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15. Wahlperiode
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   63. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Zunächst möchte ich der Kollegin Ilse Falk im Namen des Hauses nachträglich zu ihrem am vergangenen Sonntag begangenen 60. Geburtstag herzlich gratulieren.

   Sodann teilt die Fraktion der CDU/CSU mit, dass für den ausgeschiedenen Kollegen Paul Breuer nunmehr der Kollege Martin Hohmann stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Hohmann als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss bestimmt.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte erweitert werden:

1. Vereinbarte Debatte zur aktuellen Lage im Irak

2. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 24)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Ulrich Petzold, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Vorsorgender Hochwasserschutz im Binnenland

- Drucksache 15/1561 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gleiche Nachweispflichten für Apotheken und Tierärzte bei der Abgabe von Tierarzneimitteln

- Drucksache 15/1568 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Haltung der Bundesregierung zu Rufen aus der Koalition nach personellen Konsequenzen angesichts immer neuer Finanzausfälle und Verzögerungen bei der LKW-Maut

4. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Neue Initiative zur Wiederbelebung des kolumbianischen Friedensprozesses international unterstützen

- Drucksachen 15/203, 15/1559 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Kortmann
Peter Weiß (Emmendingen)
Hans-Christian Ströbele
Markus Löning

5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Klaus Brandner, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz (Berlin), Volker Beck (Köln), Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Sicherung von Standort und Know-how des deutschen Seeschiffbaus

- Drucksache 15/1575 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neuordnung der Bundesanstalt für Arbeit

- Drucksache 15/1576 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ressortforschungseinrichtungen des Bundes regelmäßig im Hinblick auf internationale Qualitätsanforderungen an das deutsche Forschungssystem evaluieren

- Drucksache 15/222 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.

   Des Weiteren ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 15 - ERP-Wirtschaftsplangesetz 2004 -, 23 - Wehrpflicht aussetzen - und 25 a - Entschädigungsrechtsänderungsgesetz - abzusetzen.

   Die Tagesordnungspunkte 18 - Energiepolitik - und 19 - Arbeitsmarktpolitik - am Freitag sollen getauscht und der Tagesordnungspunkt 20 soll bereits heute mit der vereinbarten Debatte zur Lage im Irak aufgerufen werden.

   Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

   Der in der 56. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Änderung des Tabaksteuergesetzes und anderer Verbrauchsteuergesetze

- Drucksache 15/1313 -

überwiesen:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 Geschäftsordnung

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung

zu den Ergebnissen der europäischen Bildungsministerkonferenz am 18./19. September 2003 in Berlin

   Dazu liegen ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Meine sehr geehrten Herren und Damen! Sehr geehrter Herr Präsident! In der letzten Woche haben in Berlin 40 Minister aus 40 europäischen Staaten, Hochschulpräsidenten, Vertreter der europäischen Hochschulorganisationen und Vertreter der Studierendenverbände gemeinsam über die Zukunft der Hochschulen in Europa beraten und sie haben wichtige Entscheidungen getroffen.

   Die Bologna-Konferenz in Berlin war ein Erfolg.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind einen großen Schritt vorangekommen: von guten Wünschen zu konkreten Maßnahmen und Selbstverpflichtungen. Wir haben mit dieser Konferenz einen wichtigen Grundstein für ein Europa des Wissens gelegt, aber auch die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum, für internationale Wettbewerbsfähigkeit und für unsere kulturelle Entwicklung in Europa geschaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hochschulen sind der Ort, an dem neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden. In Hochschulen wird leistungsstarke Forschung betrieben, exzellent ausgebildet und das Fundament für die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft gelegt. Ohne leistungsfähige Hochschulen, in denen hervorragend ausgebildet, neues Wissen generiert und die Umsetzung der Forschung mit hohem Engagement betrieben wird, werden wir weder unseren Wohlstand sichern - das gilt für Deutschland genauso wie für Europa - noch die Herausforderungen bewältigen können, vor denen wir stehen. Deshalb bestimmen heute Hochschulen in zunehmendem Maße über die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung unserer Gesellschaft, über ihren Fortschritt und über ihren Wohlstand.

   Gerade heute, im Zeitalter schnellen Wissenszuwachses, weltumspannender Kommunikation und globaler Märkte haben Hochschulen mehr denn je eine strategische Bedeutung für unsere Zukunft. Sie nehmen im internationalen Wettbewerb eine entscheidende Rolle ein. Sie stellen die entscheidenden Schnittstellen zwischen Bildung, Forschung und Innovation dar. Sie sind gleichzeitig Zentren des grenzüberschreitenden Austausches und der internationalen Verständigung. Sie sind der Ort, an dem sehr viele Menschen im In- und Ausland, nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ihre berufliche Laufbahn beginnen und hoffentlich erfolgreich fortsetzen, egal ob in der Wirtschaft, in der Wissenschaft oder in den Parlamenten.

   Es ist daher unsere Aufgabe, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen zu steigern und die Qualität von Lehre und Forschung zu verbessern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau das war und ist das Anliegen der europäischen Forschungs- und Bildungsminister. Hierzu muss Europa seine geistigen, kulturellen und intellektuellen Energien mobilisieren und diese Kräfte zielgerichtet und strategisch richtig einsetzen. Europa soll auf dem Weg in ein Zeitalter der Wissenschaft und Technologie den Takt der Entwicklung mitbestimmen. Wir wollen ein Europa schaffen, in dem wissenschaftliche Forschung, technologische Entwicklung und konsequente Innovationsförderung zu zentralen strategischen Elementen für die Entwicklung Europas, für mehr Wachstum, mehr Beschäftigung und sozialen Ausgleich werden.

   Kulturgeschichtlich betrachtet ist dieses Vorhaben übrigens keineswegs etwas Neues, sondern teilweise sogar eine Rückbesinnung auf eine Gemeinsamkeit, die die Entwicklung der europäischen Länder über viele Jahrhunderte geprägt hat. Europa war über viele Jahrhunderte ein einheitlicher geistiger und kultureller Raum. Genau das stand auch im Mittelpunkt der Bologna-Konferenz.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In einer Zeit, in der weltweit um die besten Köpfe geworben wird, ist die Internationalisierung, also die Schaffung eines europäischen Hochschulraums, ein dringend notwendiges Desiderat, das wir zügig und konsequent umsetzen müssen. Deshalb haben die Bildungsminister von mittlerweile 40 europäischen Ländern ganz konkrete Vereinbarungen für den europäischen Hochschulraum geschaffen. In Bologna sind 1999 von zunächst 29 Ministern dafür die Weichen gestellt und ist der so genannte Bologna-Prozess eingeleitet worden; seither befinden sich die europäischen Hochschulen in einer Phase größter Veränderungen. So etwas hat es in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben. In vielen Staaten finden umwälzende, radikale Veränderungen von Studium und Forschung statt. Überall geht es um eine Neuausrichtung hin zu mehr Qualität und Leistungsfähigkeit, mehr Internationalität und mehr Wettbewerb.

   Deutschland wird und muss hierbei eine Vorreiterrolle spielen. Das ist einer der Gründe, warum wir vonseiten der Bundesregierung seit 1998 die für Investitionen in die Hochschulen vorgesehenen Ausgaben um knapp 24 Prozent erhöht haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Anstrengungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden und müssen wir fortsetzen. Die Länder haben übrigens im gleichen Zeitraum ihre Investitionen um 12 Prozent erhöht. Deshalb sage ich ausdrücklich: Bund und Länder müssen ihre Anstrengungen fortsetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen unseren Hochschulen echte Perspektiven geben für exzellente Forschung und hervorragende Ausbildung. Das sind wir den Jugendlichen, uns selber und unserem Land schuldig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen unsere Hochschulen für die Studierenden und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland attraktiv machen. Nur wenn uns das gelingt, können von den Hochschulen auch die notwendigen Impulse ausgehen, die wir für den wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt unseres Landes brauchen.

   Bildung und Forschung haben für diese Bundesregierung Priorität. Das haben wir in den vergangenen Jahren durch viele Entscheidungen immer wieder deutlich gemacht. Wir haben die notwendigen Strukturreformen durchgeführt und die entsprechenden finanziellen Prioritäten gesetzt. Mit der Ausrichtung der Bologna-Konferenz in Berlin haben wir diese Bedeutung einmal mehr unterstrichen. Damit haben wir auch gezeigt, dass wir Verantwortung übernehmen, wenn es darum geht, Europa voranzubringen.

   Europa muss ein Kontinent werden, der nicht nur einen Markt für Millionen von Menschen darstellt, sondern auch ein Ort ist, in dem hervorragende Wissenschaft betrieben wird, die Menschen exzellent ausgebildet werden, neue Erkenntnisse gewonnen und Forschungsergebnisse zügig umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Errichtung des europäischen Hochschulraums leisten wir dazu einen wichtigen Beitrag. An unseren Hochschulen können wir besser als irgendwo sonst den Grundstein für mehr europäische Zusammenarbeit legen. Mit der bei der Berlin-Konferenz beschlossenen Aufnahme von Albanien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sowie von Russland, Andorra und dem Vatikan geht die Zusammenarbeit im Hochschulbereich weit über die aktuellen Grenzen der EU hinaus. Damit setzen wir nicht nur ein Signal für den Bologna-Prozess, sondern geben auch der europäischen Einigung neue Dynamik.

   Die Berlin-Konferenz war ein ganz wichtiger Meilenstein. Sie zeugt auch - das halte ich für genauso entscheidend - von der politischen Kraft Europas, die es möglich gemacht hat, dass 40 Staaten reines Wunschdenken überwunden und sich auf die Eckwerte einer sehr tief greifenden Hochschulreform geeinigt haben,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

die konkrete Selbstverpflichtungen beinhaltet.

   Aber noch etwas möchte ich an dieser Stelle deutlich machen: Die Schaffung eines europäischen Hochschulraumes ist ohne die engagierte Mitwirkung der Studierenden und Universitäten nicht möglich. Nur durch das aktive Engagement von Hochschulen, Studierenden und der politisch Verantwortlichen wird dieses Ziel erreichbar sein. Deshalb war es so wichtig, dass in die Bologna-Konferenz nicht nur die Regierungen, sondern auch die Hochschulen und die Studierendenverbände selber eingebunden waren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So wünsche ich mir Europa: nicht nur als Europa der Regierenden, sondern als Europa der Menschen, die dort leben.

   Wir haben uns auf ein sehr ehrgeiziges Kommuniqué verständigt. Mit der Ausrichtung wesentlicher Reformschritte auf das Jahr 2005 haben wir im Übrigen das Reformtempo deutlich erhöht; denn bisher galt als Zielmarke immer das Jahr 2010. Alle 40 Länder verpflichten sich, für die Hochschulen auf nationaler und institutioneller Ebene, das heißt auf Hochschulebene, ein umfassendes Qualitätssicherungs- und Qualitätsentwicklungssystem zu verankern. Hohe Qualität, attraktive Studienbedingungen und attraktive Wissenschaftsbedingungen - das muss das Aushängeschild des europäischen Hochschulraums sein. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Nur so wird es uns gelingen, auch international attraktiv zu sein.

   Alle 40 Länder verpflichten sich dem Ziel einer gegenseitigen Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das europäische Kreditpunktesystem ECTS wird nun flächendeckend umgesetzt.

   Zusätzlich haben wir die Einführung eines einheitlichen fremdsprachigen Diploma Supplement beschlossen, welches eindeutigen Aufschluss über die im Studium erworbenen Qualifikationen geben kann. Damit schaffen wir die Grundlage für mehr Transparenz und Vergleichbarkeit. Mit der vereinbarten wechselseitigen Anerkennung von Hochschulabschlüssen, der Akkreditierung von Studiengängen und der Einführung des European Credit Transfer Systems schaffen wir die wichtigsten Voraussetzungen für Mobilität, Leistungssteigerung und Vergleichbarkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Alle 40 Länder verpflichten sich, bis 2005 die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge als Regelstudiengänge einzuführen. Die Bundesregierung hat die Entwicklung und Einführung der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge bereits seit 1999 massiv unterstützt. Wir haben im Bundesrahmengesetz die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen. Ich hoffe, dass die Länder jetzt auch in ihren Landeshochschulgesetzen zügig die Voraussetzungen schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist leider noch nicht überall der Fall. Wir haben gleichzeitig die Hochschulen bei der Einführung dieser neuen Bachelor- und Masterabschlüsse mit rund 42 Millionen Euro finanziell unterstützt.

   Gleichzeitig haben wir in Deutschland mit der Akkreditierung wichtige Grundlagen für die Qualitätssicherung der neuen Studiengänge geschaffen. Ich sage ausdrücklich: Die Akkreditierung der neuen Studiengänge ist unabdingbar. Sie ist zwingend notwendig, weil wir sonst nicht die internationale Leistungsfähigkeit erreichen, weil wir sonst nicht die Vergleichbarkeit sicherstellen und weil wir sonst sträflich vernachlässigen würden, dass B. A. und M. A. nicht nur neue Namen bedeuten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht also nicht darum, alten Wein in neue Schläuche zu füllen, sondern darum, die Studiengänge zu verändern, sodass sie ein qualitativ hohes Niveau haben und die Chancen, die sie darstellen, von den Studierenden wahrgenommen werden können.

   Die Akzeptanz der Bachelor- und Masterabschlüsse bei den Hochschullehrern, bei den Studierenden und am Arbeitsmarkt ist eine Schlüsselfrage der Internationalisierung. Sie hängt in hohem Maße von der Akkreditierung und damit von transparenter Anerkennung von Leistung und Qualität ab. Dann werden diese Abschlüsse nachgefragt und gefördert. Dann haben wir auch international damit die besten Möglichkeiten.

   Bisher sind 18 Prozent der neuen Studiengänge akkreditiert. Ich sage ausdrücklich: Das ist nicht ausreichend.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Hochschulen selber wie auch die Länder müssen ihre Anstrengungen verstärken, damit wir hier zu einem guten Ergebnis kommen. Dabei muss es eine klare Profilbildung beider Abschlüsse geben, um den unterschiedlichen Anforderungen des Arbeitsmarktes und der Hochschulen gerecht zu werden.

   Um die Chancen dieses neuen Systems zu eröffnen, brauchen wir grundlegende Veränderungen in den Studiengängen. Die Chancen sind gewaltig, weil die Entscheidungsmöglichkeiten der Studierenden erweitert werden. Das neue System gibt den Studierenden die Chance, durch Kombination attraktiver Qualifikationen ein für die eigene Karriere maßgeschneidertes Studium zu wählen. Es gibt die Chance weltweiter Beweglichkeit, weil sie nicht mehr um die Anerkennung der Abschlüsse kämpfen müssen, sondern diese vereinbart und gewährleistet wurde. Es gibt unseren Studierenden die Chance, jünger als bisher in den Beruf einzusteigen. Es gibt die Chance kürzerer Ausbildungszeiten und die Chance, die Abbrecherquote, die in unserem Land in vielen Fächern viel zu hoch ist, deutlich zu senken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine sehr geehrte Damen und Herren, alle 40 Länder haben sich darauf geeinigt, die Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern in Europa zu fördern. Eine hinreichende soziale Absicherung, also eine hinreichende Studienfinanzierung, wie wir sie in Deutschland mit dem BAföG geschaffen haben, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass junge Menschen die Chancen eines Studiums wirklich nutzen können. In einem geeinten Europa ist zwingend notwendig, dass diese Studienfinanzierung in jedes andere europäische Land mitgenommen werden kann.

(Beifall der Abg. Ulrike Flach (FDP))

Wir haben mit der BAföG-Reform die Voraussetzung dafür geschafften, dass nach einem zweisemestrigen Studium in Deutschland jeder Studierende seine Studienförderung in jedes andere EU-Land mitnehmen kann.

   Aber diese Entscheidung darf nicht nur einseitig sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vielmehr müssen alle anderen Kolleginnen und Kollegen in Europa ebenfalls ihre Studienfinanzierungen entsprechend verändern. Die skandinavischen Länder haben dies im Übrigen schon geleistet. Aber hier gibt es noch eine ganze Menge zu tun.

   Derzeit verbringen rund 14 Prozent der deutschen Studierenden einen Teil ihres Studiums im Ausland. Diese Quote auf 20 Prozent zu steigern ist ein ganz wichtiges Ziel dieser Regierung. Denn Auslandserfahrung, Austausch und Zusammenarbeit zwischen Studierenden aus den verschiedenen europäischen Ländern - das sage ich ausdrücklich - sind wichtige Faktoren für die Entwicklung eines Europas des Wissens.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind heute auch wichtige Voraussetzungen für den Erfolg im Beruf.

   Das Gleiche gilt umgekehrt. Wir haben in den vergangenen drei, vier Jahren erfolgreich sehr viele Anstrengungen unternommen, die Zahl der ausländischen Studierenden in Deutschland zu erhöhen. Die Steigerungsraten liegen inzwischen bei 15 Prozent pro Jahr. Auch das ist notwendig. Denn jeder, der in Deutschland gute Erfahrung gemacht hat, hier gern studiert und gelebt hat und der hier Freunde gewonnen hat, ist zukünftig ein wichtiger Partner für uns.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Egal ob in der Wirtschaft oder in der Politik: Wir können auf diese wichtigen Partner nicht verzichten. Deshalb war es so fahrlässig, dass diesem wichtigen Gesichtspunkt der Internationalisierung über viele Jahrzehnte zu wenig Augenmerk geschenkt worden ist. Wir haben das geändert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir müssen nicht nur das Studium, sondern auch die Forschung internationaler und leistungsfähiger gestalten. Deshalb bin ich froh darüber, dass nunmehr das Doktorandenstudium als dritte Stufe in das europäische Studienkonzept aufgenommen wurde. Wir stellen damit zwei Dinge sicher: Erstens können wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine dritte exzellente wissenschaftliche Karrierestufe anbieten. Zweitens stellen wir mit dem Doktorandenstudium eine enge Verknüpfung des europäischen Hochschul- und Forschungsraums sicher; denn beide gehören zusammen und spiegeln zwei Seiten eines Europas des Wissens wider. Wir brauchen also einen europäischen Forschungsraum und einen europäischen Hochschulraum.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beide tragen dazu bei, die Bedingungen für Spitzenleistung in Forschung und Innovation zu verbessern.

   Wir wollen einen europäischen Hochschulraum, in dem Studierende und Wissenschaftler ganz selbstverständlich zwischen den Hochschulen verschiedener Ländern wechseln können, in dem sie wegen der guten Studienbedingungen gerne studieren und in dem sie gute berufliche Möglichkeiten haben.

   Die deutsche Hochschulpolitik steht mit dem Bologna-Prozess im Einklang. Für die Bundesregierung ist die Internationalisierung von Wissenschaft, Forschung, Hochschule und Ausbildung auch weiterhin ein zentraler Punkt. Wir haben in den letzten Jahren vonseiten des Bundes viele Initiativen gestartet. Eine Initiative will ich ausdrücklich hervorheben: die Initiative zur Internationalisierung der Hochschulen. Wir haben hierfür rund 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt - ebenfalls mit Erfolg. Unsere Hochschulen sind heute mit Unterstützung meines Ministeriums weltweit mit Studienangeboten präsent. Am 5. Oktober werden der Bundeskanzler und der ägyptische Staatspräsident Mubarak die „German University“ in Kairo eröffnen.

   Deutsche Hochschulen nehmen inzwischen unter dem Logo „Hi! Potentials“ einen gewichtigen Platz auf großen internationalen Messen ein. Mit der 2001 gestarteten Marketingoffensive bauen wir die Präsenz auf dem internationalen Bildungsmarkt kontinuierlich aus und werben gezielt für den Studien- und Forschungsstandort Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Die eingeleiteten Initiativen haben greifbare Erfolge gebracht. Die Zahl der ausländischen Studierenden und die Zahl der ausländischen Wissenschaftler an unseren Hochschulen und in unseren Forschungseinrichtungen sind gestiegen. Wir sind in Europa und weltweit inzwischen ein anerkannter Hochschulstandort, auf den man schaut und wohin man gerne geht.

   Ich sage aber auch ausdrücklich, dass wir bei weitem noch nicht das erreicht haben, was notwendig ist.

(Ulrike Flach (FDP): Wohl wahr!)

Wir sind zwar einen wichtigen Schritt vorangekommen; aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Deshalb werden wir unsere neuen internationalen Preise - wie beispielsweise den Sofja-Kovalevskaja-Preis - , die dazu beitragen, dass hervorragende junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Deutschland kommen, weiterhin verleihen.

   Europa wird nur als leistungsfähiger Wissenschaftsstandort mit modernen und international ausgerichteten Hochschulen attraktiv bleiben können. Die Berlin-Konferenz hat dafür ein Zeichen des Aufbruchs gesetzt und den Weg, den wir gehen müssen, klar aufgezeigt. Ich wünsche mir dafür Ihre Unterstützung und wünsche vor allen Dingen uns allen viel Erfolg.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion.

Katherina Reiche (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Stanford University hat einen klassisch-deutschen Leitspruch und der heißt: „Die Luft der Freiheit weht.“

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das ist auch die politische Kernbotschaft der Bologna-Folgekonferenz. Auch im europäischen Hochschulraum soll die Luft der Freiheit wehen.

   Bis zum Jahr 2005 soll das zweistufige System von Bachelor- und Masterabschlüssen vollständig eingeführt sein. Ein dritter Studiengang ist beschlossen: das Doktorandenstudium. Studierende und Wissenschaftler sollen, ohne bürokratische Hürden überwinden zu müssen, zwischen den Ländern wechseln können. Der rasante Wettbewerb um die besten Köpfe und Talente ist voll im Gange. Europa wächst hochschulpolitisch zusammen. Dazu gibt es keine Alternative.

   Frau Ministerin, zur Wahrheit gehört auch, dass es Jürgen Rüttgers war, der 1998 diesen Prozess mit der Sorbonne-Erklärung initiiert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der gemeinsame Hochschulraum Europa ist ein weiterer Schritt im europäischen Einigungsprozess. Angeschoben hat ihn die Bundesregierung unter Helmut Kohl. Die Schaffung eines europäischen Hochschul- und Forschungsraumes ist traditionelle christlich-demokratische Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die ehrgeizigen Ziele des Bologna-Prozesses sind Startschuss für mehr Freiheit, für Autonomie, Deregulierung und Wettbewerb. All das, Frau Ministerin, kam in Ihrer Rede nicht vor. Dabei heißt es bereits in der gemeinsamen Erklärung der europäischen Bildungsminister:

Die Vitalität und Effizienz jeder Zivilisation lassen sich an der Attraktivität messen, die ihre Kultur für andere Länder besitzt. Wir müssen sicherstellen, dass die europäischen Hochschulen weltweit ebenso attraktiv werden wie unsere außergewöhnlichen kulturellen und wissenschaftlichen Traditionen.

   Frau Bulmahn, was haben Sie eigentlich seit 1999 für die Attraktivität der deutschen Hochschulen getan? - Sie haben es ihnen in erster Linie schwer gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der Staat muss die Hochschulen in die Freiheit entlassen, damit sie sich im Wettbewerb bewähren.

Das hat bereits Professor Klaus Landfried bei seinem Abschied als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz gefordert.

   Zentralismus und Gängelung, das sind die Kennzeichen Ihrer Politik. Ziel muss ein wettbewerbliches Hochschulsystem sein. Was tun Sie? - Die Universitäten und die Länder werden mit einem Studiengebührenverbot überzogen - und das, obwohl die Sicherung der Qualität des Studiums durch Studienbeiträge in allen führenden Nationen bis hin zur Schweiz und Australien ein zentrales hochschulpolitisches Thema ist.

   Sie führen die Juniorprofessur als Regelvoraussetzung für den Beruf des Professors ein. Sie schaffen die Habilitation faktisch ab. Warum lassen Sie keinen Wettbewerb zu?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie lehnen es ab, das Auswahlrecht der Hochschulen zu stärken und einen Wettbewerb um die qualifiziertesten Studenten zu ermöglichen. Für Sie gilt der Satz, den einmal ein ehemaliger Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz, Professor Gerd Roellecke, gesagt hat:

Jede Organisation entscheidet über die Aufnahme ihrer Mitglieder. Davon gibt es zwei Ausnahmen: die Gefängnisse und die Universitäten.

   Die Unionsfraktion begrüßt ganz ausdrücklich die Länderinitiative von Baden-Württemberg und Bayern, das Recht der Hochschulen, die qualifiziertesten Bewerber auswählen zu können, zu stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch SPD-geführte Länder wie Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen und sogar das rot-rote Mecklenburg-Vorpommern möchten dies. Was tun Sie? - Sie lehnen diese Initiative mit fadenscheinigen Argumenten ab.

   Wir brauchen dringend eine Strategie für eine ganzheitliche Hochschulentwicklung und kein Klein-Klein mehr. Unser Ziel muss es sein, dass auch aus den international führenden Wissenschaftsländern, insbesondere aus den USA, mehr Studierende zu uns kommen. Frau Bulmahn, Sie haben ausgeführt, dass die Quote der Studierenden, die aus dem Ausland kommen, gestiegen ist. Das ist richtig. Dabei handelt es sich vor allem um Chinesen, Polen und Russen. Sie alle sind herzlich willkommen. Aber junge US-Amerikaner stehen an Stelle 16. Junge Briten und junge Schweizer sind unter den ersten 20 nicht zu finden. Das ist kein Zufall.

   Ich verstehe die Verwunderung von Hans-Olaf Henkel, der nach einem Vortrag an der London School of Economics in eine Diskussion verwickelt wurde und dem in bestem Deutsch Fragen gestellt wurden. Auf die Frage, warum die Briten so gut deutsch sprechen wurde ihm geantwortet: Das sind doch alles Deutsche.

   Ihre Rechnung, Frau Bulmahn, geht nicht auf: Sie wollen 40 Prozent eines Altersjahrgangs an die Hochschulen holen. Den Universitäten werden aber im gleichen Atemzug mehr Aufgaben übertragen, und Sie fahren die finanzielle Ausstattung der Hochschulen zurück. Der Etat für den Hochschulbau wird beispielsweise um 135 Millionen Euro gekürzt. Das ist ein schlechtes Signal an den Bologna-Prozess.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Das Korsett des Hochschulrahmengesetzes muss dringend gelockert werden. Wir setzen uns für eine rasche Novelle, für eine Hochschulreform aus einem Guss ein. Wir brauchen mehr Autonomie für die Hochschulen. Das gilt ebenso für das im 6. HRG verankerte Verbot von Studiengebühren. Es muss weg. Auf Dauer wird in Deutschland niemand an Studienbeiträgen vorbeikommen.

(Jörg Tauss (SPD): Ah, ja!)

   Die Entwicklung des europäischen Hochschulraumes ist kein Selbstläufer. Sie haben gesagt, man müsse die Studenten integrieren. Einer der Studenten, die Sie angesprochen haben, bemerkte etwas kritisch, dass dabei möglicherweise nichts als heiße Luft herauskommen würde.

   Es gibt in der Tat noch viel zu tun: Wir haben in Deutschland 15 000 Studiengänge. Davon sind bisher 1 900 auf das Bachelor- und Master-Studium umgestellt worden. Davon sind nur 400 akkreditiert. Stellenweise hat man schlicht Vordiplom und Zwischenprüfung in Bachelor umfirmiert und Studiengänge nur mit einem neuen Namen versehen.

   Auch das European Credit Transfer System ist noch weit von seinen optimalen Möglichkeiten entfernt. Es geht nicht, dass das bloße Ansammeln von Punkten nachher nicht akzeptiert wird. Hochschulen, die etwas auf sich halten, verlassen sich übrigens nicht auf dieses System, sondern überprüfen die Fähigkeiten der Studienbewerber zusätzlich selbst.

   Die Umstellung auf die Bachelor- und Master-Abschlüsse ist zweifelsohne ein ganz wichtiger Baustein. Wichtig ist, dass sich diese Umstrukturierung von unten entwickelt. Die Hochschulen wollen und müssen in diesen Prozess eingebunden sein. Ich kann die Bundesregierung nur ausdrücklich davor warnen, diesen Prozess mit zusätzlichen staatlichen Reglementierungsmaßnahmen zu überziehen.

   Deutschland gibt im Zuge des Bologna-Prozesses aber auch Traditionen auf, die sich bewährt haben. So ist der deutsche Diplom-Ingenieur weltweit anerkannt. Er ist ein Markenzeichen für Qualität. Der große Vorzug des deutschen Studiums ist auch die breite Bildung.

(Ulrike Flach (FDP): Das meinen Sie aber nicht ernst, Frau Reiche?)

Der Magister mit einem Hauptfach und zwei Nebenfächern vermittelt durchaus eine Bildung weit über den Tellerrand eines Faches hinaus. Somit hat unser deutsches Hochschulsystem auch Vorteile. Ich finde, auch hier ist Wettbewerb angesagt.

   Von den Studierenden, von den Hochschulen, aber auch von der Wirtschaft werden enorme Anpassungsleistungen verlangt. Das betrifft insbesondere die Wirtschaft, die die neuen Studiengänge und die neuen Abschlüsse anerkennen muss.

   Frau Bulmahn, ich sage Ihnen noch einmal: Entlassen Sie die Hochschulen in die Freiheit! Nutzen Sie Ihre Gestaltungsmöglichkeiten, damit der Bologna-Prozess ein Erfolg wird. Weniger ist oftmals mehr.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Union wird diesen Prozess mit einer entsprechenden Initiative zur Novelle des Hochschulrahmengesetzes begleiten. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Die Luft der Freiheit ist nicht aufzuhalten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ute Berg (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Reiche, leider haben Sie sich in Ihren Ausführungen wieder darauf beschränkt, das Haar in der Suppe zu finden, und haben nur pathetische Aufforderungen formuliert, aber keine konstruktiven Gestaltungsvorschläge gemacht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber das kennen wir bei Ihnen.

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.

Das hat der ausgewiesene Pragmatiker und frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt vor vielen Jahren einmal gesagt. Ich widerspreche ihm an diesem Punkt nachdrücklich;

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Wenn in Ihrer Suppe wenigstens Haare wären!)

denn ich bin der festen Überzeugung, dass Politik beides braucht: Pragmatismus und Visionen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Helmut Schmidt meinte Halluzinationen!)

In einem langwierigen Prozess müssen Schritte auf ein angestrebtes politisches Ziel, auf ein für die Zukunft entworfenes Bild hin unternommen werden. In diesem Prozess wird das Bild immer klarer, gewinnt die Vision Konturen.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das ist ja fantastisch konkret!)

   Eine solche Vision haben die europäischen Bildungsminister gehabt, als sie 1999 die Bologna-Erklärung verfassten. Sie riefen darin zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Bildungsstandortes Europa auf. Die konkrete Zielsetzung des Bologna-Prozesses lautet: Die Studierenden Europas sollen die Möglichkeit bekommen, in allen Ländern Europas zu studieren. Sie sollen dabei vergleichbare Studienbedingungen vorfinden. Daher müssen Qualitätsstandards vereinbart werden, die von allen europäischen Hochschulen anerkannt werden. Konsequenterweise muss es dann auch ein transparentes, wechselseitig anerkanntes System von Studienabschlüssen geben.

   Vorausgegangen war der Bologna-Erklärung der Bildungsminister ein historischer Prozess, der eine unglaubliche Dynamik entfacht hatte. Die politischen Umbrüche Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre - ich nenne als Stichwort den Fall der Mauer - verstärkten den Wunsch nach einem vereinten Europa. Diese Entwicklung veränderte auch die Hochschulen nachhaltig und führte zu einer zunehmenden Mobilität der Studierenden. So hat sich zum Beispiel zwischen 1991 und 2001 die Zahl ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen mehr als verdoppelt:

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

1991 waren es nur gut 53 000 Studierende, 2001 bereits über 117 000.

   Ein Jahr nach Unterzeichnung der Bologna-Erklärung der Bildungsminister trafen sich die europäischen Regierungschefs in Lissabon. Ihnen war bewusst, dass Europas Zukunft in der Wissensgesellschaft liegt und dass nur diejenigen, die in diesem Bereich Vorreiter sind, auch wirtschaftlich stark bleiben werden. Deshalb erweiterten sie die Zielsetzung der Bologna-Erklärung und formulierten: Bis 2010 soll Europa zum größten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden.

   Ungeachtet dessen, dass Bildung einen Eigenwert besitzt, gilt die bereits im 19. Jahrhundert von Alfred Nobel formulierte Einsicht, Wissen zu verbreiten sei Wohlstand zu verbreiten. Diesen Zusammenhang hat die in der letzten Woche veröffentliche OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ eindrucksvoll unterstrichen. Sie macht deutlich: Investitionen in Köpfe lohnen sich für den Einzelnen und für die Volkswirtschaft insgesamt. Wenn wir das Bildungsniveau unserer Gesellschaft erhöhen, fördern wir damit auch das Wirtschaftswachstum. Daran sollte uns gelegen sein.

(Beifall bei der SPD)

Daher müssen wir als Politikerinnen und Politiker aus sozialem wie aus ökonomischem Interesse heraus die Grundlage dafür legen, dass die Verbreitung von Wissen reibungslos und dynamisch erfolgen kann. Das gilt für den nationalen Bereich genauso wie für den europäischen Raum.

   Diese Bundesregierung hat entsprechend gehandelt. Frau Reiche, Sie fragten vorhin, was sie denn getan habe. Ich werde Ihnen einige Punkte nennen: Seit ihrem Amtsantritt hat diese Bundesregierung die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung um insgesamt 25 Prozent erhöht; das dachte ich jedenfalls, Frau Bulmahn dagegen hat von 23 Prozent gesprochen.

(Ulrike Flach (FDP): 11,7 Prozent! Sie dürfen nicht immer die Ganztagsschulen hineinrechnen!)

- Das gehört dazu. - Gleichzeitig hat sie mit Ministerin Bulmahn durch strukturell notwendige Veränderungen die Internationalisierung des deutschen Hochschulwesens vorangetrieben. Sie hat den Reformprozess zum Teil initiiert, zum Teil unterstützt und begleitet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Von welcher Ministerin reden Sie?)

   So hat die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes zur internationalen Attraktivität des Hochschulstandortes Deutschland beigetragen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Das ist die Wahrheit!)

Durch die Einführung gestufter Studiengänge haben Studierende die Möglichkeit bekommen, mit einem berufsqualifizierenden akademischen Abschluss, dem Bachelor, frühzeitig in die Berufspraxis einzusteigen und, wenn sie das Interesse haben, nach längeren Praxisphasen eine Studienphase, nämlich den Master, anzuschließen.

(Zuruf der Abg. Katherina Reiche (CDU/CSU))

- Auf den Bereich Qualifikation werde ich gleich noch zu sprechen kommen. Sie müssen so qualifiziert sein, etwas warten zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Eine weitere Strukturveränderung, die wir eingeführt haben, betrifft die Lehrenden an den Hochschulen. Mit der Einführung leistungsbezogener Elemente in die Besoldungsstruktur und der Einrichtung von Juniorprofessuren stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit unseres Hochschulsystems. Speziell die Juniorprofessur ist notwendig, damit wir im internationalen Wettbewerb um die besten Nachwuchswissenschaftler bestehen können;

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ulrike Flach (FDP): Dann müssen Sie aber noch viel tun!)

denn so erhalten junge Forscherinnen und Forscher frühzeitig die Gelegenheit, selbstständig zu arbeiten. Das alte System der Habilitation steht diesem Ziel entgegen und ist international nicht konkurrenzfähig.

   Entgegen den Hiobsbotschaften der Kollegin Flach von der FDP-Fraktion

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Qualifikation als Schaden - das ist sozialdemokratische Bildungspolitik!)

wird durch die jüngsten Zahlen des BMBF unterstrichen: Die Juniorprofessur war und ist ein Erfolg. Auf eine Stelle bewerben sich durchschnittlich 7,3 Personen. Für 15 Prozent der bisher besetzten Stellen konnten Nachwuchskräfte aus dem Ausland gewonnen werden und

(Ulrike Flach (FDP): Die jüngsten Zahlen unterstreichen das leider nicht!)

- auch das ist bemerkenswert - die Juniorprofessur ist ein Beitrag zur Frauenförderung an den Hochschulen;

(Ulrike Flach (FDP): Auch das stimmt nicht!)

denn der Frauenanteil beträgt hier 25 Prozent, während er bei „normalen“ Professuren nur 11,11 Prozent beträgt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Katherina Reiche (CDU/CSU): Nur können sie dann keine Kinder mehr bekommen, Frau Berg!)

   Aber auch verschiedene Förderprogramme haben zur Internationalisierung der deutschen Studiengänge beigetragen; die Ministerin hat eben schon einige genannt. Hier sind das Modellprogramm „International ausgerichtete Studiengänge“, das „Master-Plus“-Programm, durch das die Mobilität deutscher und ausländischer Studierender mit einem ersten Hochschulabschluss unterstützt wird, und das Bund-Länder-Komissions-Modellversuchsprogramm „Neue Studiengänge“ zu nennen.

   Auch das professionelle Hochschulmarketing mit werbewirksamen Hochschulauftritten auf internationalen Messen unter dem Motto „Hi! Potentials - International careers made in Germany“ hat zu einem Erfolg geführt und dafür gesorgt, dass der Hochschul- und Forschungsstandort Deutschland noch stärker als bisher wahrgenommen wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das Ergebnis: Die Zahl ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen steigt stetig.

   In der eben bereits zitierten OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ wird das bescheinigt, was gerade gesagt wurde, dass nämlich der Anstieg der Zahl ausländischer Studierender hier in Deutschland extrem hoch war. Im Vergleich zu allen anderen Ländern mit einem höheren Anteil ausländischer Studierender handelte es sich um die dynamischste Entwicklung. Umgekehrt ist dasselbe zu verzeichnen: Auch deutsche Studierende gehen verstärkt ins Ausland. Ich denke, das ist genau das, was wir erreichen wollten, nämlich eine Internationalisierung und ein verstärktes Streben von deutschen Studierenden in andere Länder und umgekehrt.

   Die vor wenigen Tagen beendete Berlin-Konferenz hat den Prozess dieser Internationalisierung weiter gefördert und war ein zusätzlicher entscheidender Meilenstein auf dem Weg zu einem europäischen Hochschulraum; denn im Unterschied zu den bisherigen Konferenzen wurden in Berlin Ziele vorgegeben, die mittels fest vereinbarter Umsetzungsstrategien bis zur nächsten Konferenz im Jahre 2005 in Bergen erreicht werden können. Ich nenne nur noch einmal die wichtigsten drei Punkte:

   Erster Punkt. In allen 40 Bologna-Staaten soll bis zu diesem Zeitpunkt die Einführung des zweistufigen Graduierungssystems in Angriff genommen werden. Laut Hochschulrektorenkonferenz sind bei uns bis jetzt 1 764 solcher Studiengänge geschaffen worden. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der Prozentsatz der akkreditierten Studiengänge natürlich unbedingt weiterhin erhöht werden muss; denn bisher gibt es erst 338 dieser Studiengänge.

   Zweiter Punkt. Die Entwicklung und Durchsetzung von vergleichbaren Qualitätsstandards soll auf europäischer und nationaler Ebene forciert werden. Frau Reiche, jetzt komme ich noch einmal ganz explizit auf die von Ihnen angesprochene Qualität: Dazu wurde das European Network of Quality Assurance - das ist ein Zusammenschluss von Qualitätssicherungsagenturen - ins Leben gerufen. Es wird in Abstimmung mit den europäischen Hochschul- und Studentenverbänden Verfahren und Leitlinien für die europäische Qualitätssicherung entwickeln. Am Ende muss man - salopp formuliert - sagen können: Ein Hochschulstudium „Made in Europe“ ist ein weltweit anerkanntes Gütesiegel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ulrike Flach (FDP))

   Dritter Punkt. Die kostenlose Ausstellung eines Diploma Supplement zu jedem Studienabschluss ist wichtig, weil damit die Abschlüsse erst richtig vergleichbar werden. In dieser Ergänzung zum Abschlusszeugnis wird genau festgehalten, welche Leistungen während des Studiums erbracht wurden und über welche Qualifikationen der Absolvent verfügt. Das Endziel lautet: Wo Master draufsteht, ist auch Master drin - und zwar europaweit. Wir streben diesem Endziel Schritt für Schritt mit einer Geschwindigkeit entgegen, die bisher von keiner anderen Regierung in Deutschland vorgegeben wurde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ulrike Flach (FDP): Oh doch!)

   Ich komme nun auf zwei weitere Aspekte, die sicherlich im Laufe der nächsten Phase noch an Bedeutung gewinnen werden. Die Unterzeichnerstaaten betonen in dem Abschlusskommuniqué die Notwendigkeit lebenslangen Lernens in einem europäischen Hochschulraum und fordern, die Bedingungen dafür zu schaffen. Ein erweiterter Hochschulzugang und flexible Bildungswege bieten hier Möglichkeiten.

   Der zweite Punkt ist die Verknüpfung des europäischen Hochschulraums mit dem europäischen Forschungsraum. In diesen Zusammenhang gehört auch die Integration der Doktorandenausbildung in den Bologna-Prozess als dritte Stufe des Graduierungssystems. Ich persönlich hätte mir an dieser Stelle noch etwas mehr gewünscht, nämlich die Forderung nach der strukturierten Doktorandenausbildung. In jedem Fall muss aber Exzellenz ein herausragendes Markenzeichen des europäischen Hochschulraums sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Vergleicht man den Bologna-Prozess mit der Geschichte eines Hausbaus, so können wir den jetzigen Stand wie folgt beschreiben: Das Fundament ist gelegt, der Termin der Endabnahme ist bestimmt und wir bauen zurzeit Stockwerk für Stockwerk auf und haben die Detailgestaltung und den Zeitrahmen für die Erstellung der Gewerke festgelegt. Wer schon einmal gebaut hat, der weiß: Man muss immer wieder Zwischenabnahmen verabreden, wenn es nicht zu bösen Überraschungen kommen soll. Diese Verabredungen bzw. Bestandsaufnahmen, das so genannte „stock taking“, wurden in Berlin am 18. und 19. September beschlossen.

   Bis zur Endabnahme im Jahr 2010 gibt es zugegebenermaßen noch viel zu tun. Dabei wird auch der Koordinations- und Kooperationsbedarf von Bund und Ländern enorm groß sein.

(Beifall der Abg. Ulrike Flach (FDP))

Die Aufkündigung der Zusammenarbeit, wie insbesondere von den CDU/CSU-regierten Ländern angekündigt, wäre genau das Gegenteil dessen, was bildungspolitisch jetzt geboten ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulrike Flach (FDP))

Wenn es dazu überhaupt noch eines Beweises bedurft hätte, der Bologna-Prozess liefert ihn, Frau Reiche.

(Jörg Tauss (SPD): Ja!)

   Wenn wir international erfolgreich sein wollen, sind wir gut beraten, die Vereinbarungen, die auf der Berlin-Konferenz getroffen wurden, auf nationaler Ebene jetzt zügig umzusetzen. Für ein kooperatives und planvolles Vorgehen sind dabei drei Schritte besonders wichtig:

   Die Bundesregierung muss zeitnah zu einer nationalen Umsetzungskonferenz einladen. Länder, Hochschulen, ihre Verbände und Vereine und weitere hochschulpolitische Akteure müssen dort eine Strategie für die Umsetzung der gemeinsam definierten Ziele erarbeiten und festlegen, bis wann diese Ziele erreicht werden sollen. Der Zeitrahmen ist ganz wichtig.

   Darüber hinaus ist die Einrichtung einer ständigen nationalen Bologna-Task-Force sinnvoll. Bund, Länder, Hochschulen und Studierende - es wurde ja schon betont, wie wichtig auch die Integration der Studierenden in diesen Prozess ist - sollen hier vertreten sein, um die Umsetzung der Ziele zu begleiten und zu kontrollieren.

   Damit der Deutsche Bundestag an dem Reformprozess beteiligt wird, fordern wir die Bundesregierung auf, das Parlament rechtzeitig vor den anstehenden Bologna-Folgekonferenzen über die Erfolge, die auf nationaler Ebene erzielt wurden, zu unterrichten.

(Ulrike Flach (FDP): Das ist schön! Hoffentlich gibt es die dann auch!)

   Bologna, die Hauptstadt der norditalienischen Region Emilia Romagna, steht für den Ausgangspunkt des europäischen Universitätswesens im 12. Jahrhundert. Der Bologna-Prozess zu Beginn des 21. Jahrhunderts, der nicht von ungefähr in dieser italienischen Stadt seinen Ursprung nahm und nach ihr benannt wurde, kennzeichnet eine Entwicklung hin zu einem gemeinsamen europäischen Hochschulraum. Dieser europäische Hochschulraum zeichnet sich durch Transparenz und vergleichbare Standards aus. In ihm werden sich Lehrende und Lernende ohne Einschränkungen bewegen und arbeiten können. Dieser internationale Hochschulraum wird sich im internationalen Wettbewerb erfolgreich behaupten. Er wird einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Europa sich bis zum Jahr 2010 tatsächlich zum größten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt entwickelt.

   Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten sich überlegen, ob Sie in diesem Prozess zu den Architekten oder zu den Blockierern zählen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich werbe dafür, dass wir gemeinsam dafür eintreten, dass dieser Prozess im vorgesehenen Zeitraum zu einem Erfolg für den Wissens- und Bildungsstandort Europa wird. Nur so können wir in einem rohstoffarmen Land international konkurrenzfähig bleiben. Dafür, meine ich, lohnt es sich, engagiert zu streiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion, das Wort.

Ulrike Flach (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bologna-Erklärung war ein erster Schritt zu einem qualitätsorientierten, transparenten und einheitlichen europäischen Bildungsraum. Liebe Frau Berg, diese Entwicklung wurde von denjenigen eingeleitet, die Sie eben als Blockierer bezeichnet haben. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass dies in den 90er-Jahren ein wichtiger und entscheidender Schritt war.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es war eine Art bildungspolitische Zielvereinbarung der EU-Partner.

   Die Berliner Vereinbarungen - auch darin sind wir uns völlig einig - gehen darüber hinaus. Es ist wichtig, dass man jetzt endlich konkret wurde, Termine setzte und gemeinsam erklärte, was man wirklich will. Für uns Liberale sind dabei einige Meilensteine besonders wichtig: die interne und externe Qualitätssicherung an den Hochschulen bis 2005 und die vollständige Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge bis 2010. Darin unterscheiden wir uns grundsätzlich von der CDU/CSU, liebe Frau Reiche. Wenn wir jetzt anfangen, Diplom-, Bachelor- und Masterstudiengänge gegeneinander auszuspielen, haben wir schon verloren. Ich hoffe, ich habe Sie in diesem Punkt missverstanden. Das ist nicht in unserem Sinne. Wir wollen diesen Übergang. Wir alle sollten gemeinsam an einem Strang ziehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wichtig ist für uns das fremdsprachige Diploma Supplement. Meine Kollegen haben mich gebeten, diesen Begriff zu übersetzen. Es handelt sich um eine fremdsprachige Ergänzung; dies für diejenigen, die es bisher noch nicht wussten. Wichtig ist ein hoch stehendes, möglichst interdisziplinäres Doktorandenstudium. Ganz wichtig - das sehen Sie an unserem Antrag, der Ihnen heute vorgelegt wurde - ist die Mitnahme nationaler Ausbildungsförderung ins Ausland.

   Die Berliner Konferenz - Frau Ministerin, das erkennen wir gerne an - war vom internationalen Standpunkt her ein Erfolg; das ist gar keine Frage. Die Aufnahme zusätzlicher Staaten wie Russland gibt dem Bologna-Prozess eine wirkliche europäische Dimension. Der europäische Bildungsraum ist damit endlich wieder eine kraftvolle Vision, die gerade zu Beginn des Wahlkampfes für die Europawahl im nächsten Jahr auch junge Leute in diesen Integrationsprozess mitnimmt.

   Der Bologna-Prozess kann mehr Qualität und Wettbewerb bringen. Das hat die bürgerliche Regierung unter Kohl in den 90er-Jahren bewegt, diesen Prozess überhaupt in Gang zu setzen. Die Berliner Konferenz nimmt diesen roten Faden jetzt wieder auf.

   Nun gehört aber - Frau Berg, in diesem Punkt bin ich anderer Meinung als Sie; dies hat nichts damit zu tun, immer das Haar in der Suppe zu finden - zu dieser Bewertung auch eine realistische Betrachtung des deutschen Standortes.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dabei verliert die Vision leider sehr deutlich und schnell an Kraft.

   Wie sieht es aus? Von den bereits angeführten circa 15 000 Studiengängen sind erst 338 akkreditiert, Frau Reiche. Wir sind bei der Akkreditierung wirklich deutlich zu langsam und zu bürokratisch. Wenn Sie sich überlegen, dass wir irgendwann einmal fertig werden wollen, dann müssen wir eine geradezu raketenartige Geschwindigkeit vorlegen, damit wir diese Akkreditierung endlich auf den Weg bringen.

   Deutsche Hochschulen - diesen Vorwurf muss man leider erheben - neigen zum Etikettenschwindel. Dass Diplomstudiengänge einfach nur umbenannt werden - sozusagen alter Wein in neuen Schläuchen -, darf nicht sein. Wir haben damals eine wirkliche Studienreform auf den Weg gebracht. Wir wollen etwas anderes, etwas Neues. Gerade wir Liberalen erwarten von den Hochschulen, dass sie diesen Weg mitgehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Das erwarten wir alle!)

Es gibt nach wie vor kein deutschlandweit einheitliches transparentes Punktebewertungssystem. Manche Universitäten haben dieses Punktesystem überhaupt noch nicht umgesetzt, manche bewerten Seminare mit mehr Punkten, manche Vorlesungen. Das ist nicht die Transparenz, die wir uns wünschen. Das ist an vielen Stellen nach wie vor Kuddelmuddel.

   Hinzu kommt, dass die Verhältnisse an unseren Universitäten oft schlechter als in den anderen EU-Staaten sind. Bei uns rangeln Studenten nach wie vor um Laborplätze. Es fehlt naturwissenschaftliches Instrumentarium. In England ist das anders. In England geht das einfach schneller. Damit haben wir unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen in den europäischen Staaten. Da muss ich das Gleiche sagen, was ich in der letzten Sitzungswoche an dieser Stelle auch gesagt habe, Frau Bulmahn: Wenn Sie die Hochschulbaufördermittel reduzieren, sind wir auf dem genau entgegengesetzten Weg. Dann werden wir unsere Verhältnisse nicht verbessern.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen im Gleitflug hoch, nicht runter.

   Wir haben außerdem Probleme mit dem Übergang vom Bachelor zum Master. Deshalb kommt es zu schon abstrusen Vorschlägen wie der Quotierung der Übergänge vom Bachelor zum Master, wie es die von uns so geliebte Kultusministerkonferenz vorgeschlagen hat. An dieser Stelle möchte ich ganz deutlich sagen: Das ist die zweite wichtige Debatte, bei der kein wichtiger Ländervertreter anwesend ist.

(Beifall bei der FDP)

Das ist ein Skandal, denn wir müssen alle zusammen etwas für diesen Bildungsstandort tun.

(Beifall bei der FDP)

   Ein Hemmnis für mehr Internationalität ist auch das verkrustete deutsche Beamtenrecht. Bislang verhindern gesetzliche oder bürokratische Vorgaben, dass ein deutscher Professor nach Frankreich berufen wird. Das hat Herr Professor Gaehtgens sehr richtig als absurd bezeichnet. An dieser Stelle möchte ich ein Zitat vorlesen:

Die Überprüfung und Reform des Dienstrechtes und der Personalstruktur ist überfällig ... bis jetzt sind die Vorschläge der Regierung in dieser Frage eine Nullnummer.

Liebe Frau Bulmahn, das haben Sie am 13. Februar 1998 diesem Bundestag mitgeteilt. Das war ein Vorwurf an die alte Regierung Kohl. Aber seitdem hat sich nichts verändert, Frau Bulmahn.

(Jörg Tauss (SPD): Jetzt aber!)

- Es hat sich nichts verändert, lieber Herr Tauss. Wir warten alle voll Spannung auf das Wissenschaftstarifvertragsrecht. Die Liberalen werden entsprechende Vorschläge in den nächsten Wochen machen. Wir werden hier an dieser Stelle über den Wissenschaftstarifvertrag endlich diskutieren und nicht nur theoretische Debatten führen.

(Beifall bei der FDP)

   Es ist ja auch sehr schön, dass jetzt Russland Teil des Bologna-Vertragswerkes ist.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin Flach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Ulrike Flach (FDP):

Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass Herr Tauss stimmgeschwächt ist.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Heißt das nun Ja oder Nein?

Ulrike Flach (FDP):

Ich liebe Herrn Tauss. Bitte schön.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Geschmacksverirrung!)

Jörg Tauss (SPD):

Ich danke Ihnen. Wegen der Stimmschwäche, liebe Frau Kollegin, benutze ich das Mikrofon.

   Tarifverträge werden immer noch zwischen Tarifvertragsparteien geschlossen, aber leider oder Gott sei Dank - man kann das bewerten wie man will - nicht hier im Deutschen Bundestag verabschiedet. Dürfen wir damit rechnen, dass von den Ländern, in denen die FDP mitregiert, in den nächsten Tagen und Wochen - so habe ich Ihre Ankündigung verstanden - Initiativen auf den Weg gebracht werden, beispielsweise über die Tarifgemeinschaft der Länder, mit den Forschungsorganisationen und den anderen Beteiligten zu wissenschaftstarifvertraglichen Regelungen zu kommen? Ich würde das übrigens sehr begrüßen. Haben Sie das schon auf den Weg gebracht? Hier hilft uns das relativ wenig.

   Ich hoffe, meine zarte Stimme ist rübergekommen.

Ulrike Flach (FDP):

Lieber Herr Tauss, meine Sympathie für Sie nimmt gerade ruckartig ab.

(Jörg Tauss (SPD): Das ist schade!)

Das Problem ist, dass wir uns hier im Bundestag befinden und dass wir Bundesminister haben. Ich bin übrigens froh, dass Frau Zypries und Herr Schily anwesend sind, denn sie sind diejenigen - das wissen Sie genauso gut wie ich -, die das Problem für die Bundesebene schaffen. Wir müssen den Schritt auf Bundesebene gehen. Wir müssen einen eigenen Spartentarifvertrag zulassen. Herr Schily tut unserer zuständigen Bildungsministerin einiges an. Ich erwarte vom Innenminister, dass er endlich den Weg für das freimacht, was die Wissenschaftsorganisationen und wir Liberalen seit vielen Jahren fordern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr richtig! Und jetzt: Setzen, Tauss!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Darf Herr Tauss nachfragen?

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

Ulrike Flach (FDP):

Jetzt kommt der Augenblick, wo ich meine Sympathie völlig auf Null herunterfahre. Lieber Herr Tauss, jetzt möchte ich nichts mehr hören, sondern weiterreden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Ute Kumpf (SPD): Das ist Liebesentzug!)

- Ja, es ist Liebesentzug, wirklich!

   Ich möchte jetzt noch etwas über Russland sagen. Unser Antrag bezieht sich darauf, dass

(Jörg Tauss (SPD): Dazu hätte ich auch eine Frage!)

das Auslands-BAföG endgültig reformiert werden muss.

(Beifall bei der FDP)

Frau Bulmahn, Sie haben das Auslands-BAföG als einen der Hauptschwachpunkte bezeichnet. Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch. Ich erwarte Ihren Vorschlag, damit wir gemeinsam an der Überwindung dieses schweren Mankos arbeiten können. Es kann nicht sein, dass jemand erst in Russland anfangen muss zu studieren, wenn er Auslands-BAföG beziehen möchte, dass es nur für ein Jahr gewährt wird und so viel Bürokratie damit verbunden ist. Hier stößt die schöne Vision eines einheitlichen Bildungsraumes wirklich sehr schnell an harte EU-Außengrenzen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

   Nun komme ich leider zum Schluss meiner Rede, meine Damen und Herren. Frau Bulmahn hat auf der Berliner Konferenz in der vergangenen Woche gesagt:

Wir dürfen den Schwung gerade angesichts zahlreicher zu bewältigender Aufgaben nicht verlieren.

Ich will Ihnen, Frau Bulmahn, an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Sie haben unsere Mitarbeit angefordert. Wir als Liberale sind auf diesem schwierigen europäischen Weg an Ihrer Seite, und zwar ganz dezidiert auch im Hinblick auf den Kampf mit den Ländern, mit den Universitäten und hinsichtlich der Umsetzung in der Wirtschaft, sie ist nämlich der dritte, sehr schwierige Partner. Wir wollen diese Entwicklung und wir sind in keiner Weise bereit, konservativ zurückzugehen.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Wir wollen nach vorn und wir sind dabei!

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen.

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eine Vorbemerkung zu Frau Flach und zum Wissenschaftstarifvertrag: Auch wir Grünen stehen hier aufseiten unserer Wissenschaftsministerin und hoffen, dass nun endlich Bewegung in die Sache kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir halten das für ein notwendiges Mittel, um in der Wissenschaft entsprechend flexibel weiter zu kommen.

   Nun aber zu dem eigentlichen Thema, zur Bologna-Konferenz. Eines ist Ende letzter Woche deutlich geworden: Für den Stellenwert von akademischer Bildung in Europa war die Konferenz der Bildungsminister in Berlin ein voller Erfolg. Das Abschlusskommuniqué steckt in deutlicher Weise den Rahmen ab, wie ein Studium in Europa in naher Zukunft aussehen wird. Dabei werden wichtige Punkte hervorgehoben.

   Erstens. Bildung ist ein öffentliches Gut, das auf keinen Fall Marktinteressen untergeordnet werden darf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dieser Hinsicht lässt das Kommuniqué zu meiner großen Freude keinen Zweifel aufkommen. Diese Haltung wird uns auch im weiteren GATS-Prozess helfen. Bildung ist nun einmal keine Ware wie jede andere, sondern muss gesondert be- und verhandelt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie mich nicht missverstehen: Auch wir wollen neue internationale Angebote und Ansätze im deutschen Bildungssystem ermöglichen. Das darf aber nur unter der Maßgabe hoher Qualitätsstandards geschehen und das öffentliche Bildungssystem nicht gefährden.

   Die Qualitätssicherung europaweit schon bis zum Jahr 2005 zu etablieren ist eine ehrgeizige, aber völlig richtige Zielsetzung dieser Konferenz. Alle Beteiligten sollten hier im Interesse der deutschen Hochschulen konstruktiv zusammenarbeiten, um diesem Projekt der Qualitätssicherung zum Erfolg zu verhelfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ein zweiter wesentlicher Punkt: Die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer betonen an vorderster Stelle die soziale Dimension des Bologna-Prozesses. Damit werden die richtigen Prioritäten für die politische Agenda gesetzt. Die wirklichen Grenzen für die Studierenden liegen heute nämlich immer noch in ihrer finanziellen und sozialen Absicherung für ihr jeweiliges Auslandsstudium.

   Die Berliner Konferenz hat nun begonnen, diese Barrieren niederzureißen. Denn nur so kann es wieder ebenso selbstverständlich werden, in Krakau oder Prag zu studieren wie in Madrid oder Paris, in Budapest genauso wie in London oder Stockholm. Wir müssen diese Mobilität von europäischer Ebene aus für alle Studierenden sichern, egal aus welchem Land sie kommen.

   Die Bundesregierung hat mit der BAföG-Reform in der letzten Legislaturperiode die Weichen hierzu bereits richtig gestellt. Deutsche Studierende können viel leichter als früher ihr BAföG mit ins Ausland nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der Zugang zur akademischen Bildung je nach individueller Leistungsfähigkeit ist eine weitere, besonders wichtige gemeinsame Verpflichtung. Genau hierin besteht in Deutschland noch ein erheblicher Nachholbedarf. Wir müssen endlich die soziale Auslese im Bildungssystem beseitigen und den Talenten aller Menschen in Deutschland - nicht nur der Besserverdienenden - die Möglichkeit bieten, sich zu entwickeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   In Deutschland müssen endlich so viele Akademikerinnen und Akademiker ausgebildet werden, wie dieses Land braucht. Wenn wir weiter hinterherhinken, dann kann das deutsche Bildungssystem zur Belastung für den europäischen Einigungsprozess werden. Wir wollen dieses Problem nicht kleinreden, wie es die ansonsten von mir durchaus geschätzte Frau Staatsministerin Wolff zuletzt versucht hat.

   Der Antrag der Koalition greift notwendige Schritte auf. Wir wollen im europäischen Hochschulraum Vergleichbarkeit und Transparenz schaffen, ohne die Vielfalt akademischer Bildungsmöglichkeiten einzuschränken. Wir brauchen eine bundesweite Koordination der durch Bologna, Lissabon, Prag und Berlin angestoßenen Prozesse an den deutschen Hochschulen. Allein die Einführung des so genannten Europäischen Kreditpunkte-Systems macht noch an vielen Hochschulen Schwierigkeiten. Wir müssen dringend auf Kompatibilität achten.

   Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Thema Kompatibilität und Akzeptanz ausführen. Mit der gesellschaftlichen Anerkennung der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge ist es in Deutschland bislang nicht so weit gediehen, wie wir alle uns das wünschen. Diese Innovation braucht ihre Zeit, um bei den Studierenden, aber vor allem auch bei der Wirtschaft Vertrauen zu gewinnen. Die Beteiligten in Politik und Wissenschaft müssen ihren Beitrag leisten, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Die Studienpläne sind in vielen Fächern reformbedürftig. Es ist keineswegs damit getan, den Magister durch den Master zu ersetzen und ansonsten alles beim Alten zu belassen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Prozess der Integration der europäischen Hochschulen ist eine riesige Chance für alle deutschen Hochschulen und für alle deutschen Studierenden. Wenn wir die Dynamik in diesem Prozess nutzen, gelangen wir im europäischen Verbund wieder zurück an die Weltspitze. Lassen Sie uns diese Chance gemeinsam ergreifen! Die heutige Debatte lässt uns hoffen.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Kollegin Marion Seib, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Marion Seib (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Mittelalter ging von Bologna - einer der ältesten Universitätsstädte der Welt - in Sachen Bildung eine Initialzündung mit Auswirkungen auf die gesamte europäische Wissenschaftslandschaft aus. Betrachten wir den heutigen Bologna-Prozess als Synonym für eine Initialzündung zur Weiterentwicklung der Bildungssysteme in Europa. Der Bologna-Prozess hat das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines einheitlichen Hochschulraums in Europa geschärft.

   Ziel ist - darin sind wir uns alle einig; das hat auch jeder meiner Vorredner betont - die größtmögliche Flexibilität, Mobilität und internationale Wettbewerbsfähigkeit für Studierende in Europa. Dieses Anliegen ist von größter Bedeutung und deshalb unterstützenswert.

   Die europäischen Bildungsminister haben sich über die Schaffung eines europäischen Hochschulraums bis 2001 verständigt. Dieses Ziel soll unter Beachtung der institutionellen Kompetenzen, der nationalen Bildungssysteme und vor allem der Autonomie der Hochschulen umgesetzt werden.

   Auf der Nachfolgekonferenz in Berlin sollten über die Fortschritte Bilanz gezogen sowie Richtung und Prioritäten festgelegt werden. Positiv zu vermerken ist zunächst, dass das Doktorandenstudium als weiteres Ziel des Bologna-Prozesses festgelegt wurde.

   Wegen der Tragweite der Entscheidungen und der Tatsache, dass wir in vielen Positionen Neuland betreten, sei auf kritische Punkte der Bologna-Nachfolgekonferenz hingewiesen. Diese Kritik betrifft sowohl inhaltliche Fragen als auch Verfahrensfragen.

   Ich möchte mich dabei auf drei Schwerpunkte konzentrieren: erstens das fehlende Verständnis bei den Adressaten des Bologna-Prozesses, zweitens die Akkreditierung und Qualitätskontrolle und drittens die Erweiterung des Bologna-Prozesses.

   Die Umsetzung des Bologna-Prozesses wird nur von Erfolg gekrönt werden, wenn die Adressaten - also die Universitäten, Studenten und späteren Arbeitgeber - von den Zielen überzeugt sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eines der Kernelemente des Bologna-Prozesses ist die Umstellung unseres Studiensystems auf eine zweistufige Struktur. Die letzte Erhebung der Hochschulrektorenkonferenz weist für das laufende Wintersemester in Deutschland fast 1 800 Bachelor- und Masterstudiengänge aus. Im Zeitraum 2002/03 entschieden sich aber nur 2 Prozent der Studierenden für das neue System. Das ist doch eine recht kleine Anzahl. Mit anderen Worten: Die Universitäten, die Studenten und die Arbeitgeber stehen noch vor einem gewaltigen Umsetzungs- und Verständnisprozess. Alle schönen Worte auf den Konferenzen werden umsonst sein, wenn sich insbesondere die Lehrenden an den Hochschulen nicht konsequent und hochmotiviert daran beteiligen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge darf nicht mit der einfachen Umwandlung der Vordiplome in Bachelorabschlüsse und der Diplome in Masterabschlüsse verwechselt werden. Gerade die Einführung des Bachelor wird die Hochschullehrer bei der Konzeption der neuen Studiengänge zwingen, sich auf die wesentlichen Kernbereiche der beteiligten Fächer zu einigen, ohne die Berufsbefähigung der Bachelorabschlüsse aus den Augen zu verlieren.

   Eine wichtige Rolle bei der Motivation der Lehrenden spielt insbesondere der finanzielle Entscheidungsspielraum. Hier gibt der Bund ein schlechtes Vorbild ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im nächsten Jahr will er beim Hochschulbau 135 Millionen Euro - das sind rund 13 Prozent der bisherigen Mittel - sparen. Durch das Studiengebührenverbot verbaut er darüber hinaus den Hochschulen weitere Einnahmemöglichkeiten. Dies führt auf Dauer zu Frust und Demotivation bei den Entscheidungsträgern an den Hochschulen und kann unserem gemeinsamen Anliegen nicht dienlich sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Der Bologna-Prozess mit all seinen Chancen ist noch nicht in den Köpfen der jungen Menschen angekommen. Die katastrophale Arbeitsmarktlage - das gilt auch in steigendem Maße für Akademiker - zwingt junge Menschen verstärkt auf die berufliche Perspektive eines Hochschulabschlusses zu achten, zumal deutsche Studierende mit 16 Millionen Studierenden europaweit in Konkurrenz um Lohn und Brot stehen. Neue Abschlüsse ohne Rückschluss auf die Tauglichkeit im Berufsalltag entwickeln unter diesen Umständen nur wenig Anziehungskraft.

   Mit ihrer Verunsicherung stehen die Studenten aber nicht alleine da. Auch ein Großteil der potenziellen Arbeitgeber ist vielfach noch nicht hinreichend über die neuen Abschlüsse und deren Möglichkeiten informiert. Damit meine ich nicht die internationalen Großkonzerne. Ich spreche vielmehr vom deutschen Mittelstand, von dem Rückgrat unserer Wirtschaft. Der Mittelstand sind 3 Millionen Unternehmen mit 20 Millionen Beschäftigten. Diese Unternehmen beschäftigen zwei Drittel aller Arbeitnehmer in Deutschland. Die Mehrheit der Hochschulabsolventen findet hier ihren ersten Arbeitsplatz.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Errichtung eines europäischen Hochschulraums ist die Qualitätssicherung der einzelnen Studiengänge. Die beiden Instrumente zur Qualitätssicherung - Evaluation für die interne Qualitätsverbesserung und Akkreditierung zur Einhaltung extern vorgegebener Standards - stehen im Vordergrund der Diskussion. Auch das Berliner Kommuniqué der Ministerkonferenz geht auf die Qualitätssicherung ein. Bis zum Jahr 2005 sollen in allen Ländern entsprechende Strukturen geschaffen werden, danach sollen die internationalen Qualitätssicherungssysteme in ein europäisches Netzwerk für Qualitätssicherung eingebunden werden. Nur ein solches Netzwerk kann die Vielfalt kultureller Traditionen der verschiedenen Länder widerspiegeln.

   Bei der hochschulübergreifenden Qualitätssicherung hat sich Deutschland für die Einrichtung eines Akkreditierungsrates entschieden. Dieser Rat hat inzwischen sechs Agenturen zugelassen, die wiederum Studiengänge akkreditieren. Auf den ersten Blick sind wir vorangekommen. Aber ein genauer Blick auf die Zahlen trübt das Bild. Wir haben bis jetzt nur 338 akkreditierte Studiengänge. Bei gut 11 000 Studiengängen an deutschen Hochschulen ist das ein verschwindend geringer Anteil. Es bleibt zu befürchten, dass sich der Akkreditierungsstau nicht so leicht abbauen lässt. Selbst wenn es zu Gruppenakkreditierungen kommt und mehrere Studiengänge in einem Verfahren zusammengefasst werden, frage ich: Woher sollen die für die Akkreditierungsverfahren erforderlichen Gutachter kommen? Schon jetzt klagen die Agenturen über einen Mangel an Gutachtern.

Frau Flach, wir müssen - bundesweit - noch einmal über Folgendes reden: Auch wenn Bachelor und Master in Zukunft die wichtigsten Abschlüsse im Hochschulbereich darstellen werden, dürfen sie Diplomstudiengänge nicht völlig verdrängen. Die Kultusministerkonferenz hat dies als richtig erkannt und sich in ihren zehn Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur in Deutschland für die Beibehaltung bewährter Diplomabschlüsse über das Jahr 2010 hinaus ausgesprochen. Dies betrifft vor allem die weltweit anerkannten deutschen Ingenieurdiplome. Hier sollte man Bewährtes nicht fahrlässig aufgeben und über Bord werfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Bei der Umsetzung der Qualitätsabsicherung dürfen wir nicht vergessen, dass wir es nicht nur mit dem EU-Raum zu tun haben; die internationalen Entwicklungen im Bereich der Hochschulen, die zum Teil gegenläufig sind - wie in den USA -, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Der Erfahrungsaustausch in den supranationalen Netzwerken wird und muss auf die europäische Hochschullandschaft zurückwirken. Der Bologna-Prozess umfasst nicht nur EU-Staaten oder zukünftige EU-Mitglieder, sondern auch viele weitere Länder; beispielsweise gehören so unterschiedliche Staaten wie Norwegen oder die Türkei zu den Teilnehmern am Bologna-Prozess. In Berlin wurden weitere Länder aufgenommen, darunter Albanien, Bosnien-Herzegowina, Russland und der Vatikan. Damit ist die Anzahl auf 40 gestiegen.

   Ganze Regionen, wie die Karibik oder Lateinamerika, sind an einer engeren Zusammenarbeit mit den Ländern, die am Bologna-Prozess teilnehmen, interessiert. Bei dieser Entwicklung sei die Frage erlaubt, ob der Bologna-Prozess nicht über das Ziel hinausschießt. Ist eine Bildungslandschaft von Lissabon bis Wladiwostok oder von Berlin bis Rio noch überschaubar? Ziel des Bologna-Prozesses war und ist es, die weltweite Ausstrahlungskraft und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulraums zu stärken. In der Bologna-Erklärung von 1999 heißt es ausdrücklich:

Das Europa des Wissens kann seinen Bürgern die notwendigen Kompetenzen für die Herausforderungen des neuen Jahrtausends ebenso vermitteln wie ein Bewusstsein für gemeinsame Werte und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen sozialen und kulturellen Raum.

   Durch die Erweiterung des Bologna-Prozesses über den europäischen Kontinent hinaus sehe ich das Grundverständnis der Bologna-Idee gefährdet. Die Idee eines gemeinsamen europäischen Hochschulraums wird dadurch eher verwässert als vorangebracht und kann zu herben Enttäuschungen bei allen Beteiligten führen.

   Sehr geehrte Frau Ministerin, am Ende des Rückblicks auf die Berliner Ministerkonferenz möchte ich Sie auffordern:

   Erstens. Wecken Sie das Verständnis bei den Adressaten des Bologna-Prozesses in Deutschland, damit die Motivation verbessert und die Kommunikation zwischen Absolventen, Hochschulen und der Wirtschaft fortgesetzt wird!

   Zweitens. Stärken Sie unsere eigenen Qualitätssicherungssysteme! Fördern Sie aktiv die Zusammenarbeit zwischen den zentralen Akkreditierungsorganisationen in Europa!

   Drittens. Behalten Sie bei der Neuaufnahme weiterer Mitglieder den Grundansatz der Bologna-Idee im Blick!

   Wir werden Sie wohlwollend, aber sicher auch kritisch begleiten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte den Gästen sagen: Ich bin Abgeordnete der PDS.

   Frau Bulmahn, Sie haben auf Ihrer Internetseite dieses Thema mit „Studieren ohne Grenzen“ überschrieben. Diese Idee ist uns sehr sympathisch. Doch es gibt Befürchtungen, die - soweit ich weiß - auch Sie teilen, dass wir zwar bald eine gemeinsame europäische Hochschullandschaft ohne Grenzen haben werden, aber immer weniger Studierende über die finanziellen Mittel verfügen werden, um diese Grenzen wirklich zu überschreiten. Ich meine, wir dürfen uns in dieser Debatte nicht nur über die Angleichung von Abschlüssen unterhalten, sondern wir müssen uns auch mit der sozialen Situation von Studierenden beschäftigen.

   Großbritannien ist nur ein Beispiel, das zeigt, dass nach der Einführung von Studiengebühren die Bedingungen für die Studierenden immer schlechter geworden sind: Die Gebühren sind gestiegen und Freibeträge für ärmere Studierende sind gesenkt worden. Eine Verbesserung der Studienbedingungen an den staatlichen Hochschulen und Universitäten konnte selten festgestellt werden.

   Auch in Deutschland wird das Thema Studiengebühren heiß diskutiert. Die Rednerin der CDU/CSU meinte unbedingt betonen zu müssen, dass Studiengebühren eingeführt werden müssen. Ich denke, es ist ein Irrglaube, dass Studiengebühren die Situation in den Universitäten und Hochschulen verbessern und die Studentinnen und Studenten damit zu nachgefragten Kunden werden. Ich kann nur hoffen, dass man in Deutschland nicht die gleichen Fehler wie in Großbritannien machen wird.

Die Diskussion über Studiengebühren ist doch nur ein Vorspiel für diejenigen, die Bildung als Geld bringende Dienstleistung auf den Markt bringen wollen. Es besteht die reale Gefahr, dass mit den GATS-Verhandlungen ein Wettbewerb um die tertiäre Bildung entfesselt wird, der für unsere Gesellschaft nicht gut ist. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Reiche, Frau Flach, am Anfang möchte ich Ihnen darin Recht geben, dass das ein gemeinsamer Prozess ist, also ein Prozess, der nicht erst mit einer sozialdemokratisch-grünen Regierung begonnen hat. Wenn man anerkennt, dass der Ausgangspunkt Sorbonne, Paris, war, dann erkennt man auch an, dass es schon damals einen Konsens gab und dass Herr Rüttgers an dem ersten Schritt mitgewirkt und dort Einfluss genommen hat. Wenn das so ist, dann kann man genauso anerkennen, auch ausdrücklich, dass eine sozialdemokratisch-grüne Regierung mit einer Bildungsministerin Bulmahn in diesem Prozess ungemein konstruktiv, wirkungsvoll und tiefgreifend positiv verändernd mitgewirkt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Anerkennung des ersten Schritts von Herrn Rüttgers führt dazu - hoffe ich -, dass das ganze Haus fair die Anerkennung für das ausspricht, was in vier Jahren darauf aufgebaut worden ist.

(Ulrike Flach (FDP): Noch freundlicher konnte es nicht werden, Herr Rossman!)

Ich meine wohl, dass es da auch Differenzierungen gibt.

   Wenn wir jetzt eine Parlamentsdiskussion dazu führen, dann müssen wir kritisch reflektieren, dass wir nach 1998, Sorbonne, glaube ich, keine große Parlamentsdebatte zu diesem Thema gehabt haben, dass wir auch Bologna ohne große Parlamentsdebatte haben vorbeigehen lassen - wir haben uns gefreut, aber wir haben das nicht zum parlamentarischen Gegenstand gemacht - und dass für Prag das Gleiche gilt. In Berlin nun sind wir endlich parlamentarisch beteiligt.

(Beifall bei der SPD)

Selbstkritisch müssen wir aber sagen: Wir sind nach Berlin dabei. In Zukunft muss es so sein, dass wir vor der nächsten Konferenz in Bergen, vor dem nächsten Schritt, und vor den weiteren Schritten beteiligt werden.

(Beifall der Abg. Ulrike Flach (FDP))

Das ist die Selbstverpflichtung, die wir als Parlamentarier haben.

   Der Antrag, den wir von den Koalitionsfraktionen eingebracht haben, ist einer, der vieles nur begrüßen kann, der aber in manchem Perspektiven aufzeigt. Trotzdem bitten wir darum, dass er nach Beratung im Ausschuss möglichst von allen Fraktionen hier im Parlament mitgetragen wird.

(Ulrike Flach (FDP): Dann müssen die Abgeordneten aber auch zu der Konferenz zugelassen werden! Das wäre eine deutliche Verbesserung!)

- Den Wunsch der Parlamentarierin Frau Flach, dass die Abgeordneten zugelassen werden sollten, mögen wir als überzeugte Parlamentarier mittragen; gleichzeitig wissen wir aber, dass es dabei auch um pragmatische Fragen geht. Bologna ist mittlerweile zu einem so großen Prozess geworden - es gibt so viele Beteiligte, zum Beispiel Studenten und Vertreter der Hochschulen aus den jeweiligen Staaten -, dass wir einen Weg der Parlamentarisierung finden müssen, so wie wir das im EU-Bereich erreicht haben, wenn es um einen europäischen Bildungsraum geht.

   Die Reflexion über das, was eigentlich passiert ist, möchte ich an einer Stelle zuspitzen: beim europäischen Bildungs-, Forschungs- und Wissenschaftsraum. Frau Bulmahn hat gesagt, dass die Hochschulen dort eine Schlüsselrolle einnehmen. Frau Berg hat von einer Vision gesprochen. Ich will mich mit dem auseinander setzen, was Frau Seib gesagt hat. Frau Seib, ich teile Ihre Einschätzung, dass es gut und, ich glaube, auch in unser aller Interesse ist, dass Russland in diesen europäischen Bildungsraum mit einbezogen ist, selbst wenn Russland bis Wladiwostok reicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist fast ein Wunder, welche Länder hierbei mitmachen. Dabei müssen wir immer wissen, welche Unterschiede zwischen Ländern wie England, den Niederlanden oder Deutschland als den reichsten Ländern und einem Land wie Albanien, einem der ärmsten Länder, bestehen und wir müssen uns klar machen, dass wir uns in diesem Prozess nicht überfordern dürfen.

   Es ist gut und wichtig, dass diese Erweiterung über den engeren EU-Rahmen hinausgeht. Die Karibik und andere Staaten, die hier angesprochen wurden, sollen - so habe ich es jedenfalls verstanden - zwar nicht Teil des europäischen Hochschulraums werden, aber es wäre gut, wenn der Prozess, der sich jetzt in Europa vollzogen hat, auch zum Vorbild für andere Regionen wird und sie auf diese Weise auch am Prozess teilhaben können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, auf dieser Ebene können wir zusammenfinden, ohne dass irgendwelche Ressentiments geweckt werden.

   Ein weiterer Punkt, der den Blickwinkel betrifft, ist mir aufgefallen: Wir haben hier im Parlament immer wieder schnell Europa und die USA verglichen und lange darüber diskutiert. Wir haben also das US-amerikanische Hochschul- und Forschungssystem als Bezugspunkt für uns gewählt. Wir haben jetzt aber die Chance, einen eigenen europäischen Bezugspunkt herzustellen. Das gibt neues Selbstbewusstsein und schafft Identität. Dadurch kann man junge Menschen gewinnen und Tradition und Moderne verbinden. Ich glaube, es tut uns gut, wenn wir in Zukunft häufiger fragen, wie es die Niederländer, die Norweger oder die Russen machen, statt immer nur zu fragen, wie es die USA machen. Bei der Gestaltung dieser Dinge geht es auch ein wenig um eine Emanzipation Europas.

   Frau Ministerin, Sie haben am Anfang gesagt, Wettbewerb, Flexibilität und Freiheit sollen ebenfalls wachsen. Gleichzeitig geht es ja auch darum - ich möchte noch einmal einen Aspekt verstärken, den ich in Ihrer Rede wahrgenommen habe -, festzuhalten, wie die europäische Hochschulidee aussieht. Als Erstes nenne ich die Verbindung bzw. die Einheit von Forschung und Lehre. Diese gibt es nicht in allen anderen Hochschulräumen der Welt, aber sie ist seit den Hochschulgründungen von Bologna und Prag bis in die Gegenwart ein Teil unserer Tradition. Hinzu kommt der freie Zugang zu den Hochschulen. Dies muss auch bei der Debatte um Hochschulgebühren beachtet werden, wenn man anfängt, verschiedene Maßstäbe für Erst- und Zweitstudium anzulegen und festzulegen, wann ein Erststudium ungebührlich überzogen wird. Weiterhin nenne ich die Eigenständigkeit von Hochschulen. Diese muss als Maßstab für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen staatlicher Reglementierung und Autonomie in Form von eigener rechtlicher Gestaltungsfähigkeit der Hochschulen angelegt werden. Außerdem nenne ich die Vielfalt und nicht zuletzt auch als demokratische Komponente die Beteiligung von Professoren, Lehrenden und Lernenden an der Gestaltung der Hochschulen. Wenn man all dieses zusammennimmt, gewinnt der europäische Hochschulraum auch eine eigene Qualität und man unterwirft ihn nicht der rein ökonomischen Betrachtung des einheitlichen Wirtschafts- und Arbeitsraums.

   Peter Glotz, früherer Vordenker der SPD, sagte vor einiger Zeit einmal auf die Frage, wie man Bildung in Zukunft definieren könne: Sie muss humanistisch, ökologisch und europäisch sein. Ich glaube, dieser 15 Jahre alte Ausspruch von Peter Glotz findet unter anderem im Berlin von heute eine Entsprechung und Erfüllung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der Prozess - das haben Frau Seib und andere angesprochen - beinhaltet einen sehr ehrgeizigen Fahrplan. Es ist ja gut, wenn man schnell vorankommen will, aber man darf sich dabei nicht verhaspeln. Wir müssen die unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die die einzelnen beteiligten Länder vorlegen, berücksichtigen. Wir müssen diesen Prozess sicherlich in manchen Punkten beschleunigen, wir müssen uns aber zugleich auch auf bestimmte Fragen konzentrieren, denn man kann nicht alles zur gleichen Zeit anfassen. Die Bildungsminister der beteiligten Staaten haben sich deshalb auch auf drei Schwerpunkte konzentriert: Qualität, Stufung des Studiums und Transparenz, also gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen.

   Sie, Frau Bettin, sagten, einen weiteren Schwerpunkt stelle die soziale Dimension dar. Wenn man ehrlich ist, muss man dazu sagen, dass dies kein primärer Schwerpunkt ist. Ich möchte hier auch einmal kritisch fragen, ob dieser Frage eine solche Rolle in einem Hochschulraum, der von Russland über Albanien bis zu den Niederlanden reicht, zukommen könne. Wenn wir die soziale Dimension an den Anfang aller Fragen setzen und mit ihrer Hilfe einen europäischen Hochschulraum konstituieren wollten, besteht am ehesten die Gefahr, dass man sich verhaspelt, die Hochschulen überlastet bzw. mit zu hohen Ansprüchen belastet, weil die sozialen Bedingungen, also die Lebensbedingungen, in dieser Vielzahl von Ländern so unterschiedlich sind. Das heißt nicht, dass man nicht in einigen Schlüsselfragen dieses Thema angeht. Aber die soziale Dimension gleich an die erste Stelle der Schwerpunkte zu setzen, birgt aufgrund der Verschiedenartigkeit der Länder in sich die Gefahr der Überforderung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Man muss sich darüber austauschen. Wenn es dann an anderer Stelle um bestimmte Schlüsselpunkte geht, wird das hoffentlich Ihre Unterstützung finden.

   Ich will nicht auf alles Positive eingehen. In Bezug auf die Qualität möchte ich nur erwähnen, dass die Akkreditierung ein komplexer Prozess ist und Zeit braucht. Wir von der SPD-Fraktion fragen uns, ob zur Akkreditierung, zur Qualitätssicherung nicht auch gehört, dass man bei der Bildungsforschung, bei der wissenschaftlichen Betrachtung, nicht nur in den Blick nimmt, was sich an den Schulen vollzieht - siehe PISA - und wie das Thema Ganztagsschulen - eine aktuelle Debatte - anzugehen ist, sondern auch das Geschehen im Hochschulbereich: Wie kann dort, im Curricularen, in der Verbindung von Forschung und Lehre für mehr Qualität gesorgt werden? Wie findet man Menschen, die bei der Qualitätssicherung mitwirken können? Diese Fragen sind nicht hinreichend beleuchtet. Wenn wir den Prozess von Bologna fortführen wollen, dann muss Hochschulforschung ein Schwerpunkt sein, der parallel aufgebaut wird. Sonst bleibt Qualitätssicherung eher eine formale Frage.

   Eine Anmerkung in Bezug auf das in Bachelor und Master gestufte Graduierungsverfahren. Man darf nicht alles als Konsens erscheinen lassen; sonst wird nicht mehr deutlich, dass es im Parlament verschiedene Auffassungen gibt. Deshalb, Frau Reiche, müssen Sie sich an dieser Stelle zwei Kritikpunkte gefallen lassen.

   Den Abgeordneten und auch den Hochschulen ist teilweise noch bekannt, wie wir das Hochschulrahmengesetz novelliert haben und dass es damals eine Auseinandersetzung über die Frage gab: Soll dort verbindlich geregelt werden, dass die Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt werden, oder soll die Einführung ausschließlich freiwillig geschehen? Die CDU/CSU war für die Freiwilligkeit. Wir haben parlamentarisch die Verbindlichkeit durchgesetzt. Wie stünden wir heute im Bologna-Prozess da, in dessen Rahmen die Einführung bis 2005 beschlossen worden ist, wenn wir uns damals nur auf Freiwilligkeit geeinigt hätten? An dieser Stelle haben Sie die historische Entscheidung verpasst.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der zweite Kritikpunkt. Sie haben von der „Luft der Freiheit“ gesprochen; ich dachte immer, es hieße „Wind der Freiheit“. Sie meinten damit, die Hochschulen sollten in die Freiheit entlassen werden, was die Auswahl der Studenten angeht. Sie haben aber doch schon die Freiheit, 25 Prozent der Studierenden selbst auszuwählen. Sie nutzen diese Freiheit aber nicht, können es vielleicht auch nicht, weil Auswahlgespräche eine zusätzliche Last bedeuten. Sie können uns in diesem Zusammenhang nicht vorwerfen, wir würden die Freiheit der Hochschulen beschneiden wollen. Es besteht eher die Gefahr, dass von Ihren Vorstößen nichts als heiße Luft bleibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Eine Frage bleibt: Wo sind Schlüsselstellen, an denen wir wirklich aktiv werden können? Frau Flach, Sie sprachen den Wissenschaftstarifvertrag an. Das ist natürlich eine Frage der Tarifpartner, aber seien wir ehrlich: Wenn Unternehmen nicht wissen, wie sie mit Bachelor- und Masterabschlüssen umgehen sollen, dann müssen Bund, Länder und Kommunen deutlich machen und als Vorbild dienen, wie damit umgegangen werden kann.

(Ulrike Flach (FDP): Es geht dabei auch um die Anerkennung!)

Es geht auch um die Anerkennung und die Gleichwertigkeit von Bachelor- bzw. Masterabschlüssen im Fachhochschul- und Hochschulbereich. Das könnte eine Schlüsselstelle sein, bei der wir die FDP nachdrücklich darum bitten: Sorgen Sie in den Ländern, in denen Sie der CDU in die Hacken treten können, dafür, dass sie dort richtig in Fahrt kommen. Im Moment ist es so, dass die CDU- bzw. CSU-geführten Länder eher bremsen.

   Den Arbeitgebern müssen wir sagen: Wer auf kürzere Studienzeiten drängt, wer einen ersten berufsorientierenden Abschluss in Form von Bachelor fordert, der darf nicht erwarten, dass das mit einem „Diplom in kurzer Zeit“ gleichzusetzen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ulrike Flach (FDP))

Man darf nicht glauben, man könne plötzlich mit einem geringeren Aufwand zum gleichen Preis ein besseres Ergebnis bekommen. Zusätzlich zum Bachelorabschluss müssen in den Unternehmen Weiterbildungspläne zur Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgestellt werden. Denn dieser Abschluss alleine reicht nicht aus. Das müssen wir ganz klar und hart sagen.

   Meine vorletzte Bemerkung bezieht sich auf Ihren Antrag, Frau Flach, den Sie bezüglich der Mitnahme von BAföG in den gesamten europäischen Hochschulraum eingebracht haben. Wir sind mit der BAföG-Novelle weit vorangekommen. Auch wir denken darüber nach, aber man muss wirklich gründlich darüber nachdenken.

(Ulrike Flach (FDP): Nehmen Sie diesen Antrag als Anstoß!)

Dabei gibt es viele Probleme. Ich möchte Ihnen einige nennen.

   Bisher gibt es Zuschlagssysteme. Wenn man diese nivelliert und auf das BAföG-Niveau bringt, dann stehen sich viele schlechter. Wollen wir das? Bisher ist nicht geregelt, ob Angehörige von in Deutschland lebenden Ausländern BAföG erhalten können. Wie ist es in Grenzregionen? Wie wirkt sich die neueste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus?

   Wir nehmen diese Fragen auf; aber wir beantworten sie nicht in einem solchen Schnellschussverfahren, wie Sie es mit Ihrem Antrag vorsehen. Haben Sie dafür bitte Verständnis.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Auf den Konferenzen von Bologna bis Bergen wird über den europäischen Hochschulraum gesprochen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass der Prozess in der EU mit wegweisenden Programmen wie SOKRATES und ERASMUS begonnen wurde. Es ist die finanzielle Seite, auf der sich die Kernregion für einen europäischen Hochschulraum engagieren kann, damit Studierende in den Austausch einsteigen können. Mittlerweile haben wir, glaube ich, den millionsten von ERASMUS Geförderten. Das ist eine große Zahl, aber im Vergleich zu 16 Millionen noch zu wenig.

   Vielleicht gelingt es uns gemeinsam, die Finanzdebatte nach Europa zu tragen. Ist es wirklich gut, mit über 50 Prozent der Mittel des europäischen Haushaltes einen europäischen Agrarraum zu konstituieren, während man in Bezug auf den Forschungsraum mit 2,5 Milliarden Euro einen bescheidenen Fortschritt macht und Bildung mit unter 1 Milliarde Euro eine marginale Größe ist? Oder können wir zu Umgewichtungen kommen, sodass der Prozess europäischer Hochschulraum materiell unterfüttert wird?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Diese Vorstellungen bringen wir in die Debatte ein. Es gibt viel Übereinstimmung. Es muss jetzt ein konzentriertes Zusammenwirken von Bund und Ländern mit Folgekonferenzen und Koordinierung geben. Wenn der Bund sich über das zehnte Ziel - Doktorandenstudium - freut, muss er selber Vorschläge machen. Er muss sich auf die soziale Dimension, die Mitnahme von Studienförderung nach dem BaföG, konzentrieren.

   Ich freue mich, dass die Konferenz in Berlin stattfinden konnte. Jedenfalls mir geht es noch so. Von der konservativen Seite wird häufig suggeriert, Sozialdemokraten seien geschichtslos und gefühllos. Für mich ist es immer noch etwas Besonderes, durch das Brandenburger Tor zu gehen. Als Schüler habe ich an der Mauer gestanden und konnte nach Ostberlin nur hinüberschauen. Dass eine solche Konferenz in Berlin stattfinden kann, hat nicht nur Symbolwert, sondern bedeutet auch eine Verpflichtung:

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Brücke zu sein zwischen Ost und West in einem Hochschulraum Europa, in dem qualitative Hochschulbildung ein gemeinsames und selbstbewusstes Ziel ist.

   Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Christoph Bergner, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich bekenne mich zu Beginn meiner Ausführungen gerne zur Gemeinsamkeit der Zielvorstellungen und zur Kontinuität im Bemühen um das Ziel eines europäischen Hochschulraumes. Wir wollen einen Hochschulraum, in dem Studierende und Wissenschaftler ganz selbstverständlich von einer Hochschule eines Landes zu einer Hochschule eines anderen Landes wechseln können. Es soll keine bürokratischen Hemmnisse geben. Studien- und Prüfungsleistungen sollen anerkannt werden können. Wer mit jungen Leuten spricht, die solche Hochschulwechsel, zum Teil durch EU-Programme gefördert, absolvieren, weiß, dass wir an dieser Stelle durchaus noch manches zu tun haben.

   Aber bei aller Gemeinsamkeit in der Zielstellung gibt das Thema doch auch Anlass zu Debatten und Kontroversen.

   Ich möchte mit dem Selbstverständnis der Politik bei der Schaffung eines europäischen Hochschulraumes beginnen. Sie, Frau Bulmahn, haben - wie ich finde, zu Recht - darauf verwiesen, dass wir mit der Schaffung eines europäischen Hochschulraums eigentlich ein Stück Rückbesinnung vornehmen. Es ist in der Tat so: Wissenschaft war schon immer grenzüberschreitend. Die Scientific Community hat selbst die Widerstände des Eisernen Vorhangs überwunden. Das heißt, wir als Politiker haben hier nicht die Schulmeister zu spielen und die Wissenschaft in Richtung Internationalität zu drängen. Vielmehr haben wir an Internationalität in der Forschungskommunikation anzuknüpfen und dabei Konsequenzen für Studium, Lehre und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu ziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Warum sage ich das? Ich sage das, weil ich möchte, dass in diesem Prozess die Hochschulautonomie und die Wissenschaftsfreiheit weitestgehend respektiert werden. Damit knüpfe ich genau an das an, was Kollegin Reiche gesagt hat. Wie wichtig es ist, Wissenschaftsautonomie zu betonen, wird gerade dann deutlich, wenn wir uns dem Problem der Studiengänge zuwenden. Ich weiß, dass dieser Prozess nur erfolgreich sein kann, wenn die Politik Auflagen macht. Ich nenne beispielsweise die Einführung des Credit-Punktsystems und das Diplom-Supplement.

   Ich bin auch dafür, ein zweistufiges Graduiertensystem einzuführen. Aber ich halte es für problematisch, wenn wir aus politischer Perspektive die Realisierung des europäischen Hochschulraums allein an der Quote der eingeführten Bachelor- und Masterstudiengänge messen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich finde es geradezu abenteuerlich, Frau Flach, wenn wir als politisches Oktroi die Streichung herkömmlicher Studiengänge als Maßstab für den Erfolg bei der Schaffung eines europäischen Hochschulraums machen wollen.

(Ulrike Flach (FDP): Das tut doch keiner!)

Deshalb bin ich der Kultusministerkonferenz sehr dankbar, dass sie betont, dass es auch über das Jahr 2010 hinaus gute Gründe für die Beibehaltung bewährter Diplomabschlüsse gibt.

   Ich will auf wenigstens einen dieser Gründe eingehen. Wir beklagen in unserem Land - wie ich finde, zu Recht - eine Schwäche beim naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Ausbildungspotenzial und einen Mangel an entsprechenden Abschlüssen. Wenn wir dies tun, sollten wir aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die akademische Bildung im Bereich der Natur- und Ingenieurwissenschaften in ganz besonderer Weise auf Diplomstudiengängen beruht. Ich halte es vor diesem Hintergrund geradezu für leichtfertig, die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengänge auf Kosten der Diplomstudiengänge, die gestrichen werden sollen, als politisches Oktroi durchzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Wer will das denn?)

- Entschuldigung, ich habe Frau Flach in ihrer Erwiderung auf die Äußerungen von Frau Reiche so verstanden, dass jetzt den herkömmlichen Studiengängen der Kampf angesagt werden soll.

(Jörg Tauss (SPD): Jetzt muss ich Frau Flach in Schutz nehmen!)

Davor kann ich nur warnen. Es wäre schön, wenn wir in diesem Punkt übereinstimmen würden. Dann würden wir vielleicht auch in einem anderen Punkt Einigkeit erreichen, auf den ich jetzt zu sprechen komme.

   Wir wissen seit PISA, welche Defizite im Bereich der schulischen Bildung auftreten. Ich kann nur davor warnen, die Lehrerausbildung gewissermaßen schockartig und flächendeckend auf ein zweigestuftes System umzustellen, da die Auswirkungen noch nicht absehbar sind. Ich bin der Meinung - in diesem Punkt unterscheiden wir uns, Frau Flach -, dass der Arbeitsmarkt und nicht der grüne Tisch der Bildungsbürokratie über die Zukunft der Diplomstudiengänge entscheiden sollte. Das ist der Punkt, auf den es uns ankommt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Was den Arbeitsmarkt betrifft, so nehme ich zur Kenntnis - das steht übrigens ein wenig im Widerspruch zu offiziellen Verlautbarungen des BDA -, dass Personalchefs die breite theoretische Grundbildung, wie sie im Rahmen von Diplomstudiengängen gegeben ist, sehr wohl zu schätzen wissen, weil sie für die Einsatzmöglichkeiten und Flexibilität im späteren Berufsleben wichtig ist. Auch dies ist ein Gesichtspunkt, den wir nicht ignorieren sollten.

Zweiter Punkt. Es geht nicht um Etikette, sondern um die Qualität der Abschlüsse. Auch darin scheinen wir übereinzustimmen. Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen? Es war wichtig, dass auf der Berliner Konferenz das Akkreditierungssystem - hoffentlich verbindlich - für den gesamten europäischen Raum vereinbart wurde. Aber damit ist natürlich neben der internen Evaluierung nur ein Teil der Qualitätssicherung gegeben.

   Wir sollten uns darüber klar sein, dass der Bachelorabschluss strukturell in der Gefahr steht, zu einem Abbrecherzertifikat zu werden, das zwar die Statistik der Abbrecherquote verbessert, den jungen Menschen aber im Grunde genommen nicht das mitgibt, was sie auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich brauchen.

(Zuruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD))

- Ich wende mich nicht gegen diesen Abschluss, Herr Rossmann,

(Zuruf von der SPD: Doch!)

sondern versuche, uns vor Augen zu führen, wie wichtig die Beachtung der Qualität ist.

   Wenn wir europäisch denken, kommen wir an dem Umstand nicht vorbei, dass der Abschluss in den Herkunftsländern des Bachelor- und Masterabschlusses, im angelsächsischen Raum, je nach Hochschule, an der er erreicht wird, ein ganz unterschiedliches Gewicht und eine ganz unterschiedliche Bedeutung hat. Frau Bulmahn, ich hätte mir gewünscht, dass auf der Konferenz auch hierzu einmal Stellung genommen wird, damit es nicht so aussieht, als ob nur bei uns Hausaufgaben erledigt werden müssten. Auch in diesem Bereich brauchen wir eine entsprechende Anpassung und bestimmte Veränderungen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Beim Gesichtspunkt der Qualität gibt es eine ungelöste Strukturfrage. Es wundert mich, dass dies bisher keiner angesprochen hat. Der Ruf nach verkürzten, praxisnahen Studiengängen, der uns bei der Forderung nach der Einführung eines Bachelorabschlusses begegnet, ist zumindest in der alten Bundesrepublik Deutschland nicht neu. Die Antwort, die die alte Bundesrepublik Deutschland darauf gegeben hat, war die Gliederung des Hochschulwesens in Fachhochschulen und Universitäten.

   Nun legen wir auf dieses gegliederte Hochschulsystem eine weitere Gliederung in Gestalt gestufter Studienabschlüsse. Wie kritisch dies für uns als Rahmengesetzgeber ist und welcher Klärungsbedarf sich an dieser Stelle ergibt, wird bei der Lektüre der Kleinen Anfrage der FDP zu laufbahnrechtlichen Konsequenzen der Abschlüsse deutlich. Dabei ist hervorgegangen, dass der Masterabschluss an Fachhochschulen einer weiteren Akkreditierung bedarf, damit er laufbahnrechtlich dieselben Konsequenzen hat, wie es ein vergleichbarer Abschluss an den Universitäten ermöglicht. Das heißt, wir werden in nächster Zeit, wenn wir die Europäisierung der Studiengänge ernst nehmen, über die Frage „Profilierung unterschiedlicher Hochschultypen versus zweistufige Studienabschlüsse“ - diese Frage wurde bisher verdrängt - sprechen müssen. Diese ungeklärte Frage will ich zumindest in den Raum stellen, um uns deutlich zu machen, dass die Verkündung von Bildungszielen allein nicht ausreicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Machen Sie bei der Anerkennung mit?)

- Herr Kollege Tauss, ich kann in den wenigen Minuten Redezeit, die mir noch bleiben, nicht darauf eingehen. Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass gute Gründe für eine Gliederung des Hochschulwesens sprechen. Ihr Finanzminister wird Ihnen das bestätigen.

(Jörg Tauss (SPD): Ich meinte die Anerkennung der Abschlüsse!)

Wenn gute Gründe für eine Gliederung des Hochschulwesens sprechen, dann werden wir nicht leichtfertig mit der Frage umgehen können, ob die Abschlüsse je nach Hochschule gleichwertig beurteilt werden können. Dies ist meine persönliche Meinung. Ich hoffe, wir haben noch Gelegenheit zur Diskussion über diese Frage.

   Ich fasse kurz zusammen: Wir sind für eine Europäisierung des Hochschulraumes. Dies ist ein lohnendes Ziel. Es ist prinzipiell richtig, dabei die Grenzen der EU zu überschreiten. Aber ebenso wie meine Kollegin Seib muss ich auf Folgendes hinweisen: Wenn es uns um die Ausstrahlung des europäischen Hochschulraumes geht, müssen wir unsere Kräften kalkulieren und dürfen unsere Ambitionen nicht bis Wladiwostok ausdehnen.

   Zweiter Punkt. Eine Europäisierung kann keine Uniformisierung der Studiengänge bedeuten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir brauchen eine selbstbewusste Haltung zu gewachsenen und erfolgreichen Studiengängen in der Bundesrepublik Deutschland.

Letzter Punkt. Hauptakteur in diesem Prozess müssen nach unseren Vorstellungen die Wissenschaft, die Fachbereiche und die Hochschulen selbst, sein. Die Politik hat lediglich die Aufgabe der Rahmensetzung. Diese Bescheidenheit sollten wir in der Diskussion zum Ausdruck bringen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Anna Lührmann, Bündnis 90/Die Grünen.

Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die europäische Einigung wird nur Wirklichkeit, wenn auch unsere Lebensentwürfe wirklich europäisch werden. Deswegen wollen wir ein Europa des Wissens, einen europäischen Hochschulraum, schaffen: vernetzt, vergleichbar und vor allen Dingen verfügbar für alle Studierenden.

   Der europäische Bildungsgipfel in der letzten Woche hat uns diesem Ziel ein gutes Stück näher gebracht. Der Bologna-Prozess ist der richtige Weg. Doch die Bologna-Ziele müssen jetzt schnell umgesetzt werden. Nur dann kann Europa binnen sieben Jahren zu einem Raum des Lernens werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich gebe zu: Noch bin ich skeptisch. Ich bin skeptisch, ob wir es beim jetzigen Umsetzungstempo wirklich schaffen, bis 2005 europaweit zweigliedrige Studienzyklen einzuführen, sprich: den Bachelor und den Master. Noch skeptischer bin ich, ob das wirklich dazu führt, dass Studierende bald problemlos beispielsweise von der Uni in Heidelberg an die Uni in Mailand oder Wien wechseln können.

   Nach meinen persönlichen Erfahrungen mit den Neuerungen im deutschen Hochschulsystem - das kann ich Ihnen aus erster Hand berichten - bin ich da eher ernüchtert: So war es mir diesen Sommer nicht möglich, meine European Credit Transfer Points aus meinem Bachelor-Studiengang an der Berliner Humboldt-Universität an die Fernuni in Hagen zu übertragen -; und das, obwohl die Kurse inhaltlich nahezu identisch sind. Wenn also die Anerkennung erbrachter Studienleistungen noch nicht einmal in Deutschland klappt, frage ich mich doch, wie das europaweit funktionieren soll.

   Klar ist: Der Hochschulwechsel muss einfacher werden. Das ist mehr als notwendig, aber nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis. Also arbeiten wir daran: in Deutschland und in Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU))

   Lesen Sie manchmal Stellenanzeigen? Wenn ja, dann wissen Sie, dass internationale Erfahrung und interkulturelle Kompetenz heute in vielen Arbeitsbereichen ganz selbstverständliche Voraussetzungen sind. Diese gelten als wesentliche Soft Skills. Doch so selbstverständlich ist diese Qualifikation gar nicht. Nur rund 10 Prozent aller deutschen Studierenden studieren im Ausland. Dafür gibt es viele Erklärungen. Die Bundesregierung hat das Problem erkannt. Sie hat das Auslands-BaföG entsprechend reformiert.

   Ich glaube aber, ein wesentlicher Punkt ist, dass Studierenden stärker vermittelt werden muss, dass Europa für sie wichtig ist: sowohl als Bürgerinnen und Bürger als auch in ihrem späteren Beruf. Deshalb muss die europäische Dimension obligatorischer Bestandteil eines jeden Studienfaches werden.

   Etwas mehr Europa in jedem Studium würde auch helfen, ein weiteres Problem des europäischen Hochschulraumes zu beheben. Es entsteht eine Zweiklassenmobilität: Die Studienplätze in der alten EU sind heiß begehrt, wohingegen nur wenige im europäischen Osten studieren wollen. Man muss halt nicht unbedingt Slowenisch sprechen, um international Karriere machen zu können. Englisch und Französisch sind da hilfreicher. Deswegen ist auch Deutschland als Studienland kein Favorit. Die Europäisierung des Studiums kann also die Lösung dieser Probleme sein.

   Dazu mache ich drei konkrete Vorschläge, die teilweise von Frau Bulmahn schon umgesetzt werden:

   Erstens. Wir brauchen europaweite Netzwerke von Hochschulen und grenzübergreifende Studiengänge. Der Transfer von Wissen, von Studierenden und Ressourcen kann so wesentlich vereinfacht werden.

   Zweitens. Vor allem müssen wir die Studienangebote auch sprachlich europäisieren. Das heißt ganz konkret: mehr Seminare und Vorlesungen auf Englisch.

   Drittens. Jedes Studium muss thematisch die europäische Perspektive im Blick haben. Nur dann werden die jungen Leute die Chancen Europas erkennen und auch ergreifen.

   Die Europäische Union hat sich in Lissabon als strategisches Ziel die Verwirklichung eines wissensbasierten Wirtschaftsraumes gesetzt. Dafür brauchen wir europäische Bildung, dafür brauchen wir europäische Köpfe. Nur so hat Europa eine Chance; nur so kann eine europäische Identität entstehen. Die Weichen sind nach dem Treffen in Bologna gestellt. Jetzt muss der Zug endlich an Fahrt gewinnen.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

   Die Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1579 und 15/1582 sollen zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss und an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe Zusatzpunkt 1 sowie Tagesordnungspunkt 20 auf:

ZP 1 Vereinbarte Debatte

zur aktuellen Lage im Irak

20. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Den politischen Neubeginn und Aufbau des Irak mitgestalten

- Drucksache 15/1011 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundeskanzler Gerhard Schröder.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerhard Schröder, Bundeskanzler:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anlass der Reise nach New York war der 30. Jahrestag des Beitritts Deutschlands zu den Vereinten Nationen, besser gesagt: der Wiederaufnahme Deutschlands in die Vereinten Nationen. Ich hatte dort deutlich zu machen, was Kern unseres Selbstverständnisses in dieser internationalen Organisation ist. Meine zentrale Aussage war: Unser Land nimmt im Bewusstsein seiner Geschichte Verantwortung für kooperative Friedenspolitik wahr - mit wirtschaftlichen und politischen, aber, wo erforderlich, auch, gemeinsam mit den Partnern in der NATO und der Europäischen Union, mit militärischen Mitteln.

   9 000 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland sind für unterschiedliche Friedensmissionen legitimiert, durch die Vereinten Nationen und natürlich durch dieses Hohe Haus. Gerade deswegen wollen wir deutlich machen, dass sich unser Sicherheitsbegriff nicht in militärischen Fragestellungen erschöpft, sondern dass wir bei den Ursachen der Konflikte, die zu lösen anstehen, ansetzen und immer wieder ansetzen wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich lege Wert darauf, dass deutlich wird: Armutsbekämpfung in einem sehr umfassenden Sinne ist Teil vernünftig verstandener Sicherheitspolitik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Genauso deutlich muss werden, dass angesichts neuer Bedrohungen eine effektivere multilaterale Zusammenarbeit mehr denn je notwendig ist. Das ist der Grund, warum wir uns in New York für eine Stärkung der Vereinten Nationen und für eine Verbesserung ihres Instrumentariums eingesetzt haben. Wir unterstützen die Reformvorschläge, die der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, gemacht hat, Reformvorschläge, die zu einer noch besseren Legitimation des Sicherheitsrates führen sollen und - wir sind optimistisch, was die Umsetzung angeht - auch führen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei geht es insbesondere um die Erweiterung des Sicherheitsrates, und zwar durch Staaten der Dritten Welt, aber unter Umständen auch - das ist in den Diskussionen und Wortbeiträgen aller deutlich geworden - durch eine stärkere Einbeziehung Deutschlands bzw. Japans. Ich habe immer wieder deutlich gemacht, dass wir bereit sind, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen, dass dies aber im Rahmen des Reformprozesses, um den es dabei geht, geschehen sollte und geschehen wird.

   Selbstverständlich haben im Mittelpunkt dessen, was diskutiert worden ist, unterschiedliche internationale Fragestellungen gestanden. Diese waren auch Thema der bilateralen Gespräche, die ich sowohl mit dem amerikanischen Präsidenten als auch den Präsidenten Russlands und Frankreichs sowie den Staats- und Regierungschefs anderer betroffener Länder geführt habe.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Im Mittelpunkt stand zum Beispiel die Entwicklung der Situation in Afghanistan. Ich denke, es ist richtig und wichtig, dass auch in diesem Hause deutlich wird, wie sehr unsere Partner in der internationalen Politik den Beitrag Deutschlands insbesondere in Afghanistan schätzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich hatte Gelegenheit, ein ausführliches Gespräch mit dem afghanischen Präsidenten Karzai zu führen, der berichten konnte - es wird von anderen bestätigt -, dass es ihm gelungen ist, zu einer Stabilisierung in seinem Land beizutragen. Er hat deutlich gemacht, dass es Anzeichen für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und natürlich auch für eine verbesserte Sicherheitslage gibt. Genauso klar muss indessen allen sein, dass diese positive Entwicklung in sich zusammenbrechen würde, wenn die internationale Staatengemeinschaft ihre Hilfe einstellte. Besser wäre es, wenn beschlossen würde - das werden wir tun -, diese internationale Hilfe als Beitrag zur Gewährleistung von mehr Sicherheit und verbesserten Aufbaubedingungen in diesem Land auszuweiten. Deswegen haben wir sehr intensiv über verbliebene Probleme gesprochen. Mir liegt daran, dass auch hier deutlich wird, dass insbesondere die Situation im Süden und Südosten Afghanistans nicht der Sicherheitslage entspricht, die nötig ist, um auch dort von einer umfassenden Sicherheit sprechen zu können, soweit man das in diesem Land überhaupt tun kann.

   Mit den Partnern in der NATO und der EU werden wir dafür sorgen müssen, dass insbesondere der pakistanische Präsident und seine Regierung alle Möglichkeiten der Taliban, sich jenseits der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan aufzuhalten, unterbinden werden. Es wird wichtig sein, dass die pakistanische Regierung in dieser Frage noch besser als in der Vergangenheit kooperiert.

   Es wurde auch anerkannt - das ist keine Überraschung -, dass wir uns entschlossen haben, unser Engagement in Afghanistan auf Kunduz auszuweiten. Ich kann anmerken, dass es dazu einer Ausweitung des ISAF-Mandats bedarf und dass die Wahrscheinlichkeit, dass dies positiv gesehen wird, sehr groß ist. Wir haben in dieser Frage sowohl die Zustimmung der Vereinigten Staaten von Amerika als auch die Frankreichs und Russlands, sodass ich davon ausgehe, dass in sehr kurzer Zeit eine entsprechende Ausweitung des Mandats der Vereinten Nationen erfolgt.

   Selbstverständlich hat die Situation im Irak ebenso im Mittelpunkt der Gespräche gestanden und großen Raum eingenommen. Mir liegt deswegen daran, hier noch einmal die Position der Bundesregierung zur weiteren Entwicklung im Irak deutlich zu machen. Wichtig ist die gemeinsame Überzeugung, dass unabhängig von der Frage, wie man zur Notwendigkeit des Krieges stand - ob zustimmend oder nicht zustimmend -, die Staatengemeinschaft insgesamt - inklusive Europa und naturgemäß auch Deutschland - ein dringendes Interesse daran hat, dass es zu einem freien, demokratischen und in seinen Strukturen natürlich auch stabilen Irak kommt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Rachel (CDU/CSU))

   Ich glaube, dass ein stabiler Irak in der Region ein wichtiger Beitrag sein könnte, um auch zu mehr Stabilität in der Region zu kommen. Auch das war Gegenstand der Gespräche. Dabei ist in Bezug auf den Nahostkonflikt klar geworden, dass es zu der Roadmap, die das Quartett vereinbart hat, keine rationale Alternative gibt

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und dass es ungeachtet all der schrecklichen Schwierigkeiten, die es in der Region gibt, unsere gemeinsame Pflicht ist, immer wieder dafür zu sorgen, dass versucht wird, das, was in der Roadmap festgeschrieben worden ist, zu implementieren.

   Der Wiederaufbau Iraks - das ist gemeinsame Auffassung - ist in erster Linie eine Angelegenheit der Iraker selbst. Es ist Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft, verkörpert durch die Vereinten Nationen, ihnen dabei mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu helfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus diesem Grund ist es wichtig, die irakische Souveränität so rasch wie möglich und natürlich auch praktisch erfolgreich wiederherzustellen. Hierzu ist nach unserer Auffassung ein realistischer Fahrplan nötig, der einige zentrale Wegmarken enthalten muss. Zum einen geht es um die Ausarbeitung einer Verfassung und zum anderen um die Durchführung freier und demokratischer Wahlen, naturgemäß unter der Ägide der Vereinten Nationen. Dabei ist ein pragmatisches Vorgehen wichtig. Man muss vermutlich trennen zwischen der Übertragung von Souveränität in der eben erläuterten Weise und der Übertragung administrativer Regierungsgewalt an eine notwendigerweise zu schaffende provisorische Regierung des Irak.

   Wir haben die Hoffnung, dass in diesen Eckpunkten auch im Weltsicherheitsrat Gemeinsamkeit hergestellt werden kann. Das erscheint deshalb möglich, weil es in dieser Frage prinzipiell keine Unterschiede gibt zwischen denen, die im Weltsicherheitsrat zu entscheiden haben. Sowohl Frankreich als auch wir, aber eben auch die Vereinigten Staaten von Amerika, sind der Auffassung, dass es einer Souveränitätsübertragung bedarf. Gegenwärtig verhandeln die Außenminister über die Frage, wie der Zeitplan beschaffen sein sollte. Darüber müsste man Einigkeit erzielen können. Das wird Sache der laufenden Verhandlungen in New York, aber auch der Gespräche, die die Außenminister zu führen haben, sein.

   Klar ist, dass die internationale Staatengemeinschaft auch materiell wird helfen müssen. Dazu bedarf es natürlich zunächst einmal einer präzisen Bedarfsanalyse. Sie wissen, dass diese Bedarfsanalyse gegenwärtig von der Weltbank und vom IWF erstellt wird. Es geht um die Frage, was gebraucht wird, um den Wiederaufbau realistischer anzugehen. Dabei muss man berücksichtigen, dass der Irak nach Wiederaufnahme seiner Erdölförderung und Wiederherstellung und Absicherung der entsprechenden Ölpipelines ein potenziell reiches Land ist. Natürlich müssen die notwendigen Mittel erst mobilisiert werden, um sie für den Wiederaufbau einzusetzen. Gleichwohl gilt, dass die mittelfristig zu erwartenden Öleinnahmen eingesetzt werden müssen, um den Wiederaufbauprozess voranzubringen und zum Erfolg zu führen.

   Erst nach Auswertung dieser Analyse macht eine Geberkonferenz, um die es geht, wirklich Sinn. Erst dann kann konkret bestimmt werden, was gebraucht wird und wer was zu leisten imstande ist. Bezogen auf den Beitrag Deutschlands will ich sehr klar machen, dass wir nicht daran denken, uns im Irak militärisch zu engagieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Ganz neu!)

Angesichts unseres Engagements im Übrigen verstehen die Partner diese Haltung Deutschlands durchaus. Wir haben darüber hinaus klar gemacht, dass wir bereit sind, die gegenwärtig durch uns geleistete humanitäre Hilfe - die ist beachtlich, auch im Vergleich zu anderen - weiterzuführen. Es wird in der nahen Zukunft darum gehen, ob und gegebenenfalls welche konkreten Projekte mit deutscher Hilfe durchgeführt werden können. Einige unserer Fachleute vom THW sind bereits im Irak im Einsatz. Natürlich achten wir dabei strikt darauf, dass die Sicherheit dieser Experten garantiert wird. Die internationalen Finanzinstitutionen sind in erster Linie berufen, Leistungen für den Wiederaufbau bereitzustellen. Darüber hinaus wird es um Hilfen von der Europäischen Kommission gehen.

   Ich habe zudem deutlich gemacht, dass Deutschland bereit ist, beim Aufbau von irakischem Sicherheitspersonal selbst konkrete Hilfe zu leisten. Meine persönliche Überzeugung ist - sie wird von vielen geteilt -, dass es in der jetzigen Phase eben nicht in erster Linie darum geht, die Anzahl der im Irak eingesetzten Soldaten zu erhöhen, sondern dass zusätzliche Sicherheit vor allem dann hergestellt werden kann, wenn irakisches Sicherheitspersonal in ausreichender Zahl zur Verfügung steht; denn ausschließlich diese Menschen haben die Fähigkeit, mit der Bevölkerung umfassend zu kommunizieren, und ausschließlich diese Menschen verfügen über die notwendigen Kenntnisse von Kultur und Mentalität, um auf Dauer erfolgreich Sicherheit garantieren zu können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Hier liegt der Grund, warum wir angeboten haben, bei der Ausbildung von Polizei mit bei uns gegebenenfalls vorhandenen Kapazitäten und Fazilitäten hilfreich zu sein.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Fazilitäten - was für ein Wort!)

Wir können das in durchaus beachtlichem Maße, nicht zuletzt in Deutschland, machen. Wir sind aber auch bereit, dies in einem anderen Land in Zusammenarbeit mit unseren Partnern zu erwägen.

   Mein Eindruck ist, dass der angebotene Beitrag durchaus Beachtung findet, weil insgesamt gesehen wird, dass vor allen Dingen die Ausbildung von irakischem Sicherheitspersonal, sei es schwerpunktmäßig Polizei, sei es aber auch Militär, geeignet ist, einen Sicherheitszuwachs herzustellen. Damit wird deutlich, dass der Beitrag Deutschlands hinsichtlich seiner internationalen Verpflichtungen und seiner Bereitschaft, mitzuhelfen, durch den Wiederaufbau und das Herstellen von Demokratie im Irak Stabilität in der Region zu schaffen, als beachtlich gewürdigt wird. So sollten wir das auch miteinander vertreten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In den unterschiedlichen bilateralen Gesprächen sind über diese beiden Problembereiche hinaus insbesondere zwei Themen zu tage getreten, bei denen es innerhalb der NATO und anderen internationalen Organisationen große Übereinstimmung gibt. Der erste Punkt ist: Wie schafft man es, in Zukunft besser - ich könnte auch sagen: noch besser - dafür zu sorgen, dass Massenvernichtungswaffen nicht weiterverbreitet werden? Dabei hat sich gezeigt, dass nicht nur die Europäer, sondern auch die Vereinigten Staaten von Amerika bereit sind, dem VN-Sicherheitsrat in dieser Frage eine neue Bedeutung zu geben. Dies ist meiner Meinung nach ein positiver Ansatz, der dem entspricht, was Deutschland in den unterschiedlichsten Zusammenhängen immer vertreten hat, und den wir deswegen begrüßen und unterstützen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Punkt ist die Sorge um die Entwicklung im Iran gewesen. Hier wird anerkannt, dass der Brief der Außenminister Englands, Frankreichs und Deutschlands klar gemacht hat, dass die Europäer, aber auch andere vom Iran erwarten, mit der Internationalen Atomenergiebehörde umfassend zu kooperieren. Ich denke, dass das ein Feld wichtiger Gemeinsamkeiten innerhalb Europas ebenso wie im transatlantischen Verhältnis ist. Wir haben alle ein Interesse daran, deutlich zu machen, dass wir gemeinsam die Erwartung haben, dass diese Kooperation umfassend geleistet wird und dass Erfolg dieser Kooperation einen umfassenden Verzicht auf die Herstellung von Massenvernichtungswaffen durch den Iran bedeuten muss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deswegen sind wir auf einem guten Weg, insbesondere was den Reformprozess der Vereinten Nationen angeht, was unsere Rolle als Teil der Vereinten Nationen angeht und was die deutsche Rolle in den internationalen Konflikten, über die hier zu berichten war, angeht.

   Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Angela Merkel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 30 Jahren, anlässlich des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zur UNO, hat Bundeskanzler Willy Brandt vor der Vollversammlung sinngemäß gesagt: Ich komme aus einem Land mit zwei Staaten, aber einem Land, das sich als eine deutsche Nation versteht.

   Sie, Herr Bundeskanzler, haben gestern anlässlich des 30. Jahrestages der deutschen Mitgliedschaft wieder vor der UNO gesprochen. Sie kamen als Bundeskanzler einer deutschen Nation, die heute in einem Land wiedervereint ist. Ich glaube, nichts kennzeichnet besser das, was sich in diesen 30 Jahren vollzogen hat: eine großartige Entwicklung. Das sage ich ganz bewusst kurz vor dem 13. Jahrestag der deutschen Einheit.

   Eine solche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland war nur möglich auf dem Fundament der Arbeit eines Bundeskanzlers wie Konrad Adenauer, der die Westbindung Deutschlands verankert hat, trotz aller Widerstände und großer Debatten, eines Bundeskanzlers wie Willy Brandt, der die Öffnung Richtung Osten durchgesetzt hat, gegen viele Widerstände und mit großen Debatten, und eines Bundeskanzlers Helmut Kohl, der die Vision der deutschen Einheit und der europäischen Einigung nicht aus den Augen verloren und sie weiter verfolgt hat, was uns heute in den Zustand bringt, dass wir hier in Berlin im wiedervereinten Deutschland diese Debatte führen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Was diese Tradition deutscher Außenpolitik immer geeint hat, ist, dass sie eine Richtung und einen Kompass hatte. Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern nach 16 Monaten den amerikanischen Präsidenten wieder getroffen. Wenn ein solches Treffen, bei dem, wie im Fernsehen gezeigt wurde, der deutsche Bundeskanzler - vorsichtig formuliert: leicht verkrampft - mit dem amerikanischen Präsidenten, getrennt durch einen runden Tisch, erfreulicherweise zusammen sprechend zu sehen war,

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

zum Ereignis des Jahres hochstilisiert wird, dann muss ich zumindest fragen, ob dieser Kompass zeitweise verloren gegangen ist. Ich glaube, etwas schon.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Für die Opposition, für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sage ich aber auch: Wir wollen, dass deutsche Außenpolitik in der Welt Gewicht hat. Wir wollen, dass man sich auf unser Wort verlassen kann.

(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das kann man doch!)

Deshalb haben wir den gestrigen Tag als einen Punkt gesehen, an dem Ansätze zur Besserung zu erkennen waren.

(Beifall bei der CDU/CSU - Franz Müntefering (SPD): Bei wem?)

   Es ist ja wahr - Sie, Herr Bundeskanzler, haben es immer wieder gesagt, wir sagen es auch -: Die Welt hat sich dramatisch verändert. Der Kalte Krieg ist zu Ende. Die deutsche Einigung steht symbolisch dafür. Willy Brandt hat 1973 vor der UN-Vollversammlung gesagt: Wir sind hierher gekommen, um auf der Grundlage unserer Überzeugungen und im Rahmen unserer Möglichkeiten Verantwortung zu übernehmen.

   Natürlich haben wir heute als vereinigtes Land eine neue Souveränität gewonnen. Ich persönlich würde nicht von Emanzipation sprechen, wie Sie es tun, weil ich glaube, dass deutsche Außenpolitik immer emanzipiert war, von Konrad Adenauer über Willy Brandt hin zu Helmut Kohl. Aber natürlich haben wir Souveränität und damit auch Verantwortung gewonnen und müssen uns fragen - und zwar ganz anders fragen, als wir es früher getan haben -: Was sind unsere Interessen?

   Im Übrigen sind wir das größte Land Europas. Wir haben nicht nur Verantwortung, sondern von uns erwartet man auch ein Stück Führung. Die Welt hat sich verändert.

   Der 11. September steht symbolisch für die neuen Gefährdungen, für terroristische Gefahren, mit denen wir uns auseinander setzen müssen. Deshalb teilen wir vieles von dem, was Deutschland an Verantwortung übernommen hat.

   Aber, Herr Bundeskanzler, der 11. September 2001 ist gut zwei Jahre vorbei und wir haben die „uneingeschränkte Solidarität“ mit den Vereinigten Staaten von Amerika erlebt - eine Formulierung, die wir vonseiten der Union so nie gebraucht hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben ein Jahr später den „deutschen Weg“ erlebt, von dem wir so auch nie sprechen würden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Wellenbewegung, dieses Hin-und-Her-Optieren zwischen Extremen, das darf nach meiner festen Überzeugung deutsche Außenpolitik in der Zukunft nicht kennzeichnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Sie haben gestern gesagt: Aber die Geschichte und unsere unmittelbaren Erfahrungen lehren uns, dass wir scheitern werden, wenn wir unser Denken und Handeln auf militärische und polizeiliche Aspekte verengen.

   Ich kann diesem Satz uneingeschränkt zustimmen. Aber ich glaube,

(Zuruf von der SPD: Ohne „Aber“!)

meine Damen und Herren, es gehört eine Ergänzung dazu, nämlich dass unsere Geschichte und unsere unmittelbaren Erfahrungen uns lehren, dass wir auch scheitern werden, wenn wir die militärischen Optionen von vornherein ausschließen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, dies gilt generell, so wie Ihr Satz generell gilt, und nicht punktuell, je nachdem, wie wir es gerade für richtig befinden.

   Die Tatsache, dass wir unsere Außenpolitik, unsere Verantwortung für die Welt niemals auf militärische und polizeiliche Aspekte verengen würden, zeigt schon die Existenz von Klaus Töpfer bei der UNO, zeigt die gesamte Handlungsweise der damals CDU/CSU-geführten Bundesregierung im Rio-Prozess, in der Verantwortung für Klimaschutz, zeigt unsere Entwicklungshilfepolitik. Hier gibt es eine große Kontinuität.

   Deshalb ist es völlig unstrittig, dass über die UNO hinaus internationale Verhandlungsprozesse gestärkt werden müssen. Vorgänge wie jetzt bei der WTO-Konferenz in Cancun sollten sich nach Möglichkeit nicht wiederholen. Wir sind völlig einer Meinung, dass hier wieder Fortschritt erreicht werden muss, dass das Scheitern solcher internationalen Verhandlungen ohne jeden Zweifel ein Rückschlag ist.

   Es ist in diesem Zusammenhang allerdings auch bedauerlich, wenn der Deutsche Gewerkschaftsbund beim Scheitern solcher Verhandlungen applaudiert; denn das stärkt den Weltfrieden mit Sicherheit nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Deshalb sind wir davon überzeugt, dass Krieg niemals ein normales Mittel der politischen Auseinandersetzung werden darf. Darauf haben wir auch immer wieder hingewiesen. Wir sind aber auch überzeugt: Wenn die internationale Staatengemeinschaft Autorität erlangen will und die freien und demokratischen Staaten dieser Welt Gewicht haben sollen, ist es wichtig, dass sie die von ihnen gefassten Beschlüsse schlussendlich auch durchsetzen. Darin lag unser Dissens. Auch wenn wir jetzt nach vorne blicken, darf das nicht vergessen werden.

   Für mich muss die deutsche Außenpolitik bestimmten Bedingungen genügen: Erstens. Europa darf auf internationaler Ebene nicht gespalten agieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zumindest muss alles unternommen werden, um im Vorfeld eine gemeinsame europäische Position zu finden.

(Zuruf von der SPD: Um welchen Preis?)

   Eines der Dilemmata der Auseinandersetzungen im UN-Sicherheitsrat lag doch darin, dass Europäer gegeneinander gestanden haben. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass Sie in Berlin den französischen Präsidenten Chirac und den britischen Premierminister Blair getroffen haben. Es war zwar bedauerlich, dass man sich in Bezug auf die Verhandlungen in der UNO noch nicht auf eine gemeinsame Position verständigen konnte, aber es war erkennbar, dass es Fortschritte gibt. Dieser Weg muss weiter beschritten werden.

   Ich halte es für sehr vernünftig und für einen unglaublichen Fortschritt, dass das Solana-Papier in der Europäischen Union akzeptiert wurde. Hätte es vor dem Irakkonflikt vorgelegen, wäre uns vieles erspart geblieben. Es sollte auch die Grundlage für die weitere Arbeit bilden.

   Zweitens glaube ich, dass Deutschland - wenn es seine Interessen vertreten will - nur die Option hat, dafür Sorge zu tragen, dass Europa nicht gegen die Vereinigten Staaten von Amerika steht.

   Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts besteht in der Bekämpfung des Terrorismus, der nicht irgendeine Gefahr darstellt, mit der jeder Staat alleine fertig wird; vielmehr erfordert seine Bekämpfung die Gemeinschaft aller demokratischen Staaten der Welt. Selbst dann werden wir noch jahrelang in allen Facetten mit diesem Problem zu tun haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Joachim Günther (Plauen) (FDP))

Dass ich der festen Überzeugung bin, Europa und Amerika müssen diesen Kampf gemeinsam durchführen, folgt nicht dem alten Denken, dass Europa und Amerika immer zusammengestanden haben,

(Gernot Erler (SPD): Geht es noch ein bisschen allgemeiner?)

wie das schon zuzeiten des Kalten Krieges war. Ich bin vielmehr der festen Überzeugung, dass es die Gemeinsamkeit unserer Werte erforderlich macht, an dieser Stelle unsere Kräfte zu bündeln.

   Drittens. Wir müssen als Bundesrepublik Deutschland bzw. als größtes Land Europas dafür Sorge tragen, dass Europa Führungsstärke zeigt, und zwar nicht nur in der moralischen Argumentation - das wird nicht reichen -, sondern auch hinsichtlich der Wirtschaftskraft und der militärischen Möglichkeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Herr Bundeskanzler, in diesem Zusammenhang besteht das Problem - das kann auch nicht wegdiskutiert werden -, dass sich die Fähigkeiten der Bundeswehr und die verfügbaren finanziellen Ressourcen zurzeit nicht an den Bedrohungen, sondern an den nationalen Begebenheiten ausrichten. Auf Dauer muss aber die Frage, welches Maß an Sicherheit und welche Ausstattung wir brauchen, an der Analyse der Bedrohungen ausgerichtet werden. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass andere Staaten militärische Kapazitäten zur Verfügung haben, die die Bedrohung widerspiegeln und von denen wir an hinterer Stelle profitieren können.

(Beifall bei der CDU/CSU - Gernot Erler (SPD): Gucken Sie doch mal, was andere machen, Frau Merkel! Vergleichen Sie doch mal!)

   Viertens muss deutsche Außenpolitik ihrerseits gemeinsam mit einer möglichst europäischen Außenpolitik dafür Sorge tragen, dass Europa als so verlässlich gilt, dass die Amerikaner nicht den Fehler machen, zu glauben, sie als Supermacht könnten die Fragen in dieser Welt alleine regeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Gernot Erler (SPD): Oh, welche Erkenntnis!)

Das würde in die Irre führen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe im Übrigen bei meinen Amerikabesuchen immer wieder darauf hingewiesen, dass auch wir unseren Beitrag dazu leisten müssen.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Es gibt Protokolle des Deutschen Bundestages, in denen das ein bisschen anders klingt!)

Wir sprechen hier über das, was wir tun können. Entscheidend sind dabei Verlässlichkeit und Berechenbarkeit, damit Meinungsunterschiede in einem vertrauensvollen Verhältnis ausgetragen werden können. Das ist die Grundlage dafür, dass sich niemand selbst überschätzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Fünftens. Wir sind mit Ihnen der Meinung, dass die UNO der Ort ist, an dem in einer globalen Welt Konflikte ausgetragen und geregelt werden müssen sowie über entsprechende Maßnahmen entschieden werden muss. Wir unterstützen genauso wie Sie das Engagement in Afghanistan.

(Gernot Erler (SPD): Das werden wir ja sehen!)

Die Frage, was dort weiter zu tun ist, muss erlaubt sein; denn die Lage in Afghanistan ist nicht so, dass sie keinerlei Anlass zur Sorge gibt. Sie haben eben gesagt: bei den verbleibenden Problemen. Das ist eine relativ euphemistische Darstellung der Situation in Afghanistan.

(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Das kann man wohl sagen!)

Es hat sich auch hier herausgestellt - das sollte uns auch zu einer realistischen Betrachtung der Situation im Irak veranlassen -, dass Zeitpläne nicht so eingehalten werden können, wie wir uns das in Deutschland wünschen. Die Prozesse sind vielmehr außerordentlich kompliziert.

(Gernot Erler (SPD): Das ganze Leben ist kompliziert!)

Deshalb habe ich mit Freude gehört, dass Sie gesagt haben, wir könnten uns über die Zeitpläne bei einer UN-Resolution bezüglich des Iraks einigen. Ich halte das für richtig. Auch wir wollen, dass es in Afghanistan vorangeht. Wenn Sie aber realistisch sind, dann wissen Sie, wie kompliziert das Ganze ist.

(Unruhe bei der SPD)

- Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich aufregen. Das ist doch kein Vorwurf an Sie. Ich bitte Sie!

   Schauen Sie einfach nach Europa! Schauen Sie sich zum Beispiel an, wie schwierig die Situation in Bosnien noch immer ist. Lassen Sie uns die Dinge doch realistisch betrachten!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir alle haben uns doch gewünscht, dass heute kein UN-Beauftragter in Bosnien mehr tätig sein muss und dass die Prozesse dort schneller vorangehen. Wenn das aber nicht möglich ist, dann muss man mit viel Geduld und dem Bohren dicker Bretter versuchen, die Dinge in Ordnung zu bringen. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es ist entscheidend, dass wir auch den Prozess im Irak zu einem Erfolg führen. Ich kann verstehen, wenn Sie darauf hinweisen, dass wir hier im Gegensatz zu unserem Engagement in anderen Regionen und Ländern auch Restriktionen unterliegen. Aber hier kommt es sehr auf die Argumentation an. Lassen Sie mich aus einem Kommentar, der gestern Abend in der ARD gesendet wurde, zitieren:

Doch was wollen wir

- gemeint sind die Deutschen -

zum Beispiel im Irak? Haben wir ein Interesse daran, dass die Region politisch wieder stabil wird? Wenn ja,

- das ist hier die gemeinsame Überzeugung -

dann werden wir uns dort auch finanziell engagieren müssen - und vielleicht eines Tages auch mit Soldaten. Denn in der Außenpolitik gilt der Grundsatz: Leistung und Gegenleistung. Umsonst gibt es nichts. Also - um es mit Adenauer zu sagen -: Die Situation ist da.

Dieser Situation können wir uns prinzipiell nicht entziehen. Diese Situation müssen wir annehmen. Wir als Deutsche können nicht prinzipiell sagen: Hier scheren wir vollkommen aus und dort entscheiden wir, dass wir mitmachen. - Wir können unsere Kapazitäten bemessen. Aber prinzipiell können wir uns der Gesamtverantwortung nicht entziehen. Das sollte uns allen in diesem Hause klar sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir werden dabei sein, wenn es darum geht, dass Deutschland innerhalb der UNO mehr Verantwortung übernimmt. Wir werden auch dabei sein, wenn der UN-Sicherheitsrat gestärkt werden soll. Er muss handlungsfähig werden. Es ist unstrittig, dass er noch immer Strukturen aus der Zeit des Kalten Krieges aufweist. Ich unterstütze aus vollem Herzen den Satz: Die Regionen dieser Welt müssen im UN-Sicherheitsrat vertreten sein und ihre Rolle spielen. Es ist wichtig, dass Deutschland in diesen Fragen als ein Motor angesehen wird, der die UNO stärkt und der die Welt voranbringt, der aber auch akzeptiert, dass das Gewaltmonopol bei der UNO liegt und dass die UNO ihre Beschlüsse durchsetzen muss. So wie ein Staat nur unter bestimmten Bedingungen die Achtung seiner Bürger bekommt, so wird die Weltgemeinschaft die UNO nur achten, wenn sie nicht als Lame Duck dasteht, sondern ihre Interessen mit wirklicher Autorität durchsetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Dazu muss Deutschland seinen Beitrag leisten. Wir werden Sie unterstützen, wenn die Dinge in die richtige Richtung gehen. Das umfasst mehr als Soldaten und Polizisten; das umfasst Engagement in der Entwicklungshilfe und viele andere Verhandlungsbereiche. Aber das heißt eben auch: Wir müssen ökonomisch und militärisch stark sein. Wenn das der Fall ist, dann können wir unser Selbstbewusstsein auch nach außen tragen.

   Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Auf der Tribüne hat soeben der Präsident des tunesischen Parlaments M‘Bezaa mit seiner Delegation Platz genommen. Herr Präsident, wir begrüßen Sie und Ihre Delegation sehr herzlich.

(Beifall)

Wir hoffen, dass Sie in dieser kurzen Zeit einen aufschlussreichen Eindruck von unserer parlamentarischen Arbeit gewinnen können. Für Ihren heutigen Aufenthalt in unserem Haus und für Ihr zukünftiges Arbeiten wünschen wir alles Gute!

   Wir setzen die Aussprache fort. Das Wort hat der Kollege Ludger Volmer vom Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 11. September 2001 hat die internationale Politik einschneidend verändert. Seit diesen Terroranschlägen haben wir es mit einem neuen politischen Zeitalter zu tun. Die internationale Politik wird aber auch durch die politischen Antworten auf den internationalen Terrorismus bestimmt. In diesem Zusammenhang möchte ich für meine Fraktion festhalten: Wir stehen hinter der Bundesregierung bei ihrem Bemühen, die Probleme in Afghanistan mit den Missionen Enduring Freedom und ISAF sowie mit der Aufbaupolitik zu lösen. Das ist die richtige Reaktion auf den internationalen Terrorismus. Genauso deutlich sagen wir aber auch: Der Krieg gegen den Irak war falsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Der Krieg gegen den Irak hat vielleicht ein Problem gelöst. Saddam Hussein ist gestürzt; darüber können wir alle froh sein. Alle anderen Probleme bestehen allerdings fort oder sie sind sogar noch verschärft worden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Es ist vielleicht nicht mehr die richtige Zeit, zurückzublicken. Zumindest wir Außenpolitiker haben uns darauf verständigt, den Blick nach vorne zu richten und nach konstruktiven Lösungen der mit der Lage im Irak und in der gesamten Region verbundenen Probleme zu suchen.

   Frau Merkel, zum Blick nach vorne gehört auch, dass man sich der richtigen Tonlage befleißigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist nicht mehr die Zeit, rechthaberisch zu sein. Das gilt erst recht, wenn man, wie Sie, eher leise Töne anschlagen sollte, um nicht zu sagen: kleinlaut sein müsste.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie hätten die Reise des Bundeskanzlers nach Washington nicht erwähnen sollen; denn nun bleibt mir nichts anderes übrig, als die Reise zu erwähnen, die Sie vor einem Jahr unternommen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das war der Gipfel der Peinlichkeit in der deutschen Außenpolitik in den letzten Jahren.

   Ich kann hier im Namen meiner Fraktion und, ich denke, der gesamten Koalition sagen: Wir sind froh, dass sich der Bundeskanzler und der amerikanische Präsident gestern getroffen

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Nach 16 Monaten!)

und einen neuen Faden der Kooperation gefunden haben. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich sagen: Der Bundeskanzler, der Außenminister und das Kabinett, unterstützt von der Parlamentsmehrheit, haben in einer außerordentlich schwierigen Frage einen sehr schwierigen Disput durchgestanden und mit dem gestrigen Treffen gut zu Ende geführt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Während Frau Merkel angestrengt am Thema vorbeigeredet hat - wir wollten heute über den Irak reden -

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

und eine Art außenpolitischer Bewerbungsrede für die Kanzlerkandidatur abgeliefert hat, die Herr Stoiber vielleicht mit „Drei minus“ bewerten würde,

(Beifall der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Volker Kauder (CDU/CSU): Sie sind doch durchgefallen! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

möchte ich nach vorne schauen und an das anknüpfen, was der Bundeskanzler gerade vorgeschlagen hat.

   Im Irak entscheidet sich eine ganz wesentliche Frage, und zwar in den nächsten Monaten. Es hängt auch mit von uns ab, ob in dieser Frage in der richtigen Richtung entschieden wird. Im Irak entscheidet sich die Frage: Mündet das Ende der Despotie in Demokratie oder Staatszerfall? Das ist die wichtigste Frage, vor der wir im Moment stehen, und sie ist vielleicht auch für andere Regionalkonflikte beispielgebend.

   Daraus ergibt sich unsere Verantwortung. Unsere Verantwortung ergibt sich aus der Solidarität mit den Vereinigten Staaten. Nach dem 11. September - das möchte ich hier noch einmal betonen - war für uns die Solidarität mit den Vereinigten Staaten absolut selbstverständlich. Davon machen wir gar keine Abstriche. Aber die Dispute darüber, welches die richtigen Methoden sind, waren notwendig und in der einen oder anderen Dimension werden sie auch noch anhalten. Je nachdem, wie wir diese Diskussion führen und zu welchen Antworten wir kommen, wird sich die Frage, die ich gerade formuliert habe: „Mündet das Ende der Despotie in Demokratie oder Staatszerfall?“, entscheiden.

Wir haben mit den Amerikanern, mit der Europäischen Union und mit der internationalen Staatengemeinschaft das gemeinsame Interesse, dass es im Irak zu einem selbst tragenden demokratischen Friedensprozess kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Hans Raidel (CDU/CSU): Nicht mal die Regierungsbank glaubt, was Sie da sagen!)

   Wenn wir über unseren Beitrag reden, wenn wir darüber reden, welche Hilfe wir leisten können, dann werden wir uns auch Gedanken machen müssen, analytisch zumindest, welcher Schaden durch den Irakkrieg entstanden ist.

   Beginnen wir bei der Frage: Ist der Krieg eigentlich zu Ende? Präsident Bush hat nach dem Ende Saddam Husseins gesagt: Der Krieg ist vorbei. - Wir sehen aber die Gewalt im Irak. Muss man daraus nicht andere Schlussfolgerungen ziehen? Muss man nicht sagen: „Der Krieg als symmetrischer Staatenkrieg ist vorbei, aber er geht als Guerillakrieg niederiger Intensität weiter, nun noch vermischt mit terroristischen Aktionen, die von außen in das Land hineingetragen werden“? Man kann doch nicht davon reden, dass dort eine Nachkriegszeit existiert, in der wir mit den bekannten und erprobten Mitteln der Entwicklungspolitik ohne weiteres Wiederaufbauhilfe leisten könnten.

   Wir haben zudem gesehen, dass der Terror, der vor dem Sturz Saddam Husseins im Irak nicht existierte, in das Land eingedrungen ist. Vor dem Krieg gab es keine Verbindung von arabischem Nationalismus, für den Saddam Hussein stand, und islamistischem Terrorismus, für den Bin Laden steht. Nun aber beobachten wir, dass genau das eintritt, vor dem wir immer gewarnt haben, nämlich dass sich diese eigentlich antagonistischen Strömungen der arabisch-islamischen Welt verbünden, und zwar nicht nur gegen die Vereinigten Staaten, sondern gegen den Westen insgesamt und sogar gegen die Vereinten Nationen, der einzigen Kraft, die in der Lage ist, den Widerspruch zwischen Besetzten und Besatzern oder Befreiten und Befreiern aufzuheben, und das ist die tiefe Tragik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Für uns ergibt sich daraus die Notwendigkeit, weiterhin intensiv darüber nachzudenken, wie der internationale Terrorismus bekämpft werden kann und muss. Das ist nach wie vor die sicherheitspolitische Aufgabe Numero eins. Der Bundeskanzler hat angedeutet: Wir tun dies auf der Basis eines erweiterten Sicherheitsbegriffs. Militär mag dabei eine Rolle spielen, aber die Erfahrungen haben gezeigt, dass dessen Möglichkeiten begrenzt sind. Wir brauchen alle die Mittel polizeilicher und ziviler Strafverfolgung und Konfliktprävention, die insbesondere die deutsche Außenpolitik in den letzten vier Jahren entwickelt hat. Dafür treten wir in den internationalen Diskussionen ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Dazu gehört auch der weitere Kampf gegen Massenvernichtungswaffen, angeblich einer der Gründe, den Irak anzugreifen. Heute wissen wir: Der Irak hat keine Massenvernichtungswaffen, zumindest kann man keine finden.

   In diesem Zusammenhang beobachten wir eine negative Dialektik: Der Nachbarstaat Iran - das macht uns sehr große Sorge - arbeitet an einem Atomprogramm, was eigentlich nur den Sinn bzw. den Unsinn haben kann, in den Besitz von Atomwaffen zu kommen. Nun frage ich mich aber: Hatte der Irakkrieg bezogen auf iranische Atomprogramme einen präventiven Effekt? Kann Iran für eine Begrenzung seines Atomprogramms im Irakkrieg einen Anreiz sehen? Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Wir sehen auch am Beispiel Nordkorea, dass Staaten, die eine Intervention fürchten, dazu neigen, sich ein atomares Abschreckungs- und Bedrohungspotenzial zuzulegen. Auch aus diesem Grunde war der Irakkrieg falsch. Auch aus diesem Grunde war es falsch, dass aus der Mitte der Union eine Debatte über die Notwendigkeit von Präventivschlägen angezettelt wurde. Ich sage Ihnen hier - der Irakkrieg ist ein Beweis dafür -: Präventivschläge machen die Welt unsicherer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir sind uns in dieser Frage völlig mit Kofi Annan einig, der das gestern in seiner Rede mit aller Deutlichkeit erklärt hat.

   Nehmen wir einen weiteren Problempunkt, den Nahostkonflikt. Mit dem Angriff auf den Irak war die Vorstellung verbunden, man könne in einem Zuge den gesamten Nahen Osten neu ordnen und damit auch den Kernkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern lösen. Wie sieht die Situation heute aus? Die Roadmap, eine große Errungenschaft der internationalen Politik, wird im Moment von den Akteuren nicht ernst genommen. Auf beiden Seiten setzen sich die Scharfmacher und Hardliner durch, die die fruchtbaren Ansätze für eine Verständigung wieder zunichte machen wollen. Da soll mir einer sagen, das hätte nichts mit dem Irakkrieg zu tun. Das heißt jetzt aber umgekehrt nicht, dass wir die Roadmap fallen lassen dürfen. Die Roadmap ist für uns nach wie vor der einzig denkbare Orientierungs- und Fixpunkt in diesem Prozess.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wenn die amerikanische Administration im Moment durch das Desaster im Irak relativ geschwächt ist, dann ist es noch mehr als bisher Aufgabe der Europäischen Union, auf die Weitergeltung der Roadmap zu drängen. Dies ist nicht nur Aufgabe der staatlichen Außenpolitik, es ist auch Aufgabe des Parlaments. Deshalb fordere ich uns alle und die Gesellschaft insgesamt auf, mehr Berührungspunkte zum israelischen und zum palästinensischen Volk zu suchen und diesen beiden Völkern im intensiven Dialog dabei zu helfen, dass sie endlich aus ihrer Sackgasse herauskommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Meine Damen und Herren, die Terroranschläge gegen die UNO-Einrichtungen im Irak haben uns eines gezeigt: Auf der einen Seite ist die UNO die einzige legitime Kraft, die den Wiederaufbau des Irak koordinieren darf und auch für Rückhalt hierfür in der internationalen Staatengemeinschaft sorgen kann. Auf der anderen Seite ist die UNO verwundbar. Daraus ergeben sich verschiedene Konsequenzen. Eine Konsequenz jedoch liegt auf der Hand: Eine Politik, die die UNO stärken und sie in die Lage versetzen will, diese führende Funktion zu übernehmen, ist keine Politik, die gegen die USA gerichtet ist. Die UNO kann nur dann stark sein, wenn die Vereinigten Staaten mitmachen. Deshalb steckt in unserer Forderung nach einer Stärkung der UNO kein Alternativkonzept zu einer gewissen Großmachtpolitik der Vereinigten Staaten. Wir finden vielmehr, dass die Groß- bzw. Supermacht sich mit den Vereinten Nationen versöhnen muss, weil nur so die UNO stark genug wird und nur so die Amerikaner ihren moralischen Führungsanspruch, den sie in den vergangenen Jahren aufgebaut und danach teilweise selber wieder in Zweifel gezogen haben, wiedergewinnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Aus eben genau dem Sicherheitsdilemma, dass wir zwar die UNO als die organisierende Instanz einsetzen wollen, diese aber von den Konfliktparteien im Irak angefeindet wird, ergibt sich, dass wir einige andere Schritte unternehmen müssen. Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen und hat dabei unsere volle Unterstützung. Wir müssen im Dialog mit den Vereinigten Staaten und im Rahmen der UNO darauf hinarbeiten, dass es zur Irakisierung des Konfliktes kommt, zu einer schnell einsetzenden und einer Schritt für Schritt, aber systematisch betriebenen Souveränitätsabtretung von der Besatzungsmacht an die irakischen Behörden. Diese Politik scheint mir entscheidend zu sein. Wir wollen sie durch die Angebote, die der Bundeskanzler gestern gemacht hat, unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Meine Damen und Herren, wir haben uns mit diesem Aspekt der amerikanischen Außenpolitik in den letzten Monaten sehr kritisch befasst. Wir sehen auch keinen Anlass, von dieser Kritik etwas zurückzunehmen. Aber genauso entschieden sage ich: Wir sind absolut davon überzeugt, dass die transatlantische Partnerschaft und die deutsch-amerikanische Freundschaft Konstanten der deutschen Außenpolitik sind und bleiben müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Europa ist keine Gegenmacht zu den USA, sondern ein Pfeiler des transatlantischen Verhältnisses.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das haben wir aber ganz anders gehört! Von Ihren Regierungsmitgliedern!)

Vielleicht müssen wir dieses Verhältnis - hören Sie einmal zu, Herr Kauder - aber neu definieren. Bisher hat sich das Verhältnis aus den Erinnerungen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration gespeist. Ich gehöre zwar nicht mehr zur Kriegsgeneration, bin aber - das sind wir alle und das wird auch so bleiben - den Amerikanern dankbar dafür, dass sie, dass die Alliierten uns vom Hitler-Faschismus befreit haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Wir sind den Amerikanern dankbar, dass sie Westberlin gesichert haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir sind den Amerikanern - bei allen Disputen, die wir über die Politik der atomaren Abschreckung hatten - dankbar, dass sie sich zur Zeit des Kalten Krieges schützend auf unsere Seite gestellt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Volker Kauder (CDU/CSU): Ganz neu!)

Wir sind den Amerikanern dankbar für das, was sie für den deutschen Einigungsprozess getan haben.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Beleidigung des Präsidenten!)

Aber ich sage eines: Dialog und Partnerschaft dürfen nicht bedeuten, dass es aus Dankbarkeit zur Unterwürfigkeit kommt. Dialog heißt immer: Partnerschaft auf Augenhöhe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Deshalb schlage ich vor - das ist mein letzter Satz, Herr Präsident -: Wir sollten einmal offensiv über die Wertegemeinschaft der Europäer und der Amerikaner, die vielfach beschworen wird, aber immer dann, wenn es zu Disputen kommt, auch zu gewissen Enttäuschungen führt, diskutieren. Wir sollten mit den Amerikanern einen grundsätzlichen Dialog darüber beginnen, was westliche Werte sind, was unter Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit zu verstehen ist, -

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege, das war wohl eher der viertletzte Satz!

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

- und zwar bezogen auf unsere Interessen und auf die globale Politik.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Guido Westerwelle von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Intonierung der Debatte von heute Morgen aufgreifen. Ich finde nämlich, dass das Ziel dieser Debatte auch sein könnte, dass wir in diesem Hause in der Außenpolitik wieder zu dem Konsens zurückfinden, der viele Jahre, ja Jahrzehnte prägend für den Deutschen Bundestag gewesen ist.

(Beifall bei der FDP)

   Ich habe den Bundeskanzler und übrigens auch Frau Kollegin Merkel, die ihm geantwortet hat, heute sowohl von der Intonierung als auch vom Inhalt her so verstanden. Wenn man sich die Intonierung und auch den Inhalt bei beiden vor Augen führt, so kann man eines feststellen: Es führt nicht weiter, wenn wir diese Debatte über den Irak und den Krieg im Irak permanent mit einer Schuldfrage verbinden. Das löst kein einziges Problem.

(Beifall bei der FDP - Gernot Erler (SPD): Wer hat denn damit angefangen?)

Es geht auch nicht darum - insofern teile ich, auch von der Schärfe her, nicht das, was der Kollege Volmer hier ausgeführt hat -, dass wir uns gegenseitig vorhalten, warum diese Sprachlosigkeit entstanden ist. Aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung wissen wir: Erstens ist die Sprachlosigkeit, die zwischen Präsident Bush und Kanzler Schröder entstanden ist, nicht gut. Zweitens tragen - so ist es in der Regel - beide Verantwortung dafür. Drittens kann man den gestrigen Versuch, diese Sprachlosigkeit zu beenden, nur vorbehaltlos unterstützen.

   Mir ist eine verkrampfte Begegnung zwischen den beiden lieber als keine Begegnung.

(Beifall bei der FDP)

Selbst wenn es sich nur um eine symbolische Begegnung gehandelt hätte, wäre sie überfällig und richtig gewesen. Deswegen gibt es aus Sicht der Freien Demokraten an dieser Begegnung zwischen Präsident Bush und Bundeskanzler Schröder nichts zu bemängeln, nichts zu kritisieren. Es ist gut, dass diese Sprachlosigkeit überwunden wird. Ich fürchte aber, dass das allenfalls ein Anfang gewesen ist. Den Bemühungen um verbesserte transatlantische Beziehungen müssen jetzt konkrete Taten folgen.

(Beifall bei der FDP)

   Damit will ich einen Vorgang ansprechen, der viele Kolleginnen und Kollegen hier im Hause über die Parteigrenzen hinweg in dieser Woche erreicht hat. Wenn wir als deutsche Politiker doch der Überzeugung sind, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis wieder normalisiert werden muss, dass die Sprachlosigkeit überwunden werden muss, dann ist es an uns, diesen Worten Taten folgen zu lassen. Wenn jetzt darüber gestritten wird, dass der von Sozialdemokraten und PDS geführte Senat von Berlin die Mittel für das Aspen-Institut streichen will, dann verlangt das unsere höchste Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was heißt das denn? In derselben Stunde, wo sich der Bundeskanzler richtigerweise bemüht, das deutsch-amerikanische Verhältnis wieder zu verbessern, geht es hier um die Schließung des Aspen-Instituts. Das ist mehr als eine intellektuelle Veranstaltung. Diese Schließung hätte einen verheerenden Symbolwert, auch und gerade in der Wirkung auf Washington und die Vereinigten Staaten von Amerika.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Frau Staatsministerin - sie ist jetzt nicht da -, Herr Innenminister Schily, dies ist eine herzliche Bitte, ein Appell an Sie, sich dieser Frage anzunehmen. Wir können die Begründung nicht akzeptieren, das gehe Berlin nichts an und sei Aufgabe des Bundes. So argumentiert Berlin. Denken wir diese Art der Argumentation einmal zurück! Nach dieser Logik hätten die Vereinigten Staaten von Amerika niemals Verantwortung für Berlin wahrnehmen müssen. Was hier passiert, ist unhistorisch. Ich will diese Debatte nutzen, um uns alle auf diesen Punkt aufmerksam zu machen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich will einen zweiten Punkt ansprechen, an dem wir die Politik ändern müssen. Es hat ja nicht nur eine Begegnung zwischen dem Bundeskanzler und dem amerikanischen Präsidenten gegeben, sondern unmittelbar danach auch eine Begegnung zwischen den Präsidenten Chirac und Putin und Bundeskanzler Schröder.

(Gernot Erler (SPD): Und das war gut so!)

Ich glaube, dass das ein Problem ist. Die Regierung betont in ihrer Außenpolitik immer wieder, wir dürften keine Achsenbildung betreiben. Dann dürfen Sie aber auch nicht zulassen, dass faktisch genau diese Politik der Achsenbildung betrieben wird.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Gernot Erler (SPD): Das ist ein Missverständnis, Herr Kollege!)

- Das ist kein Missverständnis. Das ist ein sehr ernster Vorgang. Ein deutscher Bundeskanzler, der mit dem amerikanischen Präsidenten zusammentrifft, hätte zunächst die anderen Europäer informieren müssen, bevor andere Gespräche anstehen. Das ist der entscheidende Kritikpunkt. Die deutsche Außenpolitik muss in die Einbettung in die europäische Außenpolitik zurückfinden. Sonderwege - egal wo sie betrieben werden, in Washington oder in Berlin - sind ein Irrtum in dieser Debatte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Achsenbildung ist deswegen verheerend, weil bei der europäischen Einigung zunehmend das Projekt wiederbelebt wird, eine Gegenmacht zu den Vereinigten Staaten von Amerika zu bilden. In den wenigen Minuten, die wir Freidemokraten in dieser Debatte haben, möchte ich nur einen ernsten Punkt bringen, der uns noch lange beschäftigen wird: Wer glaubt, er könne Europa einigen, indem er das transatlantische Band durchschneidet, indem er Europa quasi zur Gegenmacht zu den Amerikanern aufbaut, wird nur erleben, dass er Europa spaltet.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist die eigentliche perspektivische Diskussion, die wir führen müssen.

   Das gestrige Gespräch war ein Beginn. Es ist ein Drama, dass es überhaupt zu dieser Sprachlosigkeit kommen konnte. Irgendwann wird man sich fragen, wie die Staats- und Regierungschefs von zwei befreundeten Demokratien in eine solche Situation der Sprachlosigkeit eigentlich kommen konnten. Man wird mit Kopfschütteln auf diese Zeit zurückblicken. Das setzt natürlich voraus, dass wir von einer reaktiven Außenpolitik wegkommen und zu einer perspektivischen Außenpolitik zurückfinden müssen. Damit bin ich beim letzten Punkt, den ich ansprechen möchte.

   Die Rede des Bundeskanzlers vor den Vereinten Nationen war eine sehr wichtige Grundsatzrede. Sie war zugleich eine große Chance. Aber ich habe den Eindruck, dass wir an wesentlichen Fragen, mit denen sich die deutsche Außenpolitik beschäftigen sollte, zunehmend vorbeidiskutieren. Ich will nur ein Beispiel nennen. Der französische Staatspräsident und der amerikanische Präsident haben den Weltgesundheitsfonds und die Bekämpfung von Aids zu zentralen Anliegen erklärt. Es ist ein wirklich dramatisches Versäumnis, dass das in der Rede des Bundeskanzlers vor den Vereinten Nationen keine Erwähnung gefunden hat; denn das sind die Fragen, die uns in der Weltpolitik in ganz kurzer Zeit intensiv beschäftigen werdeb.

(Dr. Werner Hoyer (FDP): Das ist leider wahr!)

   Darum geht es in der Außenpolitik. Es muss Schluss sein mit diesen Debatten, wer woran Schuld war. Die klammheimliche Freude auf der einen Seite und das Rechthaben auf der anderen Seite des Hauses bringen niemanden weiter. Die deutsche Außenpolitik muss wieder eine Perspektive haben. Das bedeutet, dass man sich dieser Zukunftsfragen annimmt. Themen wie die Bekämpfung von Aids und die demographische Entwicklung der Weltbevölkerung müssen auch in Berlin Chefsache werden, so wie sie in Paris und Washington Chefsache geworden sind.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Sehr richtig!)

Das verstehen wir unter perspektivischer Außenpolitik.

(Gernot Erler (SPD): Die haben wir schon lange! Dazu brauchen wir Sie nicht!)

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Gernot Erler (SPD): Er hat eine gute Vorlage gegeben!)

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Herr Westerwelle mit seiner Rede anfing, dachte ich, dass die sachliche Diskussion im Vordergrund stehen würde. Am Schluss gab es aber doch nur Polemik.

(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD))

   Wer der Bundesregierung vorwirft, dass sie sich auf europäischer Ebene nicht engagiert genug abstimmt und dass sie untätig ist, der hat übersehen, dass in der Zwischenzeit im Rahmen der Mitarbeit im Konvent ein großer und engagierter Beitrag für die europäische Einigung geleistet wurde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Für uns war immer klar - und ist es auch jetzt -, dass die Vereinten Nationen eine wichtige und aktive Rolle beim Wiederaufbau des Irak haben.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Ich möchte zunächst mit meiner Rede fortfahren und nicht gleich zu Anfang eine Zwischenfrage beantworten.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Wie gesagt: Die Vereinten Nationen müssen beim Wiederaufbau des Irak eine zentrale Rolle spielen; denn nur sie können auf Dauer die Legitimität schaffen, die nötig ist, damit der Aufbau im Irak in der Verantwortung der irakischen Bevölkerung gelingen kann.

Die UN müssen vor allen Dingen eine unabhängige Rolle spielen, wenn der politische, wirtschaftliche und soziale Aufbauprozess gelingen soll. Um den friedlichen Aufbau zu gewährleisten, ist eine breite Unterstützung von außen nötig. Dies setzt aber voraus, dass die Sicherheitslage entsprechend verbessert wird. Nach wie vor ist Irak ein Land mit der höchsten Gefährdungsstufe. Wer in Bagdad und in der gesamten Region praktische Hilfe leisten will, der wird vom Flughafen mit einem Hubschrauber in den geschützten Compound geflogen. Man kann also mit den Menschen, denen man eigentlich helfen will, nicht vor Ort sprechen. Das ist die Realität; die wollen wir ändern.

   Aber ich bitte, mit zu berücksichtigen: Um vor Ort wirklich in großem Umfang Hilfe leisten zu können, bedarf es einer Verbesserung der Sicherheitslage. Diese ist eng mit der Übergabe der Verantwortung an eine legitimierte irakische Regierung verbunden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser Stelle - ich denke, ich tue das in Ihrer aller Namen - den Tod der irakischen Politikerin al-Haschimi betrauern, die heute ihren Verletzungen erlegen ist. Sie war Mitglied des Regierungsrates. Wir trauern mit den Menschen im Irak und mit ihren Angehörigen.

   Ich möchte an dieser Stelle auch all derjenigen gedenken, die im Irak Opfer geworden sind und Opfer werden. Dies sind sowohl Zivilisten als auch Soldaten.

   Ich möchte Sergio de Mellos gedenken, der Opfer eines widerwärtigen Attentats geworden ist und dem wir dafür danken, dass er an vielen Orten in der Welt für Frieden und Demokratie geworben hat. Aus diesem Grunde war er auch im Irak.

   Wir haben bereits vor dem Krieg im Irak Hilfe geleistet: in den kurdischen Gebieten und auch im Rahmen des Welternährungsprogramms. Wir sind im Rahmen der humanitären Hilfe in Höhe von 50 Millionen Euro mit all unseren Möglichkeiten für dieses Land tätig. Wir beteiligen uns daran, die Ernährung sowie das Funktionieren von Wasserwerken und die Abwasserentsorgung sicherzustellen. Wir unterstützen den UNHCR, wenn es darum geht, dass Menschen, die in den Irak zurückkehren, Unterstützung erhalten, und wir unterstützen die vielen Nichtregierungsorganisationen, die im Irak im Rahmen der Möglichkeiten, die sie selber sehen, tätig sind. Zudem sind wir an der europäischen Hilfe von insgesamt 100 Millionen Euro mit einem Anteil von 25 Millionen Euro beteiligt.

   Die Weltbank hat bereits im April dieses Jahres mit unserer Stimme den Auftrag gegeben - das vergessen manche -, eine entsprechende Untersuchung über die Aufbaumöglichkeiten im Irak in Gang zu setzen. Zu 14 Bereichen, die eigentlich alle Lebensbereiche umfassen - leider nicht den Ölsektor; den wollte die amerikanische Seite nicht mit einbezogen wissen -, wird eine Bewertung vorgenommen und Anfang Oktober ein Bericht vorgelegt, in dem Hilfs- und Aufbaumöglichkeiten deutlich werden sollen. Deshalb ist es für mich völlig klar, dass auch wir - die Bundesrepublik ist der drittgrößte Anteilseigner der Weltbank - an der Konferenz am 23. und 24. Oktober dieses Jahres in Madrid teilnehmen werden, um Bewertungen vorzunehmen und Schlussfolgerungen zu ziehen.

   Um der Menschen willen - auch das will ich ansprechen - wollten wir den Krieg im Irak verhindern. Um der Menschen willen leisten wir humanitäre Hilfe. Um der Menschen willen bemühen wir uns darum, dass nach dem „gewonnenen Krieg“ endlich auch der Frieden gewonnen wird

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und dass die Menschen eine gute Zukunft haben. Es ist auch klar: Je schmaler das UN-Mandat ist, umso weniger werden sich die Geberländer - auch das ist am Rande der Weltbanktagung vor wenigen Tagen deutlich geworden - beteiligen wollen.

   Ich möchte zudem feststellen: Eine Hilfe der internationalen Gemeinschaft ist notwendig, weil es ansonsten nicht vorangeht und es zu einem Staatszerfall käme. Aber es ist auch klar, dass die Hilfe, die dort geleistet wird, nicht zulasten anderer Regionen gehen darf.

(Beifall der Abg. Uta Zapf (SPD))

Sie muss zusätzlich geleistet werden. Denn Hilfe ist auch in Afghanistan, in Afrika und in anderen Regionen nötig.

Generalsekretär Kofi Annan hat vor wenigen Tagen bei der Eröffnung der UN-Generalversammlung vor der Gefahr gewarnt, dass sich der „Einsatz einseitiger Gewalt ohne Rechtsgrundlage ausbreiten“ könne. Ein solches Vorgehen, so Annan, könne das Gesetz des Dschungels über die Welt bringen.

   Ich stimme ihm zu, dass wir alles daransetzen müssen, um die Autorität und das Ansehen der UN zu stärken. Sie sind das kostbarste Instrument, das die Weltgemeinschaft hat, um Frieden zu stiften und um Globalisierung gerecht gestalten zu können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Gerade nach der gescheiterten Cancun-Konferenz haben alle Konferenzen, sowohl die Weltbank- und IWF-Jahrestagung vor wenigen Tagen in Dubai als auch die UN-Generalversammlung, die Entschlossenheit betont, die multilateralen Organisationen zu stärken. Der Unilateralismus ist gescheitert. Es ist gut, dass auch in den betreffenden Ländern selbst die Diskussionen über die Ursachen dieses Scheiterns geführt werden. Es geht darum, die multilateralen Organisationen zu reformieren, sie zu stärken, damit die Globalisierung gerecht gestaltet werden kann.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich eine Zahl vor Augen halten: Im Jahre 2015 - das hat uns Jim Wolfensohn vor wenigen Tagen in Erinnerung gerufen - wird die Hälfte der Weltbevölkerung unter 25 Jahren sein. 3 Milliarden Menschen auf der Welt werden unter 25 Jahren sein. Wir sind es ihnen, ihrer Zukunft und ihren Hoffnungen schuldig, dass wir alles tun, um Kriege zu verhindern und dazu beizutragen, dass Armut in der Welt bekämpft und dem Terrorismus entschlossen entgegengetreten wird.

   Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zur einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Guido Westerwelle das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Herr Präsident! Frau Ministerin, ich habe Sie am Anfang Ihrer Rede etwas fragen wollen, weil Sie mich im Hinblick auf meine Kritik an der Bundesregierung und insbesondere darauf direkt angesprochen haben, dass ich den Eindruck habe, dass das Thema Bekämpfung von Aids anders als in zwei anderen Ländern nicht Chefsache ist. Da Sie mir die Möglichkeit der Zwischenfrage nicht gegeben haben, will ich eine kurze Bemerkung dazu machen.

   Am Tag, bevor der Bundeskanzler bei den Vereinten Nationen in New York gesprochen hat, hat es dort eine große globale Debatte über die Bekämpfung von Aids gegeben. Das ist in nahezu allen Regierungen der Welt ein Thema, das dort nicht nur unter humanistischen, sondern durchaus auch unter massiven ökonomischen und politisch-geostrategischen Gesichtspunkten diskutiert wird.

   Der Bundeskanzler - anders als der amerikanische Präsident und anders als der französische Präsident - verliert kein einziges Wort darüber. Das kritisiere ich. Ich glaube auch, dass das eine berechtigte Kritik ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Gernot Erler (SPD): Wir reden nicht, wir handeln schon lange!)

- Sie handeln eben nicht, Herr Kollege.

(Gernot Erler (SPD): Guckt euch doch einmal an, was wir machen!)

   Der amerikanische Präsident hat nicht aus einem ausschließlichen Akt der humanistischen Nächstenliebe heraus, sondern weil er seine eigenen Interessen politisch definiert hat, mit das Programm ausgerufen: 3 Milliarden Dollar für diesen Fonds. Die Voraussetzung ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika 1 Milliarde Doller bringen und die Europäer ebenfalls 1 Milliarde Dollar bringen. Der französische Staatspräsident hat sofort geantwortet und spontan seine Leistungen zugesagt.

   In Deutschland hinken wir leider immer noch unseren eigenen - wie ich finde - vernünftigen Zielen deutlich hinterher. Es ist beschämend für ein reiches Land wie Deutschland, dass das Zustandekommen eines solchen weltweiten Fonds zur Bekämpfung von Aids bei uns in Wahrheit mehr Bremser als Förderer hat.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Es ist das Recht der Opposition, das hier anzusprechen. Sie haben die Demonstrationen gegen die Regierung und gegen uns Politiker vor dem Brandenburger Tor erlebt. Wir haben am Dienstag direkt nach dieser Debatte Professor Feachem in der Fraktion der Freien Demokraten zu Gast gehabt. Für uns als Freie Demokraten ist es ernüchternd und peinlich gewesen, dass der Leiter des Fonds Deutschland bei den Bremsern einsortiert, wenn es um die Bildung dieses Fonds geht. Wir müssten vielmehr einer der Motoren sein. Es handelt sich bei Aids nämlich um eine der großen Menschheitsbedrohungen.

   Wenn wir dieses Thema immer nur an die Seite drängen, weil wir uns in der Tagespolitik mit allem Möglichen, auch mit innerparteilichem Streit, aufhalten und diese Dimension nicht mehr begreifen, dann machen wir meines Erachtens einen ganz großen Fehler. Da wir hier über Außenpolitik reden, möchte ich festhalten, dass dieses Thema in der Rede des Bundeskanzlers in New York gefehlt hat. Das kritisieren wir ausdrücklich.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zur Erwiderung Frau Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Westerwelle, Sie haben das Thema Aids-Bekämpfung angesprochen. Ich will auf folgenden Umstand hinweisen: Als wir die Regierung übernommen haben, haben wir im Haushalt, den uns die vorige Regierung unter CDU/CSU und FDP hinterlassen hat, Mittel zur Aids-Bekämpfung in Höhe von 19 Millionen DM vorgefunden.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): National!)

- Ja, genau! - Diese Bundesregierung hat die Mittel zur Aids-Bekämpfung insgesamt auf heute durchschnittlich 300 Millionen Euro erhöht.

   Das zeigt: Wir reden über solche Fragen nicht nur, sondern handeln.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD), zur FDP gewandt: Und was jetzt?)

Wir haben nicht auf einen globalen Fonds gewartet, den wir im Übrigen ausdrücklich unterstützen - das habe ich gestern Herrn Feachem deutlich gemacht -, sondern waren schon vorher tätig und haben 1999 die Mittel aufgestockt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Gernot Erler (SPD): Da guckst du glasig, Westerwelle!)

Ich habe nicht gewartet, bis die internationale Gemeinschaft einen Fonds eingerichtet hat, sondern habe dafür gesorgt, dass in allen Instrumenten der Entwicklungszuammenarbeit, in jedem Projekt die Bekämpfung von Aids und die Prävention berücksichtigt wird; denn ich betrachte es - wie Sie - als ein Drama, als eine menschliche Katastrophe, dass Millionen von Menschen daran sterben können. Für viele Länder ist es darüber hinaus auch eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe. Lassen Sie uns darüber also bitte nicht in einer solchen Debatte streiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nehmen Sie vielmehr zur Kenntnis, dass wir engagiert sind und dass wir etwas tun. Wir reden darüber vielleicht nicht so viel wie der eine oder andere, aber wir machen etwas.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler hat gestern mit seiner Rede vor der UNO viel Aufmerksamkeit erlangen wollen und hat sie auch bekommen. Es gibt Passagen, denen stimmen auch wir, die PDS im Bundestag, zu. Oder soll ich sagen „sogar wir“

   Sie haben gemahnt - ich zitiere -:

Wir werden scheitern, wenn wir unser Denken und Handeln auf militärische und polizeiliche Aspekte verengen. Wir müssen an den Wurzeln des Terrorismus und an den Ursachen von Unsicherheit ansetzen.

Sie haben erinnert - ich zitiere noch immer -:

Um Fanatismus zu bekämpfen, müssen wir für soziale und materielle, aber auch für kulturelle Sicherheit sorgen.

Weiter haben Sie gesagt - auch das ist noch Zitat -:

Um die Menschen für den Weg der Freiheit, des Friedens und der gesellschaftlichen Offenheit zu gewinnen, müssen wir ihnen helfen, in gesicherten Strukturen mehr Teilhabe und mehr Wohlstand zu erreichen.

Das finde ich richtig, auch wenn es ein wenig dröge klingt.

   Wir gehen sogar noch weiter. Sie haben nach fast jedem dieser klugen Sätze leider ein dummes Aber gesetzt, um die große Bedeutung der NATO zu begründen. Hier wäre weniger wirklich mehr gewesen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Weniger Aber und weniger NATO, das hätte sogar unseren Beifall gefunden.

   Nun hat der Bundeskanzler natürlich eine diplomatische Rede gehalten, also eine Rede, die diese, aber auch eine andere Deutung zulässt. Deshalb habe ich eine Bitte an Sie, Herr Bundeskanzler: Widersprechen Sie mir deutlich, wenn ich Ihre Rede falsch interpretiere. Sie haben gewarnt - ich zitiere wieder -:

Um Ruchlosigkeit zu bekämpfen, müssen wir der Rechtlosigkeit Einhalt gebieten.

Ich gehe davon aus, dass Sie damit auch und ausdrücklich die USA gemeint haben; denn die USA haben ruch- und rechtlos einen Krieg gegen den Irak begonnen, was bekanntlich weltweit zu Protesten geführt hat.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Herr Bundeskanzler, Sie haben dem internationalen Recht und einem internationalen Strafgerichtshof das Wort geredet. Auch das interpretiere ich als eine klare Kritik an den USA; denn es sind vor allem die USA, die sich internationalem Recht und einem Strafgerichtshof verweigern. Daneben haben Sie für überfällige Reformen der Vereinten Nationen plädiert. Auch das habe ich als deutliche Distanz zu den USA vernommen; denn es waren die USA, die die UNO im Zusammenhang mit dem Irakkrieg für nichtig und überflüssig erklärt haben.

   Wie gesagt: Sollte ich den Bundeskanzler falsch verstanden haben, so bitte ich ihn ausdrücklich, das klarzustellen - auch gegenüber den Medien.

(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Aber nicht gegenüber der PDS!)

   Sie haben die Rede von UNO-Generalsekretär Kofi Annan gewürdigt. Auch ich fand sie bemerkenswert, zumal er auf den großen historischen Rückschritt verwies, den die USA mit ihrem völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak beschleunigt haben. Zur Erinnerung: Am 26. Juni 1945 wurde die Charta der Vereinten Nationen beschlossen. Sie galt als Lehre aus dem verheerenden Zweiten Weltkrieg sowie als Maßstab für eine künftige Weltordnung ohne Kriege und durch sie wurde ein zivilisatorisches Projekt beschrieben.

   Diese Grundsätze wurden inzwischen - vor allem durch die USA, aber nicht nur durch sie - vollends aufgekündigt und torpediert. Das Recht des Stärkeren herrscht über die Stärke des Rechts. Das ist die Position der USA, die sie auch vor der UNO nicht revidiert haben. Deshalb schwant mir nichts Gutes, wenn der Herr Bundeskanzler sagt, die Konflikte mit den USA rund um den Irakkrieg seien beigelegt und man wolle nun gemeinsam nach vorne schauen. Wenn Sie richtig hinschauen, wo die USA vorn wähnen, dann werden Sie erkennen: Es ist ganz weit hinten und auf keinen Fall da, wo Willy Brandt, auf den sich der Bundeskanzler in seiner Rede vor der UNO ja ausdrücklich berufen hat, die Zukunft sah.

   Der Irakkrieg war dafür nur ein schlimmes Beispiel. Deshalb verbietet sich alles, was diese Aggression im Nachhinein legitimieren könnte. Das sage ich allerdings auch deutlich an die Adresse der CDU/CSU, die versucht, Deutschland im Rahmen der NATO in die US-Strategie einzubinden. Das sage ich auch angesichts der rot-grünen Pläne, die Bundeswehreinsätze in Afghanistan auszuweiten, um die USA militärisch zu entlasten und dafür ein Bravo zu empfangen. Das sage ich schließlich auch mit Blick auf die EU; denn nach dem vorliegenden Verfassungsentwurf sollen die Mitgliedstaaten auf eine Außen- und Sicherheitspolitik verpflichtet werden, die auf militärische Stärke baut und Präventivkriege ausdrücklich nicht ausschließt.

   Das alles lehnt die PDS ab. Ich hätte heute gerne Gleiches von Ihnen gehört - grundsätzlich und fürderhin.

   Danke schön.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der Kollege Christian Ruck von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz aller freundlichen Deutungsversuche kann der Besuch des Kanzlers in New York nicht darüber hinwegtäuschen, dass die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten von heute und die möglichen Konflikte von morgen zwischen der Bundesregierung und der amerikanischen Regierung eben nicht ausgeräumt sind. Das merkt man auch deutlich an der UNO-Rede des Kanzlers, in der er das ganz klar ausgesprochen hat. Aber eine Politik der Bundesregierung für den Wiederaufbau im Irak könnte einen konkreten Schritt zur Verbesserung der transatlantischen Beziehungen bedeuten. Diese Chance sollten wir alle nutzen; denn das ist in unser aller Interesse.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP))

Wir alle sind uns darüber einig, dass die Lage im Irak nicht nur wegen der Kriminalität und der angespannten Versorgungslage in der Tat prekär ist, sondern vor allem auch wegen der bisher noch nicht erkennbaren Perspektiven für einen stabilen und demokratischen Irak. Damit ist auch das Ende der wachsenden Spannungen im Land noch nicht absehbar. Die Besatzungsmächte haben die Herausforderungen im Nachkriegsirak unterschätzt. Sie müssen nun erkennen, dass es viel schwieriger ist, den Frieden zu gewinnen, als im Krieg zu siegen. Aber hierfür Gleichgültigkeit oder gar Schadenfreude zu empfinden wäre wirklich dumm. Wie schon angesprochen, sind der Irak und die gesamte mittelöstliche Region auch für uns Deutsche von strategischer Bedeutung in ökonomischer Hinsicht, aber vor allem in sicherheitspolitischer Hinsicht. Deswegen haben wir ein herausragendes Interesse daran, dass sich der Irak zu einem stabilen Staat mit rechtsstaatlichen, pluralistischen Strukturen entwickelt, von dem keine Bedrohung mehr ausgeht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Aber je mehr Zeit verrinnt ohne eine nachhaltige Stabilisierung, desto schlimmer wird die dortige Situation und desto größer wird auch das Risiko für uns. Wir haben bereits viel Zeit verloren. Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, hier haben wir definitiv große Meinungsunterschiede, auch was Ihre Politik anbelangt.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Jawohl, die muss man herausarbeiten! Das muss gesagt werden!)

Sie haben vor Monaten noch stolz gesagt: Wer bombt, muss auch zahlen. - Diese Position vertreten Sie im Grunde genommen bis heute. Diese Meinung war und ist für uns verantwortungslos und kurzsichtig.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): So ist es!)

Sie ist verantwortungslos, weil sie die Menschen im Irak, die an den Kriegsfolgen leiden, die aber auch fast 20 Jahren lang unter dem menschenverachtenden Regime von Saddam Hussein genug gelitten haben, im Stich lässt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Uta Zapf (SPD): Welche Logik!)

Es ist kurzsichtig, weil es unsere eigenen Interessen ignoriert. Denn wer sich nicht einbringt, hat keinen Einfluss und kann die Interessen seines Landes nicht vertreten. Das gilt auch für die Stabilisierung des Irak und des Mittleren Ostens. Deswegen wäre eine politische Kehrwende wichtig, die halb angekündigt ist, bisher aber nur in Sonntagsreden.

(Uta Zapf (SPD): Also wollen Sie Soldaten schicken! - Gernot Erler (SPD): Sagen Sie doch mal, was Sie wollen!)

Die Wahrheit ist doch, dass bisher im Haushalt des BMZ über die humanitären Zwecken dienenden Geldmittel hinaus kein einziger müder Euro für die eigentliche Entwicklungszusammenarbeit, für den Aufbau des Landes eingestellt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das ist die Wahrheit und deshalb haben wir bisher auf die entscheidende Frage, wie der Irak wirklich wiederaufgebaut wird, keinen Einfluss.

   Natürlich sind auch wir der Meinung, dass die Stabilitätsbemühungen für den Irak im richtigen internationalen Rahmen erfolgen sollten,

(Gernot Erler (SPD): Den gibt es aber noch nicht!)

möglichst unter Koordination der UNO. Aber in der Tat stellt sich doch die Frage, wie schnell und wie stark der Einsatz der Vereinten Nationen nun wirklich erfolgen kann. Wie groß ist die Leistungsfähigkeit der UNO in einem Irak, von dem Sie, Frau Wieczorek-Zeul, selber sagen, dass die Sicherheit bisher in keiner Weise gewährleistet ist?

   Ich glaube, wir sollten in unserer Politik nicht fragen: Wer weiß es besser? Wer hat Recht behalten? Wir sollten eine Politik machen, die pragmatisch das Ziel der Stabilisierung und des nachhaltigen Friedens im Irak im Auge behält und eine Antwort auf die Frage gibt, was den Menschen im Irak langfristig wirklich hilft.

   Nach dem Auftritt des Bundeskanzlers in New York stellt sich uns die Gretchenfrage: In welchem Umfang leisten wir tatsächlich einen Beitrag? Die Geberkonferenz in Madrid steht an und es gibt erhebliche Widersprüche. Vor der UNO sagt der Kanzler vollmundig: Wir leisten humanitäre, technische und ökonomische Hilfe und Polizeiausbildung. - Das klang heute ganz anders. Der heutige O-Ton lautete: Wir führen die humanitäre Hilfe weiter - was gut ist -, wir werden prüfen, ob wir zusätzlich noch Entwicklungsprojekte ausführen, und gegebenenfalls kann man auch über Polizeiausbildung reden.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): So ist er halt!)

Das ist etwas ganz anderes. Natürlich können wir nicht zulassen, dass man vor der UNO große Reden hält

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Schröder bleibt Schröder!)

und danach hier als Papiertiger landet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind dafür, dass der Kanzler zu dem steht, was er in der UNO gesagt hat, und wir würden es außerordentlich begrüßen, wenn er diese Linie dann auch der Entwicklungshilfeministerin verordnete.

   Bisher gibt es im BMZ - das sage ich noch einmal - nicht nur kein Geld für die Entwicklungszusammenarbeit im Irak, sondern auch keine Konzeption

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Unglaublich!)

und keine Vorausplanung. Eines ist sicher: Mit leeren Taschen und ohne Konzeption brauchen wir uns auf der Geberkonferenz in Madrid nicht blicken zu lassen, wenn wir wirklich Einfluss nehmen wollen. Ihr Argument, dass die Weltbank eine Mission ausschickt, ist eine Ausrede. In anderen Fällen hat dies das BMZ zu Recht nicht davon abgehalten, eine Vorausplanung mit Schwerpunkten auszuarbeiten.

   Deutschland hat genug Expertise und Erfahrung in vielen Bereichen, die für den Irak wichtig sind.

(Gernot Erler (SPD): Zum Beispiel Polizeiausbildung!)

- Das ist doch Unsinn. Wir haben das, was wir uns vorstellen, in einem Antrag, den Sie hoffentlich gelesen haben, zusammengefasst.

(Gernot Erler (SPD): Da reden Sie von der Aufhebung der Sanktionen! Der ist ja völlig verhalten!)

   Es geht uns um die Beteiligung am Aufbau der materiellen Infrastruktur,

(Uta Zapf (SPD): Sie sollten sich einmal ein bisschen schlau machen!)

aber vor allem darum, uns bei den Weichenstellungen beim Aufbau des irakischen Staats- und Gemeindewesens einzubringen, nämlich bei der Administration, bei der Justiz und natürlich auch bei der Polizei. Auch beim Aufbau eines funktionierenden Wirtschafts- und Finanzsystems und bei der Stärkung der irakischen Zivilgesellschaft könnten wir einen Beitrag leisten. Daraus könnte man schon jetzt ein vernünftiges Konzept stricken, mit dem man auf der Geberkonferenz Einfluss nehmen könnte.

(Beifall bei der CDU/CSU - Eduard Oswald (CDU/CSU): Das ist der richtige Weg! - Gernot Erler (SPD): Mach mal einen Finanzierungsvorschlag!)

   Auf der Geberkonferenz muss auch von Deutschland ein Beitrag geleistet werden, mit dem politische Weichenstellungen vorgenommen werden können. Sie haben gerade einen Finanzierungsvorschlag angemahnt.

(Gernot Erler (SPD): Mach mal einen!)

Der Kanzler hat jüngst erklärt: Armutsbekämpfung ist ein Teil der Sicherheitspolitik. Warum hat er dann nicht mehr Einfluss genommen und ein Scheitern von Cancun verhindert?

(Karin Kortmann (SPD): Warum haben Sie unserem Antrag nicht zugestimmt, in dem es um WTO und Cancun ging? - Uta Zapf (SPD): Völlig daneben!)

Warum lässt er zu, dass der Entwicklungshaushalt im Verhältnis zum Gesamthaushalt ein Rekordtief erreicht hat?

(Gernot Erler (SPD): Das hatten wir schon!)

All das ist Nebelkerzenwerferei und hat mit der Realität nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Sie fragen: Woher soll das Geld kommen? Ich sage es Ihnen. Die Haushaltslage ist in der Tat desaströs. Deswegen ist es überfällig, dass auch in der Entwicklungspolitik eine durchdachte und strategische Schwerpunktsetzung erfolgt. Aber solange sich die rot-grüne Entwicklungspolitik in unzähligen Empfängerländern inklusive Kuba

(Gernot Erler (SPD): Das musste ja noch kommen!)

und in zahllosen internationalen Töpfen verzettelt, haben wir natürlich keine Kraft, kein Personal und kein Geld mehr, um auf strategisch wichtige Herausforderungen schnell zu reagieren.

(Gernot Erler (SPD): Bitte etwas mehr Leidenschaft, Herr Kollege!)

   Dies schmerzt besonders dort, wo - wie im Irak - auch deutsche Interessen berührt sind. Dies ist leider für die gesamte Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik symptomatisch. Die politischen Schwerpunkte werden verwässert oder falsch gesetzt. Statt überlegter Strategie herrschen Zufall und Reparaturversuche. Statt eng verzahnter Zusammenarbeit der Ressorts regieren Zwietracht und Doppelarbeit.

(Gernot Erler (SPD): Das sieht der amerikanische Präsident ganz anders! Er dankt uns! Sie sind antiamerikanisch, Herr Kollege!)

Dies ist leider auch in Afghanistan der Fall. Ich verweise auf die gestrige Sitzung des Entwicklungsausschusses, in der keine einzige unserer Fragen auch nur annähernd ordentlich beantwortet wurde.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Das ist unglaublich!)

   Eine solche Politik der auswärtigen Beziehungen schadet unseren Interessen und unserem Ruf. Die Renaissance des Irak wäre eine neue Chance zu einer qualitativen Verbesserung. Ich kann nur sagen: Nutzen Sie diese Chance!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Uta Zapf (SPD): Das war eine ganz schlechte Rede!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1011 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 o sowie Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:

24. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit

- Drucksache 15/1521 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 1999 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus

- Drucksache 15/1507 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Übergangsregelung zum Kindschaftsrechtsreformgesetz für nicht miteinander verheiratete Eltern

- Drucksache 15/1552 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. April 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Durchführung der Flugverkehrskontrolle durch die Bundesrepublik Deutschland über niederländischem Hoheitsgebiet und die Auswirkungen des zivilen Betriebes des Flughafens Niederrhein auf das Hoheitsgebiet des Königreichs der Niederlande (Gesetz zu dem deutsch-niederländischen Vertrag vom 29. April 2003 über den Flughafen Niederrhein)

- Drucksache 15/1522 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. September 2002 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, den Vereinten Nationen und dem Sekretariat des Übereinkommens zur Erhaltung der wandernden wild lebenden Tierarten über den Sitz des Sekretariats des Übereinkommens

- Drucksache 15/1473 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

f) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften

- Drucksache 15/1467 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften

- Drucksache 15/1469 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz)

- Drucksache 15/1553 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

i) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung

- Drucksache 15/904 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Kultur und Medien

j) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches
- Achtes Buch - (SGB VIII)

- Drucksache 15/1406 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

k) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften

- Drucksache 15/1492 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss

l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johannes Kahrs, Eckhardt Barthel (Berlin), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Claudia Roth (Augsburg), Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

- Drucksache 15/1320 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Norbert Königshofen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Wirtschaftliche und organisatorische Strukturen der Deutschen Flugsicherung dauerhaft verbessern

- Drucksache 15/1322 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Sicherheit im Busverkehr

- Drucksache 15/1528 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus

o) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP

Deutsch als Arbeitssprache auf europäischer Ebene festigen - Verstärkte Förderung von Deutsch als erlernbare Sprache im Ausland

- Drucksache 15/1574 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Ulrich Petzold, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Vorsorgender Hochwasserschutz im Binnenland

- Drucksache 15/1561 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Gleiche Nachweispflichten für Apotheken und Tierärzte bei der Abgabe von Tierarzneimitteln

- Drucksache 15/1568 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 63. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 26. September 2003,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15063
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