müssen. Ich stimme ihm teilweise zu. Wir müssen sie zunehmend europäisch, aber in vielen Fragen auch deutsch definieren - welches sind die deutschen Interessen? -, damit wir unseren Anteil in Europa bekommen. Das ist überhaupt keine Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich komme jetzt auf einen Punkt zu sprechen, der viel mit unserem Selbstverständnis zu tun hat.

(Jörg Tauss [SPD]: „Tagesspiegel“!)

Dieses Selbstverständnis hat für mich mit unserer Geschichte und unserem Umgang mit ihr zu tun.

(Joachim Poß [SPD]: Noch ein Pappkamerad!)

Es gibt eine Initiative zum Zentrum gegen Vertreibung. Diese Initiative ist wirklich nicht parteilich organisiert, sondern vertritt ganz unterschiedliche Richtungen. Diese Initiative hat gesagt: 12,5 Millionen Menschen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben. Die Gründung eines solchen Zentrums ändert überhaupt nichts an der Auseinandersetzung mit dem Unrecht, das Deutschland über die Welt gebracht hat. Aber auch Deutschen ist Unrecht passiert.

   Die Frage, ob wir in Deutschland und in Berlin die Kraft haben, uns in einem solchen Zentrum mit diesem Teil unserer Geschichte auseinander zu setzen

(Jörg Tauss [SPD]: Was Sie da treiben, ist geschichtslos!)

oder ob wir einen Bundeskanzler haben, der als Erstes mit subtilen Unterstellungen erklärt, dies würde nur aus rückwärts gewandter Geschichtsklitterung stattfinden, ist eine entscheidende Frage bis ins nächste Jahrhundert hinein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Deshalb - das sage ich ganz ruhig - habe ich es für verantwortungslos gehalten, dass Sie die Besorgnisse, die es in Polen und Tschechien gab, genutzt haben, um einseitig Stellung zu beziehen und keinen Beitrag - jetzt versucht es der Innenminister - zur Versöhnung in dieser Frage zu leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Nichts, aber auch gar nichts spricht gegen ein europäisches Netz solcher Gedenkstätten. Aber auch in Deutschland - mit 12,5 Millionen Betroffenen - müssen wir doch die Kraft haben, damit verantwortungsvoll umzugehen. Deshalb unterstütze ich ausdrücklich mit unserer Fraktion die Initiative des Bundes der Vertriebenen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Herr Bundeskanzler, es war immer die Politik von Union und SPD, dass man den Kampf gegen Terror nicht alleine militärisch führt. Das möchte ich hier noch einmal sagen, obwohl ich glaube, dass Sie es wissen. Es war immer unsere Politik, dass wir Entwicklungshilfe, Aufbauhilfe und Wirtschaftshilfe brauchen. Aber wir brauchen auch militärische Komponenten. Deshalb werden wir uns in allen anstehenden Fragen verantwortungsvoll entscheiden. Wolfgang Schäuble wird dazu heute sicherlich noch Stellung nehmen.

   Herr Bundeskanzler, wo wir beim Thema Verantwortung sind: Ich fand, Ihr Auftritt mit dem türkischen Ministerpräsidenten bei dessen Staatsbesuch in einer gemeinsamen Pressekonferenz und die Beschimpfungen von CDU und CSU waren einmalig und wieder einmal verantwortungslos.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie tun so, als seien die Kopenhagener Kriterien, die in Europa für die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten gelten, von der Türkei einfach so zu erfüllen. Ich denke dabei nicht an die Anstrengungen, die die Türkei macht; das habe ich Herrn Erdogan gesagt. Es gibt unter den Kopenhagener Kriterien vielmehr ein Kriterium, das mit der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union, so wie sie heute besteht, zu tun hat. Wollen Sie bestreiten, dass zu einem Zeitpunkt, zu dem wir gerade einmal 25 Mitgliedstaaten geworden sind, keine Probleme bestehen? Ich muss Ihnen sagen, dass wir diesen Kurs gegenüber der Türkei nicht mitmachen werden. Ich möchte, dass wir redlich miteinander umgehen, gerade weil es Freunde sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Mitglieder der Bundesregierung und Sie selbst, Herr Bundeskanzler, sprechen davon, Deutschland müsse sich bewegen. Diese Aussage ist nicht falsch, ist aber, wie man in der Mathematik sagen würde, nicht hinreichend. Zickzackbewegungen helfen uns nicht, Bewegungen nach unten auch nicht. Deutschland muss sich nach oben bewegen. Das muss die Richtung sein.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

   Dazu müssen wir Deutschland verändern; das ist richtig. Aber wir müssen Deutschland - das geht darüber hinaus - fair ändern. Die Menschen erwarten Fairness bei dem, was ansteht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit es hier zu Innovationen kommt und das Ganze die richtige Richtung bekommt, habe ich Ihnen am 14. März dieses Jahres ein Angebot gemacht, auf das Sie leider nicht eingegangen sind. Ich habe gesagt, das werde ein Prozess, der nicht ein halbes Jahr oder ein Jahr dauert, sondern zehn oder zwölf Jahre. Lassen Sie uns Größen für Investitionskraft, Beschäftigung, Bildung und Forschung finden, anhand derer wir mit den Menschen Jahr für Jahr überprüfen können, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Das würde Verlässlichkeit in die Sache bringen. Auf die Frage, die die Menschen stellen, wozu und warum das Ganze gemacht wird, müssen wir eine Antwort haben. Diese Antwort muss glaubhaft sein. Dazu brauchen wir eine Gerechtigkeit, die im Gegensatz zu dem, was Sie im Moment machen - Sie sprechen nur über Chancengerechtigkeit, was wir dagegen schon viele Jahre verfolgt haben -, leistungsgerecht ist. Der Bürger, der unten an der Basis etwas leistet, muss wissen, dass seine Leistung von denjenigen über ihm auch anerkannt wird. Daran fehlt es in Deutschland bis heute.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Genau das verstehe ich unter fair ändern. Wenn Sie das beherzigen würden - Sie tun das nicht oder können es nicht, warum weiß ich nicht -, dann brauchten Sie auch keine Phantomdebatten zu führen.

(Joachim Poß [SPD]: Das machen Sie jetzt die ganze Zeit!)

   In einer dieser Phantomdebatten geht es um den demokratischen Sozialismus. Der SPD-Generalsekretär hat in der „FAZ“ vom 21. August 2003 gesagt, der demokratische Sozialismus sei „eher so’n Sprechunfall“.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Mir ist der Atem gestockt, und zwar aus zwei Gründen:

Zum einen scheint der demokratische Sozialismus für manche von Ihnen das Erbstück sozialdemokratischer Identität zu sein.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war in zwei Wahlkämpfen erkennbar!)

Zum anderen kann ich nur sagen, dass ich Sozialismus aus persönlicher Erfahrung heraus wirklich nicht als Sprechunfall bezeichnen kann. Das war ein Realunfall mit grausamen Auswirkungen für Millionen von Menschen, die ich persönlich nicht zu vergessen beabsichtige.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Im Übrigen füge ich hinzu: Die Leute haben die Schnauze voll von Sprechunfällen Ihrer Regierung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Leute wollen sehen, dass endlich etwas passiert. Deshalb lautet unser Motto „Deutschland fair ändern“. Das wird auch die Grundlage unserer Oppositionspolitik und unserer Mitarbeit im Bundesrat sein.

   Ich sage Ihnen ganz klar: Blockieren, wie Sie es zu Lafontaines Zeiten gemacht haben, passt nicht zur Union.

(Joachim Poß [SPD]: Werbeagentur Merkel!)

Das geht gar nicht zusammen, das passt nicht, das ist völlig unmöglich. Das geht weder mit unseren Wählern, noch mit unseren Mitgliedern und schon gar nicht mit der Bundestagsfraktion von CDU/CSU.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn wir zustimmen, dann stimmen wir begründet zu. Das haben wir bei vielen außenpolitischen Gemeinsamkeiten schon getan. Was wir verbessern können - Beispiel Gesundheitsreform -, das werden wir verbessern. Was wir ablehnen, das lehnen wir begründet ab. Deshalb können Sie sich einer Sache sicher sein: Diesen Haushalt und wahrscheinlich noch so manches mehr lehnen wir ab, weil es Begründungen für genau die Ablehnung gibt.

   Herzlichen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Franz Müntefering, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Franz Müntefering (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die am Mittwoch einer Haushaltswoche stattfindende Debatte ist üblicherweise das, was man die Stunde der Opposition nennt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Deshalb waren wir heute Morgen um 9 Uhr alle gespannt auf die Rede von Frau Merkel. Sie hat es aber vorgezogen, Herrn Glos vorzuschicken und sich in die relative Ruhe der zweiten Runde zurückzuziehen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Zur Sache, Schätzchen!)

Trotzdem haben wir gehofft, es könnte etwas kommen.

Frau Merkel, wenn die Probleme des Landes so groß sind, wie Sie sie beschrieben haben, dann war die Münze, mit der Sie hier gezahlt haben, viel zu klein. Das war nicht die Lösung der Probleme, die vor uns liegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte mich dafür bedanken, dass Sie auf den Vorschlag des Bundeskanzlers eingegangen sind, mitzustimmen, wenn es in diesem Herbst darum geht, den Nachhaltigkeitsfaktor - Sie sprechen vom Generationenfaktor - in der Rente zu beschließen.

Ich kann das nur so verstehen: Sie haben gesagt, das wäre schon vor vier oder fünf Jahren richtig gewesen. Herr Westerwelle und Sie haben das jetzt noch einmal unterstützt. Wir werden in wenigen Wochen hier über diesen Gesamtkomplex zu sprechen haben. Ich gehe davon aus, dass der Deutsche Bundestag eine Rentenlösung finden kann, die auch die Generationengerechtigkeit bzw. den Nachhaltigkeitsfaktor beinhaltet. Ich freue mich und bedanke mich bei Frau Merkel, dass sie das in diesem Sinne aufgenommen hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Frau Merkel, ich bitte Sie um Ihre Aufmerksamkeit. Sie sind noch einmal auf den demokratischen Sozialismus eingegangen. Dazu möchte ich einige Sätze sagen. Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, dass Sie in dem zweiten Teil Ihrer Ausführungen etwas gesagt haben, das wir uns untereinander nicht zumuten sollten. Sie haben nämlich einen Trick angewendet und den Kommunismus, die Diktatur der DDR, der SED, mit der Tradition der deutschen Sozialdemokratie verglichen.

(Zuruf von der SPD: Pfui!)

   Ich sage Ihnen: Hier sollten wir unsere Empfindlichkeiten offen aussprechen. Sie sagen, Sie hätten den demokratischen Sozialismus als eine reale kommunistische Diktatur erlebt. Das wissen wir und das beurteilen wir so wie Sie. Die Geschichte dieser deutschen Sozialdemokratie hat es aber nicht nötig, sich von Ihnen mit den Kommunisten, die in dem Lande geherrscht haben, vergleichen zu lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wer sich mit der SED so gemein gemacht hat wie Sie, sollte sehr vorsichtig sein!)

   Wir stehen vor spannenden Monaten. Solange ich zurückdenken kann, hat es das noch nie gegeben, dass so viele wichtige Dinge in so kurzer Zeit im Deutschen Bundestag vorgetragen, diskutiert und zur Entscheidung gebracht werden mussten. Dieser Herausforderung haben wir uns alle zu stellen. Die Monate bis Weihnachten werden außerordentlich spannend sein. Es wird um drei große Komplexe gehen, die Hans Eichel gestern hier erläutert hat.

   Erstens geht es um den Haushalt 2004 und dessen Solidität sowie um unser Bemühen, ihn so knapp wie nur möglich zu schneidern.

   Zweitens geht es darum, große Strukturreformen, die die Voraussetzung dafür sind, dass die Realisierung dieses Haushaltes im nächsten Jahr und in den dann kommenden Jahren auch gelingen kann, voranzutreiben und zu beschließen.

   Drittens geht es darum, dass Wachstumsimpulse gegeben werden, damit mehr Geld in die öffentlichen Kassen fließen kann.

   An der Verwirklichung dieses Dreiklangs arbeiten wir. Das läuft in diesen Wochen zeitgleich. Es ist richtig: Nicht alles, was für den Haushalt wichtig ist, wurde auch schon beschlossen. Es wurde aber alles auf den Weg gebracht. Wir haben uns viel vorgenommen; das wissen wir. Wir sind uns aber sicher, dass der Weg, den wir gehen, richtig ist und dass wir es in diesem Jahr gemeinsam schaffen, dieses Land weiter in die richtige Richtung zu bringen und dafür zu sorgen, dass Deutschland in eine gute Zukunft gehen kann. Wir sind fest entschlossen, das zu tun.

   Wir wissen, dass es auf dieser Strecke in den nächsten Wochen und Monaten noch viele Unebenheiten gibt. Wir werden in der politischen Diskussion an manchen Stellen untereinander und mit Ihnen zu streiten haben. Es ist für dieses Land gar nicht schlecht, wenn es begreift, dass wir in einer Auseinandersetzung von außerordentlicher Bedeutung stehen. Das ist nicht schlecht für die Demokratie. Im Jahre 2003 werden wir im Deutschen Bundestag und im Bundesrat dafür sorgen, dass Deutschland einen guten Weg in die Zukunft gehen kann. Das ist unser Ziel; das haben wir uns vorgenommen und das schaffen wir auch miteinander.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Opposition muss sich entscheiden. Frau Merkel, ich höre von Ihnen und auch von anderen manche nachdenkliche Worte. Wir wollen sie gerne bedenken und nicht alles beiseite schieben, was da kommt. Manches ist aber auch Wolkenschieberei und verdeutlicht Ihren Unwillen, wirklich dazuzulernen und die Rolle der Opposition anzunehmen. Frau Merkel, Opposition ist in diesem Jahr etwas anderes als das Synonym für „dagegen sein“. Auch Sie werden sich entscheiden müssen. Sie werden nicht damit durchkommen, dass Sie solche Reden halten wie heute hier, Reden, die einzig und allein darauf ausgerichtet sind, hie und da ein bisschen zu mäkeln, zu hakeln und zu versuchen, den einen oder anderen Fehler von uns zu beschreiben. Darum geht es überhaupt nicht. Wir wissen, dass wir nicht vollkommen sind, dass wir Fehler gemacht haben und dass wir wahrscheinlich auch wieder dabei sind, den einen oder anderen zu machen. Sie aber eben auch.

   Ich warne davor, mit Hochmut an die Sache heranzugehen. Wir werden in diesem Halbjahr miteinander den richtigen Weg in wichtigen zentralen Fragen des Landes finden müssen.

Dabei ist die Opposition gefordert. Sie werden sich davor nicht drücken können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Was Herr Glos heute Morgen dazu gesagt hat, war jenseits dessen, lieber Kollege Glos, was Sie uns in diesem Deutschen Bundestag zumuten sollten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will mich damit nicht über Gebühr lange aufhalten, weil es andere wichtige Dinge gibt. Ich will Ihnen aber sagen: Der Hinweis darauf, dass die Bayernwahl ausgehe, wie sie Ihrer Meinung nach ausgeht,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie rechnen doch mit einer Zweidrittelmehrheit!)

liege an uns, ist in doppelter Weise mit einer interessanten Dialektik versehen:

   Erstens. Herrn Stoiber trauen Sie diesen Sieg nicht zu.

(Heiterkeit bei der SPD - Michael Glos (CDU/CSU): Das wird lustig!)

   Zweitens. Auch die Zahlen in Bayern sollte man sich einmal ansehen. Die Menschen können sich auch über den 21. September dieses Jahres hinaus mit diesen Zahlen beschäftigen. Die Arbeitslosigkeit stieg zwischen August 2002 und 2003 in Deutschland um 7,4 Prozent. Sie stieg in Bayern um 14,2 Prozent.

(Michael Glos (CDU/CSU): Bezugsgrößen!)

Bayern ist ein schönes Land und Sie haben auch viele gute Dinge getan. Aber ich sage Ihnen: Seien Sie vorsichtig mit dem Bemühen, den Eindruck zu erwecken, als sei in Bayern alles in Ordnung. Fahren Sie einmal durch die bayerischen Lande. Dann sehen Sie, dass es in keinem anderen Bundesland ein solches Gefälle zwischen den Regionen wie in Bayern gibt.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Aber, aber!)

Dass in München und in Freising alles in Ordnung ist, glaube ich. Aber wenn Sie in die Oberpfalz fahren, dann werden Sie schon sehen, was da los und wie hoch dort die Arbeitslosigkeit ist. Dort hat man erkannt, dass die Staatsregierung in München nicht in der Lage ist, die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen in Bayern zu organisieren. Das ist das große Problem in Bayern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Darum wählen die Bayern am 21. September richtig!)

   Zur Opposition gehört auch die FDP. Man hat das an der Ratlosigkeit gemerkt, Herr Westerwelle, mit der Sie hier agiert haben.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Bitte?)

Ich finde, Ihr Beitrag sollte dringend den Ältestenrat beschäftigen, und zwar unter der Fragestellung: Wie können Sensoren in dieses Mikrofon eingebaut werden, die bei der Überschreitung einer bestimmten Phonstärke die Lautstärke automatisch herunterregulieren? Ihre Lautstärke war das Interessanteste an dem, was Sie heute Morgen vorgetragen haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die FDP hat ein Problem.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Nur eines?)

- Eigentlich zwei: Sie und noch etwas.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zu dem komme ich jetzt. Ich kenne Ihr Problem und begreife es auch. Sie sind zur Schau in die Kommission Gesundheitsreform gegangen. Mich hat das gewundert, weil klar war, dass dieser Auftritt mit Ihrer Ausgangslage nicht gut gehen kann. Sie sind zur Schau wieder herausgegangen. Ihr Problem: Das hat keinen interessiert und es hat keiner gemerkt. Das ist der Zustand der FDP.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ihr Problem ist, dass es egal ist, was Sie machen. Deshalb sind Sie hier so laut geworden. Hören Sie es noch einmal nach. Ich glaube, wir kennen uns lange genug, damit Sie verstehen, was ich damit meine.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wenn ich in Ihrem Alter bin, bin ich auch so ruhig!)

- Jugendlicher Leichtsinn und Altersweisheit können sich gut mischen, Herr Westerwelle.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Es geht um die Erneuerung unseres Landes. Dies steht im Mittelpunkt der Debatte und dieser Haushaltswoche überhaupt. Es geht dabei nicht nur um das, was die Politik macht, sondern auch um das, was die Gesellschaft insgesamt macht. Wir werden diesen Prozess der Erneuerung und Veränderung Deutschlands nur dann erfolgreich führen können, wenn die Gesellschaft insgesamt begreift, dass dies nicht nur von den Bundesgesetzen abhängt, die wir machen, sondern dass viele andere Dinge mit dazukommen müssen. Die Gesellschaft darf nicht abwarten, was der Politik einfällt und was sie tut. Vielmehr muss sie die Maßnahmen mittragen, die nötig sind, damit dieses Land eine gute Zukunft hat.

   Ich glaube, dass wir uns alle miteinander in den letzten zehn oder 20 Jahren in Deutschland zu sehr auf dem ausgeruht haben, was wir erreicht und als sicher empfunden haben. Die deutsche Einheit - ein schönes Ereignis - hat dazu beigetragen, dass wir die Friedensdividende, wenn man so will, in der Annahme verteilt haben, es sei alles in Ordnung. Nun merken wir, Sie und das ganze Land, dass wir uns anstrengen müssen, um aus der Krise rauszukommen. Die Chancen sind da. Deutschland ist kein schwaches, sondern ein starkes Land. Aber Veränderungen können nicht nur durch Bundesgesetze erreicht werden.

   Ich will zwei Dinge ansprechen, die man nicht von diesem Pult aus im Wege der Gesetzgebung lösen kann. Es gibt bei uns in Deutschland viele Menschen, die viel Zeit haben. Es gibt in Deutschland auch viele Menschen, die sehr allein und einsam sind.

Wenn es in dieser älter werdenden Gesellschaft nicht gelingt, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Menschen füreinander da sind und dass man sich für Menschen nicht nur auf der Grundlage von Gesetzen, sondern auch unabhängig von Gesetzen ehrenamtlich in der Gesellschaft engagieren kann und dass alte Menschen nicht einsam und allein sein müssen, dann wird es in dieser Gesellschaft keine Lebensqualität geben. Dieses Bewusstsein zu schaffen ist eine große und schwere Aufgabe, vor der wir stehen. Wir müssen die Menschen ansprechen und ihnen zeigen, dass das Lebensqualität in diesem Lande ausmacht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will einen zweiten Punkt ansprechen. Es geht um die Kinder und wie die Kleinen zwischen uns Großen groß werden. Vor wenigen Jahren habe ich mir eine Statistik angesehen. Damals hatten in Nordrhein-Westfalen 51 Prozent der Kinder, die in Kindergärten gingen, keine Geschwister. In früheren Generationen hatten die Kinder drei, vier oder fünf Geschwister. Geschwister erzogen Geschwister. Heute werden Kinder einzeln zwischen Erwachsenen groß. Wenn man mit denen spricht, die sie einschulen, dann weiß man, dass sich die Kinder nicht mehr so gut ausdrücken können wie früher und nicht mehr die Motorik haben, die die Kinder früher hatten. Das hängt mit der Erziehung und dem Umgang mit den Kindern zusammen.

   Warum sage ich das in dieser Debatte? Die Frage der Erziehung und die Frage, was wir mit den Kindern eigentlich machen und wie wir uns auf die Kinder einstellen, gehören zu den zentralen Fragen für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Einverstanden!)

Wir müssen mehr darüber nachdenken und daran arbeiten. Die Politik selbst ist auch gefordert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die Globalisierung, von der manche in Deutschland noch glauben, man könne sie ignorieren oder beiseite schieben, ist faktisch da. Die Mobilität, die die Menschheit gewonnen hat, die Fähigkeit, Güter, Informationen und Menschen schnell zu transportieren, hat dazu geführt, dass die Globalisierung Fakt ist. Darauf werden wir uns einzustellen haben. Wir werden uns insbesondere dadurch einzustellen haben, dass wir Europa zu einer Wohlstands-, Wirtschafts- und Finanzregion organisieren, die aus sich selbst heraus Wohlstand garantiert.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Fangt endlich an!)

Dazu müssen wir mit all dem, was wir in diesen Wochen und Monaten tun, den Sinn schärfen und den Menschen draußen unser Handeln verdeutlichen. Wir werden nicht allein mit nationaler Gesetzgebung die Dinge in Deutschland richten können. Den Wohlstand, den wir in Deutschland dauerhaft sichern wollen, die soziale Gerechtigkeit und den Sozialstaat, den wir in seiner Substanz haben wollen, werden wir nur dann erhalten, wenn wir EU-Europa zu einer großen Wohlstandsregion machen, die dauerhaft funktioniert. Das ist eine große Chance.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Europa, das in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entstanden ist, ist wahrscheinlich die größte historische Leistung auf diesem Stern gewesen. Wir sind uns dessen immer noch nicht ganz bewusst. Dass wir seit 58 Jahren hier in Europa Frieden haben, gab es noch nie oder seit Jahrhunderten nicht. Schauen Sie in die Geschichtsbücher. Wir haben die unglaubliche Chance, aus diesem Europa eine Wohlstands-, Friedens- , Finanz- und eine Sozialregion zu machen, die zukunftsfähig ist und sich gegenüber anderen großen Regionen in der Welt behauptet. Deshalb gehört das Thema Europa ganz eng zu dem, was wir in diesem Halbjahr zu beschließen haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es geht um die demographische Entwicklung. 1960 bekamen Männer in Deutschland im Durchschnitt zweieinhalb Jahre Rente. Sie bekommen heute im Durchschnitt zwischen zehn und zwölf Jahren Rente und werden im Jahr 2025, wenn das Renteneintrittsalter so bleibt, 17 oder 18 Jahre Rente bekommen. Wir arbeiten aber nicht mehr im Durchschnitt 50 Jahre wie 1960, sondern 39 bis 40 Jahre. Man muss keine Mathematik können, sondern nur zwei Jahre Rechnen gelernt haben, um zu begreifen, dass das nicht mehr geht. Deshalb werden wir in diesem Zusammenhang Entscheidungen zu treffen und Dinge zu verändern haben.

   Hinzu kommt die lang anhaltende Wachstumsdelle in den Industrieländern,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Der Sachverhalt ist bekannt!)

die nicht nur uns, sondern die ganze Welt berührt. Man weiß nicht, ob das eine Delle ist oder ob es sich um ein lang anhaltendes niedriges Wachstum handeln wird. Weiterhin kommen die leeren Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden hinzu, die wir leer vorgefunden haben, aber auch bisher nicht haben füllen können. Das sind die Rahmenbedingungen, denen wir uns ausgesetzt sehen, wenn wir jetzt handeln.

   Es kommt der Vorwurf, dass wir spät dran sind. Ja, spät ist richtig, aber nicht zu spät. Die Chance ist da. Es kommt weiterhin der Vorwurf, wir hätten die eine oder andere Position verändert, die wir vor einem, drei oder fünf Jahren noch eingenommen hätten. Das stimmt. Das ist aber keine Schande. Wenn sich Rahmenbedingungen verändern, dann muss man daraus die Konsequenzen für die Politik und das Instrumentarium ziehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nur diejenigen, die sich nicht bewegen können und auch nicht zu bewegen sind, haben es schon immer besser gewusst.

   Ich habe bei der Rede von Herrn Merz gestern den Eindruck gehabt, auch er habe schon immer alles gewusst, und zwar besser. Manche erscheinen bereits in seinem Alter älter als ihre eigenen Großväter. Das bleibt dabei nicht aus.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Was die Reaktion von Herrn Gerhardt angeht, weiß ich, dass die Aussage, man dürfe und müsse seine Meinung auch ändern können, als Opportunismus interpretiert werden kann.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Nein, Sie hätten es 1997 wissen können!)

Das wäre schlecht. Aber das Motto „Was einmal gesagt wurde, gilt immer“ gilt in der Politik nicht in Bezug auf die Instrumente.

   Über die Grundwerte kann man mit mir nicht verhandeln. Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit bilden die Messlatte für das, was wir tun. Auch die Ziele sind klar: Wir wollen dauerhaften Wohlstand und einen dauerhaften Sozialstaat für dieses Land. Aber darüber, wie diese Ziele zu erreichen sind, darf und muss man miteinander streiten. Genau das machen wir zurzeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Was ist seit dem 14. März passiert, Frau Merkel oder - ersatzweise - Herr Glos?

(Michael Glos [CDU/CSU]: Doppelpack!)

Sie haben schließlich gefordert, es müsse in der Zwischenzeit etwas passieren. Acht Gesetze liegen vor. In dem Gesetzentwurf Hartz III geht es um den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit zu einer Vermittlungsagentur. Der Entwurf Hartz IV regelt die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, durch die erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger stärker als bisher und auch unmittelbar Zugang zum ersten Arbeitsmarkt erhalten. Die Arbeitsmarktreform hat auch intern zu Kämpfen geführt; denn es geht dabei um die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere und um die Frage, wie weit man gehen kann und darf, um die nötige Flexibilität am Arbeitsmarkt zu schaffen, ohne die Arbeitnehmerrechte in unzulässigem Maße zu beschränken.

   Bei der Gesundheitsreform, die wir gestern diskutiert haben, geht es um die Verbesserung der Effizienz im System und um die Erhaltung der Qualität des Gesundheitswesens. Als Messlatte soll beibehalten werden, dass diejenigen, die auf medizinische Versorgung angewiesen sind, das aus medizinischen Gründen Notwendige auch erhalten.

   Unabhängig davon, worüber wir mittelfristig in der Koalition oder darüber hinaus diskutieren - sei es die Bürgerversicherung oder was auch immer -, ist das, was wir derzeit tun, nicht entbehrlich. Man darf jetzt nicht unter Verwendung bestimmter Begriffe vor der Verantwortung davonlaufen, die wir haben. Das ist für uns schwer zu vermitteln. Aber ich sage ausdrücklich: Die Sozialdemokratie wird keine Wolkenschieberei beginnen. Vielmehr werden wir den Menschen klipp und klar mitteilen, was möglich und nötig ist, was wir tun werden und dass wir es in der Weise, in der wir es umsetzen, verantworten können. Davor werden wir nicht weglaufen.

(Beifall bei der SPD - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das wäre neu, Herr Müntefering!)

   Die Handwerksordnung ist ein interessantes Kapitel, und zwar für Frau Merkel und Herrn Westerwelle gleichermaßen. Denn dabei geht es um die Freiheit und um die gleichen Chancen der Menschen - in diesem Fall die der Gesellen - am deutschen Arbeitsmarkt. Junge männliche oder weibliche Gesellen, die beispielsweise in Aachen wohnen, können in Deutschland keinen Handwerksbetrieb gründen. Dagegen können ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem benachbarten Belgien oder Holland hier einen Betrieb eröffnen. Man könnte vielleicht den deutschen Gesellen empfehlen, nach Belgien oder Holland zu ziehen, um dort einen Betrieb zu gründen und von dort aus auch in Deutschland einen Handwerksbetrieb aufbauen zu können. Was für ein Irrsinn!

(Beifall bei der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das stimmt ja gar nicht!)

   Wer es mit Europa ernst meint, Herr Hinsken, muss wissen: Wenn es um die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union geht, dann müssen gleiche Berufs- und Lebenschancen für die jungen Menschen in Deutschland wie auch in den anderen europäischen Ländern geschaffen werden. Sie aber verteidigen alte Bestände. Sie stehen in der konservativen Ecke.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das stimmt nicht!)

Das, was Sie immer wieder beschreien - nämlich Offenheit, Liberalität und Flexibilität -, fehlt Ihnen an dieser Stelle, Herr Westerwelle und Herr Hinsken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben gerade den Gesetzentwurf zum Vorziehen der Steuerreform von 2005 auf 2004 vorgelegt. Darüber ist hier wie auch über die Sinnhaftigkeit und das Bemühen, das vorhandene Wachstum zu unterstützen und ihm zusätzliche Luft unter die Flügel zu geben, gesprochen worden.

   Wir beraten in diesen Tagen und Wochen über die Gemeindefinanzreform. Wir sind dabei, zu prüfen und auszuloten, wie das, was bereits vorliegt, optimiert werden kann.

Es geht darum, dass die Gemeinden schnell, deutlich und nachhaltig entlastet werden und so zusätzliches Geld bekommen. Denn wir alle sind uns sicherlich einig, dass in den Kommunen viele Investionen brachliegen, die eigentlich getätigt werden müssen. Übrigens sollten die Investitionen zielgenauer an die kleinen und mittleren Unternehmen vor Ort gegeben werden.

   Wir alle sind froh über die großen Investitionen auf der Bundesebene, über die 25 Milliarden bis 26 Milliarden Euro. Aber das betrifft Aufträge, die europaweit ausgeschrieben werden müssen. Man weiß also vorher nicht, woher das Unternehmen kommt, das den Auftrag erhält. Außerdem geht es hier um Aufträge, für deren Erfüllung man große Maschinen benötigt. Die Kommunen haben aber die Möglichkeit - sofern sie über die notwendige Investitionskraft verfügen -, in kleinen Losen auszuschreiben und dafür zu sorgen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen vor Ort die Aufträge erhalten. Genau das wollen wir: Die Arbeit, die es vor Ort gibt, soll auch vor Ort getan werden können. Wir wollen hier etwas bewegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen außerdem die Gewerbesteuer nicht aufgeben. Im Gegenteil: Sie soll bestehen bleiben; denn sie ist eine wichtige Verbindung zwischen den Kommunen und den Unternehmen. Es ist gut, wenn man weiß, dass man aufeinander angewiesen ist. Deshalb sollte das bestehende Band zwischen Kommunen und Unternehmen nicht zerschnitten werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben des Weiteren den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts eingebracht, über den in der Öffentlichkeit bislang wenig diskutiert worden ist. Es geht hierbei im Wesentlichen um Entbürokratisierung und insbesondere darum, dass zukünftige Sozialhilfeempfänger das, was ihnen zusteht, in Form eines individuellen Budgets erhalten. Sie müssen also nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Sozialamt rennen, was unwürdig wäre. Alle Leistungen, auf die ein Sozialhilfeempfänger Anspruch hat, sollen deshalb in einem Betrag ausgezahlt werden.

   Das waren bislang acht Gesetzentwürfe. Im Oktober dieses Jahres werden zwei weitere hinzukommen, die die Pflegeversicherung und die Rentenversicherung betreffen werden. Zur Rentenversicherung habe ich schon eben etwas gesagt. Deshalb nur so viel: Die hier anstehenden Entscheidungen sind schwierig. Das gilt auch für die Pflegeversicherung. Für beide Versicherungsbereiche müssen wir Entscheidungen treffen, die mittel- und langfristig tragen. Ich sage ganz deutlich: Keine Entscheidung für 50 Jahre! Man muss immer wieder einmal nachsteuern. Wir müssen etwas schaffen, was über das aktuelle Jahrzehnt hinausweist. Wir nehmen das ernst, was die Rürup-Kommission vorgelegt hat. Das ist nämlich eine beachtliche Grundlage. Das möchte ich angesichts dessen, was schon zu den Vorschlägen dieser Kommission gesagt worden ist, ausdrücklich betonen. Es lohnt sich, die Vorschläge dieser Kommission zu lesen und sie sich in Ruhe zu Gemüte zu führen. Das heißt nicht, dass wir alles umsetzen werden, was vorgeschlagen worden ist. Aber es ist sinnvoll, sich auf die bevorstehenden Entscheidungen, die die Rentenversicherung betreffen, gut vorzubereiten. Das gilt für die Pflegeversicherung in gleicher Weise.

   Die Menschen leben im Schnitt länger. Wir klopfen auf Holz und hoffen, dass auch wir sehr alt werden. Aber wir wissen, dass viele Menschen, die 85 oder älter sind, in sehr starkem Maße der Pflege bedürfen, während nur 7 bis 8 Prozent der unter 85-Jährigen auf unmittelbare Hilfe angewiesen sind. Das Problem ist, dass die Pflege nicht mehr wie früher hauptsächlich im Familienverbund geleistet werden kann. Schließlich kann man den Angehörigen das nicht immer zumuten. Man weiß sehr genau, dass diejenigen, die zu Hause einen Bettlägerigen pflegen, eher in eine Klinik kommen als die Pflegebedürftigen. Pflegen ist nun einmal nicht leicht. Deshalb muss man hier vernünftige Lösungen finden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch nicht andeuten, was wir vorschlagen werden. Nur so viel: Es wäre gut, wenn wir uns in diesem Hohen Haus darauf verständigten, dass menschenwürdige Pflege ein Menschenrecht ist. Das darf bei allem, über das wir entscheiden werden, nicht auf der Strecke bleiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Was wollen wir mit der Agenda 2010, dem vorliegenden Haushaltsentwurf und dem Haushaltsbegleitgesetz erreichen? Ich möchte das an ein paar Dingen deutlich machen. Wir wollen zum Beispiel erreichen, dass alle Jugendliche Arbeit bzw. Ausbildung haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu ist sicherlich schon etwas gesagt worden. Ich möchte aber unterstreichen, wie wichtig es ist, dass wir die jungen Menschen nicht von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit schicken. Herr Ludwig Georg Braun, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, hat in einem Schreiben an uns Abgeordnete festgestellt - wir alle haben es bekommen -, dass es ein Skandal sei, dass nach wie vor jedes Jahr rund 90 000 Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. Hier seien insbesondere die Länder und Kommunen gefordert; denn Betriebe könnten zwar vieles, dürften aber nicht die Reparaturbetriebe der Nation für Versäumnisse von Schule und Elternhaus sein.

Herr Braun hat Recht: Das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt.

   Es gibt unterhalb der Gruppe, über die wir reden, wenn wir über Ausbildungsplätze sprechen, eine Gruppe, die überhaupt keine Chance hat, an Ausbildung heranzukommen: Es sind die jungen Menschen ohne Schulabschluss - 6 bis 8 Prozent -, die durch weitere Vorbereitungen in Qualifizierungsmaßnahmen der verschiedensten Art in Hilfskonstruktionen vermittelt werden. Auch dabei darf es nicht bleiben. Herrn Brauns Aufforderung, dass wir uns Gedanken darüber zu machen haben, wie wir erreichen können, dass nicht so viele die Schule unfertig verlassen, werde ich nicht widersprechen.

   Bei aller Wertschätzung für ihn will ich doch feststellen, dass nur etwa 30 Prozent aller Betriebe überhaupt ausbilden. Wenn die Tatsache, dass 90 000 Schüler die Schule unfertig verlassen, ein Skandal ist, dann ist es auch ein Skandal, dass es die Unternehmen in Deutschland nicht zustande bringen, die im Augenblick noch vorhandene Lücke zu schließen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das Angebot an Ausbildungsplätzen ist in den beiden letzten Jahren von 600 000 auf 510 000 zurückgegangen. Die Anzahl der nicht Versorgten ist zwischen dem 31. Juli 2002 und dem 31. Juli 2003 um 35 000 gestiegen. Ich begrüße, dass viele sich von uns, Mitglieder der Bundesregierung und Abgeordnete, gemeinsam mit den Unternehmen - ein Teil der Unternehmen ist gutwillig; ich will die Unternehmen gar nicht pauschal angreifen - bemühen, die vorhandene Lücke zu schließen, indem sie dafür sorgen, dass die erforderlichen Ausbildungsplätze noch zur Verfügung gestellt werden. Diese Lücke umfasst im Ergebnis etwa 30 000 Ausbildungsplätze, vielleicht ein paar mehr oder weniger. Angesichts eines Angebots von 510 000 Ausbildungsplätzen geht es darum, dass etwa 6, 7 oder vielleicht 8 Prozent der jungen Menschen noch nicht versorgt sind.

   Wenn es die deutsche Wirtschaft - den öffentlichen Bereich zähle ich dazu - in einer solchen Ausgangssituation - der Versorgungsgrad liegt bei etwa 94 Prozent - im September und im Oktober nicht zustande bringt, die restlichen 6 Prozent zu versorgen, dann liegt dem, so behaupte ich, ein fehlender Wille zugrunde. Wenn jeder ein bisschen dazutut, dann muss es möglich sein, auch diesen jungen Menschen eine Chance zu geben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass diese jungen Menschen eine Chance haben, das wollen wir; das ist die beste Lösung, die man sich vorstellen kann.

   Manche unterstellen uns etwas anderes, nämlich dass wir vorhaben, die Ausbildung der jungen Menschen zur Staatsaufgabe, zur Pflicht für den Bund oder für die Länder, zu machen. Das entspricht aber nicht unserer Interessenlage. Wir wollen, dass das duale Ausbildungssystem funktioniert. Die Ausbildung, die in einer Kombination von Berufsschule und Arbeit im Betrieb besteht, ist das Beste, was wir haben. Daraus ist übrigens auch die deutsche Facharbeiterschaft gewachsen.

   Am schlimmsten finde ich das, was ich vom Zentralverband des Deutschen Handwerks höre. Man will uns geradezu bestrafen. Dieser Verband sagt: Wenn ihr die Handwerksordnung ändert, dann werden wir nicht mehr so viele Jugendliche einstellen. - Was ist das für eine zynische Einstellung? Das kann ich nicht akzeptieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Klar sein muss aber auch Folgendes: Bis Ende September, Anfang Oktober werden wir uns bemühen, Dinge in Bewegung zu setzen. Wenn nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, dann werden wir uns auch an dieser Stelle melden, auch mit gesetzgeberischen Vorschlägen. Diese Vorschläge sollten möglichst im Einklang mit den Unternehmen, mit den Kammern und mit den Branchen entwickelt werden. Fest steht: Wir werden dann Vorschläge machen.

   Dazu, dass von Frau Merkel und auch aus der FDP immer wieder der Hinweis kommt, man dürfe mit den Unternehmen so nicht umgehen, sage ich: Ja, das ist klar. Zuallererst müssen wir allerdings die Interessen der Mädchen und der Jungen berücksichtigen, die mit 16 oder mit 17 die Schule verlassen. Es darf nicht so sein, dass man sie zur Seite nimmt, um ihnen zu sagen: Du hast zwar auf der Schule gelernt; aber es gibt leider keinen Ausbildungsplatz für dich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir vertreten in erster Linie deren Interessen. Das hat Vorrang.

   Mit dem Haushaltsgesetz 2004 und mit den Gesetzen zur Agenda 2010 wollen wir erreichen, dass alle Kinder gleiche Bildungschancen haben. Der Bund wird den Kommunen in dieser Legislaturperiode - freiwillig - 8,5 Milliarden Euro für die Verbesserung des Ganztagsangebots für die Betreuung von unter Dreijährigen und von Kindern in Grundschulen zukommen lassen. 8,5 Milliarden Euro, das ist eine stolze Zahl. Es liegt vielleicht an uns, dass wir darüber nicht genug sprechen und bewusst machen, worum es dabei eigentlich geht. Es geht dabei nicht um Klein-Klein, sondern darum, dass wir den Kommunen bei der Bewältigung einer riesigen Aufgabe, vor der wir stehen, Hilfestellung geben. Wenn immer mehr Eltern tagsüber keine Zeit haben, ihre Kinder zu betreuen, dann ist es umso wichtiger, dass diese Kinder die Chance haben, in Ganztagseinrichtungen zu gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Nicht alle Eltern werden das wollen. Es wird Situationen geben, in denen diese Betreuung nicht möglich ist. Wir haben uns vorgenommen, in diesem Jahrzehnt dafür sorgen, dass alle unter Dreijährigen und alle Grundschüler, deren Eltern das wollen, die Chance haben, eine Ganztagsbetreuungseinrichtung zu besuchen. Wir werden dieses Vorhaben nicht in dieser Legislaturperiode allein umsetzen können. Wir wollen es in diesem Jahrzehnt schaffen. Die Umsetzung dieses Vorhabens wäre eine große gesellschaftliche Innovation.

Dies ist eine Idee, die im Hinblick auf die Bildungschancen der Kinder großartig ist und die auch für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unendlich wichtig ist. Dabei geht es um eine große politische Vision.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn man nicht aufpasst, dann geht das im Klein-Klein des Alltags unter. Man sitzt in Runden beieinander - Bund, Länder und Gemeinden - und hat nach einer halben Stunde den Eindruck: Es geht nur noch um die Frage, wer eigentlich wem welches Geld aus der Tasche ziehen kann und wer eigentlich wo Zuständigkeiten hat. Ich will dieses Beispiel mit den Bildungschancen für die Kinder zum Anlass nehmen, noch einmal zu sagen: Wir müssen darüber sprechen und müssen Entscheidungen treffen, damit wir in den Anstrengungen im Hinblick auf die gesellschaftspolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, in der Vielfalt und in der Komplexität sowie in den Verpflichtungen unserer föderalen Ebenen nicht aufgehalten werden. Die großen politischen Ideen müssen durch alle föderalen Ebenen hindurch getragen werden können. Daran müssen wir arbeiten. Da müssen wir in Deutschland besser werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen mit dem, was wir tun, dafür sorgen, dass die 50-, 55- und 60-jährigen Arbeitnehmer nicht mehr abgeschoben werden. Das Abschieben entspricht einer Mentalität, die sich in den 90er-Jahren ausgebreitet hat. Wir haben da nicht immer klug gehandelt, Sie von der Opposition auch nicht; vielleicht sollten Sie das einmal zugeben. Die Ideen, die es da gab - ganz lange Arbeitslosengeld zahlen und mit kleinen Sozialplänen die Menschen mit 60 in die Frühverrentung schicken -, sind von Ihnen gekommen. Es war damals nur eine Organisation, die dagegen protestiert und sogar geklagt hat. Das war meine IG Metall. So verkehren sich die Fronten auf der Strecke. Die IG Metall hat richtigerweise gesagt: Mit dem, was ihr da macht, sorgt ihr dafür, dass mit Beiträgen aus der Arbeitslosenversicherung die Personalpolitik der großen Unternehmen unterstützt wird. - So ist das passiert.

   Das Endergebnis ist, dass heute in Deutschland die Mentalität vorherrscht: Die, die über 50 sind, können für die Arbeit nicht mehr gebraucht werden. - Die, die über 55 sind, überlegen sich, wie man am schnellsten raus kann. Das geht nicht.

   Bei allem, was wir zu Arbeitsmarkt und Rente zu diskutieren haben, müssen wir sehen: Die Frage ist nicht, wann und wie man die Altersgrenze auf über 65 anheben kann, sondern die Frage ist, wie man und wann man mit welchen Instrumenten dafür sorgt, dass die Leute nicht mehr mit 55 mit einem Sozialplan nach Hause und mit 60 in die vorgezogene Rente geschickt werden. Da liegt der Hase im Pfeffer. Da müssen wir ran. Da müssen wir für Veränderung sorgen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Diese 55- und 60-Jährigen sind übrigens die deutsche Facharbeiterschaft, die „Made in Germany“ geschaffen und dafür gesorgt hat, dass Deutschland unter diesem Markenzeichen einen guten Namen in der Welt bekommen hat. Die laufen nicht mehr so schnell wie die 25-Jährigen, aber sie haben Wissen, Erfahrung und Können und werden weiß Gott noch gebraucht. Es ist ein großer Fehler gewesen, dass wir in dieser Gesellschaft in den letzten Jahren diesen Weg gegangen sind.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr! Endlich stimmt mal was!)

   Wir wollen, dass der Solidarpakt Ost steht. Bei alldem, was wir über den Haushalt und über die Frage, wie man ihn in Zukunft noch knapper schneiden kann, zu diskutieren haben, muss unter uns eines klar sein - darüber ist aus verschiedenen Anlässen schon gesprochen worden; bei uns ist das klar -: Wir werden an der vereinbarten Regelung zum Solidarpakt nichts verändern. Das heißt, die Länder im Osten der Bundesrepublik Deutschland und die Gemeinden dort können verbindlich damit rechnen, dass bis tief ins nächste Jahrzehnt hinein die Solidarität in dieser Gesellschaft gilt. Es ist wichtig, dass man das einmal feststellt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen erreichen, dass Arbeitnehmer und Unternehmer ihre Interessen auch zukünftig wirkungsvoll organisieren können. Unsere Gesellschaft hat in der alten Bundesrepublik und auch in den vergangenen 13 Jahren gut damit gelebt, glauben wir, dass sich auf der Arbeitgeber- und auf der Arbeitnehmerseite an Tischen Leute gegenübersitzen, die was im Kreuz haben, und Dinge aushandeln, die für ihr Unternehmen, für ihre Branche, für ihre Region und für das ganze Land wichtig sind. Deshalb muss bei allem, was an Flexibilität am Arbeitsmarkt möglich und nötig ist, was in vielen Branchen und in vielen Betrieben, besonders in Ostdeutschland, auch passiert, eines im Blick bleiben: Wir müssen dafür sorgen, dass bei allen Entscheidungen, die wir treffen, eines unmissverständlich klar bleibt: Arbeitnehmer und Arbeitgeber begegnen sich auf gleicher Augenhöhe. Das darf sich nicht verschieben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Letzten ist Wirtschaft - das ist nur bedingt eine Frage des Standpunktes - für die Menschen da und nicht umgekehrt. Daran werden wir uns bei all unseren zukünftigen Entscheidungen messen lassen. Es wäre eine falsche Entscheidung - davon bin ich fest überzeugt -, wenn wir in Deutschland einen Weg einschlagen würden, der die Wirtschaft total individualisiert. Eine solche Forderung höre ich ja bei der FDP immer wieder heraus. Deren Botschaft lautet: Wenn jeder für sich selbst sorgt, dann ist für alle gesorgt.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ein Quatsch!)

- Das ist Quatsch. Das sehen Sie völlig richtig. Aber dann lassen Sie solche Sprüche auch sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen erreichen, dass dieses Land wieder fähiger wird, technische Innovationen zu entwickeln, sie in Arbeitsplätze umzumünzen und damit die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern. Auch das ist im Übrigen Gegenstand der Agenda 2010. Dass darüber nicht gesprochen wird, liegt an uns, aber auch an anderen. Der Bundeskanzler hat nämlich in der Agenda 2010 klargestellt, dass der Zuschlag für die Großforschungseinrichtungen ab 2004 weiter erhöht wird und die Frage, wie wir uns in Deutschland zu technologischen und auch gesellschaftlichen Innovationen stellen, eine Grundfrage in Bezug auf die Sicherung der Zukunftsfähigkeit unseres Landes ist. Hier müssen wir aufholen.

   Ich habe es schon woanders gesagt, möchte es hier aber noch einmal wiederholen, da ich es an diesem Pult noch nicht gesagt habe: Die schlimmste Botschaft der letzten Jahre lautete doch, dass seit dem Jahr 2001 mehr Hochtechnologie nach Deutschland eingeführt als ausgeführt wurde. Sie können natürlich jetzt sagen - auf diesen Einfall kommen Sie bestimmt -, dass wir da regiert haben. Aber wir müssen wohl nicht lange darüber streiten, dass diese Entwicklung schon in den 90er-Jahren einsetzte. Damals ist zu wenig in diesem Bereich investiert worden. Wir haben also alles zusammengekratzt und der Bildungs-, Forschungs- und Wissenschaftsministerin in der letzten Legislaturperiode 25 Prozent mehr zur Verfügung gestellt. Dieser Weg wird fortgesetzt. Das hat der Kanzler heute hier unterstrichen. Auch ich will für die Fraktion ausdrücklich noch einmal feststellen: Wer über Altersversorgung und Zukunftssicherung des Landes spricht, der muss wissen, dass wir einen Teil dessen, was wir heute erwirtschaften, in die Köpfe und in die Herzen der Jungen investieren müssen: in Ausbildung, in Bildung, in Forschung und Technologie, in neue Unternehmen. Damit sichern wir die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Franz Müntefering (SPD):

Ich möchte den Gedanken zunächst zu Ende bringen. Danach gerne, Herr Kollege.

   Wenn wir in den nächsten Wochen und Monaten über Rente, über Nachhaltigkeitsfaktor und Generationengerechtigkeit sprechen, dann muss uns klar sein - das müssen wir auch in der Debatte nach außen vermitteln -, dass nicht so wichtig ist, ob in dem Gesetz von 67 Prozent, 60 Prozent oder 50 Prozent die Rede ist, sondern wichtiger ist die Antwort auf die Frage: 67 Prozent bzw. 60 Prozent von was? Wenn im Jahre 2020 bzw. 2030 in Deutschland das gleiche Wohlstandsniveau wie heute vorherrscht - wir sind nicht zu reich, aber wir sind wohlhabender als vor 20 oder 50 Jahren; das wissen wir alle miteinander -, dann werden die Alten und die Jungen in Wohlstand leben können und wir müssen nur über die gerechte Verteilung streiten. Wenn es aber anders käme, dann hätten sowohl die Alten wie die Jungen weniger. Das muss man wissen, aber das hat sich in der politischen Diskussion noch nicht durchgesetzt. Wer die Substanz des Sozialstaates erhalten will, wer soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau will, der muss dafür sorgen, dass es bei diesem hohen Niveau bleibt. Das heißt, Wohlstandssicherung muss durch Investitionen in Bildung, in Qualifizierung und durch technologische und gesellschaftliche Innovationen erarbeitet werden. Daran werden wir in dieser Legislaturperiode arbeiten müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU)

- Ihre munteren Hinweise deuten darauf hin, dass wir darüber sprechen können.

   Herr Hinsken, wenn Sie jetzt noch eine Zwischenfrage stellen möchten, lasse ich sie gerne zu.

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Werter Herr Müntefering, es passt vielleicht jetzt sogar noch besser, als es vor fünf Minuten gepasst hätte. Sie haben ja für Ihre Fraktion eine richtungsweisende Rede gehalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe aufmerksam zugehört, auch wenn ich nicht alle Ihre Ansichten teile.

   Meine Frage an Sie lautet nun: Haben Sie deshalb die Außenpolitik ausgeklammert, weil es der Vizekanzler und Bundesaußenminister vorzieht, über eine Stunde im Restaurant zu sitzen, statt dem Führer der größten Fraktion zuzuhören, um mitzubekommen, welche Vorstellungen Sie haben?

(Widerspruch bei der SPD)

Franz Müntefering (SPD):

Darüber machen Sie sich mal keine Sorgen. Wir sitzen so oft beieinander und sprechen so oft miteinander, dass er alles, was ich hier gesagt habe, schon weiß. Da können Sie ganz sicher sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist beim Kanzler nicht der Fall, oder? - Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Deswegen sitzt der Kanzler jetzt hier!)

Mich hat nur erschreckt, dass Sie mich „Führer“ genannt haben. Das ist für mich ein schwieriges Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will abschließend noch kurz ein Kapitel ansprechen, das man in der Politik ernst nehmen muss. Man muss nicht nur gute Politik machen, sondern man muss auch verstehen, sie zu vermitteln. Dabei gibt es Schwierigkeiten, weil in einer Situation, in der es acht Gesetzentwürfe gibt, zwei weitere Gesetze vorbereitet werden und über das Haushaltsgesetz diskutiert wird, in der Öffentlichkeit nicht immer unterschieden wird und auch nicht unterschieden werden kann: Ist das jetzt eine Idee? Ist es ein Vor-Vorschlag? Ist es ein Vorschlag? Ist es ein Entwurf? Ist es ein Referentenentwurf? Ist es ein Beschluss? Ist es ein Gesetz?

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das wissen Sie manchmal selber nicht!)

Oft steht etwas in großen Buchstaben auf Seite 1 einer großen Zeitung und die Menschen glauben, das sei schon beschlossen, obwohl es möglicherweise dann noch anders kommt.

   Ich finde, dass man mit der Situation offen umgehen muss. Es stellt sich die Frage, ob man versucht, alles heimlich, still und leise vorzubereiten, oder ob man eine öffentliche und offene Debatte führt. Ich kann mir nur vorstellen, dass man die Debatte offen führt. Ich finde, es gereicht der Koalition sowie meiner Partei und meiner Fraktion zur Ehre, dass wir in der Lage sind, solche Diskussionen offen zu führen mit der klaren Zielrichtung, irgendwann in der Fraktion und im Deutschen Bundestag Entscheidungen zu treffen, damit dann das gilt, was wir gemeinsam beschlossen haben. So muss das laufen und so wird es in den nächsten Monaten auch sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Man muss einfach zugeben, dass es objektiv schwierig ist, Entscheidungen zu treffen, die ökonomisch vernünftig, finanzwirtschaftlich notwendig und sozial gerecht sind. Es ist ja nicht eine Frage des guten Willens, wie das aufeinander wirkt. Einige der Gesetze, über die wir jetzt sprechen, haben viele Schnittmengen zueinander. Wir werden Ende des Jahres das Puzzle wirklich zusammenlegen und das Gesamtbild erkennbar machen können.

   Ich bin mir der Komplexität der derzeitigen Situation bewusst. Wir alle müssen zur Orientierung beitragen. Dabei stellt sich auch die Frage, was Demokratie leisten kann und leisten will. Wir müssen den Menschen deutlich machen, was wir wollen, wohin die Reise geht, aber man muss auch über Einzelheiten und Feinheiten miteinander sprechen dürfen.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Da haben Sie aber noch viel zu tun!)

   Weil Herr Hinsken eben angesprochen hat, dass er zuhört, aber möglicherweise nicht alles, was ich sage, teilt, will ich auch dazu ein offenes Wort sagen, was vielleicht ungewöhnlich ist. Manchmal wird mir gesagt: Du sagst etwas, das könnte auch von der CDU oder von der FDP sein. Ich sage dann: Das stört mich nicht. Das, was wir in diesem Haus zu leisten haben, ist nicht die Antwort auf die Frage, wer sich von wem durch was unterscheidet, sondern vielmehr die Antwort auf die Frage, was für dieses Land nötig ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben, demokratisch legitimiert, die Aufgabe, in diesem Land Politik zu machen. Das tun wir. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, ab und zu derselben Meinung sein sollten wie wir und etwas eigentlich doch ganz gut finden, dann werfen Sie Ihr Herz über die Hürde und machen Sie dabei mit. Dann bekommen wir vernünftige Gesetze, denen auch im Bundesrat zugestimmt wird.

   Frau Merkel, Sie haben von den zweiten Gründerjahren der Republik gesprochen. Ich glaube, das ist nicht ganz verkehrt, darin steckt ein Stückchen Wahrheit.

(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Eine Harmonie ist das heute!)

   Wenn das aber so ist, dann war das, was Sie heute Morgen vorgetragen haben, zu wenig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir hören ganz gespannt zu, was Sie zu den Gründerjahren, die jetzt in Deutschland vor uns liegen, zu sagen haben. Vor allen Dingen geht es darum - das fehlte in Ihrer Rede völlig -, Zuversicht zu vermitteln in die Gestaltbarkeit der Dinge und in die Zukunft, Zuversicht für die nächsten Jahre. Das ist der Kern all dessen, worauf wir uns stützen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist der Kern bei all den Problemen und bei all den Sorgen, die wir haben, auch bei all dem Streit, den wir um die richtigen Schritte an der einen oder anderen Stelle zu führen haben.

   Dieses Land Deutschland ist stark, hat tüchtige Unternehmer und tüchtige Arbeitnehmer,

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber eine schlechte Regierung!)

es hat ein gutes Bildungssystem, es hat hohe Mobilität, es hat Erfahrung, es hat auch Entwicklung. Dieses Land ist in der Lage, seinen Weg gut nach vorne zu gehen. Das werden wir tun. Dazu werden die Schritte, die wir in diesem Jahr gehen, ganz wesentlich beitragen.

   Herr Glos hat am Anfang seiner Rede auf die Entscheidung im vorigen Jahr hingewiesen. Dazu sage ich zum Schluss: Noch heute vor einem Jahr, am 10. September 2002, zwölf Tage vor der Wahl, haben mir Zeitungen, wissenschaftlich untermauert, weismachen wollen, dass wir die Bundestagswahl auf keinen Fall gewinnen könnten. Wir haben sie aber doch gewonnen. Nun ärgern Sie sich und das freut mich.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das glaube ich Ihnen sogar!)

Jedenfalls kündige ich Ihnen für das Jahr 2006 schon einmal an - auch Frau Merkel hat darauf hingewiesen; vermutlich wird sie am 11. Januar wieder irgendwo zum Frühstück eingeladen sein und etwas unterschreiben müssen -,

(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Ist dann wieder Hochwasser?)

dass dann wieder das Gleiche wie 2002 stattfinden wird. Wir wissen, dass wir bei der Aufgabe, die wir jetzt übernommen haben, nicht in jedem Augenblick Volkes Liebling sein können. Das müssen wir auf einer gewissen Strecke aushalten. Aber das, was wir beschließen und voranbringen, wird die Anerkennung der Menschen in diesem Lande finden. Da bin ich ganz zuversichtlich. Sie werden sehen, dass die Sozialdemokraten im Jahre 2006 weiterregieren werden.

   Vielen Dank und Glück auf.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Glos [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Herr Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer wieder ein schönes Zeichen parlamentarischer Gepflogenheiten, dass, wenn ein Redner aus der Opposition in einer der wichtigsten Debatten zum Schicksalsbuch der Nation ans Rednerpult tritt, nahezu die Hälfte der SPD-Abgeordneten den Raum verlässt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Oder umgekehrt bei der CDU! - Walter Schöler [SPD]: Von der FDP sind 14 Abgeordnete anwesend!)

Das gehört nicht zum guten Stil. Das sage ich gerade deshalb, Herr Kollege Müntefering, weil Sie über einige Prinzipien gesprochen haben. Ich würde darauf gerne eingehen, aber dazu ist die Zeit viel zu kurz.

   Eines möchte ich allerdings sagen, weil Sie die Wahl 2006 angesprochen haben. Hier geht es nicht darum, dass die Kollegin Merkel, die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU oder wir von der FDP Fehler gemacht hätten. Unser Vorwurf bezieht sich nicht auf menschliche Schwächen oder Fehler. Unser Vorwurf richtet sich zentral an den Bundeskanzler, der das, was er in zwei Wahlkämpfen gemacht hat, nicht durch die Bezeichnung „Fehler“ beschönigen kann; denn die Daten bezüglich struktureller Veränderungen, der Globalisierungsprozesse, des demographischen Aufbaus und der längeren Lebenserwartung waren ihm genauso bekannt wie uns. Er hat nicht die Wahrheit gesagt; das ist der Kern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Nun diskutieren wir in diesen Debatten über die Folie eines Haushalts, den Herr Peffekoven als schlechtesten Haushaltsentwurf in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet hat.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Recht hat er!)

Dieser schlechteste Entwurf ist zustande gekommen durch den stetigen Kampf der Sozialdemokraten mit der Wirklichkeit in ihrer zweiten Legislaturperiode. Sie haben nicht Fehler gemacht, sondern sie haben die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis nehmen wollen

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

und diejenigen, die die tatsächliche Lage öffentlich beschrieben haben, beschimpft.

   Als wir damals in Bonn Subventionsabbau vorgeschlagen haben, haben sich Herr Fischer und Herr Lafontaine - nach dem Modell: verhinderter Arbeiterführer - gar nicht schnell genug zu der Kundgebung der Kumpels aus dem Ruhrgebiet begeben können und diesen wider besseres Wissen in Kenntnis des Alters der Belegschaften und der Stellung der Kohle in der Zukunft Zusagen gemacht, die zulasten des Steuerzahlers gingen und unredlich waren, wie sich herausgestellt hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Herr Eichel hat davon gesprochen, man müsse jetzt wegen der Kurspflege vorsichtig Privatisierung betreiben. Einverstanden. Ich will aber daran erinnern: Als wir erwähnt haben, dass man Privatisierung haben müsse, dass man Post, Bahn und die Energiemärkte privatisieren müsse, mussten wir uns den härtesten Vorwürfen aus den Reihen der Sozialdemokraten stellen, obwohl sie auch schon wussten, dass kein Weg daran vorbeiführt. Es war kein Argument zu klein, um es nicht zu erwähnen. Das ging bis hin zu dem Vorwurf von ausgewachsenen heutigen Regierungsmitgliedern, das seien dann ja nur die Telekom-Rosinenpicker, die die Grundversorgung für die Großmutter im Bayerischen Wald nicht sicherstellen würden. Diese hatte vom Enkelkind schon längst ein Handy geschenkt bekommen, als das von Sozialdemokraten noch vorgetragen wurde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie reden über Wettbewerb. Das Folgende sage ich insbesondere in Richtung der Grünen. Sie sagen, wir seien nicht in ausreichendem Maße bereit, Wettbewerb im Gesundheitswesen herzustellen, weil wir nicht die Courage hätten, den Abschluss von Einzelverträgen mit Ärzten zu ermöglichen. Die Courage haben wir. Sie müssen nur auf Ihrer Seite die Courage haben, die gesetzliche Krankenversicherung nicht weiterhin als Monopol bestehen zu lassen;

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

denn es geht nicht an, einen Monopolanbieter hinzustellen, der mit dem Abschluss oder Nichtabschluss eines Einzelvertrages über die Zukunft des freien Berufes Arzt in Deutschland entscheidet.

   Wenn Sie die Beitragsbemessungsgrenzen zurückführen und die gesetzlichen Krankenkassen in einen Wettbewerb setzen, dann können wir über Einzelverträge reden.

   Eine Bürgerversicherung - im Übrigen ist der Posten des Vorstandsvorsitzenden einer Bürgerversicherung der sicherste Job, den die junge Generation haben kann: alle müssen hinein, die Beiträge sind nicht transparent, sie können erhöht werden und niemand kann heraus - entspricht nicht unserer Vorstellung von einem freiheitlichen und wettbewerblichen Gesundheitswesen. Da unterscheiden wir uns.

(Beifall bei der FDP)

   Es kann gern die Möglichkeit zum Abschluss von Einzelverträgen geschaffen werden. Eröffnen Sie den Wettbewerb auf der anderen Seite.

   Herr Kollege Müntefering, vielleicht können Sie einen Moment zuhören; denn ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Verwechseln Sie bitte nicht den Flächentarif mit Tarifautonomie. Das wäre eine Fehler. Tarifautonomie ist auch mit anderen Modellen als dem gegenwärtigen Flächentarif denkbar.

   Wenn Sie schon über Menschenwürde sprechen wie ich auch - da unterscheiden wir uns nicht -, dann sage ich Ihnen, dass es für die Existenz von Arbeitsplätzen in kleinen mittelständischen Betrieben in regional schwierigen Zonen ein Gesichtspunkt der Menschenwürde ist, dass, wenn zwei Drittel der Belegschaft anders wollen als die Spitze der IG Metall, ihnen das der Deutsche Bundestag auch ermöglicht. Das ist dann auch eine Notwendigkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Der Zufall, der bei der Kombination unserer Erbanlagen waltet, macht uns alle einzigartig. Wir sind unterschiedlich, auch unterschiedlich leistungsfähig. Sie müssen jetzt den demokratischen Sozialismus etwas beiseite schieben. Definieren Sie auch Solidarität neu. Die größte Solidarität ist nicht die Größe der kollektiven Sicherungssysteme in Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Die größte Solidarität, die jemand einem anderen unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde geben kann, ist seine eigene Leistungsbereitschaft, bevor er andere in Anspruch nimmt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Deshalb ist die Solidarität nichts, was wir zwischen unseren Parteien im großen Schlagabtausch diskutieren müssen. Wir wissen doch alle, dass die alten solidarischen Systeme nicht mehr tragen. Sie haben es erlebt. Sie machen doch den schmerzhaften Prozess in Ihrer Partei durch. Begeben Sie sich deshalb in eine offene Debatte über Solidarität im Strukturwandel der Gesellschaft.

   Ich sage Ihnen: Wir sind verpflichtet - auch wir als Opposition -, alles daran zu setzen, damit Deutschland wieder stärker wird, im Übrigen nicht nur aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit. Sie spüren doch, dass wir außen- und europapolitisch rasant an Gewicht verlieren. Früher hatten wir außenpolitisches Gewicht nicht wegen der Teilnahme an Konferenzen und großer Rhetorik. Von uns hat man etwas gehalten wegen der Nachkriegsleistung und des Aufbauwillens der Bevölkerung. Das hat uns international Reputation verschafft. Wenn wir das nicht ändern, dann nutzt die Teilnahme an Konferenzen nichts. Wir sind heute das Problemkind in der Eurozone. Früher wären wir Problemlöser Europas gewesen. Das hat sich komplett verschoben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Zum Abschluss: Es führt kein Weg, auch keine Erklärung von guten Absichten und keine Beschreibung von Zielen daran vorbei, dass die rot-grüne Bundesregierung diesem Parlament einen Haushalt vorgelegt hat, der schon bei der Vorlage hinten und vorne nicht stimmt, und zwar nicht in der Dimension früherer Haushaltsrisiken, die es schon immer gegeben hat, sondern in zweistelliger Milliardenhöhe. Ich muss mich also fragen: Welches Selbstverständnis muss diese Regierung haben, dass sie dem Parlament so gegenübertritt und einen solchen Haushalt vorlegt? Das entspricht nicht im Entferntesten ihrem eigenen Anspruch.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Den Haushalt müssen Sie sowieso noch korrigieren und Ihre Ziele uns in Gesetzesform vorlegen.

   Um auf die Situation der Kommunen einzugehen, Herr Minister Eichel: Sie wollen die Gewerbesteuer revitalisieren. Wir halten das für problematisch. Wir sind eher dafür, den Kommunen ein eigenes Hebesatzrecht zu geben und sie deutlicher an der Umsatzsteuer zu beteiligen. Sie könnten doch einmal Ihr Herz über die Hürde werfen und unserem Vorschlag zustimmen. Verantwortung zu zeigen heißt nicht, dass wir Ihren Vorschlägen zustimmen müssen. Wenn wir die besseren Vorschläge machen, sollten Sie denen zustimmen. Also machen Sie es!

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.

Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Merkel hat vorhin in ihrer Rede gesagt, England stünde besser da. Wissen Sie, Frau Merkel: England hatte in den 80er- und 90er-Jahren Maggie Thatcher und wir hatten Helmut Kohl. In den 90er-Jahren waren Sie doch im Kabinett. Sie standen zwar im Schatten, aber Sie hätten zum Beispiel Herrn Blüm bei seiner Volksverdummungskampagne „Die Rente ist sicher!“ stoppen können, wenn Sie damals so viel Verantwortung gezeigt hätten, wie Sie heute eingefordert haben. Das haben Sie aber nicht gemacht. Sie geben auch keinen Fehler zu und machen außerdem nicht den Eindruck, dass Sie einen Erkenntnisgewinn gehabt haben.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo ist bitte das Sachargument?)

   Ich erinnere mich sehr wohl daran, dass ein jüngerer Kollege der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Storm, erst dann die Chance bekam - nämlich im Frühjahr 1998 -, den demographischen Faktor in die Rentenversicherung einzuarbeiten und damit Herrn Blüm auf das historische Abstellgleis zu setzen, als Herr Kohl die Wahl 1998 verloren gab. Das sind Ihre Reformanstrengungen. Sie haben Reformen nur angekündigt. Dann wurden Sie sozusagen erlöst und mussten sie nie durchsetzen. Das ist die Wahrheit.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Ei verbibsch!)

   Um zu erkennen, wie schwierig es ist, Reformen politisch durchzusetzen, kann man einen aktuellen Vergleich anstellen. Frankreich wird konservativ regiert. Aber der Premierminister Raffarin kneift; er will keine strukturellen Reformen durchführen. Wir können uns noch ausführlicher darüber unterhalten, wie die Situation innerhalb der EU ist.

   Die deutsche Bundesregierung steht zu Ihrem Ziel. Sie will strukturelle Reformen durchführen und legt fast jede Woche einen neuen Gesetzesvorschlag dazu auf den Tisch. Herr Gerhardt, das Parlament hat die Möglichkeit, die Vorschläge gründlich zu beraten. Das scheint mir besser zu sein, als einen Haushaltsentwurf vorzulegen, der so verabschiedet wird, wie er zwei Monate vorher eingebracht wurde.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das tröstet mich wenig!)

Wir haben alle etwas davon, wenn sich die Parlamentarier in die entsprechenden Diskussionen verantwortlich einbringen können.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das Fundament stimmt nicht, Frau Kollegin Hermenau! Das wissen Sie besser als viele andere!)

   Wenn man sich anschaut, wo die strukturellen Probleme liegen, von denen wir immer wieder sprechen, dann wird deutlich, dass Länder mit hohen automatischen Stabilisatoren - das sind hohe Beiträge zur Krankenversicherung, Rentenversicherung und hohe Ausgaben zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit - immer dann Probleme bekommen, wenn die Konjunktur schlecht läuft.

   Es stellt sich nun heraus, dass es in den anderen Industrieländern im Falle einer schlechten Konjunktur eine Dämpfungswirkung von durchschnittlich einem Viertel gibt, wenn die automatischen Stabilisatoren voll wirken. Deutschland hingegen weist eine Dämpfung von einem Drittel auf. Umgekehrt gesagt: Nach einer 30-jährigen prozyklischen Geschichte haben wir schon seit Jahrzehnten zu hohe Beiträge zur Krankenversicherung, zur Rentenversicherung und zu hohe Ausgaben für die Finanzierung der Arbeitslosigkeit. Diese Tatsache holt uns in regelmäßigen Abständen ein. Die Folge ist eine hohe Neuverschuldung, wenn wir daran nicht arbeiten. Deswegen muss das strukturelle Defizit abgebaut werden und deswegen brauchen wir die jetzt anstehenden Strukturreformen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann versuchen, für Leute, die sich nicht jeden Tag mit diesen Fragen beschäftigen, einmal weniger ökonomisch zu argumentieren. Was hat es mit dem Strukturumbau auf sich? Ich vergleiche die Situation mit der einer Familie. Eine Familie hat zum einen monatliche Fixkosten und zum anderen hat sie Ausgaben für Dinge, die nicht unbedingt notwendig sind. Wenn auf einmal das Einkommen der Familie sinkt, dann kann man schlecht etwas an den monatlichen Fixkosten ändern. Die Miete und die Stromrechnung müssen nämlich bezahlt werden. Wenn das Familieneinkommen zurückgeht, haben sie natürlich die Möglichkeit, weniger zum Essen auszugehen oder auch den Kinobesuch zu streichen. Die Freizeitmöglichkeiten werden also eingeschränkt. Das ist die normale Verhaltensweise, wenn das Familieneinkommen sinkt.

   Wenn das monatelang so anhält, ist die Folge, dass der Missmut in der Familie steigt. Alle sind unzufrieden; keiner hat mehr richtig Lust. Dann kommt irgendwann der Punkt, dass man sich in der Familie am Küchentisch sagt: Wir müssen etwas grundsätzlich ändern. Irgendwie sind alle unzufrieden, weil wir uns mit unserem Einkommen nicht mehr all das leisten können, was wir wollen. Dann kommt die Frage auf: Müssen wir eigentlich in der großen Wohnung wohnen bleiben oder sollen wir uns eine kleinere suchen? Werden wir den Zweitwagen behalten oder schaffen wir den ab?

   Solche Vorschläge hat jetzt Rot-Grün auf den Tisch gelegt. Wir wollen nicht, dass alle Generationen in diesem Land weitere Jahre missmutig bleiben, nur weil das Bruttoinlandsprodukt nicht die Höhenflüge erreicht, wie dies zum Teil in den 80er- und 90er-Jahren der Fall war. Damit muss man sich auseinander setzen.

   Wir haben dazu Vorschläge vorgelegt. Wir haben sie übrigens nicht in rot-grünen Hinterzimmern dunkel ersonnen. Sie sind vielmehr im Erfahrungsaustausch mit unseren europäischen Kollegen und Freunden entstanden. Ich glaube, dass dies der richtige Weg ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Das Vertrauen der Kommission in Brüssel gegenüber Deutschland ist deutlich größer als das gegenüber Frankreich. Ich nehme das mit einer gewissen Befriedigung zur Kenntnis, weil es bedeutet, dass wir auf dem richtigen Weg sind, Strukturreformen durchzusetzen, egal wie schwierig es sein wird. Sie haben wieder deutlich gemacht, dass Brüssel mit seiner Einschätzung, die Opposition und die Länder in Deutschland seien das größte Strukturumbau- und Defizitbereinigungsproblem, richtig liegt. Ich kann das nachvollziehen.

   Wir werden versuchen, den Empfehlungen des Europäischen Rates zu folgen. Es ist zum Beispiel starke Kritik daran geübt worden - dies ist klar im nationalen Stabilitätsprogramm ausgewiesen worden -, dass die Schulden auch deswegen gestiegen sind, weil es im Gesundheitswesen eine große Ausgabensteigerung gab. Hier haben wir einen ersten Schritt getan, obwohl Herr Seehofer inzwischen Bodyguards beantragen muss, nachdem er die Meinung seiner Fraktion nicht eins zu eins durchgesetzt haben soll. Immerhin ist ein erster Schritt getan worden.

   Als Nächstes wird über die Frage der Bürgerversicherung zu diskutieren sein. Das können wir gerne im Detail machen; aber ein solidarisches System muss es schon sein.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist Wettbewerb!)

- Sie werden natürlich immer dann Wettbewerb haben, wenn Sie nur Gesunde, nur Fitte haben. Nur, was ist mit den armen Kranken? Herr Gerhardt, wir können das gerne ausdiskutieren. Es wird Gelegenheit geben, über die Einführung von Kopfpauschalen und über die Bürgerversicherung richtig zu streiten. Wir werden einen produktiven Weg finden müssen. Die Grünen sind sehr engagiert und sehr interessiert daran, einen vernünftigen Vorschlag zu unterbreiten.

   Ich komme auf die Frage der Länder zurück. Denn die EU-Kommission hat festgestellt, dass diese ein großes Risiko für den Abbau des strukturellen Defizits in Deutschland sind. Sie hat uns beauftragt, alle staatlichen Ebenen an einem strikteren Haushaltsvollzug zu messen. Das hat inzwischen auch Herr Koch zur Kenntnis genommen, aber eher deswegen, weil Herr Stoiber ihn zusammengepfiffen hat, und vielleicht auch deswegen, weil die Kreditwürdigkeit des Landes Hessen herabgestuft worden ist. Genannt wurden aber auch die Systeme der sozialen Sicherung. Dazu haben wir uns zu verhalten.

   Über die Länder sollten wir noch einmal sprechen. Ich komme auf mein Beispiel mit der Familie zurück: Es reicht nicht, nur in die kleinere Wohnung zu ziehen und vielleicht die Oma zu bitten, dass sie ein wenig dazugibt. Es wird vielmehr wichtig sein, dass alle in der Familie genau schauen, was die Prioritäten sind und was die wichtigsten Dinge sind, die finanziert werden müssen. Ich bin sehr dafür, dass wir uns gemeinsam entscheiden, das Studium des Nachwuchses zu finanzieren.

   Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Der Bundeskanzler sagt gern: Wir leben über unsere Verhältnisse. Alle Getreuen plappern es ihm nach. Aber keiner fragt: Wer ist eigentlich „wir“? Wer ist gemeint? Die „Bild“-Zeitung hat natürlich eine Antwort: Es ist „Florida-Rolf“, der Sozialhilfeempfänger als der Schmarotzer der Nation. Wir erlebten in diesem Sommer eine Sozialneidkampagne ohne Beispiel. Diejenigen, die wenig haben, werden gegen diejenigen ausgespielt, die noch weniger haben.

   Wenn wir, die PDS, immer wieder vorschlagen, zum Beispiel eine Vermögensteuer einzuführen, dann hört man von der rechten Seite des Hauses gern den Vorwurf, wir schürten eine Sozialneidkampagne. Doch was Herr Stoiber und Frau Merkel zusammen mit der „Bild“-Zeitung veranstalten, erinnert mich an den Film „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“. Der Arbeitslose soll sich nicht nur elend fühlen; er soll auch elend aussehen.

   Ist es nicht bezeichnend, dass „Florida-Rolf“ zum Symbol für Schmarotzertum hochgespielt wird, obwohl er gegen kein Gesetz verstoßen hat? Er hat die geltenden Gesetze genutzt, aber keine übertreten. Da frage ich mich: Warum gibt es keine Kampagne gegen Menschen, die bewusst immer wieder gegen Gesetze verstoßen? Was ist zum Beispiel mit den Bürgern, die das Gesetz übertreten und tagtäglich Steuern hinterziehen oder Geld schwarz ins Ausland schaffen? Wo sind da der Kanzler, Herr Stoiber und die „Bild“-Zeitung?

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Für diese Leute wird noch ein roter Teppich ausgerollt,

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): So ein Quatsch!)

damit sie mit ihrem Geld zurückkommen, natürlich straffrei und mit Steuernachlass. Dafür findet man so blumige Worte wie „Brücke zur Steuerehrlichkeit“.

   Nehmen wir Herrn Schoeps - ein Beispiel aus der Hauptstadt -, den langjährigen Chef der Immobilientöchter der Berliner Bankgesellschaft. Einer der Konstrukteure dieser Skandalbank sitzt übrigens - im Augenblick ist er nicht anwesend - auf den Bänken der SPD. Es ist der Parlamentarische Staatssekretär Dietmar Staffelt. Darüber sollten Sie übrigens in Ihrer Fraktion noch einmal diskutieren.

   Herr Schoeps hat Immobilien aus Großeinkäufen, die für den Fonds der Bank bestimmt waren, in sein privates Vermögen übernommen; der Wert beträgt rund 35 Millionen Euro. Herr Schoeps meint, das sei alles rechtens gewesen. Wo sind die Leute, die hier sofort die Gesetze ändern? Wo ist Herr Stoiber, der den Kanzler in seinen Forderungen um 100 Prozent übertrifft? Wo ist die „Bild“-Zeitung mit einer entsprechenden Schlagzeile?

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Wo ist die PDS?)

- Die PDS ist hier und spricht gerade zu Ihnen.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Und im Berliner Abgeordnetenhaus?)

- Im Berliner Abgeordnetenhaus ist die PDS sehr intensiv damit beschäftigt, diesen Bankenskandal aufzuklären, den wir der CDU und der SPD in Berlin zu verdanken haben. CDU und SPD haben in Berlin gemeinsam diese Bank konstruiert und wir müssen mit unserer Regierung in Berlin versuchen, diesen Scherbenhaufen aufzuräumen. Das ist schwer genug, das kann ich Ihnen versichern.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos) - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Wer ist denn da Ihr Koalitionspartner?)

   Ich habe Ihnen gerade erklärt, dass Vertreter, die diese Bank mit konstruiert haben, heute noch immer in den Reihen der Fraktion der SPD hier im Bundestag sitzen. Vielleicht erinnern Sie sich: Ich habe das schon mehrmals angesprochen. Ich werde auch nicht müde, das zu tun.

(Walter Schöler (SPD): Aber eine Bank ist vom Grundsatz her nichts Schlechtes!)

   Der Kanzler hat unter dem Diktat der „Bild“-Zeitung angekündigt, dass es bald keine Sozialhilfe mehr unter Palmen geben wird. Das hört sich gut an. Populismus kommt immer gut an. Aber wo leben wir eigentlich? Ich habe manchmal den Eindruck, dass das Haus Springer das tägliche Drehbuch für die Bundesregierung schreibt. Das ist aber nur möglich, weil die Bundesregierung kein eigenes Drehbuch hat.

   Nicht wir alle leben über unsere Verhältnisse, sondern man kann ganz konkret benennen, wer über seine Verhältnisse lebt. Ich fange einmal hier im Hause an. Herr Struck und Frau Beer - sie gehört zwar dem Hause nicht an, ist aber einer Partei sehr verbunden - leben über ihre Verhältnisse, 1,3 Milliarden Euro geben sie für Auslandseinsätze der Bundeswehr aus. Wenn es nach Frau Beer ginge, würden diese Einsätze bald noch mehr Geld kosten. Frau Beer will bekanntermaßen die Bundeswehr in den Irak schicken.

(Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch Blödsinn, das wissen Sie auch!)

Warum fragt eigentlich keiner, warum Herr Struck und Frau Beer bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr über ihre Verhältnisse leben dürfen?

   Auch Herr Eichel lebt über seine Verhältnisse. Diese Regierung ist immer schnell dabei, Steuern zu senken und Ausgaben im sozialen Bereich zu kürzen. Doch sie hat total darin versagt, ihre Einnahmen zu sichern, geschweige denn zu erhöhen. Ich erinnere nur an die Körperschaftsteuer, die Sie von rund 25 Milliarden Euro in einem Jahr auf unter null Euro gefahren haben.

   Nehmen wir Herrn Stolpe. Herr Stolpe lebte bekanntlich schon immer über seine Verhältnisse. Seine Großprojekte in Brandenburg brechen alle zusammen und nun droht auch das Großprojekt LKW-Maut zu einem Desaster zu werden. Doch ihn allein trifft nicht die Schuld; denn offensichtlich leben auch einige beauftragte Konzerne über ihre Verhältnisse. Wo ist das Geschrei darüber?

   Herr Stolpe ist nicht nur für den Verkehr zuständig, sondern auch für Ostdeutschland. Den Arbeitslosenhilfeempfängern kann man wirklich nicht vorwerfen, dass sie über ihre Verhältnisse leben. Wenn es zur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe kommt, dann betrifft das besonders viele Ostdeutsche; denn der große Teil der Arbeitslosenhilfeempfänger lebt im Osten. Das macht ungefähr einen Kaufkraftverlust - allein im Osten - von 1,6 Milliarden Euro aus. Da helfen auch keine netten Ostalgieshows und keine netten Worte von der Regierungsbank, wie wir sie gestern und heute gehört haben. Die so genannte Arbeitsmarktreform wird die Menschen härter, aber geräuschloser treffen als die Flut im letzten Jahr.

   Der Einzige, der nicht über seine Verhältnisse lebt, ist der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Müntefering. Er ist bescheiden.

Er gibt zu, dass er Marx nie gelesen hat. So war es in der „Berliner Zeitung“ nachzulesen. Ihm reicht Nächstenliebe als Programm der SPD.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Dafür würde ich ihn nicht kritisieren!)

Ich denke, Herr Müntefering, dass Sie damit schlecht für das 21. Jahrhundert ausgestattet sind. Denn wenn Sie Marx gelesen hätten, würden Sie schnell erkennen, dass diese Regierung und insbesondere Herr Clement ökonomischen Unsinn betreiben. Es ist seit Marx völlig klar, dass immer mehr Menschen durch Rationalisierung aus dem Arbeitsprozess herausgedrängt werden. Das betrifft nicht nur die Produktionsprozesse, sondern auch die Dienstleistungsprozesse. Wenn Herr Clement das wachsende Heer der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger drangsaliert und durch das Land treibt, obwohl es keine Arbeitsplätze gibt, dann zeigt das, dass auch er nichts von dem gelesen hat, worauf sich auch die Sozialdemokratische Partei gründet.

   Meine Damen und Herren von der Koalition, Ihre gesamte Politik, ob nun auf dem Gebiet der Steuern, der Gesundheit oder des Arbeitsmarktes, hat eines gemeinsam: Sie ist unsozial. Kollege Kuhn vom Bündnis 90/Die Grünen hat das im Rahmen eines Interviews in der „Berliner Zeitung“ zugegeben.

   Ihre Politik ist aber nicht nur unsozial; schlimmer ist, dass sie dabei ist, aus unserer solidarischen Gesellschaft eine Angstgesellschaft zu machen. Natürlich ist Angst eine gewaltige Triebkraft, die das Letzte aus den Menschen herausholen kann. Die Frage ist nur, ob die Menschen in unserem Land in Angst leben wollen. Ich bin mir sicher, viele wären sogar bereit, auf Reichtum zu verzichten, wenn man ihnen die tagtägliche Angst vor der Zukunft nehmen würde. Denn diese Zukunftsangst haben nicht nur Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, sie trifft auch immer mehr die Menschen aus der Mittelschicht, die um ihre Jobs fürchten. Wir als PDS wollen keine Gesellschaft, die auf Angst basiert. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine solidarische Gesellschaft gesünder, glücklicher und letztlich auch dauerhafter als diese Angstgesellschaft ist.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos) - Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schwach!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/CSU-Fraktion.

Arnold Vaatz (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat heute versucht, uns zu vermitteln, dass es ein Missverständnis sei, wenn man die Ausführungen des Finanzministers von gestern so verstehe, dass Ostdeutschland an der desolaten Haushaltslage schuld sei. Der Kanzler hat gesagt, die Bundesrepublik Deutschland habe mit der Wiedervereinigung ein Problem, das die anderen europäischen Staaten in dieser Art nicht hätten. So in etwa hat er sich ausgedrückt, wenn ich mich richtig erinnere. Das stimmt ungefähr, obwohl man, wenn man in die Geschichtsbücher sieht, feststellen muss, dass es auch in anderen europäischen Staaten wie in Italien und Polen Wiedervereinigungsprozesse gegeben hat, die sich allerdings über viele Generationen hingezogen haben.

   Wenn man das gelten lässt, dann ist aber die Frage berechtigt, was dazu geführt hat, dass die Bundesrepublik Deutschland auf die Wiedervereinigung so wenig vorbereitet war. Meines Erachtens ist es notwendig, darauf hinzuweisen, dass in den 60er- und 70er-Jahren in der damaligen Bundesrepublik Deutschland ein großer kollektiver Irrtum in Bezug auf die Überlebensfähigkeit der DDR entstanden ist. Wenn man die damaligen politischen Debatten mit Blick darauf durchliest, wer am Entstehen und an der Aufrechterhaltung dieses kollektiven Irrtums am meisten mitgewirkt hat, dann kommt man auf die deutsche Sozialdemokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit tragen Sie an den Schwierigkeiten schon von Anfang an eine große Mitverantwortung.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

   Zurück zu den Ereignissen vor der letzten Wahl. Ich habe damals auf Wahlkampftour, auf der wir sicherlich alle waren, einen Bekannten gesprochen, der unter dem Eindruck des Hochwassers und der Versprechungen der Regierung sagte, er wähle dieses Mal SPD. Seine Begründung: Die SPD habe in den letzten vier Jahren ein so großes Chaos angerichtet, dass er es sich allein schon aus Gründen der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht anders vorstellen könne, als dass sie aus ihren Fehlern gelernt habe und bei ihr der Knoten geplatzt sei. Das Hochwasser müsse quasi als Katalysator wirken, sodass sich die ganzen katastrophalen Zahlen in Ostdeutschland unter dieser Regierung höchstwahrscheinlich verbessern würden.

Nun habe ich mit diesem Mann ein Jahr später wieder geredet. Die Katastrophe ist perfekt: An seine Ausführungen von vor einem Jahr will er gar nicht mehr erinnert werden.

   Die Zahlen für Ostdeutschland sind katastrophaler denn je. Die Arbeitslosigkeit hat sich auf dem doppelten Niveau Westdeutschlands verstetigt. Die Abwanderung hat nicht abgenommen, sondern zugenommen. Die Firmeninsolvenzen nehmen zu. Inzwischen kommen sogar Insolvenzen von Familien hinzu. Die Zwangsversteigerungen häufen sich.

   Die Generaltendenz - das ist eigentlich das Schlimmste -, dass sich der Abstand zwischen Ost und West weiter vergrößert, anstelle sich zu verkleinern, hat in den letzten Jahren keine Umkehrung erfahren. Die Menschen in Ostdeutschland wissen, dass es mit der Angleichung langsam gehen wird; dass die Tendenz aber nach unten zeigt, das ist nicht hinzunehmen. Diese Entwicklung haben Sie im letzten Jahr wiederum nicht ändern können, obwohl Sie dafür meines Erachtens jede Menge Möglichkeiten hatten.

   Es gibt in Ostdeutschland nämlich sehr wohl Situationen, die man politisch nutzen könnte, weil mit ihnen eine enorme Aufbruchstimmung verbunden ist. Im Frühjahr dieses Jahres hat die Stadt Leipzig den Zuschlag als deutsche Bewerberstadt für die Olympischen Spiele 2012 erhalten.

   Wenn ich aber die Maßnahmen der Bundesregierung betrachte, mit denen sie dieser Bewerbung Nachdruck verleihen will, kommt bei mir allmählich der Gedanke auf, dass das Spiel schon verloren ist, bevor es begonnen hat. Wenn man diese Maßnahmen nämlich mit den Aktionen von Herrn Chirac in Frankreich, Herrn Blair oder Herrn Aznar vergleicht, die vieles dafür tun, damit ihre jeweilige Bewerberstadt bei der internationalen Ausscheidung für den Austragungsort der Olympischen Spiele am Ende den Vorzug erhält, dann muss man feststellen, dass die Bundesregierung im Grunde nichts macht.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Fragen Sie doch einmal Herrn Tiefensee! Hören Sie doch auf mit der Jammerei! Das ist doch fürchterlich! Wenn Sie das alles nach außen tragen, dann kann das ja nicht funktionieren!)

Im Haushalt sind keine Mittel dafür vorgesehen. Auch der Bundesverkehrswegeplan sieht keinerlei Infrastrukturmaßnahmen vor, um Leipzig einen Vorzug zu verschaffen. Sie haben überhaupt nichts getan.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Von allen Seiten wurde ein Angebot unterbreitet. Wir wollen überhaupt keinen politischen Streit über diese Frage.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach nein! Erst erzeugen Sie den Streit und dann wollen Sie ihn nicht! Was denn nun?)

Wir wollen bei Ihnen nur ein Minimum an Bewegung sehen, ein Zeichen, dass Sie an dieser Sache tatsächlich interessiert sind. Dieses Zeichen steht seit einiger Zeit aus. Das muss ich Ihnen einmal sagen.

(Walter Schöler [SPD]: Deswegen sitzen wir doch hier! Dass wir während Ihrer Rede hier sitzen, ist ein deutliches Zeichen!)

   Sie haben den 50. Jahrestag des 17. Juni in diesem Jahr verstreichen lassen, ohne ein weiteres Zeichen nach Ostdeutschland zu geben. Sie hätten das Zeichen geben können, dass Sie das Unrecht, das Menschen länger als eine Generation lang angetan wurde, in irgendeiner Weise von Staats wegen zur Kenntnis nehmen. Sie hätten den Opfern eine gewisse Anerkennung zuteil werden lassen können.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was haben Sie denn bis 98 gemacht? Nichts!)

   Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, ja!)

Diesen Gesetzentwurf hätten wir gemeinsam beschließen können. Sie haben das nicht getan.

   Der Herr Bundespräsident hat gesagt, dass viele der Menschen, die damals Nachteile hätten erleiden müssen, erwartet hätten, nach der deutschen Einheit eine Entschädigung zu bekommen. Sie haben sie aber nicht bekommen. Dasselbe hat der Herr Bundesratspräsident gesagt. Auch der Bundestagspräsident hat sich ähnlich ausgedrückt. Die einzige, die in dieser Frage nicht handelt, ist die Bundesregierung. Sie haben uns auf Ihrer Seite, wenn Sie auf diesem Gebiet etwas machen wollen. Wir können das gemeinsam tun. Sie tun es aber nicht.

   Die Tatsache, dass Sie keine Zeichen nach Ostdeutschland schicken, trübt den Optimismus dort noch wesentlich weiter ein. Mittlerweile befinden wir uns an einem Punkt, an dem wir zahlreiche Ideen, um den Arbeitsmarkt in Ostdeutschland in Gang zu bringen, als Luftblasen identifizieren können: Es ging los mit den Bündnissen für Arbeit, die nichts wurden; dann kam das Job-AQTIV-Gesetz, das nichts wurde; dann kamen die Personal-Service-Agenturen, die im Grunde Menschen schneller zwischen nicht vorhandenen Arbeitsplätzen hin und her vermitteln sollten; schließlich hatte man die Idee für das Programm „Kapital für Arbeit“, wobei hoch verschuldeten Unternehmen weitere Kredite angeboten wurden. Sie haben Konzepte für Ostdeutschland vorgeschlagen, die ganz offensichtlich nicht funktionieren konnten.

   Es ist selbstverständlich, dass sich die Menschen bei uns im Osten allmählich auf den Arm genommen und von dieser Regierung in keiner Weise ernst genommen und vertreten fühlen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch unglaublich! Nehmen Sie den Solidarpakt II!)

   Damit Sie das einmal aus Ihren eigenen Reihen hören, sage ich Ihnen, wie der Kollege Hilsberg heute in der „Freien Presse“ zitiert wird:

Nach Einschätzung des ostdeutschen SPD-Politikers Hilsberg werden die Probleme in den neuen Ländern nicht mehr ernst genommen. So habe sich die Bundesregierung inzwischen damit abgefunden, dass die Arbeitslosigkeit im Osten doppelt so hoch sei wie im Westen.

   Sie sind im Augenblick dabei, die Arbeitslosigkeit dadurch weiter zu erhöhen, dass Sie durch das Mindestlohngesetz die Mindestlöhne im Baubereich festlegen wollen. Das würde nach Auffassung der Spitzenverbände weitere 50 000 Arbeitslose zur Folge haben. Angesichts einer solchen Regierung kann ich verstehen, dass sich viele Ostdeutsche in die Nostalgiewelle flüchten und sagen, dass sie von diesen Leuten wohl nichts mehr erwarten können.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD])

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Steffen Kampeter.

Steffen Kampeter (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Müntefering hat sich vorhin dagegen verwahrt, dass die Sozialdemokratische Partei für das SED-Unrecht in Anspruch genommen wird. Das hat hier kein Redner aus dem Bereich der CDU/CSU auch nur versucht. Herr Kollege Müntefering, Sie müssen sich aber schon daran erinnern lassen, dass es keine relevante politische Organisation in der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat, die so sehr die Nähe des SED-Regimes gesucht hat wie die Sozialdemokratische Partei Deutschlands.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Quatsch!)

Ich erinnere insbesondere an die Geraer Forderungen nach der doppelten deutschen Staatsangehörigkeit.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie können ja noch was draufsetzen! Typisch Kampeter!)

   Herr Müntefering, Sie waren - ähnlich wie der amtierende Bundespräsident - zu dieser Zeit leitend in der deutschen Sozialdemokratie tätig.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sprechen Sie jetzt gerade auch für Frau Merkel?)

Sie haben noch wenige Monate vor dem Fall der Mauer mit Einheitspapieren deutlich gemacht, dass Sie im Herzen Ihrer linken Seele mehr für die deutsche Teilung als für die deutsche Einheit eintreten.

(Beifall bei der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unverschämt ist das! Aber das ist typisch Kampeter!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haushalt 2004 ist eigentlich nicht das Papier wert, auf dem er dem Parlament vorgelegt worden ist. Wesentliche Grundlagen, das Fundament dessen, was uns der Finanzminister heute auch im Kanzleramtsetat vorgelegt hat, stimmen nicht. Es ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, dass die Wachstumsprognose viel zu optimistisch ist. Auch die Annahme der Bundesregierung, dass wir im nächsten Jahr durchschnittlich 4,4 Millionen Arbeitslose haben werden, ist nach Auffassung aller Wirtschaftsforschungsinstitute fatal.

   Der Kollege Glos und ich sind deswegen der Auffassung, dass es das Anständigste wäre, überhaupt keinen Cent für den Kanzleramtsetat auszugeben. Das wäre die gerechteste und vernünftigste Lösung bei einer solch falschen Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   In dieser Debatte ist bereits verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt kein reiner Stabilitätspakt sei; das ist richtig. Die Akzentverschiebung, die damit einhergeht, dass der Bundeskanzler heute hier erklärt hat, dass man ein bisschen weniger Stabilität und dafür mehr Wachstum haben möchte, halte ich aber wirtschaftspolitisch für ausgesprochen gefährlich.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist eine sehr merkwürdige Auslegung der Rede des Bundeskanzlers!)

Man darf die Stabilität nicht gegen das Wirtschaftswachstum ausspielen. Ohne Stabilität wird es kein dauerhaftes Wirtschaftswachstum in der Eurozone geben. Wie gesagt: Der Bundeskanzler hat hier und heute formuliert, dass er ein bisschen weniger Stabilität für ein bisschen mehr Wachstum haben möchte. Ich glaube, dann würden wir beides erhalten: weniger Stabilität und weniger Wachstum für Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Komm jetzt mal zu deinen Vorschlägen! Genug gejammert!)

   Die Sozialdemokraten fordern in diesem Zusammenhang eine Wachstumsinitiative. Ich glaube, darüber werden wir alle hier vortrefflich streiten. Das scheint mir aber ein Synonym für zusätzliche schulden- und defizitfinanzierte Aktionsprogramme zu sein, die auch dadurch nicht besser oder wirksamer werden, dass sie jetzt gesamteuropäisch initiiert werden. Eine solche Politik hat bereits in den 70er-Jahren einen Fehlschlag erlitten. Sie kostet die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland zumeist mehr, als sie ihnen nützt. Deswegen werden wir einen solchen defizitfinanzierten Aktionismus ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es muss vielmehr darum gehen, dass wir die verschütteten Quellen des Wirtschaftswachstums durch Strukturreformen wieder freilegen. Ich weise beispielsweise darauf hin, dass insbesondere die Strukturreformen für neue Technologien in der Bundesrepublik Deutschland bei einer niedrigen Regelungsdichte ansetzen müssen. Ich weise darauf hin, dass Strukturreformen bei eigenverantwortlich gestalteten Sozialsystemen ansetzen müssen, die Wirtschaftswachstum ermöglichen. Zudem weise ich darauf hin, dass die Strukturreformen bei einer sinkenden Staatsquote ansetzen müssen, wobei Privatisierung als ordnungspolitische Aufgabe und nicht so sehr vor dem Hintergrund fiskalischer Zwänge zu sehen ist.

   In diesem Zusammenhang wird auch heute gelegentlich über das Vorziehen der vierten Stufe der Steuerreform streitig diskutiert. Jeder, der sich ein bisschen mit Haushaltspolitik beschäftigt, weiß, dass Schulden die Steuern von morgen sind. Die Bürgerinnen und Bürger wissen: Wenn heute viele Schulden gemacht werden, werden morgen die Steuern erhöht. Deswegen ist es wirtschaftspolitisch geradezu verwegen, dass der Bundesfinanzminister im Jahr 2003, für das er bereits eine Rekordverschuldung zu verantworten hat, vorgeschlagen hat, die vierte Stufe der Steuerreform auf das Jahr 2004 vorzuziehen und dies ausschließlich über Schulden zu finanzieren. So steht es zumindest im gegenwärtigen Haushaltsentwurf. Eine Steuersenkung durch Schulden zu finanzieren ist wirtschaftspolitisch unsolide. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass das ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft ist.

(Beifall bei der CDU/CSU - Hans Eichel, Bundesminister: Seit wann wissen sie das?)

   Jetzt höre ich, dass man zur Verringerung der Schulden mehr privatisieren will. Herr Eichel, das große Privatisierungsvermögen von Post und Telekom haben Sie bereits ausgegeben. Wir haben hier im Deutschen Bundestag beschlossen, dass wir dieses Geld für die Alters- und Versorgungslasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Unternehmen Post und Telekom verwenden. Nach dem gegenwärtigen Stand reicht das Kapital dafür nicht einmal aus. Jetzt also wollen Sie zum zweiten Mal Post- und Telekomaktien aus Ihrem Bestand ausgeben. Das ist unsolide und wirtschaftspolitisch verwegen. Die Menschen in Deutschland werden das nicht goutieren.

   Der Haushalt 2004 enthält auch einige Forderungen im Zusammenhang mit dem Subventionsabbau. Wir werden uns einem soliden Vorschlag zum Subventionsabbau im Zusammenhang mit der Steuerreform nicht verschließen; das ist selbstverständlich. In der Debatte ist deutlich gemacht worden, dass Blockade und Union zwei Dinge sind, die einander ausschließen.

(Walter Schöler [SPD]: Sie sollen Vorschläge machen!)

Aber ich will auf eine der zwei größten Steuersubventionierungen hinweisen, die in Ihrem Subventionsbericht enthalten sind, nämlich die Ausnahmetatbestände bei der Ökosteuer.

   Wenn Sie unter Subventionsabbau verstehen, die Ökosteuer weiter drastisch zu erhöhen, insbesondere in den energieintensiven Bereichen, dann werden Sie selbstverständlich nicht auf die Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stoßen; denn hier wird eine Steuererhöhung unter dem Titel Subventionsabbau verkauft. Wir wollen den Standort Deutschland durch niedrigere Steuer- und Abgabensätze stärken und nicht die energie- und technologieintensiven Branchen vertreiben, indem hier noch weiter an der Steuerschraube gedreht wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion scheint schon zu Beginn der Haushaltsberatungen klar zu sein, dass das, was Herr Eichel hier vorzulegen wagt, nicht beratungsreif ist.

(Franz Müntefering [SPD]: Ihnen scheint zu viel!)

Wir raten Ihnen: Machen Sie erst einmal Ihre Arbeit und bringen Sie dann einen soliden und anständigen Etat in dieses Haus ein! Erledigen Sie Ihre Gesetzgebungsarbeit, die Grundlage Ihres Etats ist.

(Lachen des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD])

Legen Sie dann dem Parlament einen Etat vor, der zumindest den Grundanforderungen von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit entspricht!

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind ein Ignorant!)

   Sie haben uns für 2003 noch einen Nachtragsetat vorzulegen. Ersparen Sie uns, dass Sie jedes Jahr nach dem ordentlichen Etat zum Jahresende noch einmal einen Nachtragsetat vorlegen müssen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie fordern ihn doch ständig! Was wollen Sie denn eigentlich?)

Ein Nachtragsetat ist das Schädlichste, was es im Bereich der Konsolidierung geben kann. Wenn Sie am Ende eines Jahres einen Nachtragsetat vorlegen, können Sie bei den Ausgaben überhaupt nichts mehr einsparen. Sie erhöhen vielmehr ausschließlich die Schulden. Diese Politik führt in die Irre. Damit werden Sie bei der CDU/CSU keine Zustimmung finden. Wir wollen eine solide Haushaltspolitik und fordern die neue Vorlage Ihres Entwurfes für 2004.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Erika Lotz.

Erika Lotz (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Vaatz, ich habe mich bei Ihrer Rede gefragt, warum Sie all Ihre Forderungen nicht umgesetzt haben, als Sie noch die Regierung gestellt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich fand Ihre Rede vor dem Hintergrund der Wirkung des Solidarpakts II nicht angemessen. Sie ist auch hinsichtlich des Ausgleichs bei den Sozialversicherungssystemen nicht angemessen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nun hat die Opposition heute hier herbe Kritik geäußert. Das war nicht anders zu erwarten. Uns und sicherlich auch der Öffentlichkeit ist aber aufgefallen, dass die Alternativen dünn gesät waren. Auch das war nicht anders zu erwarten. Das ist die Wahrheit.

   Bundeskanzler Schröder hat zu unserer Politik heute geäußert: Wir tun dies alles, damit diejenigen, die nach uns kommen, eine Chance haben; wir tun dies alles, damit diejenigen, die nach uns kommen, auch eine gute Zukunft haben.

   Ja, wir haben eine große Aufgabe, auch im sozialen Bereich. Wir haben Veränderungen mit dem Ziel angepackt, Lohnnebenkosten zu senken, um Voraussetzungen für die Entstehung von mehr Arbeitsplätzen zu schaffen. Das ist nicht einfach. Der Opposition müsste das auch noch in guter Erinnerung sein. Sie haben es doch zum Beispiel fertig gebracht, von 1994 bis 1998 den Rentenversicherungsbeitrag von 19,2 Prozent auf 20,3 Prozent steigen zu lassen. Eine Mehrwertsteuererhöhung von 1 Prozent für die Rente kam damals noch hinzu.

   Gestern haben wir nun das Gesundheitsmodernisierungsgesetz auf die Schiene gesetzt. Wir erreichen damit mehr Qualität, Patientensouveränität, Strukturverbesserungen, den Abbau von Fehl-, Über- und Unterversorgung und wir haben dabei die Prämisse, die Lohnnebenkosten zu senken. Das Ganze ist ein Kompromiss. Jeder hat noch Wünsche; für jeden bleiben Wünsche offen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Leistungsanbieter stärker einbezogen werden. Auf der anderen Seite passt der CDU/CSU beispielsweise das Institut für Qualitätssicherung nicht.

   Wir, auch ich, müssen dabei Kröten schlucken: beim Krankengeld und beim Zahnersatz. Dies zu beschließen fällt schwer; aber es ist wichtig, dass die Maßnahmen in einem solidarischen Rahmen bleiben. Wichtig ist, dass es eine Überforderungsklausel gibt. So beträgt der Eigenanteil der Patienten nicht mehr als maximal 2 Prozent des Bruttoeinkommens. Es wird berücksichtigt, wenn Kinder in der Familie sind und wenn ein Ehegatte nicht erwerbstätig ist und deshalb keine Einnahmen hat. Für chronisch Kranke gilt ein maximaler Eigenanteil von 1 Prozent.

   Was wäre denn die Alternative? Die Alternative wären höhere Beiträge mit all den Folgen für die Arbeitsplätze. Wir werden dieses Gesetz gemeinsam verabschieden müssen, damit mehr Arbeitsplätze entstehen und sich damit auch die Einnahmen der Sozialversicherung verbessern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich erachte es im Sinne von Gerechtigkeit und Solidarität für wichtig, dass das Ganze wirkungsgleich umgesetzt wird, auch für Abgeordnete, für Minister und für Beamte. Dieses werden wir auf die Schiene bringen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben bei der Arbeitsmarktpolitik neue Wege eingeschlagen: Hartz-Gesetz I und II, dem folgend die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Beides sind steuerfinanzierte Systeme. Vorausgegangen sind Modelle wie MoZArT. Ich habe in Arbeitsämtern, in denen diese Modellversuche liefen, Gespräche geführt. Mir wurde gesagt, dass Sozialhilfeempfänger geäußert hätten, dass sich endlich einmal jemand richtig um sie kümmere. Das ist wichtig. Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass Menschen aus der Sozialhilfe herauskommen und existenzsichernde Arbeit haben. Das ist das Ziel und das werden wir auch erreichen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Glos hat genau dieses Projekt heute Morgen bemäkelt. Ich stelle mir wirklich die Frage, warum es nicht früher angepackt wurde, wenn man dazu Gedanken hatte. Ich denke, man kommt erst hinter das eine oder andere, wenn man auf den Oppositionsbänken sitzt.

   Demographische Veränderungen machen ein Umdenken notwendig. Ich halte es auch für nötig, dass sich in der Gesellschaft, in erster Linie aber in den Personalabteilungen der Unternehmen die Einstellung zum Alter ändert. In 60 Prozent der Unternehmen wird niemand mehr über 50 Jahre beschäftigt. Es sind doch gerade die Unternehmer, die die hohen Lohnnebenkosten beklagen. Sie haben aber sehr viel zu dem Anstieg der Frühverrentung beigetragen und damit auch die Misere der Sozialkassen mit verursacht. Deshalb müssen auch sie sich der Verantwortung stellen und ihre Mentalität ändern.

   Als frisch gebackene 60-Jährige stelle ich fest: Mit 60 ist man für die Parkbank zu schade. Denn man kann noch sehr viel bewegen - in der Politik, aber vor allen Dingen auch in den Unternehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Unsere Gesellschaft wird älter. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten bleibt konstant. Auch hierbei muss sich etwas bewegen. Wir stellen uns unserer Verantwortung bei der Krankenversicherung und der Rentenversicherung. Mit der zusätzlich geförderten Riester-Rente haben wir bereits den Weg eingeschlagen, um den Lebensstandard im Alter zu sichern.

   Wir haben auch Verbesserungen für Mütter erreicht. Wir haben von dieser Reform erwartet, dass sie sich auch in neuen Arbeitsplätzen niederschlägt; aber dieser Faktor allein war dafür nicht entscheidend. Neue Arbeitsplätze sind nicht in dem Maße entstanden, wie wir es uns erhofft hatten. Das hat auch Auswirkungen auf die Einnahmen in der Rentenversicherung. Dabei müssen wir zudem den Doppeltrend von Geburtenlücke und Alterung berücksichtigen. Entsprechende Vorschläge, die bereits vorliegen, müssen wir beraten. Veränderungen sind notwendig. Ich denke, daran führt kein Weg vorbei.

   Ich meine aber auch, dass wir keinen Zweifel daran aufkommen lassen dürfen, dass Solidarität nach wie vor gilt, Herr Gerhardt. Solidarität heißt für mich, dass die Jungen für die Alten und Gesunde für Kranke einstehen und dass starke Schultern mehr tragen als schwache. Ich finde, eine Diskussion, in der infrage gestellt wird, dass jemand medizinisch notwendige Leistungen bekommt, weil er ein gewisses Alter erreicht hat, ist schädlich für die Gesellschaft insgesamt.

(Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig! Das hat doch nichts mit meiner Haltung zu tun!)

   Ich halte diese Diskussion für schädlich, weil dadurch bei den Alten, aber sicherlich auch bei den Jüngeren Ängste ausgelöst werden. Machen wir uns doch nichts vor: Wir alle wollen doch alt werden und würden gegebenenfalls selber einer solchen Situation ausgesetzt werden.

   Solidarität heißt aber auch, dass viele einzahlen müssen, damit diejenigen, die Hilfe bedürfen, diese auch bekommen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Veränderungen auch von der Bevölkerung getragen werden, wenn sie solidarisch und gerecht sind. Dafür sind wir der Garant. Ich lade alle dazu ein, daran mitzuwirken, dass die notwendigen Veränderungen vorgenommen werden. Diese sollten aber so erfolgen, dass die Menschen keine Angst vor Veränderungen bekommen. Denn diese Angst bedeutet wiederum ein Problem für das Wachstum, wenn sie dazu führt, dass Anschaffungen zurückgestellt werden, weil die Menschen nicht wissen, was auf sie zukommt.

   Deshalb richte ich an dieser Stelle meine Bitte an die Opposition: Schüren Sie keine Ängste! Das ist für unsere Gesellschaft und für das gesamte System nicht gut. Wir alle wissen, dass wir schwierige Aufgaben zu schultern haben. Das wird nur möglich sein, wenn es uns gelingt, den Menschen Sicherheit zu geben. Wir sollten sie nicht noch zusätzlich verunsichern.

   Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Liebe Frau Kollegin Lotz, nachdem Sie in Ihrer Rede darauf hingewiesen haben und ich in den Unterlagen gerade gesehen habe, dass Sie gestern Ihren 60. Geburtstag gefeiert haben, möchte ich Ihnen dazu noch gratulieren. Dafür ist es ja nicht zu spät.

(Beifall)

   Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Kaster.

Bernhard Kaster (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Deutschland bewegt sich“ - wieder einmal ist unser Land durch eine von unzähligen Plakat- und Anzeigenkampagnen der Bundesregierung zugeklebt worden. Was Ankündigungen von Bundeskanzler und Bundesregierung wert sind, hat in diesem Jahr die mit großem Getöse angekündigte Hauruckrede vom 14. März gezeigt.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Lang ist’SPD her und nichts ist passiert!)

Von da an bewegte sich bis zum Sommer nämlich gar nichts mehr. Zum nicht beratungsfähigen Haushalt 2004 liegen nunmehr Haushaltsbegleitgesetze vor, für deren Themen bereits sehr viel Zeit verloren ging. Aber: „Deutschland muss sich ja bewegen.“ Deshalb konnte die Bundesregierung es wieder nicht lassen, sich vor der Politik und vor den Inhalten erst einmal um die Verpackung zu kümmern. Seit August dieses Jahres hat die Regierung Deutschland mit 82 Busplakatierungen, 642 so genannten Mega-light-Plakaten und 17 435 Großflächenplakaten überzogen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Was hat es genutzt? Nichts!)

„Wieder Arbeit“, „Später eine Rente“ oder „Mehr Jobs“, das sind die plakativen Sprüche, die im drastischen Widerspruch zur Realität in Deutschland stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Sie mögen sagen, Wirtschaftspolitik sei immer auch Psychologie. Aber die besten Motivationskünstler, eine noch so gute PR-Arbeit und inszenierte Medienauftritte können keine Inhalte ersetzen. Herr Bundeskanzler, Politik kann auf Dauer nicht durch PR-Arbeit ersetzt werden. Politik gehört hier in den Bundestag, nicht auf Litfaßsäulen, in Kinos und in Anzeigen.

   2004 soll die PR-Arbeit aber noch gesteigert und auf die absolute Spitze getrieben werden. Nach dem vorliegenden Haushaltsentwurf steigen alleine die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit, die unsere Minister unmittelbar zur Verfügung haben, um 20 Prozent.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Was?)

Insgesamt gibt die Bundesregierung nächstes Jahr fast 100 Millionen Euro für Werbung aus.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Hört! Hört!)

Die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundespresseamtes sollen um 10,4 Prozent, für die des Gesundheitsministeriums um 26,5 Prozent und für die des Finanzministeriums sogar um 120,5 Prozent steigen. Das ist im letzten Fall mehr als eine Verdoppelung.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das nennen die Sparen! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Unglaublich!)

Aber damit nicht genug: Die Haushaltsansätze werden von der Bundesregierung auch noch verschleiert und auf unzählige Haushaltstitel verteilt.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die täuschen immer!)

Millionenbeträge werden zum Beispiel im Umweltministerium für Broschüren oder für so aussagekräftige Haushaltstitel wie „Kommunikative Begleitung und Evaluation wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Vorhaben“ veranschlagt.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Außer den Werbeagenturen versteht das doch keiner mehr!)

Dahinter verbirgt sich nichts anderes als eine 15 Millionen Euro teure Werbekampagne für das als Flop bezeichnete Hartz-Konzept.

   Angesichts der Veranschlagung von über 100 Millionen Euro für PR-Zwecke quer durch den Haushalt muss die Frage nach Bedeutung und Rolle des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, kurz BPA, gestellt werden.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist eine Propagandazelle!)

Die Aufgabe des BPA ist eigentlich die Koordination der Außendarstellung von Ministerien und Kanzleramt. Doch unter Leitung von Staatssekretär Bela Anda beherrschte das BPA in den vergangenen Monaten selbst die Schlagzeilen und wurde zur Mitteilung. Es gab fast keine Zeitung und Zeitschrift, die in diesem Jahr nicht über Skandale rund um oder im Bundespresseamt berichtet hat.

   Ich erinnere daran: Der Bundesrechnungshof stellte gleich mehrfach eklatante Rechtsverstöße bei Auftragsvergaben im BPA fest. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen dubioser Vorgänge um verschwundene Disketten. Immer wieder gibt es gravierende Verstöße gegen das Vergaberecht. Erst das Bundeskartellamt konnte im Frühjahr das von Staatssekretär Anda willkürlich abgebrochene Vergabeverfahren wieder in Gang setzen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist ja ein Skandal!)

   Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Ich habe inzwischen eine Loseblattsammlung angelegt, die man demnächst binden lassen könnte. Seit dem Amtsantritt von Herrn Anda herrschen beispiellose Rechtsverstöße und Chaos im Bundespresseamt.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ganz schlimm! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Rechtsbruch als Prinzip! Das ist ja unglaublich! - Petra-Evelyne Merkel (SPD): Sonst nichts zu tun?)

   Vor allen Dingen ist aber auch die Selbstversorgungsmentalität ohne Beispiel. Sie hat mittlerweile einen Wasserkopf im BPA geschaffen, mit dem kaum noch ein Ministerium mithalten kann. Im Bundespresseamt gibt es inzwischen einen Chef, einen stellvertretenden Sprecher und stellvertretenden Leiter, einen zweiten stellvertretenden Sprecher, einen Chef vom Dienst und einen stellvertretenden Chef.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Da ist doch mehr als die Hälfte überflüssig!)

Möge auch der eine oder andere Posten seine Berechtigung haben, so muss man sich doch fragen, was beispielsweise den stellvertretenden Leiter vom stellvertretenden Chef unterscheidet.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ja! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Und der Steuerzahler zahlt!)

Das ist eine Frage, die sich inzwischen auch die Mitarbeiter stellen und die bei uns die Befürchtung aufkommen lässt, nach dem stellvertretenden Leiter und dem stellvertretenden Chef könnte demnächst noch die Stelle eines stellvertretenden Bosses geschaffen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Sehr gut! Sehr gut! - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das muss dann aber eine Frau sein!)

   Eine überzogene Öffentlichkeitsarbeit darf und kann nicht die Hauptaufgabe von Bundeskanzleramt und Bundespresseamt sein. Laut Art. 65 des Grundgesetzes bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Zu dieser Verantwortung muss es gehören, bei einem seit Jahren sichtlich überforderten Finanzminister hart einzugreifen, sprich: den Finanzminister zu entlassen, weil er - bei einer Bundesverschuldung von 800 Milliarden Euro und einem gesamtstaatlichen Defizit von 1,3 Billionen Euro - mittlerweile im dritten Jahr in Folge verfassungswidrig die Verschuldung in zweistelliger Milliardenhöhe hochtreibt.

   Der Gipfel ist: Bereits der Entwurf des Haushalts für 2004 weist - das gab es in dieser Form noch nie - eine verfassungswidrige Höchstverschuldung aus.

(Beifall bei der CDU/CSU - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Unglaublich!)

Eine gesamtstaatliche Neuverschuldung aller Ebenen von 80 bis 90 Milliarden Euro in diesem Jahr ist unseren Bürgern überhaupt nicht mehr vermittelbar. Herr Bundeskanzler, angesichts dieser Verschuldung, dieses Hintreibens zum Staatsbankrott müssen wir unsere Kinder vor diesem Finanzminister schützen.

   Ich möchte eine Schlussbemerkung machen. Vor kurzem wurde die Drohung ausgesprochen, der Bundeskanzler und sein Außenminister träten 2006 noch einmal an.

(Petra-Evelyne Merkel (SPD): Gut so! - Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wie gut!)

Ich will in diesem Zusammenhang auf die Kinderseiten der Homepage des Bundeskanzlers verweisen, die den Titel „Kanzler für Kids“ tragen. Dort wird für die Kinder in unserem Land erklärt:

Der Kanzler ist ein Repräsentant. Deshalb ist es ganz gut, dass ein Bundeskanzler nicht sein ganzes Leben Bundeskanzler ist, sondern nur ein paar Jahre.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist gut! - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Fünf Jahre waren schon zu viel!)

Herr Bundeskanzler, ein paar Jahre sind 2006 mit Sicherheit vorbei. Was man den Kindern verspricht, das sollte man auch halten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Peter Hintze (CDU/CSU): Sehr gut geredet!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

   Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Das Wort hat zunächst Herr Bundesminister Joschka Fischer.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 59. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, den 11. September 2003,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15059
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion