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15. Wahlperiode
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   121. Sitzung

   Berlin, Dienstag, den 07. September 2004

   Beginn: 10.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Ich bitte Sie, sich zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

   Zutiefst erschüttert und voll ohnmächtigen Zorns über die Täter, die Kinder zu Opfern ihres Terrors machen, haben wir die furchtbaren Ereignisse verfolgt, die sich in der vergangenen Woche im Kaukasus abgespielt haben. Am Mittwoch, dem 1. September 2004, stürmten dort in dem kleinen Ort Beslan schwer bewaffnete Terroristen eine Schule und nahmen die Kinder und ihre Eltern und Großeltern als Geiseln.

   Aus dem Tag der Einschulung, der ein Tag der Freude sein sollte, ist ein Inferno geworden. Die Terroristen drangen in die Schule ein und machten die dort Versammelten zu ihren Geiseln. Als die ersten Geiseln nach drei Tagen entkommen konnten, vermittelten uns ihr Anblick und ihre kurzen Äußerungen eine Ahnung von dem, was sich an Unsäglichem in dem Schulgebäude abgespielt haben musste.

   Der Einsatz der russischen Sicherheitskräfte vermochte das Leben vieler Geiseln nicht zu retten. Die Operation endete tragisch. Bislang wird von über 400 Toten gesprochen; doch noch immer suchen verzweifelte Menschen nach ihren Angehörigen und man weiß nicht, wie viele Tote letztlich zu beklagen sein werden. Bereits am vergangenen Sonntag, als die ersten Opfer dieser Tragödie zu Grabe getragen wurden, reichte der Platz auf dem Friedhof des Ortes nicht aus, um die weiteren Leichname aufzunehmen. Unvorstellbares Leid ist geschehen.

   Lassen Sie uns gemeinsam den Bürgerinnen und Bürgern von Beslan, den Menschen in Ossetien und dem russischen Volk das tiefe Mitgefühl ausdrücken, das die Mitglieder des Deutschen Bundestages und alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland für sie empfinden.

   Ich danke Ihnen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz

– Drucksache 15/3681 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss

2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas Storm, Annette Widmann-Mauz, Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Familien entlasten statt Kinderlose bestrafen – Grundlegende Reform der Pflegeversicherung noch in dieser Wahlperiode einleiten

– Drucksache 15/3682 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss

3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten für unter Dreijährige

– Drucksache 15/3512 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)InnenausschussFinanzausschussAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss

4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermittlung durch marktgerechte Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine verstärkt nutzen

– Drucksache 15/3513 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

   Der in der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Mitberatung überwiesen werden:

Entwurf eines Gesetzes zur Gründung einer Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA-Errichtungsgesetz)

– Drucksache 15/2720 –

überwiesen:Haushaltsausschuss (f)InnenausschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

   Der in der 114. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung überwiesen werden:

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Deutsche-Welle-Gesetzes

– Drucksache 15/3278 –

überwiesen:Ausschuss für Kultur und Medien (f)Auswärtiger AusschussHaushaltsausschuss

   Der in der 118. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung zur Mitberatung überwiesen werden:

Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2005 (Haushaltsbegleitgesetz 2005 – HBeglG 2005)

– Drucksache 15/3442 –

überwiesen:

Haushaltsausschuss (f)FinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

   Der in der 118. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden:

Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes

– Drucksache 15/3351 –

überwiesen:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)InnenausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 c auf:

1. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005

(Haushaltsgesetz 2005)

– Drucksache 15/3660 –

Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008

– Drucksache 15/3661 –

Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes

Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2003 – Einzelplan 20 –

– Drucksachen 15/2885, 15/3388 –

Berichterstattung:Abgeordnete Anja Hajduk Iris Hoffmann (Wismar)Bernhard KasterOtto Fricke

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache zu den Haushaltsberatungen im Anschluss an die Einbringung des Haushaltes siebeneinhalb Stunden vorgesehen, für Mittwoch achteinhalb Stunden, für Donnerstag neun Stunden und für Freitag dreieinhalb Stunden. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Das Wort zur Einbringung des Haushaltes hat der Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr habe ich bei der Einbringung des Haushaltsplans für das Jahr 2004 gesagt: Die wichtigste und größte Herausforderung, vor der wir stehen, ist, aus der Stagnation herauszukommen und wieder mehr Wachstum zu schaffen.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Denn drei Jahre Stagnation haben in der Tat schlimme Zahlen hinterlassen. Im Jahr 2000, dem Jahr des höchsten Wachstums, hatten wir gleichzeitig die niedrigste Neuverschuldung nach der Wiedervereinigung – sie fällt in unsere Amtszeit –,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

nämlich 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 24 Milliarden Euro. Drei Jahre später, 2003, nach drei Jahren Stagnation, hatten wir ein Staatsdefizit von 82 Milliarden Euro oder 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Erkenntnis aus dieser Entwicklung ist: Es gibt – auch das ist damals deutlich gesagt worden – keine Konsolidierung ohne Wachstum; es gibt aber auch kein nachhaltiges Wachstum ohne solide Staatsfinanzen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wer das sieht, muss daraus für seine Politik auch Konsequenzen ziehen. Wir haben gesagt, wir brauchen einen mutigen Dreiklang von Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen. Mit diesem Dreiklang wollen wir aus der Stagnation heraus.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Er hält die Rede von vor zwei Jahren!)

Wir sind diesen Weg zum Teil gemeinsam gegangen; ich sage das ausdrücklich und auch mit Dankbarkeit hinsichtlich der Bereiche, in denen das funktioniert hat. So war es zum Beispiel bei einem Teil der Strukturreformen. Ich erinnere an die Arbeitsmarktreformen – darauf komme ich später zurück –: Da konnte es Ihnen, wenn es um die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten und um die Verschärfung der Zumutbarkeit ging, eigentlich nicht radikal genug zugehen. Bei der Rente allerdings waren Sie ganz still: keine Beiträge von Ihrer Seite. In der Gesundheitspolitik will ich ausdrücklich anerkennen, dass es zu einem Zusammenwirken gekommen ist, das – darüber wird noch zu reden sein – eine Reihe sehr positiver Resultate hatte, das aber weitergeführt werden muss. Wir sind noch nicht durch: Was den Wettbewerb auf der Leistungserbringerseite betrifft, muss noch eine ganze Menge mehr geschehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Als es allerdings um die Haushaltskonsolidierung ging und um die Wachstumsimpulse, hat Sie der Mut ziemlich verlassen. Da wäre es wünschenswert gewesen, wenn Sie unseren mutigeren Schritten sowohl bei der Konsolidierung und beim Subventionsabbau als auch beim Vorziehen der Steuerreform gefolgt wären, um Wachstumsimpulse zu geben. Sie waren dazu nicht in der Lage.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Heute, meine Damen und Herren, sind wir im Aufschwung. Ich will gar nicht verhehlen, dass der größte Teil davon der weltwirtschaftlichen Entwicklung, die ja auch vorher das Problem war,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

geschuldet ist; wir kommen auf das Problem gleich zurück. Aber unsere Politik mit der ganz dezidierten Zielsetzung, die Krise nicht durch zusätzliches Hinterhersparen zu verlängern und auch noch zu verschärfen, sondern mit diesem Dreiklang einen Weg heraus zu finden, hat ihren Beitrag dazu geleistet. Die Prognosen der Bundesregierung für dieses und für das nächste Jahr sehen so aus: beide Jahre zwischen 1,5 und 2 Prozent Wachstum. Bisher gilt für uns: eher am unteren Ende dieses Jahr, eher am oberen Rand nächstes Jahr. Ich nehme dabei zur Kenntnis, dass inzwischen die meisten Institute und die internationalen Institutionen, wie etwa der Internationale Währungsfonds, ihre Prognosen nach oben revidiert haben, während wir uns mit unseren Erwartungen am unteren Rand der Prognosen befinden. Ob daraus Konsequenzen zu ziehen sind, werden wir im Zusammenhang mit der Steuerschätzung im November und im Zusammenhang mit unserem Jahreswirtschaftsbericht zu entscheiden haben; aber bisher bleibt es dabei.

   Allerdings steht dieser Aufschwung im Wesentlichen nur auf einem Bein: Er kommt vom Export. Das führt mich zu einer anderen Feststellung, auf die ich ganz am Schluss zurückkommen werde: Deutschland hat im Weltmaßstab eine unglaublich wettbewerbsfähige Wirtschaft, sonst könnten wir diese Erfolge beim Export überhaupt nicht erzielen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist wichtig für das Bewusstsein, in dem wir die Probleme, die wir zu lösen haben, und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, angehen. Von welchem Selbstbewusstsein aus gehen wir sie eigentlich an? Da kenne ich diejenigen, die sagen: Ja, das ist ja ganz gut und schön mit dem Export, es kommt aber daher, dass inzwischen ein größerer Teil der Vorfertigung in anderen Ländern erfolgt. Dieser Satz ist nicht falsch. Er zeigt eines: dass die deutschen Unternehmen – nehmen Sie einmal Volkswagen als Beispiel – inzwischen europäische geworden sind,

(Michael Glos (CDU/CSU): Die sind aus dem Euro Stoxx herausgeflogen!)

dass sie in fast allen Ländern Europas Produktionsstätten haben und mit der dadurch möglichen Mischkalkulation natürlich wettbewerbsstärker sind.

   Aber – ich habe das auch untersuchen lassen –: Das führt im Ergebnis dazu, dass der Export so stark steigt, dass daraus keine Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Deutschland heraus, sondern eine Erhöhung der Anzahl der Arbeitsplätze hier bei uns resultiert. Das ist die Konsequenz. Die Unternehmen sind aufgrund ihrer Europäisierung stärker geworden. Das ist das Ergebnis der gemeinsamen europäischen Entwicklungsstrategie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das ist aber ein wenig Schönreden!)

   Ich will noch auf etwas Weiteres hinweisen, bevor manche wieder über die Gewerkschaften herziehen. Seit Mitte der 90er-Jahre ist die Lohnentwicklung unglaublich mäßig, was dazu führt, dass die Lohnstückkosten jetzt sogar zurückgehen und dass wir im internationalen Wettbewerb im Unterschied zu den frühen 90er-Jahren, in denen wir uns einiges geleistet haben, was wir uns nicht hätten leisten sollen, mittlerweile unglaublich viel wettbewerbsfähiger geworden sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos (CDU/CSU): Deshalb fallen die Arbeitsplätze weg!)

   Es geht auch um die Qualität der Produkte. Ich will bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen: Wer glaubt, den Kampf nur über das Drücken der Löhne und der Kosten gewinnen zu können, der irrt. Deutschland wird den Kampf nur gewinnen, wenn es mit der Qualität seiner Produkte und mit seinen Leistungen immer an der Spitze steht. Es ist klar, dass wir die Kostenfragen nicht vernachlässigen dürfen; aber das ist die zentrale Herausforderung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans Michelbach (CDU/CSU): Ihre Politik ist eine Herausforderung!)

   – Zu Ihnen komme ich noch.

   Die Binnennachfrage ist nach wie vor schwach. Der Dreischritt, in dem ein Aufschwung in Deutschland klassischerweise abläuft, sieht folgendermaßen aus: erst die Steigerung des Exports, dann die Steigerung der Ausrüstungsinvestitionen und schließlich die Steigerung der privaten Nachfrage. Der erste Schritt hat voll geklappt. Zum zweiten und zum dritten Schritt ist zu sagen: Es gibt Hinweise auf ganz leichte Besserungen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das erzählen Sie uns schon seit Jahren!)

   Es ist aber nicht zulässig, darauf bereits eine stabile Prognose zu gründen. Damit sollte man sehr vorsichtig sein.

   Das hat Konsequenzen zunächst einmal für die Entwicklung am Arbeitsmarkt und für die Steuern; denn sowohl der Indikator Arbeitsmarkt als auch der Indikator Steuern laufen der Konjunktur immer hinterher. Der Aufschwung wird im Wesentlichen vom Export getragen. Ein Problem dabei besteht darin, dass sich dies nicht so schnell auf die Mehrwertsteuereinnahmen auswirkt. Das erkennen wir sowohl anhand der Steuerschätzung als auch anhand der tatsächlichen Einnahmen. Beim Arbeitsmarkt gibt es vorderhand noch dieselbe Situation.

   Daraus sind Konsequenzen für die Finanzpolitik zu ziehen. Die Steuerschätzung im Mai hat gezeigt, dass es noch erhebliche Risiken gibt. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob die Steuerschätzung im Mai schon das letzte Wort war; wir werden es sehen. Ich bin da vorsichtig. Wegen der Steuereinnahmen, die nicht parallel zu dem genannten Aufschwung steigen, und der Entwicklung am Arbeitsmarkt werden wir in diesem Jahr einen Nachtragshaushalt benötigen; das habe ich bereits im Mai gesagt.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Aha!)

Wir werden ihn so vorlegen, dass er in Kenntnis der Ergebnisse der Steuerschätzung im November verabschiedet werden kann.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wieder ein Umsteuern!)

   Ich will ausdrücklich sagen: Es bleibt dabei, dass wir vor dem Hintergrund der nach wie vor schwachen Binnennachfrage in diesem Jahr keine zusätzlichen Sparpakete verabschieden werden, weil die Gefahr noch zu groß ist, dass das den Aufschwung im Inneren behindern würde. Deswegen lassen wir die automatischen Stabilisatoren wirken

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   und setzen alles daran, dass die Konjunkturentwicklung auch im Innern in Gang kommt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

   Im Übrigen will ich gar nicht verhehlen, dass es Risiken in der Weltwirtschaft gibt. Es wäre gefährlich, sich darauf ausruhen zu wollen, dass wir eine so hervorragende Position im Weltmarkt haben. Ich nenne das Beispiel Ölpreis. Wir werden uns international darüber zu unterhalten haben, ob es zulässig ist und ob man etwas dagegen tun kann, dass die Verknappungen inzwischen auch spekulativer Art und gar nicht in den realen Märkten begründet sind. Ich glaube, es gibt gute Gründe, international – die G 7, die G 8, die G 20 und der Internationale Währungsfonds – über diese Fragen nachzudenken und nach Auswegen zu suchen. Diese Entwicklung macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Das gilt auch für andere Rohstoffpreise.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Um es mit aller Härte zu sagen: Ich kenne das auch im Innern. Wenn man lange genug in Aufsichtsgremien – bis hin zu Stadtwerken – gesessen hat, weiß man, dass das im Windschatten der Weltwirtschaft von einer Reihe von Unternehmen zur Preistreiberei ausgenutzt wird. Das kann nicht hingenommen werden. Es muss klar sein, dass jeder eine Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Europäische Zentralbank, die über die Stabilität unserer Währung zu wachen hat, hat erklärt: Wir können die Entwicklungen bei den Ölpreisen hinnehmen, wenn es keine Zweitrundeneffekte gibt. Das ist richtig. Dazu sage ich aber: Wenn es um Zweitrundeneffekte geht, dann schaut bitte nicht nur in Richtung Gewerkschaften, sondern auch darauf, was die Energiekonzerne im Moment an dieser Stelle machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos (CDU/CSU): Attacke!)

   Risiken – das sagte ich schon – gibt es eben in der Weltwirtschaft. Ich will hier nur die Stichworte Doppeldefizit der USA und Überhitzung der Wirtschaft in China nennen. Was uns nun wieder mit einer unglaublichen Brutalität vorgeführt wurde, ist die Frage: Kann der Terrorismus wirklich wesentliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Weltwirtschaft haben? Diese Frage können wir schwerlich beantworten; ich werde nachher darauf zurückkommen.

   Am Nobelpreisträgertreffen am vergangenen Wochenende am Bodensee haben auch Wirtschaftswissenschaftler teilgenommen. Das Ergebnis ihrer Beratungen war – ich kann das nur referieren –, dass sie alles in allem einen sehr optimistischen Ausblick auf die Entwicklung der Weltwirtschaft und auch auf die Entwicklung Europas bzw. Deutschlands gegeben haben. Fazit dieser gegenwärtigen Situation: Wir müssen alles daransetzen, damit der Aufschwung auch bei der Binnennachfrage, dem zweiten Standbein, richtig in Gang kommt. Das bedeutet: Der Dreiklang aus Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen, mit dem wir mitgeholfen haben, dass wir aus der Stagnation herauskommen, muss ebenso für das Jahr 2005 gelten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das heißt, es wird keine Reformpause geben.

   Aber eines muss man klar machen – darüber diskutieren wir auch im internationalen Bereich –: Eine Reform ist noch nicht durchgesetzt, wenn sie der Gesetzgeber beschlossen hat, sondern dazu gehört sehr viel mehr. Das sehen wir gerade bei den Hartz-IV-Reformen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Natürlich. – Vielmehr stellt sich die Frage: Wie gelangt diese Einsicht in die Köpfe der Menschen und wie können wir diese Reformen in die Realität umsetzen? Dies erfordert manchmal sehr viel mehr Arbeit als nur die Gesetzgebung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter (CDU/CSU): Bravo!)

   Im Zuge des ersten Teils meiner Rede, Fortsetzung der Strukturreformen, komme ich zu den Reformen am Arbeitsmarkt. Es bleibt dabei: Die höchste jahresdurchschnittliche und damit auch die höchste Arbeitslosenzahl insgesamt lag in 1997 bei 4,4 Millionen. Im Winter erreichte diese Zahl knapp 5 Millionen. Dass sich diese Zahl anschließend positiv entwickelte und sich erst in den drei Jahren Stagnation deutlich verschlechterte, wollen wir keinen Moment leugnen. Aber Sie eignen sich in dieser Frage ganz schlecht als Chefankläger; darauf komme ich an anderer Stelle noch zurück.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Arbeitsmarktreformen sind nicht, wie einige gesagt haben, eine Kapitulation im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Ganz im Gegenteil: Sie alleine können zwar nicht unbedingt Arbeit schaffen; aber sie bauen eine Brücke von der Arbeitslosigkeit zurück in die Beschäftigung. Dies geschieht unter der Überschrift von Fördern und Fordern. Beides – Fördern und Fordern – gilt mit Nachdruck. Darauf, dass mit dem Fordern mehr Härte verbunden ist, als das in der Vergangenheit da und dort vielleicht üblich war, will ich nachher noch ein paar Sätze verwenden.

   Die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe für die Arbeitsfähigen zu einer sozialen Grundsicherung für alle, die arbeitsfähig sind, ist ein im Wesentlichen von allen getragenes Projekt gewesen. Da das so ist, müssen bei der Umsetzung auchalle dazu stehen. Man darf nicht glauben, allein mit der Gesetzgebung sei das Problem schon gelöst. Vielmehr geht die Arbeit im Gespräch mit den Menschen weiter.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Macht das doch vorher!)

Langzeitarbeitslose schneller in Arbeit zu bringen ist die erste und wesentliche Zielsetzung.

   Ich kann übrigens aus meiner Zeit als Kommunalpolitiker sehr gut nachempfinden, was es mit dem Drehtüreffekt auf sich hat, bei dem sich der eine Kostenträger, die Kommune, und der andere Kostenträger, der Bund, die Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger jeweils zugeschoben haben. Es ging in dem System gar nicht zuallererst darum, die Menschen in Arbeit zu bringen, sondern sie in die Kostenträgerschaft des jeweils anderen zu verlagern. Das muss beendet werden. Das ist der grundlegende Konsens der Hartz-IV-Reformen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   „Schneller in Arbeit“ heißt, dass die Menschen eine ganz andere Betreuung erfahren werden. Das Verhältnis zwischen Betreuer und Arbeitslosen wird sich von 1 : 400 auf 1 : 75 verbessern, und zwar zuerst bei den unter 25-Jährigen.

   Man muss in diesem Zusammenhang den europäischen Vergleich heranziehen: Wir können mit einigem Stolz sagen, dass wir, was die Jugendarbeitslosigkeit betrifft, in Europa zu den Besten gehören. Es gibt zwei oder drei kleine Länder, die ein bisschen besser sind als wir. Alle anderen haben aber eine weitaus höhere Jugendarbeitslosigkeit als Deutschland. Ab dem 1. Januar werden – Wolfgang Clement hat darauf hingewiesen – alle, die unter 25 Jahre alt sind, ein Angebot bekommen, entweder ein Ausbildungsangebot, ein Qualifizierungsangebot oder eine Trainingsmaßnahme. Das ist die konkrete Umsetzung der Arbeitsmarktreformen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer das Angebot nicht annimmt, kann künftig freilich nicht in dem Maße auf die Unterstützung der Allgemeinheit setzen, wie er das in der Vergangenheit ohne weiteres getan hat. Beides gilt: Fördern und Fordern.

   Beim Ausbildungspakt leistet auch der Haushalt seinen Beitrag. Es geht darum, Menschen in Arbeit zu bringen. Fördern heißt im Rahmen des Prinzips „Fördern und Fordern“ auch, zu helfen, dass die Menschen Qualifikationen erwerben, die es ihnen erleichtern, wieder in den Beruf zu kommen. Das heißt zum Beispiel, dass der Führerschein gefördert wird, wenn er notwendig ist, um eine Chance zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Fördern und Fordern – bei Fordern geht es allerdings auch um die Zumutbarkeit. In diesem Zusammenhang möchte ich die angekündigte Bemerkung machen: Sie haben im Vermittlungsverfahren – genauso wie bei den Hinzuverdienstmöglichkeiten – ordentliche Verschärfungen durchgesetzt, gegen die Herr Rüttgers, Herr Böhr, Herr Müller, Herr Milbradt und andere anschließend zu Felde zogen. Wir möchten das zwar nicht ändern, weil wir zu getroffenen Verabredungen stehen; aber so geht das nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie etwas beschliejßen, müssen Sie auch dazu stehen. Sich anschließend aber in die Büsche zu schlagen oder sich sogar an die Spitze der Protestbewegung zu stellen, ist der Gipfel der Heuchelei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich sage ausdrücklich, dass etwas geschehen musste. Es gibt nämlich Missbräuche. Wieso kommen eigentlich Lehrer aus Polen zur Weinlese in den Rheingau, wenn wir über 4 Millionen Arbeitslose haben? Wieso finden wir angesichts der Höhe der Arbeitslosigkeit keine Deutschen, die diese Arbeit machen? Das gilt auch für viele andere Bereiche: Arbeit schändet nicht und muss angenommen werden!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Praktiker haben uns auch auf Missstände im deutschen Mittelstand hingewiesen. Es gibt den Fall – ich möchte nicht falsch verstanden werden: das gilt nicht generell –, dass jemand seine Ehefrau für die Buchführung einstellt, anschließend entlässt, zum Arbeitsamt schickt und sagt: „Kassier du das Arbeitslosengeld.“ Die Buchführung macht sie trotzdem weiter. Das geht nicht. Steuerhinterziehung und Sozialbetrug können nicht akzeptiert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Gesetzgebung muss so ausgestaltet sein, dass das klar ist.

   Vielleicht hat der zögerliche Rücklauf der Antragsformulare für das neue Arbeitslosengeld II in dem einen oder anderen Fall etwas damit zu tun, dass nun sichtbar wird, was sichtbar werden muss, oder damit, dass sich einige vom Bezug einer Leistung, die sie offenbar zu Unrecht bekommen haben, zurückziehen müssen.

   Natürlich ist richtig, dass allein auf diesem Weg keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden können. Allein wenn die Vermittlung in die 300 000 offenen Stellen schneller erfolgen könnte, wäre etwas gewonnen und es würde ein kleiner wirtschaftlicher Impuls gesetzt. Allein wenn die Vermittlung etwas schneller ginge, wäre etwas gewonnen, weil nämlich Mittel eingespart würden und ebenfalls ein kleiner Impuls gesetzt würde. Wenn ein paar Menschen glauben, sie sollten sich doch etwas intensiver um Arbeit bemühen und sich nicht nur auf die Unterstützung der Allgemeinheit verlassen – diese Entwicklung können wir bei den Zeitarbeitsfirmen erkennen –, ist auch das ein Effekt, der – das sage ich ausdrücklich –gewollt ist.

   Die Gesetze sind gemacht. Sie wurden übrigens erst in der Sommerpause zu Ende gebracht. Der Appell richtet sich nun an die Bundesagentur für Arbeit und an alle Kommunen. Allen, insbesondere den bei der Umsetzung besonders geforderten Sozialdezernenten, egal ob es Sozialdemokraten, Christdemokraten, Grüne oder Liberale sind, sage ich:

Macht euch jetzt alle daran, das umzusetzen! Das ist die größte Sozialreform, die wir je gemacht haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie ist schwierig und fordernd genug. Darum wollen wir gar nicht herumreden, auch nicht um die Ängste der Menschen. Es steckt aber im Gegensatz zu den öffentlichen Verlautbarungen mehr Positives als Negatives darin. Das muss man klar machen. Wir müssen die Kosten für den Arbeitsmarkt zurückführen. Das geht gar nicht anders angesichts der Zahlen, die ich vorhin genannt habe. Insgesamt stecken viel mehr Chancen in der Reform. Diese müssen wahrgenommen werden.

   Ich will bei dieser Gelegenheit eine kurze Bemerkung

(Manfred Grund (CDU/CSU): Zum Haushalt!)

zur Finanzsituation der Kommunen machen.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Ich dachte, zum Bundeshaushalt!)

– Wir sind die ganze Zeit dabei. – Im Jahr 2005 werden wir durch unsere Initiativen, sowohl durch die Gemeindefinanzreform als auch durch Hartz IV und die dadurch garantierten Entlastungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro sowie durch das, was im Haushaltsbegleitgesetz des vorigen Jahres fortwirkt, eine Verbesserung der kommunalen Finanzsituation um 6,6 Milliarden Euro haben. Das ist in der Tat ein großes Wort.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Entwicklung wird fortgeschrieben, sodass wir in den Folgejahren eine Entlastung von mehr als 7 Milliarden Euro haben werden. Das ist eine solide Basis, um das zu tun, was dringend getan werden muss und worauf ich jetzt kommen will. Wir müssen nämlich für die Betreuung der unter dreijährigen Kinder und für die Ganztagsschulen mehr machen. Es werden finanzielle Möglichkeiten geschaffen, die unter anderem dafür eingesetzt werden müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   So viel zur Arbeitsmarktreform. Das ist eine riesige Aufgabe, deren Umsetzung ansteht.

   Zur Rentenreform: Eines der Probleme unserer Gesellschaft ist, dass wir – das ist in diesen Debatten deutlich geworden – uns einigen Themen, die wir eigentlich kennen, in der öffentlichen Debatte lange Zeit nicht gestellt haben. Ich will keine einseitigen Schuldzuweisungen machen. Schauen Sie sich den demographischen Aufbau der Gesellschaft an. 1960 kamen 30 Rentner auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter. Jetzt sind es 44 Rentner, die auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter kommen. Mitte dieses Jahrhunderts werden es etwa 80 Rentner sein, die auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter kommen, oder anders gesagt: 80 Rentenempfänger werden 100 Beitragszahlern gegenüberstehen. Daran wird die Dramatik deutlich, die in unserer Gesellschaft langfristig angelegt ist und kurzfristig überhaupt nicht geändert werden kann.

   Schauen Sie sich den Bundeshaushalt an. Ein Sechstel des Bundeshaushaltes ging 1960 als Zuschuss an die Rentenversicherung.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Das haben Sie doch selbst gemacht!)

Heute ist es bereits ein Drittel. Wenn man weiterhin betrachtet, was mit Zinsen und Sozialausgaben passiert ist, dann sieht man die Notwendigkeit unserer Reformen. Es geht nicht darum, ob wir uns die Reformen leisten können; umgekehrt, wir können uns überhaupt nicht leisten, darauf zu verzichten, weil wir die Sozialausgaben nicht mehr bezahlen können. So einfach ist das.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das muss man den Menschen mit aller Deutlichkeit sagen. Es liegt ein politisches Versagen darin, das, was man früher wissen konnte, nicht früher angegangen zu sein. Ich sage bei aller Selbstkritik, die der Bundeskanzler hier geäußert hat, nämlich dass diese Regierung in der ersten Wahlperiode vielleicht nicht genug getan habe: Immerhin haben wir die Haushaltskonsolidierung eingeleitet sowie Steuerreformen und eine Rentenreform gemacht. Aber 16 Jahre lang so gut wie gar nichts zu tun ist in der Tat nicht zu akzeptieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund (CDU/CSU): Blödsinn!)

   Deswegen ist die Konsequenz: Erstens. Die umlagefinanzierte Rente musste grundlegend reformiert werden. Mit der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors muss ihre Entwicklung nachhaltig gedämpft werden. Das heißt, dass wir im Jahr 2030 im Vergleich zum jetzigen Rechtszustand eine jährliche Entlastung von 20 Milliarden Euro haben, die die Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zu zahlen haben und die sie wahrscheinlich gar nicht zahlen könnten, weil die Rentenversicherungsbeiträge so hoch wären, dass sie niemand mehr in dieser Volkswirtschaft verkraften könnte.

   Wenn die umlagefinanzierte Rente wegen der Demographie an Kraft verliert, dann müssen wir, wenn wir Altersarmut nicht wollen, die kapitalgedeckte private Vorsorge – steuerlich gefördert – für die Schwächeren daneben stellen. Das war eine richtige Entscheidung in der vorigen Wahlperiode.

(Beifall bei der SPD)

   Als Nächstes ist der Entwurf des Alterseinkünftegesetzes anzuführen, den wir gerade verabschiedet haben. Ich bin dankbar dafür, dass uns dies gemeinsam möglich war. Damit werden als dritte Stufe des gesamten Vorhabens die Beiträge zur Rentenversicherung und zur privaten Vorsorge bis 2025 Schritt für Schritt steuerfrei gestellt. Das bedeutet eine ordentliche Erleichterung für die nächste Generation, die schließlich genug zu tragen haben wird. Es heißt aber umgekehrt, dass dann, wenn die Vorsorge vollständig steuerfrei ist – das wird ab 2040 der Fall sein –, die Rente, wenn sie als Einkommen zufließt, versteuert werden muss. Das ist ein einfaches Prinzip, das so, wie wir es beschlossen haben, niemanden bedroht. Es ist in Wahrheit ein Steuerentlastungsprogramm; denn die Entlastung bei der Vorsorge ist stärker als die Belastung bei der Rentenbesteuerung.

   Der dritte Punkt ist die Gesundheitsreform. Dabei handelt es sich in der Tat – das will ich loben – um eine ausgesprochene Erfolgsgeschichte; denn statt des 2 Milliarden Euro hohen Defizits im ersten Halbjahr 2003 ist nunmehr, nach In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform, im ersten Halbjahr 2004 ein Überschuss in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zu verzeichnen; das ist ein Swing von 4,5 Milliarden Euro. Dafür will ich ausdrücklich meinen Dank aussprechen,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

weil – darauf komme ich gleich noch zurück – der Finanzminister natürlich seinen Haushalt im Blick behalten muss. Da mir aber immer wieder das Maastricht-Defizit angelastet wird, will ich an dieser Stelle deutlich machen, dass es dabei nicht nur um den Bundeshaushalt geht, sondern auch um die sozialen Sicherungssysteme, die Länderhaushalte und die kommunalen Haushalte.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Dazu will ich mich zumindest äußern. Ich halte die Reformen in den sozialen Sicherungssystemen für dringend erforderlich. Die Gesundheitsreform ist ein gutes Beispiel dafür, auf welche Weise sie möglich sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Zum ersten Mal seit zehn Jahren befindet sich die gesetzliche Krankenversicherung in einer positiven Entwicklung. Die ersten Erfolge sind sichtbar. Es werden nicht nur Schulden abgebaut – auch das ist übrigens in entscheidendem Maße Maastricht-relevant –, sondern es sinken auch die Beiträge. 25 Millionen Versicherte sind schon in den Genuss von Beitragssatzsenkungen gekommen, die zwar noch klein sind, aber immerhin möglich wurden. Das ist ein großer Fortschritt im Zuge der Reformen, die vor eineinhalb Jahren vom deutschen Bundeskanzler im Rahmen der Agenda 2010 im Deutschen Bundestag angekündigt worden sind.

   Ich wiederhole: Auch das hat etwas mit Maastricht zu tun. Ich glaube, es war Herr Storm, der einmal gesagt hat, die sozialen Sicherungssysteme seien nicht dafür da, zur Lösung unseres Maastricht-Problems beizutragen. Sie lösen dieses Problem aber aus, wenn sie defizitär sind. Insofern dürfen sie keine Defizite aufweisen. So einfach ist das.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit etwas zum Zahnersatz anmerken. Die Diskussion darüber finde ich ziemlich spannend.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Vielleicht kommen wir auch noch mal zum Haushalt!)

– Ich bin die ganze Zeit beim Haushalt. Das werden Sie gleich merken. Einiges scheint Ihnen nicht ganz angenehm zu sein. Dafür habe ich zwar ein gewisses Verständnis, meine Damen und Herren, aber ich spare heute nichts aus.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es geht offenbar um die gemeinsame Erkenntnis – anders kann ich Ihre Position nicht verstehen –, dass die Vorstellung, man könne das Problem mit einem gleichen Beitrag für alle und der Schaffung eines bürokratischen Monsters lösen, nicht zu verwirklichen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Einsicht scheinen inzwischen alle zu teilen, sonst würden Sie sicherlich an Ihrer Position festhalten. Obwohl es aber Ihre Erfindung war, wollen Sie sich damit nicht in der Öffentlichkeit präsentieren lassen. Dass Sie daraus die Konsequenz ziehen, gar nichts zu machen, zeigt, dass Sie, wenn es darauf ankommt, nicht in der Lage sind, die notwendigen Reformen für dieses Land durchzuführen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Weder für den Haushalt noch für die Einhaltung der Maastricht-Kriterien, die Rentenversicherung und die Senkung der Lohnnebenkosten kann die Konsequenz darin bestehen, die Reformen schleifen zu lassen. Notwendig ist vielmehr, was meine Kollegin Frau Schmidt vorgeschlagen hat, nämlich Zahnersatz und Krankengeld zum 1. Juli nächsten Jahres zusammenzuziehen und in der gesetzlichen Krankenversicherung zu lassen. Der Vorschlag sieht vor, dass die Versicherten auf der einen Seite 0,45 Prozentpunkte mehr bezahlen müssen, aber auf der anderen Seite wird ihnen im nächsten Jahr eine Beitragssenkung von bis zu 1 Prozentpunkt gewährt. Das ist sowohl für die Unternehmen durch die Senkung der Lohnnebenkosten als auch für die Versicherten eine vernünftige Regelung. Deswegen muss dieser Vorschlag umgesetzt werden. Es ist nicht zu verantworten, dieses Vorhaben schleifen zu lassen. So kann man angesichts der Finanzlage nicht mit den notwendigen Reformen umgehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn Sie an Ihrer neuen Linie festhalten, dann sollten Sie mir nicht sagen, dass wir nächstes Jahr beim gesamtstaatlichen Defizit wieder unter 3 Prozent kommen müssen. Der Zahnersatz und das Krankengeld sind Themen, die in diesen Zusammenhang gehören. Sie zählen zu den Problemen, die wir anpacken müssen, damit wir nächstes Jahr wieder unter 3 Prozent kommen. Wenn Sie den erzielten Konsens verlassen, dann haben Sie Ihren Beitrag dazu geleistet, dass dieses Ziel nicht erreicht werden kann. Das werden wir dann öffentlich sagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund (CDU/CSU): Jetzt können Sie zur Tabaksteuer kommen!)

– Zur Tabaksteuer sage ich gleich gerne etwas.

(Lachen bei der CDU/CSU)

   Damit wieder ein bisschen Ruhe in die Diskussion kommt, rate ich dazu, keine Schnellschüsse zu machen, sondern es bei der momentanen Gesetzeslage zu belassen, insbesondere bei dem, was der Haushaltsausschuss fraktionsübergreifend beschlossen hat, nämlich im nächsten Jahr in Kenntnis der tatsächlichen Entwicklung des jetzigen Jahres über mögliche Konsequenzen ergebnisoffen zu beraten. Ich denke, dass das der richtige Weg ist, den man an dieser Stelle gehen sollte. – So viel zu den anstrengenden Strukturreformen.

   Zweiter Punkt: zusätzliche Wachstumsimpulse. Klar ist – das habe ich schon zu Beginn meiner Rede gesagt –, dass Wachstum und Konsolidierung zwingend zusammengehören. Deswegen werden auch mit dem Haushalt 2005 Wachstumsimpulse erzeugt werden. Um es klar zu sagen: Die dritte Stufe der Steuerreform wird so umgesetzt werden, wie es im Gesetz vorgesehen ist. Durch sie werden Bürger und Unternehmen 2005 und in allen Folgejahren um weitere knapp 7 Milliarden Euro entlastet. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein paar Bemerkungen zu unserer Steuerreform machen, die seit 2001 in Kraft ist. Der Eingangssteuersatz, der 1998, also während Ihrer Regierungszeit, bei 25,9 Prozent lag, wird auf 15 Prozent im Jahr 2005 sinken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Spitzensteuersatz, der Ihnen immer besonders am Herzen liegt, wird von 53 Prozent 1998 auf 42 Prozent im nächsten Jahr sinken. Durch die Erhöhung des Grundfreibetrages werden Haushalte und Unternehmen nunmehr jedes Jahr um 52 Milliarden Euro entlastet. Das ist in der Tat eine große Steuerreform, wie es sie zuvor niemals gegeben hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben auch den Körperschaftsteuersatz gesenkt und dafür gesorgt, dass der im Unternehmen verbleibende Gewinn steuerlich besser gestellt wird, um die Eigenkapitalbildung zu stärken. Hinzu kommt bei den Personengesellschaften die Verrechnung der Gewerbesteuer mit der Einkommensteuerschuld. Auch dort wird also die Eigenkapitalbildung gestärkt.

   Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zum Thema Steuergerechtigkeit machen. Um es ganz konkret zu machen, welche Wirkung unsere Steuerpolitik auf die Einkommen der Menschen in diesem Land hat, möchte ich folgende Beispiele nennen: Ein lediger Arbeitnehmer – ohne Kinder, unter 50 Jahre, Steuerklasse I/0 – verfügte im Jahre 1998 über ein Bruttoarbeitseinkommen von 24 695 Euro. Er wird im Jahr 2005 über ein Bruttoeinkommen verfügen, das um 2 820 Euro höher liegt. Von diesen 2 820 Euro werden ihm 2 566 Euro belassen. Anders ausgedrückt: Sein verfügbares Einkommen nach Steuern und Sozialabgaben steigt von 60,2 Prozent während Ihrer Regierungszeit auf 63,3 Prozent im Jahr 2005. Dafür haben wir gesorgt. Wenn jemand etwas für die Erhöhung der Nettoeinkommen der Arbeitnehmer getan hat, dann waren wir das mit unserer Steuerreform.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe bei der CDU/CSU und der FDP)

   Am Beispiel eines Arbeitnehmers, der verheiratet ist, zwei Kinder hat und Alleinverdiener ist, wird es noch sehr viel deutlicher – vielleicht werden Sie anschließend noch ein bisschen unruhiger –, für welche Entlastungen wir gesorgt haben bzw. sorgen werden. Das Bruttoarbeitseinkommen eines solchen Arbeitnehmers steigt von 1998 bis 2005 zunächst nur um 2 821 Euro. Aber sein verfügbares Einkommen nach Steuern und Sozialabgaben erhöht sich um 3 790 Euro, das heißt, dass er trotz eines höheren Einkommens quasi mit niedrigeren Steuern belohnt wird. Das liegt übrigens in erster Linie am Kindergeld. Das ist Familienpolitik, die wir wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So sieht die Bilanz für die Durchschnittsverdiener aus.

   Wenn ich die Tabelle einmal dahin gehend betrachte, wie es für einen verheirateten Alleinverdiener mit zwei Kindern je nach der Größenordnung des Einkommens ausschaut – ich will das im Einzelnen gar nicht weiter ausführen –, dann stelle ich fest, dass die größten Entlastungen im unteren Einkommensbereich stattfinden und dass die Entlastungen mit steigendem Einkommen abnehmen. Dafür muss man sich nicht schämen; das ist vielmehr schlicht gerechte Steuerpolitik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte es noch an ein paar anderen Zahlen deutlich machen. Zunächst zur Einkommensteuer – sie ist die umverteilende Steuer –: Die oberen 10 Prozent zahlen 54 Prozent der Einkommensteuer, die unteren 50 Prozent ganze 9 Prozent. Auch das ist die Wirklichkeit. Übrigens, Sie waren strikt dagegen. Wir haben das durch den Abbau einer Fülle von Steuervergünstigungen gleich im Frühjahr 1999 erreicht. Sie haben das alles bekämpft.

   Dass wir das erreicht haben, war die Voraussetzung dafür, dass im oberen Einkommensbereich nicht einfach alles abgeschrieben werden kann. So sind auch die Bezieher höherer Einkommen, die – übrigens, ganz legal – eine Fülle von Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen konnten, betroffen. Das wurde eingeschränkt, damit wieder ordentlich Steuern gezahlt werden. Das ist unsere Steuerpolitik. Sie richtet sich weniger gegen Sie – im Wahlkampf richtet sie sich manchmal auch gegen Sie – als vielmehr gegen andere, die Falsches verbreiten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wer über die Einnahmeseite redet, der muss auch über den Steuerbetrug reden, Stichwort Umsatzsteuerbetrug. Wir arbeiten mit den Ländern seit Jahren an der Bekämpfung dieses Problems. Es wird auch mit Brüssel so schnell keinen Systemwechsel geben. Ein Systemwechsel bei der Umsatzsteuer würde – selbst wenn er mit Brüssel zu vereinbaren wäre – an einem nichts ändern: dass die Umsatzsteuer die betrugsanfälligste und mit dem höchsten Verwaltungsaufwand verbundene Steuer ist. Auch deswegen plädiere ich nachdrücklich dafür – dabei könnten die Länder eine ganze Menge mehr tun –, dass ebendieser Verwaltungsaufwand betrieben wird. Es geht nicht anders. Eine Steuerhinterziehung in Höhe von 20 Milliarden Euro – davon spricht das Ifo-Institut – ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Auch mit Blick auf die Diskussion in der Föderalismuskommission sage ich hier ausdrücklich – ich finde die Initiative von der FDP, das auch hier wieder zur Sprache zu bringen, richtig –: Der Bund ist bereit, beim Vollzug dieser Steuer eine ganz andere Verantwortung zu übernehmen. Dabei sollte es nicht um Kompetenzfragen gehen; vielmehr sollte derjenige, der am ehesten in der Lage ist, den Vollzug so zu gewährleisten, dass der Umsatzsteuerbetrug ordentlich zurückgedrängt wird, die Verantwortung übernehmen. In diesem Sinne sollten wir die Debatte führen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Otto Fricke (FDP))

   Sie wissen, dass wir den Vorschlag, eine Bundessteuerverwaltung einzurichten, in die Kommission eingebracht haben. Ich will ausdrücklich sagen: Ich stehe dazu. Allein die Tatsache, dass wir Bundesgesetze beim Aufkommen von Zweifelsfragen in Bezug auf die Auslegung in über 100 Kränzchen, in denen Vertreter aller 16 Länder und ein Vertreter des Bundes sitzen, klären müssen – oft in einem mehrstufigen Verfahren –, ist ein schweres Hindernis. Wir müssen doch in der Lage sein, einem Unternehmen oder einem Privatmann innerhalb von Tagen zu sagen, wie unser Steuerrecht einzuschätzen ist, was also im Einzelfall genau gemeint ist. Wenn man 100 Kränzchen braucht, die zur Klärung solcher Fragen mehrere Tagungen abhalten, dann geht das nicht. Das geht am besten, wenn derjenige, der ein solches Gesetz erlässt, der Bundesgesetzgeber, autorisiert ist, Zweifelsfragen zu beantworten. Anders kann ich mir das auf Dauer überhaupt nicht vorstellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wer über die Einnahmen redet, der muss auch über den Kampf gegen die Steuerhinterziehung an anderen Stellen sprechen. Ich sage ausdrücklich: Ich bin froh, dass wir uns – auch wenn es nur ein erster Schritt ist – in der Europäischen Union auf die Besteuerung von Zinserträgen verständigt haben, dass wir uns darüber auch mit der Schweiz einig sind, dass die entsprechende Regelung in der Schweiz, in vielen assoziierten Gebieten und in anderen Drittländern zum 1. Juli nächsten Jahres in Kraft tritt. Ich mache mir aber keine Illusionen: Das ist erst ein Anfang. Anders geht es übrigens weder in Europa noch sonst wo in der Welt; man bekommt nie eine perfekte Lösung.

   Aber es wird weiter gehen; ich sage das mit allem Nachdruck. Wenn in diesem Herbst die G 20, die größten Industrie- und Schwellenländer dieser Erde, die zusammen über mehr als 90 Prozent des Bruttosozialprodukts der Welt verfügen, für sich selbst den OECD-Standard beim Auskunftsaustausch in Steuerfragen für verbindlich erklären, dann wird damit ein großer Schritt im Kampf gegen die internationale Steuerhinterziehung nach vorne getan. Es kann nicht hingenommen werden, dass es auf dieser Erde Steueroasen gibt, also Länder, die ihr Einkommen im Wesentlichen dadurch erzielen, dass sie den Steuerbetrug in anderen Ländern fördern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das darf nicht sein. So kann internationale Gemeinschaft nicht funktionieren.

   Wir alle können das nicht wollen. Denn was heißt das für die vielen ehrlichen Steuerzahler? Wenn sie ein solches Bild vermittelt bekommen, dann müssen sie doch am System zweifeln. Deswegen ist der grenzüberschreitende Kampf gegen die Steuerhinterziehung eine unserer vornehmsten Aufgaben. Wir alle sollten uns daran beteiligen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Dasselbe gilt im Kampf gegen die Schwarzarbeit. Ich weiß nicht, ob die Zahl von Professor Schneider richtig ist – wahrscheinlich weiß das niemand genau –; 15 oder 16 Prozent Schattenwirtschaft, das wären um die 350 Milliarden Euro. Bei einer Steuer- und Abgabenquote von 36 oder 36,5 Prozent kämen dann über 100 Milliarden Euro an Steuern und Sozialbeiträgen nicht ein. Das ist ein gesellschaftlicher Skandal. Den kann man nicht allein dadurch beseitigen, dass man die Steuern und Abgaben senkt – das tun wir ja schon –; es wird immer eine große Differenz bleiben zwischen einer ehrlichen Arbeit, bei der in die Sozialsysteme eingezahlt wird und Steuern entrichtet werden, und einer unehrlichen Arbeit, bei der weder Sozialbeiträge noch Steuern gezahlt werden. Deswegen müssen wir alle zusammen diesen Kampf im Interesse der ehrlichen Unternehmer und der ehrlichen Arbeitnehmer sowie im Interesse legaler Arbeitsplätze führen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin froh darüber, dass sich nunmehr – da hat man bei den Wirtschaftsverbänden gezögert; das habe ich nicht verstanden –, ausgehend von Berlin und dem Bündnis für Regeln am Bau, eine Entwicklung republikweit vollzieht und dass es zu lokalen Bündnissen kommt, bei denen sowohl die Gewerkschaften als auch die jeweiligen Handwerksverbände bzw. Industrieverbände zusammenarbeiten; denn auch mit 7 000 Finanzkontrolleuren – das ist schon eine ordentliche Aufstockung – kann ich den Kampf gegen die Schwarzarbeit allein nicht bestehen. Die werde ich, wie ich immer gesagt habe, konzentriert dort einsetzen, wo der Missbrauch am größten ist, wo es um richtig organisierte Kriminalität geht; da ist zuallererst und mit Härte zuzufassen. Wir brauchen aber auch ein anderes Rechtsbewusstsein der Gesellschaft, damit dieser Sumpf ausgetrocknet wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zum zweiten Teil zum Thema Wachstum: Innovationsoffensive. Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die immer älter wird und immer weniger Kinder hat – das ist doch das Problem; das Problem ist nicht, dass wir älter werden; das ist für uns alle ja schön; man muss sich nur einmal in der Runde umsehen

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

– das war ganz selbstkritisch gemeint; keine Angst! –; dass wir so wenig Kinder haben, ist das Problem – muss man sich überlegen, wie wir unsere Probleme bewältigen. Wir dürfen die öffentlichen Haushalte nicht mit immer höheren Schulden und damit Zinsen für früher aufgenommene Schulden belasten – so haben wir das Jahrzehnte gemacht; das versuchen wir ja zu ändern – und nicht immer höhere Sozialausgaben fordern. Wir brauchen ein Feld für Zukunftsaufgaben. Das fängt bei den Kindern, bei den unter Dreijährigen, an. Wir haben zwar keine Zuständigkeit in diesem Bereich – das ist Gemeindesache –, aber wir haben gesagt: Wir entlasten die Kommunen bei Hartz IV um 2,5 Milliarden Euro. Davon sollen sie nachhaltig 1,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen einsetzen. – Ich hoffe, dass nicht nur das Geld, sondern auch die Botschaft ankommt und das entsprechend umgesetzt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deswegen haben wir auch – ohne Zuständigkeit; das ist eine Zuständigkeit der Länder und Kommunen – das Ganztagsschulprogramm aufgelegt, das zu einem Erfolg wird. Die Leute fragen ja nicht: „Wer hat die Zuständigkeit?“, sondern: Wird das Problem in Deutschland gelöst?

   Wir können nicht damit zufrieden sein, wie unser Bildungswesen funktioniert. Die PISA-Studie zeigt das deutlich. Sie zeigt übrigens auch – das sage ich nun bewusst als Finanzminister –, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den eingesetzten Mitteln und dem Erfolg nicht gibt. Man wird die Priorität Bildung nicht ohne mehr Mittel erreichen können – das ist wohl wahr –, aber es besteht ja auch die Möglichkeit, Mittel schlecht einzusetzen. Deswegen sage ich allen: Denken Sie an so etwas, wie es Frau Kollegin Bulmahn mit den Juniorprofessoren an den Hochschulen erlebt hat! Das Neue macht es für den Nachwuchs an deutschen Universitäten interessanter. Das darf nicht im Gewirr des Föderalismus – um das deutlich zu machen: im Kompetenzgewirr – untergehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir sehen unsere Chance als ein rohstoffarmes Land gerade darin, mit besserem Denken, mit besserer Qualität unserer Produkte und unserer Erfindungen an der Spitze zu bleiben. Das heißt, dass dieser Bereich zu stärken ist. Das heißt dann übrigens auch, dass wir die Lissabon-Strategie ernst nehmen. Wir werden es zwar unter Umständen nicht bis 2010 erreichen, Europa zur wettbewerbsfähigsten Region der Erde zu machen, aber das Ziel ist richtig. Alle Länder der Europäischen Union sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten, wir auch.

   So skeptisch der Finanzminister bei quantifizierten Zielen oft ist, was wohl verständlich ist: Wir haben uns das Ziel „3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung“ gesetzt. Wir müssen das dann auch erfüllen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das bedeutet: Wir müssen mehr in Forschung und Entwicklung investieren.

Das war die Ankündigung des Bundeskanzlers im Rahmen der Agenda 2010 am 14. März vergangenen Jahres.

   Wir haben einen Finanzierungsvorschlag unterbreitet: Da, meine Damen und Herren, wird es interessant. In einem gesättigten Wohnungsmarkt – –

(Zurufe von der FDP)

– Ja, wir kommen auch noch zu anderen Punkten, keine Angst. Aber auch dieser Punkt ist spannend; denn wenn ich mich richtig erinnere, stand in Ihrem Wahlprogramm 2002 noch drin, dass man die Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage aufheben sollte. Sie von der FDP sollten sich einmal zu Gemüte führen, was Sie da vorgeschlagen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage Ihnen: Wer sein Haus selber bauen kann, braucht vom Staat und damit von der Gemeinschaft kein Geld dazu. So viel vorweg.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dietrich Austermann (CDU/CSU))

   Aber wir haben ja ein anderes Problem: Zum einen machen wir Jahr für Jahr zu hohe Schulden, zum anderen muss mehr Geld in Zukunftsfelder investiert werden. Darüber besteht doch, wie ich glaube, kein Dissens; darin sind wir uns doch einig. Nun müssen wir aber auch sagen, woher das Geld kommen soll. Mich treibt um, dass wir das wenige Geld, das wir noch haben, falsch ausgeben, nämlich insbesondere für Subventionen von veralteten Strukturen statt für Investitionen in Zukunftsfelder.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Genauso ist es!)

Das kann so nicht bleiben. Deswegen sind Sie an dieser Stelle gefordert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich bin übrigens bereit, dies in jeder Versammlung oder Diskussionsrunde zu vertreten. Zwar ist die Eigenheimzulage nicht unpopulär, aber die Menschen sehen ein, dass es angesichts des derzeitigen Wohnungsmarktes und der derzeitigen Finanzlage wichtiger ist, in die Betreuung und Ausbildung unserer Kinder zu investieren als in den Bau oder Umbau von Häusern. Das sehen sie ein, das begreift jeder Mensch und das müssen wir machen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Im Übrigen wissen ja auch Sie, dass der Sachverständigenrat, die Bundesbank und alle Wirtschaftsforschungsinstitute davon reden, dass die Steuersubventionen weg müssen. Auch Sie tun das implizit. Sie haben ja schon gesamt, dass Sie bereit wären, diese Subvention aufzugeben, wenn denn Ihre Steuerreform käme. Aber mit diesem Verhalten jagen Sie einer Schimäre nach; denn Ihre Steuerreform kann aufgrund der damit verbundenen zusätzlichen großen Einnahmeausfälle in den nächsten Jahren überhaupt nicht realisiert werden. Auch das ist angesichts der Lage dieses Landes die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Folgen Sie doch der Einsicht, zu der Sie mittlerweile gekommen sind, und lassen Sie uns – Bund, Länder und Gemeinden – eine gemeinsame große Anstrengung für die Sicherung der Ausbildung unserer Kinder und für die Förderung von Forschung und Entwicklung, also zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit unseres Landes, unternehmen. Das würde 2,5 Milliarden mehr für die Länder, 900 Millionen Euro mehr für die Kommunen und 2,5 Milliarden mehr für den Bund bedeuten, die wir nachhaltig – das baut sich ja im Laufe der Jahre weiter auf – in den weiteren Ausbau von Bildung und Forschung investieren könnten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Zum Aufbau Ost: Wir verstetigen die GA Ost auf hohem Niveau; der Solidarpakt – auch dieses Geld muss ja erarbeitet werden – gilt bis einschließlich 2019. Bei der Gelegenheit möchte ich als Finanzminister etwas zu den Diskussionen sagen, die derzeit im Lande geführt werden. Auch ich bemühe mich bei Versammlungen im Westen wie im Osten darum, dass nicht neue Vorurteile und Gegensätze entstehen. Das müssen wir verhindern. Ich glaube aber, dass wir zu lange gezögert haben, die schlichten ökonomischen Fakten beim Namen zu nennen.

Ein schlichtes ökonomisches Faktum können wir in diesem Jahr, in dem die anderen mittel- und osteuropäischen Reformstaaten der EU beigetreten sind – 15 Jahre, nachdem die DDR zur Bundesrepublik gekommen ist –, den Menschen leichter und besser nahe bringen: Die Länder, die jetzt beigetreten sind, bekommen von Brüssel maximal 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes als Hilfe, um ihren Aufbau voranzubringen. Wir transferieren jedes Jahr 4 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes von West nach Ost. Das bedeutet, dass das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt zu einem Drittel aus Transferleistungen besteht. Das haben nicht die Menschen zu verantworten, die da leben, sondern das ist die Konsequenz der Wiedervereinigung, die so schnell kommen musste, weil wir eine Nation und ein Volk sind und sich die DDR gar nicht so lange wie die anderen Länder hätte aufrecht halten können, bis sie die Kopenhagener Beitrittskriterien – eine funktionierende Marktwirtschaft und wettbewerbsfähige Betriebe – erfüllt hätte. Beides hatte sie nämlich nicht. Die Folge davon aber war eine Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Die Konsequenz daraus, meine Damen und Herren – ich sage das ganz leise –, sind doch nicht blühende Landschaften innerhalb von wenigen Jahren und „aus der Portokasse bezahlt“, sondern ist, dass eine ganze Generation in Deutschland vor einer harten Herausforderung steht. Diese Tatsache kommt jetzt langsam in den Köpfen der Menschen an und sie sollte keine Zwietracht säen.

   Wir hatten bei unserer letzten Kabinettsklausur den schwedischen Ministerpräsidenten zu Besuch. Es war gut, jemanden zu hören, der einen Blick von außen auf unsere Situation wirft und sich auskennt.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Er war der Einzige!)

– Er war nicht der Einzige. – Er hat gesagt: Was ist eigentlich mit euch los? Seid doch stolz auf die enorme Leistung, die ihr als Deutsche erbringt! – Das ist unsere gemeinsame Aufbauleistung in Deutschland!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist klar, dass der Osten nicht immer noch mehr bekommen kann; das geht nicht. Ebenso ist klar, dass der Westen dem Osten die Solidarleistungen, die er für ihn erbringt, nicht neiden darf. Die Aufgabe besteht darin, mehr und mehr dahin zu kommen, dass – darüber muss mit Blick auf Gelsenkirchen und manche Gegend in Ostdeutschland eine vernünftige Debatte geführt werden – nicht mehr nur zwischen Ost und West in Deutschland unterschieden wird, sondern dort, wo die Problemlagen die gleichen sind, auch gleiche Antworten gefunden werden. In dieser Weise muss Deutschland zusammenwachsen und darf nicht auseinander getrieben werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deswegen sage ich in aller Ruhe zur PDS: Wer glaubt, man könne etwas gewinnen, indem man sich als ostdeutsche Partei gegen den Westen stellt, schadet uns allen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben die gemeinsame Freude, dass die Mauer weg ist und dass alle in Einheit und Freiheit leben können, und wir haben die gemeinsame Aufgabe, die Probleme zu lösen.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Wer macht denn mit denen Koalitionen?)

– Wir können uns ja mal die Verhältnisse auf der kommunalen Ebene anschauen; da wird es richtig spannend. – Diese gemeinsame Aufgabe gehört genau wie die anderen Wachstumsfaktoren zum Wachstumsprozess dieses Landes.

   Damit komme ich zu Punkt drei, der Konsolidierung. Herr Austermann wird in seiner Rede nachher sicherlich darauf zu sprechen kommen und sich über die Schulden beklagen. In diesem Punkt stimme ich Ihnen, Herr Austermann, sogar zu; auch mir sind die Schulden viel zu hoch. Ich wehre mich allerdings dagegen, dass Sie den Chefankläger spielen. In den Jahren Ihrer Regierungszeit nach der Wiedervereinigung betrug das jahresdurchschnittliche Defizit des Bundes 1,8 Prozent. In den fünf Jahren, die wir jetzt regieren, liegt das jahresdurchschnittliche Defizit des Bundes bei 1,5 Prozent.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Staatsdefizit insgesamt – Bund, Länder, Gemeinden und soziale Sicherungssysteme – lag in Ihrer Zeit bei jährlich 2,8 Prozent, in unserer Zeit liegt es bei jährlich 2,6 Prozent.

   Dabei habe ich sogar – was Sie wahrscheinlich nicht getan hätten – die UMTS-Erlöse herausgelassen. Wenn Sie diese hineinrechnen, vermindert sich das Defizit in unserer Zeit jahresdurchschnittlich um ein halbes Prozent. Mit anderen Worten, meine Damen und Herren: Sie haben in all den Jahren im Schnitt mehr Schulden gemacht als wir und eignen sich deshalb überhaupt nicht zum Chefankläger; das ist blanke Heuchelei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bleibe dabei: Natürlich ist das Ziel ein ausgeglichener Haushalt. Natürlich sind dem Bundesfinanzminister alle Schulden zu hoch. Aber erstens gab es von 2001 bis 2003 eine wirtschaftliche Stagnation. Zweitens musste die Haushaltslücke so groß nicht sein. Das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen, das ich Ende 2002 vorgelegt habe, hätte eine Jahreswirkung von 17 Milliarden Euro für Bund, Länder und Gemeinden gehabt. Im Bundesrat durchgehen lassen haben Sie gerade 2,4 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Um 14,6 Milliarden Euro könnte die Lücke kleiner sein, als sie ist. Deshalb machen Sie mir keine Vorwürfe im Zusammenhang mit den Privatisierungserlösen! Das akzeptiere ich nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wie gewaltig Ihr Mut war, haben wir im vergangenen Jahr beim Haushaltsbegleitgesetz gesehen. Wenn wir uns das Ganze jetzt einmal in Ruhe ansehen, stellen wir fest, dass die Wahrheit doch folgende ist: Wir haben seit 1999, seit der Auflegung des Zukunftsprogramms 2000, jetzt im sechsten Jahr in Folge einen Konsolidierungshaushalt vor uns. Hätten wir damals nicht damit begonnen, hätte das zur Folge gehabt, dass wir allein im Bund jedes Jahr 20 Milliarden Euro mehr Schulden hätten.

   Ich kann mich übrigens sehr gut erinnern, dass, als ich dieses Programm einleitete, jeder gesagt hat, das gehe gar nicht. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich sagen: Bei allem Streit, den wir auch mit dem Kollegen Rexrodt gehabt haben, hat es doch sehr viele faire Bemerkungen im Haushaltsausschuss gegeben.

Als ich damals das 30-Milliarden-DM-Paket vorlegte, gab es von Herrn Rexrodt im Haushaltsausschuss die Bemerkung: Das schaffen Sie nie. Mehr als 15 Milliarden DM ist nicht drin. – Es war eine harte Arbeit. Es wurden – das will ich an die Adresse von Herrn Stoiber sagen; ich komme auf ihn gleich zurück – 7,5 Prozent bei allen beeinflussbaren Haushaltspositionen eingespart.

   Was ist die Konsequenz? Wir haben die Finanzhilfen an den Stellen, an denen wir selber entscheiden konnten und an denen der Bundesrat nicht blockieren konnte – an anderen Stellen hat er selbst angesichts Mehrheiten, die nicht eindeutig waren, manchmal blockiert –, um 50 Prozent auf 6 Milliarden Euro im nächsten Jahr gekürzt, sie also halbiert. Die Personalausgaben in 2005 liegen bei einem Gesamtvolumen von 27 Milliarden Euro nur um 400 Millionen Euro höher als im Jahre 1998, obwohl es in der Zwischenzeit die Tarifsteigerungen gegeben hat, die kumuliert 11,3 Prozent ausgemacht haben. Wir beschäftigen im öffentlichen Dienst des Bundes heute deutlich weniger Menschen als die alte Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung. Das sind die Konsequenzen unserer Konsolidierungspolitik.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Ach, Herr Eichel!)

   Der Anteil des Bundeshaushalts am Bruttoinlandsprodukt ist von 12,1 Prozent im Jahr 1998 auf 11,5 Prozent in diesem Jahr zurückgegangen. Die Ausgaben sind insgesamt gleich geblieben. Es gibt nur eine Ausgabe, die gestiegen ist – sie macht praktisch die gesamte Steigerung aus –, und zwar die für den Arbeitsmarkt. Im Jahr 2000 betrugen die betreffenden Ausgaben 15 Milliarden Euro und im Jahr 2005 – das ist das Problem – sind es 29,6 Milliarden Euro. In dieser Zahl ist eine Hartz-Prämie enthalten, die später eingelöst werden kann.

   Wir haben eine konsequente Konsolidierung betrieben. Auf der Ausgabenseite haben wir wegen der Konjunktur das Arbeitsmarktproblem – deswegen gehen wir das Thema an – und auf der Einnahmenseite das Steuerproblem.

   Der Konsolidierungskurs war nicht nur ohne Alternative, sondern er war auch erfolgreich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans Michelbach (CDU/CSU): Setzen!)

Deswegen bin ich jetzt sehr gespannt, was Sie zu dem Haushalt 2005 zu sagen haben. Wir haben im Haushalt 2005 – das ist nach Strukturreformen und Wachstumsinitiativen der dritte Teil – das konsequent fortgesetzt, was wir 1999 – die Wirkungen habe ich bereits geschildert – eingeleitet haben. Die globale Minderausgabe von 2003 bei der Rente wird voll umgesetzt. Die noch schärferen Vorschläge von Koch/Steinbrück zum Subventionsabbau werden voll umgesetzt. In der Landwirtschaft wird das, worüber wir alleine entscheiden können und was Sie im vergangenen Herbst im Vermittlungsverfahren behindert haben, komplett umgesetzt. Ich komme gleich noch darauf zurück, weil dies eine pikante Variante hat.

   Allerdings gilt: Solange die Konjunktur nicht auf beiden Beinen – Export und Binnennachfrage – steht, wird es ein darüber hinausgehendes, zusätzliches Konsolidierungspaket nicht geben, weil es wachstumsschädlich ist und deshalb nicht zu verantworten ist.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Weil wir auf jeden Fall – das wird auch im Zuge der Haushaltsberatungen deutlich werden – Art. 115 des Grundgesetzes einhalten werden, indem wir nicht mehr neue Schulden machen, als wir für Investitionen ausgeben, brauchen wir Privatisierungserlöse in der Größenordnung von 15 Milliarden Euro. Die Privatisierungspolitik ist übrigens dieselbe wie zu Ihrer Zeit. Auch wir sind nicht gezwungen, an die Börse zu gehen. Wir werden es nur dann tun, wenn es im Hinblick auf die Kurspflege vernünftig ist. Es gibt ja die problemlose Parklösung bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

   Da Ihnen die Neuverschuldung zu hoch ist – auch mir ist sie zu hoch –, muss ich Sie fragen: Warum haben Sie sich dem einzigen Instrument, das uns jetzt noch zur Verfügung steht, nämlich dem steuerlichen Subventionsabbau, immer in den Weg gestellt? Das ist doch das eigentliche Problem. Beklagen Sie nicht die Höhe der Privatisierungserlöse, wenn Sie andere Türen schließen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mir können Sie das jedenfalls nicht ans Bein binden. Ich will das in aller Klarheit sagen.

   Ein paar Risiken sind noch zu berücksichtigen. Es muss noch der Betrag in Höhe von 2,2 Milliarden Euro im Rahmen von Hartz IV erbracht werden. Dieser Betrag ergibt sich aus dem erhöhten Zuschuss an die Kommunen und aus der Auszahlung zum 1. Januar. Ich bin den Haushältern der Koalition sehr dankbar, dass sie deutlich gemacht haben, dass sie den Haushalt passieren lassen und dass sie eigene Anstrengungen unternehmen – die Bundesregierung wird diese unterstützen –, damit wir diesen Betrag erbringen können. Das wird nicht einfach werden; es wird aber selbstverständlich geschehen.

   Natürlich müssen wir die Novembersteuerschätzung abwarten. Dazu will ich mich jetzt nicht weiter äußern. Dies hat im Moment keinen Zweck; das wäre Kaffeesatzleserei.

   Ich weise nur darauf hin, dass bisher in allen Prognosen davon ausgegangen wird, dass wir unser Wachstumsziel im nächsten Jahr erreichen. Es gibt sogar eine Reihe von Prognosen, zum Beispiel die des Internationalen Währungsfonds, in denen ein Wachstum von mehr als 2 Prozent vorausgesagt wird.

   Auf Ihre Reaktion – ich sagte es ja schon – bin ich nun gespannt. Herr Austermann, ich habe gehört – ich weiß nicht, ob es stimmt –, dass Sie auf der Bereinigungssitzung Einsparvorschläge in Höhe von 7,5 Milliarden Euro machen wollen. Das werden wir uns ansehen.

   Herr Stoiber hat einen anderen Vorschlag gemacht: In allen Bereichen soll um 5 Prozent gekürzt werden. Dieser Vorschlag von Herrn Stoiber kommt daher, dass er, nachdem er seine Haushalte bisher mit Privatisierungserlösen gespeist hat, dies zum ersten Mal nicht mehr kann,

(Zuruf von der SPD: Alles weg!)

weil er alles veräußert hat und nun wirklich einen Sparhaushalt vorlegen muss. In der Begeisterung über seinen Sparhaushalt übersieht er schlicht, dass wir mit der Konsolidierung bereits 1999 begonnen haben. Wenn man fair ist und in Ruhe darüber diskutiert, muss man zugeben, dass im sechsten Jahr des Sparens kaum noch Fleisch an den Knochen ist. Man wird hier und dort noch etwas finden, wenn man alles noch einmal durchwühlt; aber das ist nicht mehr viel.

   5 Prozent über alles einzusparen bedeutet zum Beispiel beim Rentenzuschuss eine Kürzung um 4,2 Milliarden Euro. Das führt – um es gleich zu sagen – zu einer Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge um 0,4 Prozentpunkte oder zu einer Rentenkürzung um 2 Prozent.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Wollen Sie das? Glaubt irgendjemand nach dem, was wir dort gemacht haben, dass das ein vernünftiger Vorschlag wäre? Sie können ihn natürlich einbringen. Aber ich gebe Ihnen Brief und Siegel, dass Sie ihn nicht einbringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Bei der Bundeswehr würde eine Einsparung von 5 Prozent eine Kürzung um 1,2 Milliarden Euro bedeuten. Ich kenne doch Ihre Klagen, dass die derzeitigen Mittel nicht ausreichen. Bringen Sie den Vorschlag ein, die Mittel für die Bundeswehr um 1,2 Milliarden Euro zu kürzen?

   Bei den Verkehrsinvestitionen würde dieser Einsparvorschlag eine Kürzung um 1,16 Milliarden Euro bedeuten. Ich kenne doch die Klagen, die jetzigen Mittel seien nicht ausreichend.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Bringen Sie einen solchen Vorschlag wirklich ein?

   Schauen wir uns auch noch die landwirtschaftliche Sozialpolitik an; dieses Schmankerl kann ich Ihnen nicht ganz ersparen. Eine Kürzung um 5 Prozent würde ein Minus von 255 Millionen Euro über das hinaus bedeuten, was ich bereits vorgeschlagen habe. Im Vermittlungsverfahren des letzten Herbstes hat Herr Stoiber erklärt: Wenn in diesem Bereich auch nur 1 Cent gekürzt wird, ist das ganze Vermittlungsverfahren beendet. – Jetzt schlägt er über meine Vorschläge, die er damals abgelehnt hat, hinaus vor, die Mittel für die Landwirtschaft zusätzlich um 255 Millionen Euro zu kürzen. Das wird aber eine Freude!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es gibt einen Bereich, zu dem ich gleich sagen muss, es hat keinen Zweck, 5 Prozent einzusparen: Bei den Zinsen kann nicht gekürzt werden. Oder soll ich den Banken sagen, dass wir unsere Schulden nicht mehr bedienen?

(Joachim Poß (SPD): Herr Austermann, das können Sie jetzt aufklären!)

   Kurzum, ich bin auf Ihre Vorschläge sehr gespannt. Einer Sache bin ich ganz sicher: Die Vorstellungen von Herrn Stoiber werden bei diesen Vorschlägen – wie auch immer sie aussehen – nicht dabei sein.

   Wir werden uns also interessanten Haushaltsberatungen zuwenden. Wir werden die Lücke von 2,2 Milliarden Euro schließen. Wir werden alles daransetzen – das wird nicht einfach werden; ich habe Ihnen schon dargestellt, was Sie mit Ihren Versuchen beim Zahnersatz anrichten würden –, im nächsten Jahr wieder unter die 3 Prozent des Maastricht-Kriteriums zu kommen.

   Ich will bei dieser Gelegenheit etwas zu unserem Stand im Hinblick auf die Haushaltsentwicklung in der Europäischen Union bzw. in der Eurozone sagen. Sie versuchen, alles Deutschland anzuhängen. Wir machen es einmal ganz einfach: Wir sind in der Hochkonjunktur mit einem Defizit von 1,2 Prozent bzw. einem Defizit von 24 Milliarden Euro gestartet. Wir sind letztes Jahr bei einem Defizit von 3,8 Prozent gelandet. Das macht einen Swing von 2,6 Prozent. Mit anderen Worten: Unser Problem war nicht, dass wir in dieser Zeit nicht mit der Marge von 3 Prozent ausgekommen wären. Unser Problem war, dass wir in die Stagnation mit einem Defizit gestartet sind. Dies lasse ich aber nicht mir anhängen. Sie müssen einmal sehen, was wir von Ihnen übernommen haben. Als wir an der Regierung waren, haben wir die Konsolidierung sofort eingeleitet. Schieben Sie also die Schuld nicht anderen Leuten zu!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Lafontaine!)

– Lafontaine hat in den Haushalt nur das hineingenommen, was Sie nicht angesetzt hatten, zum Beispiel die Postunterstützungskassen. Sie wissen es doch besser, Herr Dr. Meister!

Eines ist interessant: Es gibt in Europa eine Fülle von Ländern, die alle im Hinblick auf das Defizitkriterium von 2000 bis 2004 eine Abweichung um mehr als 2,6 Prozent haben – ich lese sie Ihnen einmal vor –: die Niederlande, Großbritannien, Griechenland, Finnland, Irland, Luxemburg und Schweden. Sie alle weisen eine stärkere Abweichung als wir auf. Sie sind in der Regel aus einer besseren Position gestartet, das ist wahr. Hier lasse ich mir aber nichts ans Bein binden; denn es zeigt, dass die deutsche Finanzpolitik in diesen Jahren sehr vorsichtig gewesen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Das ist auch die Grundlage unserer Diskussion. Mussten wir denn in Brüssel – den Satz von EU-Kommissar Almunia, wonach mehr ökonomische Logik in die Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu bringen ist, unterstreiche ich – erst dann zu solchen ökonomischen Debatten kommen, nachdem die Hälfte der Länder der Eurozone jenseits der 3 Prozent lagen? Auch unsere verehrten Chefankläger in den Niederlanden sind inzwischen ganz freundlich geworden – wir haben sogar mit ihnen eine gemeinsame Position –, sie liegen nämlich bei über 3 Prozent, obwohl sie mit einem Plus gestartet sind. Ihre Abweichung liegt nicht wie unsere bei 2,6 Prozent, sondern bei 4,4 Prozent. Daran sehen Sie, dass die Sache ernst geworden ist.

   Auf europäischer Ebene wird nicht der Stabilitäts- und Wachstumspakt infrage gestellt – das wäre auch ein fundamentaler Fehler –, aber es ist die Frage zu stellen: Ist das in erster Linie Juristerei oder Ökonomie? Wie schaffen wir es, in Europa wie in Deutschland zu Wachstum zu kommen, um mit Wachstum zu konsolidieren? Im geringen Wachstum liegt unsere Schwäche. Ausgabendisziplin und Wachstum sind die beiden entscheidenden Faktoren, uns und vielen anderen fehlt es am Wachstum, nicht an der Ausgabendisziplin. Deswegen ist diese Debatte sinnvoll und nützlich. Wir brauchen den Stabilitäts- und Wachstumspakt und wir brauchen eine vernünftige, ökonomische Anwendung dieses Pakts. Wir brauchen auch die Sanktionen aus diesem Pakt. Die zwingende Voraussetzung für Sanktionen ist aber, dass jemand bewusst gegen den Pakt verstößt. Das werden wir Deutsche aber nicht tun und das haben wir auch in der Vergangenheit nicht getan.

   Es findet eine vernünftige Debatte statt, die darüber hinaus das Ziel von Lissabon und das Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspakts miteinander vereinbaren muss. Wir brauchen eine konzertierte Strategie und nicht eine Strategie, bei der auf der einen Seite der Stabilitäts- und Wachstumspakt und auf der anderen Seite die Lissabon-Strategie stehen.

   Ich sage daher auch an die Adresse der Kommission, sehr nachdrücklich: Wir brauchen selbstverständlich eine kohärente Politik der Kommission. Derjenige, der von uns verlangt, dass im Aufschwung – er verlangt das natürlich zu Recht – all das, was zusätzlich eingenommen wird, zum Abbau von Schulden eingesetzt wird – dazu bekenne ich mich, das haben wir beim Ministerrat verabredet, es ist ein gemeinsamer Beschluss aller –, kann nicht erwarten, dass sein eigener Haushalt exorbitant steigt. Das bedeutet, dass die Konsolidierungsstrategie im Zusammenhang mit der europäischen Solidarität und mit der Haushaltsstrategie der Europäischen Union gesehen werden muss. Das heißt, mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandseinkommens sind nicht drin. Für uns ist das schon eine Steigerung für 2013, denn der Beitrag wird von jetzt 21 Milliarden Euro auf dann 32 Milliarden Euro steigen. Das ist eine Wachstumsrate, die der deutsche Haushalt nie haben wird. Die Vorstellung, dies noch einmal zu verdoppeln – das hieße, Wachstumsraten zwischen 8 und 10 Prozent bei der Zuweisung nach Europa zu akzeptieren –, ist nicht von dieser Welt, egal ob sie die Prodi-Kommission oder die Barroso-Kommission vertritt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Glos (CDU/CSU) – Waltraud Lehn (SPD): Das ist absurd!)

   Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt – so war es bisher – einer Meinung sind. Das ist kein Aufkündigen der europäischen Solidarität. Das heißt nur – langsam werden sie in Osteuropa nachdenklich –: Solidarität besteht auch darin, dass diejenigen, die aufgrund eigener Anstrengungen und mit unserer Hilfe bisher wunderschöne Aufholprozesse erlebt haben, so beispielsweise die Spanier, die Portugiesen und die Iren, nun ihren Beitrag leisten und auf einen Teil der bisherigen Subventionen verzichten müssen. Subventionen dürfen nicht zur Gewohnheit werden; das gilt für Deutschland und für Europa.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es wird eine interessante und ökonomisch vernünftige Diskussion. Es ist nur schade, dass wir dafür so lange gebraucht haben.

Wir befinden uns in einer Situation, in der wir weiß Gott große Herausforderungen zu bestehen haben und in der es so viel Unruhe im Land gibt wie schon lange nicht mehr. In dieser Situation haben wir es nötig und ergreifen die Chance, über die Herausforderungen, vor denen wir stehen, mit den Menschen zu diskutieren. Das geschieht zurzeit und immer mehr Menschen verstehen es. Wie ich schon am Anfang gesagt habe, können wir das aus einer Position großer eigener Gelassenheit und Stärke tun; denn wer sonst kann es schaffen, wenn nicht wir?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)

– Ja, wer sonst?

   Ich will Ihnen zum Schluss zwei Zitate von der Tagung der Nobelpreisträger, die am Wochenende am Bodensee stattgefunden hat, vorlesen. Reinhard Selten, der deutsche Nobelpreisträger, sagte wörtlich:

Mich hat beeindruckt, dass bei einer Befragung unter Spitzenmanagern Deutschland als einer der besten Standorte herauskam.

   Sagen wir das doch endlich einmal wieder laut, von welcher Position aus wir unsere Herausforderungen meistern!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sage ich: Wer, wenn nicht wir.

   Warum eigentlich führen wir in immer kürzeren Abständen Weltuntergangsdiskussionen? Das ist ein Schaden für sich. Meine Kollegen Finanzminister, die auch die deutsche Presse lesen, fragen mich – wie auch Jean-Claude Juncker – bei Treffen immer: Was ist eigentlich bei euch los? Was ist das für ein Land, das auf der einen Seite so stark ist, wie uns das Göran Persson gesagt hat, auf der anderen Seite aber so selbstquälerisch diskutiert?

   Robert Mundell, der amerikanische Nobelpreisträger, sagte auf Europa bezogen wörtlich:

Die EU hat die Währungsunion verwirklicht, nun ist die politische Union ihr Ziel. Auch das wird sie erreichen. Europa wird in großartiger Form sein.

– Das sagt ein Amerikaner. –

Wir sagen oft, Europa sei nicht so erfolgreich wie die USA. Dabei ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf genauso stark oder stärker gewachsen als in den USA. Nur hat die Bevölkerung nicht im gleichen Maße zugenommen, deshalb expandiert die europäische Wirtschaft absolut gesehen nicht so schnell wie die amerikanische.

Das ist das Urteil des amerikanischen Nobelpreisträgers.

   Meine Damen und Herren, wir können viel kritisieren, aber bitte lassen Sie uns diese Debatte in dem Bewusstsein führen, dass wir ein starkes Land sind, das vor großen Herausforderungen steht, und nicht, dass wir ein Land am Rande des Abgrundes sind.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dietrich Austermann (CDU/CSU):

Herr Präsident! Es ist geradezu absurd, dass wir jetzt eineinviertel Stunden lang eine Haushaltsrede des Bundesfinanzministers gehört haben, die das Thema „Situation des Haushalts, Perspektiven des Finanzplans für die Zeit ab 2005“ überhaupt nicht tangiert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß (SPD): Was hat das denn damit zu tun gehabt?)

   Man hatte vielmehr den Eindruck – das wurde auch in dem äußeren Auftreten deutlich –, dass er sich mit seiner Rede an diese gelangweilten und gescheiterten Frohnaturen, die eben noch hier gesessen haben, gerichtet hat. Der Finanzminister hat immer nach rechts geschaut. Ich vermute, der Kanzler hat ihm vorher gesagt: Hans, wenn du über den Haushalt redest, fliegst du gleich raus.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Waltraud Lehn (SPD): Welch unangemessener Ton!)

Deshalb hat er gesagt: Ich halte mich zurück und warte noch ein bisschen.

   Die Situation ist ziemlich klar. Herr Eichel, Sie werden es nicht erreichen, dass ich alle die Themen, die Sie haben, aufgreife. Ihre Rede war ein ausgesprochener Themensalat, aber nichts davon hatte mit dem Haushalt zu tun. Ich möchte dennoch einige Bemerkungen zu dem machen, was Sie gesagt haben:

   Sie werfen uns vor, wir hätten eine Fülle von Maßnahmen verhindert, und deswegen hätten Sie nicht sparen können. Ich lese Ihnen einmal aus dem Protokoll des Vermittlungsausschusses vom letzten November vor. Danach haben Sie Kürzungen in einer Größenordnung von 24,5 Milliarden Euro vorgeschlagen. Gemeinsam getragen wurden Kürzungen in Höhe von 22,7 Milliarden Euro. Lediglich Kürzungen in Höhe der verbliebenen Differenz wurden von uns aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mitgetragen. Jetzt zu sagen, wir hätten Ihre Sparmaßnahmen blockiert, ist geradezu aberwitzig.

Wir haben bei der Kürzung der Eigenheimzulage mitgemacht. Erzählen Sie doch nicht den Quatsch, hier sei nichts verändert worden. Ich nenne nur die Entfernungspauschale und die im Rahmen des „Korb II“ durchgeführten Änderungen bei der Tabaksteuer und einer ganzen Reihe sonstiger Steuern.

   Auch bei der Umsetzung des Koch/Steinbrück-Papiers haben wir mitgemacht. Die Liste dieser Sparvorschläge kam ja nicht aus Ihrem Haus, sondern von den Ministerpräsidenten. Aber wie sehen die Konsequenzen des Koch/Steinbrück-Papiers aus? Das, was darin zum Thema Kohle beschlossen worden ist, haben Sie ignoriert.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig! Ja!)

Sie haben weiterhin Hunderte von Millionen Euro in diesen Bereich gesteckt und mittelfristig ein Programm in Höhe von über 16 Milliarden Euro als zusätzliche Hilfe für die Kohle aufgelegt. Erzählen Sie uns also nicht, wir seien zum notwendigen Subventionsabbau nicht bereit und hätten die Kürzungsmaßnahmen, die Sie vorgesehen haben, nicht verantwortet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Eichel, wenn ich das, was Sie zum Haushalt gesagt haben, richtig werte, dann komme ich zu folgendem Schluss: Sie haben zu wenig Geld und Sie geben es auch noch falsch aus. Alles andere, was Sie gesagt haben, hatte mit dem Haushalt im Wesentlichen nichts zu tun.

   Herr Eichel, lassen Sie mich, auch wenn die Vergangenheit für Sie sicherlich nicht hilfreich ist, auf das Jahr 1998 Bezug nehmen: Im Jahre 1998 betrug das gesamtstaatliche Defizit 2,2 Prozent und es gab steigende Beschäftigung, sinkende Arbeitslosenzahlen und sprudelnde Steuereinnahmen. Das hat den Bundeskanzler, der damals noch Kanzlerkandidat war, veranlasst zu sagen: Dies ist mein Aufschwung.

   Herr Eichel, was haben Sie daraus gemacht? 1998 war Deutschland wie ein intaktes Auto mit intaktem Motor, gewissermaßen ein Superfahrzeug.

(Joachim Poß (SPD): Oh, oh!)

Sie haben gleichzeitig Gas gegeben und die Bremse getreten und dadurch den Motor ruiniert. Jetzt wundern Sie sich, dass das Fahrzeug nicht mehr so gut fährt und stottert. Genau das ist die derzeitige Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Um das angesprochene Beispiel mit dem Nobelpreisträger aufzunehmen: Wenn hier im Hause jemand einen Nobelpreis verdient hätte, wären Sie es: wegen Schuldenmachens.

(Michael Glos (CDU/CSU): Jawohl!)

In dieser Hinsicht sind Sie in der Tat ungeschlagene Spitze.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Nun komme ich zu den konkreten Zahlen des Haushaltes und zur tatsächlichen Situation in Deutschland. Damit reden wir unser Land nicht schlecht. Niemand hat daran Interesse. Aber man muss die Situation so beschreiben, wie sie ist: Wir befinden uns in der größten Haushalts-, Finanz- und Arbeitsmarktkrise seit 1949. Der Haushaltsentwurf, den Sie, Herr Eichel, vorgelegt haben, verschärft diese Krise. Als Basis für gemeinsame Gespräche ist er ungeeignet. Deswegen sagen wir: Nehmen Sie diesen Haushaltsentwurf zurück und legen Sie einen neuen vor. Besser wäre, wenn ein anderer Finanzminister einen neuen Entwurf einbringen würde, damit ein Papier vorgelegt wird, über das man streiten und entscheiden kann.

   Jetzt möchte ich zusammentragen, wie die Situation bis Ende 2005 tatsächlich aussieht, wenn dieser Haushalt gegolten haben wird. 2005 befinden wir uns sechs Jahre nach der Übernahme der Regierung durch Rot-Grün und zwei Jahre vor dem Ende der rot-grünen Regierungszeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir befinden uns Ende 2005 in einer Situation, in der Sie neue Schulden in Höhe von 150 Milliarden Euro gemacht haben werden. Der Schuldenstand wird auf 890 Milliarden Euro angestiegen sein. Darüber hinaus haben Sie Bundesvermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro verscherbelt. Wenn ich die neuen Schulden von 150 Milliarden Euro und das verscherbelte Bundesvermögen von 100 Milliarden addiere, entspricht das Vermögen, das Sie verbrannt haben – 250 Milliarden Euro –, exakt der Dimension des Bundeshaushaltes für ein ganzes Jahr. Dies ist in der Tat kein Beweis für eine nachhaltige Politik, die Sie von Rot-Grün – vor allem die Grünen – immer wieder anmahnen.

   Diese Situation spüren auch die Bürger in unserem Land an vielen Stellen. Die Reallöhne stagnieren auf dem Niveau des Jahres 1991. Die Sozialhilfeausgaben sind seit 1998 um 3 Milliarden Euro gestiegen. 1,2 Millionen Kinder leben von der Sozialhilfe. Unter Rot-Grün ist Deutschland ärmer geworden. Herr Bundesfinanzminister, Sie sind mit Abstand der größte Schuldenmacher und Vermögensminderer, der in der Nachkriegszeit in Deutschland tätig geworden ist.

   Man kann ganz grob sagen: Überall dort, wo Rot-Grün regiert, ist die Situation gleich. Wo Rot-Grün regiert, ist die Pleite programmiert. Das könnte ich auch auf Schleswig-Holstein beziehen; denn hier gibt es Parallelen. Man muss bloß ein Fernglas nehmen, es umdrehen und die entsprechenden Zahlen vergleichen. Dann stellt man etwa die gleiche Situation fest. Rot-Grün bleibt Rot-Grün, ob in Kiel oder Berlin. Nur ein Unterschied ist: Die Zahlen für Kiel sind ein Dreißigstel der Zahlen für den Bund. Bei den geplanten Schulden wurde zu Beginn des Jahres ein Betrag x angegeben; am Ende des Jahres kam der doppelte Betrag heraus. Die Investitionen sinken ständig. Der Haushalt ist drei Jahre hintereinander verfassungswidrig. Die Investitionen schrumpfen. In 16 Jahren wurden in Schleswig-Holstein unter Frau Simonis und ihrem Vorgänger mehr Schulden gemacht als in den 39 Aufbaujahren der von der CDU geführten Regierungen in Kiel.

Herr Eichel, die neuen Schulden, die Sie in diesem Jahr machen, reichen aus, um jeden Schleswig-Holsteiner mit einem neuen Golf-Fahrzeug zu versehen: 45 Milliarden Euro neue Schulden in diesem Jahr! Alleine die Zinsen auf die Schulden, die Sie seit 1998 gemacht haben, decken das gesamte Ausgabenvolumen des Kieler Landesetats ab. Dass es auch besser geht, zeigt übrigens das Saarland. Sie können daran sehen: Wo die Union regiert, läuft es besser. Das Saarland hatte früher die rote Laterne, unter Lafontaine – die Älteren werden sich noch an ihn erinnern –, inzwischen ist diese rote Laterne abgegeben worden und Schleswig-Holstein hat sie. Wir werden das in Schleswig-Holstein ab 2005 ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, der Haushaltsentwurf 2005 ist der Inbegriff des Scheiterns rot-grüner Haushalts- und Finanzpolitik: Er ist offensichtlich verfassungswidrig, verstößt gegen die Maastricht-Kriterien, ist ohne Perspektive, enthält keine Konsolidierung, bedeutet eine Überforderung künftiger Generationen, ist wachstumspolitisch kontraproduktiv und finanzpolitisch unsolide. Er enthält eine Fülle von Risiken, die nicht verarbeitet worden sind. Wie kann man hier einen Haushaltsentwurf vorstellen und gleichzeitig sagen: „Ich weiß, dass verschiedene Ausgaben nicht eingeplant und dass verschiedene Einnahmen zu hoch angesetzt worden sind“?

   Ich rechne Ihnen das bei Hartz IV einmal vor: Da fehlen 5 Milliarden Euro. Sie haben zunächst entgegen dem beschlossenen Gesetz den Arbeitslosenhilfe-Empfängern die Januarzahlung verweigern wollen – 1,9 Milliarden Euro –; Sie haben den Gemeinden etwas versprochen, was Sie im Haushalt nicht vorgesehen haben – 1,4 Milliarden Euro –; Sie haben nicht berücksichtigt, dass für mehr Leute Eingliederungsgeld erforderlich ist – das macht 700 Millionen Euro –, und Sie haben nicht bedacht, dass unter Ihrer Regierung die Zahl der Langzeitarbeitslosen leider nicht statisch ist oder zurückgeht, sondern dass sie ständig steigt. Insgesamt fehlen alleine bei Hartz IV 5 Milliarden Euro. Es fehlen darüber hinaus etwa 5 Milliarden Euro für den Arbeitsmarkt. Es fehlen Mauteinnahmen: Mit Sicherheit kommen die 3 Milliarden Euro im nächsten Jahr wie in diesem Jahr nicht zusammen. Der mit 3,5 Milliarden Euro angesetzte Bundesbankgewinn dürfte utopisch sein. 2 Milliarden Euro aus dem ERP-Sondervermögen – darüber müssen wir noch einmal reden. Eine Reihe von Detailentscheidungen sind offensichtlich von vornherein kontraproduktiv für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Schauen wir es uns doch einmal an: Der Verkehrsetat sinkt ständig. Ursprünglich sollten einmal 3 Milliarden Euro aus Mauteinnahmen draufgelegt werden – mehr für Schiene, Straße und Wasserstraße. Was ist tatsächlich passiert? Sie haben die Mittel gekürzt, weil die Mauteinnahmen ausblieben, sodass heute nur noch 75 Prozent der Mittel zur Verfügung stehen. Der im Juni beschlossene Bundesverkehrswegeplan ist Makulatur.

   Lassen Sie mich auch etwas zur Förderung in den neuen Bundesländern sagen, Herr Eichel. Sie haben das Thema Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur“ leider nicht angesprochen. Deshalb muss ich es tun. Die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur lag im Jahre 1998 um 1 Milliarde Euro höher als heute. Sie ist mehr als halbiert worden. Das bedeutet, in den neuen Bundesländern können Anstöße für die wirtschaftliche Entwicklung, für Betriebserweiterungen überhaupt nicht mehr in dem Umfang gegeben werden. Sie haben über Koch/Steinbrück hinaus, auch noch die Mittel für dieses Jahr bis Mitte des Jahres gänzlich gesperrt und damit nur einen Teil zur Verfügung gestellt. Milliardeninvestitionen in den neuen Bundesländern liegen heute auf Eis und können nicht umgesetzt werden, weil Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftstruktur“ brutal zusammengestrichen haben. Wenn ich dann noch sehe, dass die Bundesagentur für Arbeit in gleicher Weise bei den Mitteln für aktive Arbeitsmarktpolitik vor allen Dingen in den neuen Bundesländern kürzt – und das mit Ihrer Unterstützung –, kann ich nur sagen: Pfui Deiwel, was hier in den neuen Bundesländern gemacht wird!

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Während Sie das tun, wird gleichzeitig ein erheblicher Betrag für die Kohle zusätzlich draufgesattelt. Ich habe die Größenordnung genannt: Über 16 Milliarden Euro zusätzlich bis zum Jahre 2003.

(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 2003? Sie sind ja völlig durcheinander!)

– 2013, vielen Dank. – Und dann reden Sie von einer Innovationsoffensive. Wenn man sich das anschaut, stellt man fest: Da wird ein kleiner Kleckerbetrag zusätzlich bereitgestellt, unter der Voraussetzung, dass wir einer weiteren Kürzung der Eigenheimzulage zustimmen – wie im Haushalt ja überhaupt viele Dinge voneinander abhängig gemacht werden, damit man hinterher gar nicht mehr weiß, woran es gelegen hat, wenn etwas kassiert wird.

(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wissen wir schon alles!)

In der Tat wird im Etat für Forschung im Jahr 2005 weniger Geld für Innovation bereitgestellt. Und das nennen Sie Innovationsoffensive! In der Semantik waren die Roten immer groß, in der Realität haben Sie immer versagt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, Rot-Grün hat die größte Wachstums- und Beschäftigungskrise im Land zu verantworten. Dass wir jetzt nur ein Miniwachstum zu verzeichnen haben, ist das Ergebnis von sechs Jahren wachstumsfeindlicher Politik.

   Dass es auch anders geht, sehen wir in vielen Industrienationen. Dass der Export brummt, beweist im Grunde genommen nur, dass es alle Länder um uns herum, die unsere exportierten Waren kaufen, wesentlich besser können. Sie sind in bescheidenem Maße gewissermaßen ein Trittbrettfahrer der Weltwirtschaft.

   Wie wir wissen, führt das allerdings nicht dazu, dass zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Es gibt gewissermaßen „jobless growth“, das heißt, eine sinkende und keine steigende Beschäftigung. Bei den Steuereinnahmen ist es genau das Gleiche. Einen Aufschwung können Sie aus der Bilanz, die Sie heute vorgelegt haben, nicht entnehmen. Die Steuereinnahmen stagnieren bestenfalls und die Beschäftigung sinkt. Das macht in der Tat große Probleme. Es gibt in letzter Zeit 600 000 Beitrags- und Steuerzahler weniger. Jeder kann sich vorstellen, was das auch für die sozialen Sicherungssysteme bedeutet. Die Zahl der Firmenpleiten wird in diesem Jahr ein neues Rekordniveau erreichen. Der Stillstand dauert seit drei Jahren an. In diesem Jahr wird die Neuverschuldung des Bundes zum dritten Mal hintereinander die Verfassungsgrenze übersteigen und die Maastrichtkriterien verletzen.

   Herr Eichel, Sie werden verstehen, dass ich Aussagen, die Sie einmal gemacht haben, zitiere, auch wenn man sagen kann, dass Sie die Rede, die Sie heute gehalten haben, auch vor einem, zwei oder drei Jahren hätten halten können. Das, was Sie mit Blick nach vorne gesagt haben, war relativ dürftig und ist im Übrigen auch in der Vergangenheit schon nicht eingetreten. Ende 2001 haben Sie gesagt: Auf jeden Fall werden wir unter der Grenze von 3 Prozent bleiben. Wir werden den Stabilitätspakt auf Punkt und Komma einhalten, allenfalls nicht, wenn der Himmel einstürzt.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

   Man hat den Eindruck, der Himmel sieht ziemlich gebeugt aus. Er ist schon dreimal eingestürzt – the same procedure as every year. Der regelmäßige Einsturz des Himmels gehört offensichtlich zur Routine von Rot-Grün. Sie haben den Marsch in den Schuldenstaat angetreten. Ich habe darauf hingewiesen, wie groß die Schulden sind, die Sie uns hinterlassen werden. Sie wollen die Investitionsausgaben mittelfristig um 10 Milliarden Euro herunterfahren. Wir haben die niedrigste Investitionsquote der Nachkriegszeit. Die Substanz unserer Volkswirtschaft wird in rasantem Tempo aufgezehrt. Gleichzeitig wird die Staatsverschuldung mit zunehmender Geschwindigkeit in die Höhe getrieben. Am Jahresende werden gewaltige Beträge fehlen.

   Schauen Sie sich allein die Steuereinnahmen des Bundes in den ersten Monaten dieses Jahres an. Teilen Sie sie durch sieben und multiplizieren Sie sie mit 13 – also einschließlich des Weihnachtsgeldes, wenn es denn noch gezahlt wird –, dann kommen Sie in diesem Jahr auf eine Lücke in einer Größenordnung von 18 Milliarden Euro. Das zeigt die ganze Dramatik der Entwicklung. Wir werden in diesem Jahr neue Schulden in Höhe von 45 Milliarden Euro – vielleicht sogar wesentlich mehr – statt geplanter 30 Milliarden Euro machen.

   Man muss die Fragen stellen, warum diese Entwicklung so eingetreten ist und warum das Geld eigentlich fehlt. Zum einen sind die konsumtiven Ausgaben gestiegen. Für die Rente geben wir gegenüber 1998 50 Prozent mehr aus. Leider kommt das wegen der unberechenbaren Rentenpolitik nicht bei den Rentnern an. Daneben wird der Umsatzsteuerbetrug nicht entschlossen bekämpft. Die großen Körperschaften wurden dadurch belohnt, dass der Staat jahrelang praktisch auf Steuereinnahmen verzichtet hat. 2001 und 2002 wurde keine einzige Mark bzw. kein einziger Euro an Körperschaftsteuer eingenommen. Das in den 90er-Jahren übliche Körperschaftsteueraufkommen ist bis heute auf ein Drittel geschrumpft. Vor allen Dingen das macht deutlich, weshalb Geld fehlt. Geld fehlt natürlich auch, weil es kein Wachstum gibt. Geld fehlt wegen des tölpelhaften Vorgehens bei der Maut. Geld fehlt, weil der Staat nicht investiert, weder in den Verkehr noch in die Forschung. Geld fehlt wegen der immer höheren Steuerbelastung.

   Es ist schon aberwitzig, dass sich Einzelne in der Regierung, die 1998 mit dem Vorsatz angetreten sind, den Menschen das Autofahren zu verübeln, jetzt darüber entrüsten, dass Energiekonzerne die Energiepreise nach oben treiben. Das muss doch genau die Politik sein, die Herr Trittin und Frau Künast immer wollten:

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wo sind sie denn?)

   hohe Energiepreise, um eine entsprechende Entwicklung beim Autofahren zu erreichen. Derjenige, der in diesem Jahr 18,7 Milliarden Euro an Ökosteuer einkassiert, regt sich über die Energiekonzerne auf. Nach dem Rasen für die Rente und dem Rauchen für die Gesundheit können Sie den Leuten doch nicht deutlich machen, dass Ihre Energiepolitik beim Wachstum etwas zur positiven Entwicklung beiträgt. Genau das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Koppelin (FDP))

   Meine Damen und Herren, die Steuern fehlen aber auch deshalb, weil die Politik den Steuerflüchtigen kein echtes, vertrauenswürdiges Angebot gemacht hat und weil es nicht gelungen ist, die Schwarzarbeit zu bekämpfen. Das Volumen der Schwarzarbeit hat sich auf 16 Prozent des BIP erhöht.

Von 1998 bis in dieses Jahr hinein ist das Volumen der Schwarzarbeit um 100 Milliarden Euro gestiegen. Wenn das, was heute in Deutschland an Schwarzarbeit geleistet wird, in legale Arbeit umgewandelt werden könnte, würden fünf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen und die Sozialabgaben um 6 Prozent sinken. Noch einmal: Wenn es uns gelingen würde, die Schwarzarbeit zu bekämpfen, gäbe es zusätzliche Arbeitsplätze für fünf Millionen Menschen. Dass Sie es nicht geschafft haben, die Schwarzarbeit zu bekämpfen, lag auch an dem Zickzackkurs vom Ende letzten Jahres, der dann von uns in eine vernünftige Regelung korrigiert wurde. Es musste ständig neu überlegt und neu nachgedacht werden.

   Wenn sich meine Rechnung bestätigen sollte, steht im November fest, dass Deutschland nicht weniger, sondern mehr Reformen braucht. Sie haben die Reformen übrigens nur am Rande angesprochen. Ich gestatte mir, darauf hinzuweisen, dass der Bundeskanzler selbst gesagt hat: Es war ein Fehler, 1999 im Zusammenhang mit der Rente so gehandelt zu haben, wie man gehandelt hat. Er hat inzwischen auch eingesehen, dass es ein Fehler war, die Reformen im Gesundheitssystem zurückzunehmen. Er hat ebenso eingesehen, dass Sie an verschiedenen anderen Stellen entscheidende Fehler gemacht haben, beispielsweise bei den Sozialabgaben und den Steuern. Gleiches gilt für viele andere Reformen, die Sie gemacht haben und die in die falsche Richtung gingen.

   Die Menschen bei uns in Deutschland gehen auf die Straße, weil sie keine Perspektive haben. Sie haben das Problem, ihnen nicht vermitteln zu können, dass es in absehbarer Zeit wieder aufwärts gehen wird. Zudem müssen die Belastungen jetzt wesentlich schärfer ausfallen, weil man sechs Jahre verschlafen hat – Sie haben unsere richtigen Korrekturen nicht beibehalten –, die Entwicklung voranzutreiben. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt, der unser Land in diese Schwierigkeiten gebracht hat: Alle vernünftigen Anstrengungen von uns haben Sie konterkariert und damit den Pfad in Richtung weniger Wachstum und Stagnation eingeschlagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir brauchen eine Entlastung bei den Kosten der sozialen Sicherungssysteme. Wir brauchen Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Friedrich Merz hat dafür konkrete Vorschläge vorgelegt. Wir brauchen mehr Transparenz im Gesundheitswesen. Wir brauchen Verbesserungen im Bildungssystem. Wir brauchen eine wachstumsorientierte Steuerreform und -vereinfachung. Auch dafür haben Friedrich Merz und unsere Präsidien Vorschläge vorgelegt. All das könnte man sofort übernehmen und anfangen. Man könnte sofort Schritte unternehmen, die Steuerlast in Deutschland zu senken. Dass es nicht funktioniert, immer höhere Steuern zu verordnen, sieht man am besten am Beispiel Tabaksteuer: Je mehr der Staat die Bürger auspresst, umso weniger Einnahmen kommen herein. Das war der falsche Weg. Deswegen sagen wir: Runter mit den Steuern! Wir brauchen einfachere und niedrigere Steuern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen bürokratische Investitionshemmnisse beseitigen. All das müssen wir aber heute machen und nicht erst in Jahren, nicht erst nach dem Regierungswechsel im Jahr 2005 in Schleswig-Holstein und 2006 in Berlin.

   Ich sehe das Problem, dass durch die massive Schuldenaufnahme und die rabiate Privatisierung im Jahre 2006 voraussichtlich kein Vermögen mehr vorhanden ist – es wird sozusagen verbrannte Erde hinterlassen –, welches für Investitionen eingesetzt werden und mit dem der Bund noch agieren könnte. Das nährt den Verdacht, dass Sie all das, was Sie im Jahr 2005 machen, nur tun, um die Landtagswahlen zu überstehen, dass Sie hier und dort noch ein bisschen schönfärben werden, weil unter anderem die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen vor der Tür stehen, um dann – nach dem Motto: nach mir die Sintflut! – im Jahre 2006 den Offenbarungseid zu leisten.

   All das ist nicht neu. Das kennen wir von Ihnen und haben es überall dort gesehen, wo Sozialdemokraten regieren. Sozis können einfach nicht mit Geld umgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster (SPD): Sie können Ihre Plattheit immer noch weiter überbieten! – Weiterer Zurufe von der SPD: So einen dummen Spruch habe ich lange nicht gehört!)

Mit dem eigenen Geld können Sie schon umgehen, wie man an der Abwanderungstendenz Einzelner aus den Ministerien sieht, aber nicht mit dem Geld der Bürger.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Im Jahr 2005 verscherbelt die Bundesregierung Bundesvermögen. Das heißt, sie deinvestiert. Damit wird erneut das Maastricht-Kriterium verletzt. Sie haben auf den europäischen Vertrag Bezug genommen, Herr Eichel. Wir werden 2005 das einzige Land in Europa sein, das das Maastricht-Kriterium nicht einhält. Alle anderen Länder haben es geschafft, aus einer schwierigen Situation heraus in eine bessere Lage zu kommen; wir nicht. Sie haben mit Blick auf die Verschuldung erklärt, die schleichende Vergiftung fortzusetzen habe unser Land nicht verdient. Ich kann nur sagen: Diese Regierung und dieses Handeln hat das Land nicht verdient, weil es bedeutet, dass die EU-Kommission früher oder später aus diesem Handeln die Konsequenzen ziehen wird.

   Der IWF hat Sie dazu aufgefordert, endlich mit dem Sparen zu beginnen. Wie kann man vom Konsolidieren reden, wenn die Ausgaben des Staates ständig weiter in die Höhe gehen?

Maßgeblich ist nicht das, was Sie zu Beginn eines Jahres oder Mitte des Vorjahres als Entwurf vorlegen. Wenn wir das an dem messen, was davon Ende des Jahres übrig bleibt, müssen wir ständig weitere Ausgaben unterstellen, und zwar vor allem im konsumtiven Bereich und nicht bei den Investitionen. Das ist die falsche Entwicklung. Herr Eichel, Sie sind nicht der Retter, sondern der Totengräber der Bundesfinanzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Das Problem ist, dass die Entwicklung der nächsten sechs Jahre in die falsche Richtung geht. Das strukturelle Defizit wird in den nächsten Jahren 40 Milliarden Euro betragen. Wenn man nicht sofort massive Einschnitte, Haushaltssicherungsmaßnahmen und Haushaltsbegleitgesetze, vorsieht, werden wir auf absehbare Zeit über die von Ihnen geplanten 20 Milliarden Euro Schulden hinausgehend bis zum Jahre 2000-X weitere 20 Milliarden Euro Schulden machen müssen, um überhaupt den Konsum der Regierung bezahlen zu können. Das ist eine schlimme Entwicklung. Ihre Riege rot-grüner Maulhelden hat, was Finanz- und Haushaltspolitik betrifft, jedes Vertrauen verspielt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Union akzeptiert diesen Haushalt nicht als Beratungsgrundlage. Wir fordern Sie auf – wenn der Minister nicht die Kraft dazu hat, muss es die Koalition tun –, einen neuen Entwurf vorzulegen und den Vorschlag so umzustricken, dass daraus ein einigermaßen erträglicher und akzeptabler Entwurf wird. Wir sind bereit, daran mitzuwirken. Wir haben deutlich gemacht, dass wir bereit sind, auch wenn wir diesen Haushalt in der zurzeit vorliegenden Form nicht als Grundlage akzeptieren können, ganz gezielt und pointiert einzelne Kürzungsvorschläge zu machen.

   Uns wurde vorgehalten, dass die von uns vorgeschlagene 3-prozentige Kürzung zu viel sei. Darauf antworte ich: Hat der Finanzminister eigentlich seinen Job verdient, wenn er im Angesicht von 260 Milliarden Euro nicht in der Lage ist, ein Kürzungspotenzial von 3 Prozent zu finden? Man findet jeden Tag, wenn man die Zeitung aufschlägt, Negativbeispiele, nämlich Maßnahmen, die offensichtlich ins Leere führen. In der Verwaltung, bei Verfügungsmitteln und Beraterverträgen wird das Geld nach wie vor mit den Händen zum offenen Fenster hinausgeworfen. Herr Eichel, in Ihrem Umfeld streunt seit vielen Jahren ein Berater herum, der Hunderttausende Euro kostet und offensichtlich nur die richtigen Sprechblasen entwickeln muss. Vorher war er Berater von Herrn Riester – die Älteren unter uns werden sich an ihn noch erinnern –; ihm hat er beigebracht, wie man einen Schlipsknoten bindet. Das muss doch nicht der Steuerzahler bezahlen. Das muss aufhören. Wir müssen endlich zu vernünftigen Regelungen kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es gibt genügend Sparmöglichkeiten in diesem Haushalt. Das fängt bei der Frage des Umsatzsteuerbetruges an, geht über die ideologischen Spielwiesen, von denen es gerade in der Haushaltspolitik der Grünen besonders viele gibt, über Sonderveröffentlichungen, bis hin zu den Gesellschaften, die Sie gründen. Etwa 30 Gesellschaften wurden neu gegründet.

(Zuruf des Abg. Albrecht Feibel (CDU/CSU))

– Die GEBB zum Beispiel, richtig, Herr Kollege Feibel. Die Mitarbeiter dieser 30 Gesellschaften verdienen auf höchstem Niveau, deren Geschäftsführer verdienen doppelt so viel wie der Bundeskanzler. Ihr wirtschaftlicher Ertrag ist gleich Null. Das muss der Steuerzahler nicht bezahlen. Auch in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Kohlesubventionen sehen wir gewaltiges Sparpotenzial.

   Wir werden Anträge zu zwei Schwerpunktthemen stellen, die unser Konzept abrunden. Erstens brauchen wir mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur und zweitens mehr Geld für die Infrastruktur im Bereich Forschung. Diese zwei wesentlichen Bereiche sind für die Zukunft unseres Landes wichtig und werden von uns mit besonderer Priorität behandelt.

   Ich komme zum Schluss. Wer die finanziellen Grundlagen unseres Landes ruiniert hat, darf keinen Tag länger Finanzminister sein. Herr Eichel, Sie haben den Motor des Fahrzeuges Bundesrepublik zu Schrott gefahren. Ein neuer Motor, ein neuer Finanzminister und eine neue Regierung müssen her. In einem Interview haben Sie ängstlich gesagt, dass ein anderer Minister es kaum anders machen könnte. Schlechter sicher nicht; besser kann es wohl jeder. Packen Sie Ihr Sparschein in Ihre Aktentasche und gehen Sie ganz leise, mit Anstand. Unser Land hat diese Finanzpolitik nicht verdient!

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion.

Joachim Poß (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser Rede hat Herr Austermann den Zustand der Opposition trefflich charakterisiert:

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

monoton vorgelesen, wüste Beschimpfungen, keine Alternativen. Das kennzeichnet die Oppositionspolitik der CDU/CSU.

Insofern waren Sie eine Idealbesetzung für die Art von Opposition, für die Frau Merkel hier steht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Austermann, Sie sind der Schwarzredner an sich. Dafür gibt es hier keinen Preis. Vielleicht wird er einmal ausgelobt. Das ist aber noch nicht alles. Ich finde bedauerlich, was Sie, Herr Austermann, der Öffentlichkeit alles zumuten. Sie sind ein dreister Täuscher. Das muss man einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie biegen sich die Realität zurecht und täuschen. Das macht sonst keiner, auch wenn er unterschiedlicher politischer Auffassung ist. Die Art und Weise, wie Sie hier auftreten, ist eine Beleidigung für das Publikum. Das muss man einmal ehrlich sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen in wenigen Sätzen: Sie sagen, wir hätten die Steuern erhöht. Herr Eichel hat doch eindrucksvoll darstellen können, dass wir die Steuern für Geringverdiener, Durchschnittsverdiener, Familien mit Kindern und für den wirtschaftlichen Mittelstand gesenkt haben, und zwar nachhaltig. Das ist das größte Steuersenkungsprogramm dieser Republik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist mit Zahlen und Fakten belegbar. Sie aber stellen sich hier hin und behaupten das Gegenteil. Das Schlimme ist, dass viele Leute solchen Täuschungen glauben. Man könnte fast von Lügen sprechen.

   Wir haben Schlupflöcher geschlossen und in diesem Jahr einen Zuwachs bei der Gewerbe- und Körperschaftsteuer. Sie sagten, mit den Erträgen gehe es bergab. Nein, wir haben einen Zuwachs. Warum? Weil wir Schlupflöcher geschlossen haben, zum Beispiel durch die Mindestgewinnbesteuerung, die Sie torpedieren wollten. Diese Regelung haben wir – gegen Ihren Widerstand – durchgesetzt, damit sich auch große Unternehmen wieder an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ihre Unterstützung hatten wir nicht. Es gab einen mühsamen Kompromiss im Vermittlungsausschuss. Wir haben Schwarzarbeit verstärkt bekämpft und wollen sie stärker bekämpfen. Sie haben das im Deutschen Bundestag abgelehnt. Dann gab es einen Kompromiss, weil Ihre Länder vernünftiger als Sie agieren, die Sie im Deutschen Bundestag eine Fundamentalopposition betreiben. Das ist die Wahrheit. Die müssen wir möglicherweise noch deutlicher machen, weil Ihre Täuschungen offenkundig nach wie vor verfangen.

   Was machen wir mit dem Bundeshaushalt 2005, welche wichtige Aufgabe hat er? Er hat die Aufgabe, den Erneuerungsprozess zu unterstützen, den diese Koalition eingeleitet hat. Das ist die zentrale Aufgabe dieses Haushalts. Genau das leistet dieser Entwurf des Bundeshaushalts, den wir gemeinsam in den nächsten Monaten beraten werden.

   So werden im Bundeshaushalt 2005 für das Arbeitslosengeld II, für die damit einhergehenden Eingliederungsleistungen und für die Beteiligung des Bundes an den Unterbringungskosten rund 27 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das ist sehr viel Geld.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr gut!)

– Das muss aber von uns allen vertreten werden, Herr Kollege. Das müsste auf allen Montagsdemonstrationen gesagt werden: 27 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit! Das leistet der Haushalt 2005.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist von allen hier beschlossen worden.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Aber nicht von mir!)

Aber statt dass sie auch von allen hier vertreten wird, schlagen sich einige – vorhin wurden schon Beispiele genannt – feige in die Büsche, weil sie mit den Konsequenzen dieses richtigen Schrittes nichts mehr zu tun haben wollen, obwohl sie vorher viel härtere Maßnahmen gefordert haben. Ich plaudere keine Geheimnisse des Vermittlungsausschusses aus, wenn ich darauf hinweise, dass Herr Milbradt dort – er hat es auch öffentlich vertreten – agiert hat, als sei das Sozialhilfeniveau noch zu hoch. Derselbe Herr stellt sich heute an die Spitze von Demonstrationen. Das ist eine Heuchelei und Verlogenheit, die nicht zu toppen ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lothar Mark (SPD): Das ist aber christdemokratisch!)

Das ist aber typisch für die Partei, die er vertritt. Das gilt auch für Herrn Müller. Die Einlassung von Herrn Müller am Abend der Wahl, die er gut gewonnen hat, war eine Täuschung des Publikums. Offenbar ist das Ihr Stilmittel.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Was macht Herr Schreiner?)

Sie täuschen – nicht nur einzelne – systematisch die Bevölkerung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ein weiteres wichtiges Vorhaben – auch das spiegelt sich im Haushalt wider – ist die Sicherstellung einer hochwertigen medizinischen Versorgung für alle Bürger und nicht nur für die Einkommensstarken. Zur nötigen Stabilisierung und Senkung der Krankenversicherungsbeiträge ist daher ein Bundeszuschuss beschlossen worden, der im nächsten Jahr 2,5 Milliarden Euro umfassen soll.

Auch diese Mittel sind im Etatentwurf eingestellt, um die Gesundheitsversorgung für alle sicherzustellen.

   Zur notwendigen Erneuerung Deutschlands gehören nicht nur eine verbesserte Perspektive für Langzeitarbeitslose und die Stabilisierung der solidarischen Sicherungssysteme, sondern wir werden auch die notwendigen gesellschaftlichen Innovationen vorantreiben.

   Sie haben vorhin ein Resümee über den Zustand Deutschlands zum Zeitpunkt des Regierungswechsels gezogen, Kollege Austermann, und das bildlich mit einem Auto verglichen. Gesellschaftliche Innovationen waren doch für Sie ein Fremdwort. Davon war bei Ihnen nie die Rede. Zu den langen Linien unserer Politik gehört, dass wir mit gesellschaftlichen Innovationen begonnen haben, für die wir uns mit Bundesmitteln engagieren, zum Beispiel mit dem Ganztagsschulprogramm, für das wir 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen und das in den Bundesländern – auch in den CDU-geführten Ländern – erfolgreich angelaufen ist. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe war für Sie bis 1998 ein Fremdwort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben dieses Thema aufgenommen und in der Koalition gemeinsam fortentwickelt. Wir handeln und wir lassen uns das auch etwas kosten. Das ist ein großes gesellschaftspolitisches Thema.

   Daneben wollen wir ein weiteres großes gesellschaftliches, aber auch beschäftigungspolitisches Defizit beheben. Denn insbesondere für unter Dreijährige gibt es viel zu wenig Kinderbetreuungsplätze. Um an dieser Stelle weiterzukommen, hat die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Nach Einschätzung der Bundesregierung sollen bis zum Jahr 2010 230 000 zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen werden. Das wäre ein gewaltiger Fortschritt. Um das zu ermöglichen, entlastet der Bund die Kommunen. Auch das haben Sie verschwiegen, Herr Austermann. Wir entlasten die Kommunen im Zusammenhang mit der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, und zwar – das ist bombensicher – mit 2,5 Milliarden Euro ab dem kommenden Jahr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Hinzu kommen die Mehreinnahmen aus der Stabilisierung der Gewerbesteuer. Zusammen mit anderen Maßnahmen macht das 2006/2007 eine Entlastung in Höhe von 7 Milliarden Euro  aus. Das heißt, wir haben auch für die Investitionsfähigkeit in den Kommunen, die unter der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren gelitten hat, eine Trendumkehr erreicht. Das ist nicht zu leugnen und betrifft einen wichtigen Bereich für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger. Wir haben die Trendumkehr im Interesse der Bürgerinnen und Bürger erreicht. Wir haben für den Erhalt der Gewerbesteuer gekämpft, die Sie abschaffen wollten und noch heute abschaffen wollen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben in Sachen Verlustverrechnung bei Großunternehmen eine Neuregelung durchgesetzt und die Mindestgewinnbesteuerung beschlossen, was zu einer Stabilisierung der Körperschaft- und Gewerbesteuer führt. Wir wollen uns auch weiterhin in diesem Sinne einsetzen und entsprechend unserer ursprünglichen Vorlage, die Sie verhindert haben, initiativ werden, damit sichergestellt wird, dass auch Großunternehmen einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung unseres Staatswesens leisten. Wenn Sie über den Vodafone-Fall klagen, Herr Austermann – Sie waren der Erste aus den Reihen der Union, der sich überhaupt dazu geäußert hat –, dann müssten Sie unsere Initiative unterstützen. Ich bin gespannt, ob das der Fall sein wird. Ich kann mich nämlich daran erinnern, wie sich die Union verhalten hat, als wir die so genannte Teilwertabschreibung verschärft haben.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das war eines Ihrer Reparaturgesetze!)

Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder gegen Ihren Widerstand im Bundestag dann doch Maßnahmen ergriffen, die in die richtige Richtung gingen, wie es die Bevölkerung erwartet. Wenn es im Vermittlungsausschuss hinter verschlossenen Türen darauf ankommt, handeln Sie manchmal anders, als Sie sich hier äußern. Das ist Ihre Praxis.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Kleine und mittlere Unternehmen werden von der vorgesehenen Regelung nicht betroffen, da wir einen Sockelbetrag von 1 Million Euro vorgesehen haben, mit dem Unternehmen ihre Verluste vollständig verrechnen können.

   Unsere Politik hat sich für die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen gelohnt. Das müssten langsam auch die schwarzen Bürgermeister und Oberbürgermeister zur Kenntnis nehmen, die ganz anders reden, die Wahlplakate verwenden – wie zurzeit im Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen –, auf denen sie ihre leere Taschen vorzeigen, und die beklagen, dass unsere rot-grüne Politik dazu geführt habe. Auch denen muss die Gegenrechnung aufgemacht werden, auch sie täuschen die Bevölkerung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auf dieser Seite des Hauses sitzen die Gegner der Kommunalinteressen, es sind Ihre eigenen Parteifreunde der CDU/CSU und FDP. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren!

(Lothar Mark (SPD): Aber auch die Medien müssen mal die Wahrheit berichten!)

   Kernbestandteil der Agenda 2010 ist, die Anstrengungen für Forschung, Entwicklung und Wissenschaft zu erhöhen. Dies gilt auch für den Etat 2005. Nur mit mehr und besserer Forschung, Wissenschaft und Entwicklung sichern wir die Grundlagen des wirtschaftlichen Wachstums in Deutschland. Deshalb muss sich die Union auch hier entscheiden: Will sie angesichts der erkennbaren Entspannung auf dem Wohnungsmarkt an überholten Instrumenten wie der Eigenheimzulage festhalten oder will sie mit der Abschaffung dieser mittlerweile überflüssigen Subvention Haushaltsmittel für eine breit gefächerte Forschungs- und Innovationsinitiative freimachen? Unsere Haltung ist klar: Wir sind für Bildung und hoffen, dass die Union die Zukunftsfähigkeit Deutschlands nicht durch parteitaktisches Verhalten erneut aufs Spiel setzt.

   Wir werden den Etat der Bildungs- und Forschungsministerin weiter erhöhen und die Etats der außeruniversitären Forschungseinrichtungen im nächsten Jahr um 3 Prozent anheben. Der Entwurf des Bundeshaushaltes 2005 und der Finanzplan bis 2008 enthalten außerdem Mittel für das von der Ministerin konzipierte Programm zur Förderung der Spitzenforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Programm ist erforderlich, damit die deutsche Forschung im internationalen Vergleich nicht ins Hintertreffen gerät. Stimmen Sie diesem Programm auf Länderseite doch zu! Sorgen Sie dafür, dass Ihre Parteifreunde in den Ländern dies nicht weiter blockieren!

(Beifall bei der SPD)

Der Forschungsstandort Deutschland würde es Ihnen danken.

   Unsere Haushaltspolitik liefert das finanzielle Fundament für den angestoßenen gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozess, der aber – das muss man ganz deutlich sagen – noch Jahre dauern wird. Das gilt auch für die großen Maßnahmen betreffend den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme, insbesondere das Gesundheitswesen, bei dessen Reform wir bereits jetzt erste Ergebnisse erkennen können. Man kann nicht erwarten, dass solche strukturpolitischen Weichenstellungen sozusagen auf Knopfdruck umgesetzt werden können. Wir sind von der Notwendigkeit und der Wirksamkeit dieser Maßnahmen fest überzeugt. Wir glauben zwar nicht, dass sich mit diesen Maßnahmen von heute auf morgen, also unmittelbar wünschenswerte Ergebnisse erzielen lassen. Aber sie werden sicherlich mittelbar positive Ergebnisse zeitigen. Ich glaube, dass es die ersten positiven Ergebnisse, die sich auch in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung niederschlagen werden, im Jahre 2005 geben wird.

    Wir stabilisieren die wirtschaftliche Entwicklung mit weiteren Maßnahmen, die die Konjunkturerholung flankieren sollen. Wenn wir im kommenden November den vorliegenden Haushaltsentwurf in zweiter und dritter Lesung verabschieden werden, sollte jedem klar sein, dass wir über einen Wirkungshorizont von 14 Monaten reden. Nach dreijähriger wirtschaftlicher Stagnation muss der Bundeshaushalt darauf ausgerichtet sein – das hat Priorität –, dass sich der begonnene wirtschaftliche Erholungsprozess stabilisiert. Das Gleiche sollte auch für die Haushalte von Ländern und Kommunen gelten.

   Wir werden deswegen im nächsten Jahr die fünfte steuerliche Entlastungsstufe seit 1998 mit einem Volumen von rund 6,8 Milliarden Euro in Kraft setzen. Das wird dem privaten Konsum zusätzlich Impulse geben und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen erhöhen. Herr Austermann, wenn Sie hier die große Steuerreform von Ihrer Seite ausrufen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Mehr verkraften die öffentlichen Haushalte nicht. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist genau der falsche Ansatz!)

   Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir im Vermittlungsausschuss eine Entlastung der öffentlichen Haushalte von über 20 Milliarden Euro beschlossen. Es war Ihre Seite, die beispielsweise an die Subventionen für die Landwirtschaft nicht herangehen wollte, die einen umfassenderen Subventionsabbau blockiert hat. Das ist ebenfalls die Wahrheit, Herr Austermann. Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre die steuerliche Entlastung in diesem Jahr noch höher ausgefallen. Aber auch das ist an Ihnen gescheitert. Suggerieren Sie deswegen nicht, dass das CDU-Steuerkonzept, das berühmte Bierdeckelkonzept von Frau Merkel und Herrn Merz, irgendwann in den nächsten Jahren umgesetzt werden kann! Ihre eigenen Landesfinanzminister haben Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass das illusionär ist. Wecken Sie bei den Bürgerinnen und Bürgern doch nicht falsche Hoffnungen mit Illusionen, die Sie überhaupt nicht einlösen könnten, selbst wenn Sie die Regierungsverantwortung erlangen würden. Das ist doch verantwortungslos!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist allerdings auch ein Kennzeichen Ihrer Politik. Neben der Täuschung ist das, was bei Ihnen hervorsticht, die Verantwortungslosigkeit.

   Deswegen sage ich ganz klar – ich weiß ja, in welcher Umfragesituation sich die Sozialdemokratie befindet –: Wir halten Kurs. Wir täuschen die Menschen nicht. Wir müssen mit den Bürgerinnen und Bürgern noch mehr sprechen. Wir verhalten uns verantwortungsvoll. Wir büchsen nicht – wie die Populisten von links und von rechts; das können wir jeden Tag erleben – verantwortungslos aus.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir stehen hier nicht mit einem Trotzkopf, weil wir wissen, dass wir das machen, was wir unseren Kindern und Enkeln schuldig sind. Und wir sind in deren Schuld!

(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Und die Schuld wird immer größer!)

   Ich sage das, weil Sie hier noch bis vor kurzem meinten, wir könnten uns noch weitere massive Steuersenkungen erlauben. Das ist nicht der Fall. Gegen Steuervereinfachungen hat doch keiner etwas.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Sie machen Steuererhöhungen!)

Wir Sozialdemokraten haben aber etwas gegen weitere Umverteilungen zugunsten von Spitzenverdienern und zulasten von Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und deswegen machen wir da nicht mit. Da setzen wir die Grenzen.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Vorschläge zur Streichung von Steuersubventionen betreffen im Wesentlichen die Subventionen für die Arbeitnehmer.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

   Wenn Sie den Faden also konstruktiv weiterspinnen wollen: Wir sind gesprächsbereit. Das haben wir auch im Vermittlungsausschuss bewiesen. Da, wo wir nicht weitergekommen sind, ist es meist an Ihnen gescheitert, zum Beispiel weil Sie draufgesattelt haben. Wir kommen auf jedem Gebiet weiter. Aber lassen Sie uns bitte realistisch sein und im Einklang mit den finanziellen Möglichkeiten des Staates vorgehen.

   Bestimmten Vorschlägen folgen wir nicht. Mit Ihnen durchaus befreundete Medien schreiben Ihnen fast jeden Tag ins Stammbuch, diese Vorschläge fallen zu lassen. Sie haben auf Ihrem Leipziger Parteitag große Konzepte – nicht nur zur Steuerpolitik – beschlossen, Stichwort Kopfpauschalenmodell mit so eben einmal 40 Milliarden Euro. Fast alle haben zugestimmt. Das heißt, Sie haben da einen finanzpolitischen Blindflug unternommen. Langsam merken die Menschen das. Frau Merkel kommt Tag für Tag mehr ins Trudeln und das ist auch richtig so.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das wird sich für die Union auch in den Umfragen bemerkbar machen. Ihre Werte werden von Woche zu Woche sinken, weil die Leute – auch wenn es fast ein Jahr gedauert hat – langsam merken, dass sie mit Konzepten, die überhaupt nicht zu finanzieren sind, systematisch betrogen wurden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Diese Konzepte wurden zum Beispiel in der „Welt am Sonntag“ durchgerechnet. Dort steht eine gelungene Überschrift, die besagt, dass es um eine Lücke von über 100 Milliarden Euro geht. Die CSU vermutet – so heißt es in dem entsprechenden Artikel –, dass sie sogar noch größer ist.

(Lothar Mark (SPD): Die CDU bezahlt das aus der Portokasse!)

   Deswegen können wir mit Fug und Recht sagen: Frau Merkel ist das 100-Milliarden-Euro-Risiko in diesem Parlament. Von solchen Risiken müssen wir uns keine Empfehlungen geben lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Merkel ist ein 100-Milliarden-Euro-Risiko. Ich beziehe mich auf ein Organ, das Ihnen bekanntermaßen durchaus nahe steht, nämlich auf die „Welt am Sonntag“.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Auch falsch!)

   Nutzen Sie doch diese Debatte, um all das, was in diesem Artikel, mit guten Argumenten untermauert, zu lesen ist, zu entkräften! Verwirren Sie nicht weiter! Sie kündigen Alternativen an.

   Herr Austermann, wenn die Lücke im Bundeshaushalt 2005 nach Ihrer Behauptung 40 Milliarden Euro beträgt, warum kommen Sie dann mit einem Deckungsbeitrag von 7,5 Milliarden Euro? Damit werden Sie doch Ihren eigenen Ansprüchen überhaupt nicht gerecht. Das ist doch die nächste Täuschung, die Sie hier vornehmen.

   Was gilt denn nun? Das, was Sie hier gesagt haben, nämlich 7,5 Milliarden Euro, oder die von Herrn Stoiber behaupteten 12,9 Milliarden Euro Einsparungen? Wer hat denn eigentlich Recht? Herr Stoiber oder Sie, Herr Austermann? Was gilt denn in Ihrem Laden? Sie treten doch gar nicht geschlossen auf. Sie erzählen dem Publikum doch jeden Tag etwas anderes.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht können Sie da einmal Klarheit herstellen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Schreiner oder Lafontaine? – Gegenruf der Abg. Waltraud Lehn (SPD): Ach Gott!)

Möglicherweise wird uns Frau Merkel morgen früh sagen, was von Ihren Vorschlägen nun gilt.

   Welche Konsequenzen die Umsetzung dieser Vorschläge hätte, das hat Herr Eichel dargestellt. So eben einmal 13 Milliarden Euro streichen, das wäre eine Wachstumsbremse und Wachstumsbremsen können wir uns nicht erlauben.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Also weg mit Eichel!)

Es gibt den Vorschlag, bei so beliebten Projekten – sie sind besonders in München beliebt – wie der Rüstungsbeschaffung zu streichen. Wenn wir das tatsächlich machten, dann wäre der Herr Stoiber der Erste, der protestierte. Genauso wäre es bei den anderen Posten: Landwirtschaft, Eigenheimzulage. Ich müsste mein ganzes Weltbild umstellen, wenn Sie hier entsprechende Vorschläge einbrächten.

   Wir sind sehr gespannt darauf, meine Damen und Herren, was Sie bei den Beratungen im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages in den nächsten Wochen und Monaten konkret liefern werden.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Da sind Sie Gott sei Dank ja nicht dabei! – Otto Fricke (FDP): Ein Glück, dass Sie bei den Beratungen nicht dabei sind!)

Wir werden Sie in jeder Sitzung an das erinnern, was Herr Stoiber in Aussicht gestellt hat, nämlich einen Einsparbeitrag von 13 Milliarden Euro. Auf den sind wir alle sehr gespannt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich kann in der Politik, die Sie hier betreiben, leider nur ein Ziel erkennen: die bewusste Hinnahme und Verschärfung der finanziellen Probleme des Staates, um im Bund wieder an die Macht zu kommen.

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Das ist doch Stuss!)

Ich bin aber guten Mutes, dass die Bürgerinnen und Bürger diese unverantwortliche und egoistische Strategie durchschauen und die Absichten der Union im Herbst 2006 durchkreuzen werden.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Davor gibt es noch ein paar andere Abstimmungen!)

Mit dem Bundeshaushalt 2005 liegt jedenfalls ein Etat vor, der den notwendigen Erneuerungsprozess in Deutschland vorantreibt und der uns zuversichtlich nach vorne blicken lässt.

   Vielen Dank, insbesondere für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Wieso habt ihr eigentlich im Saarland verloren, wenn ihr so gut seid? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU – Gegenruf des Abg. Joachim Poß (SPD): Nehmen Sie mal alles auf, was ich gesagt habe!)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.

Jürgen Koppelin (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir sehr schwer, heute an das Rednerpult des Deutschen Bundestages zu treten und als erster Redner für die FDP-Fraktion zur Einbringung des Haushalts zu sprechen. Sechs Jahre lang hat mein Kollege Günter Rexrodt diese Funktion gehabt und hier gesprochen. Seine große Sachkenntnis war nicht nur in unserer Fraktion, sondern auch im Haushaltsausschuss über Parteigrenzen hinweg anerkannt – trotz unterschiedlicher Auffassungen. Sein plötzlicher Tod ist für die FDP-Fraktion und für unsere gemeinsame Arbeit im Haushaltsausschuss ein großer Verlust. Wir vermissen ihn sehr.

   Sie gestatten, dass ich meine Ausführungen deshalb mit einem Zitat aus einer haushaltspolitischen Rede von Günter Rexrodt beginne. Er sagte zur Bundesregierung:

Betreiben Sie eine berechenbare Politik, eine Politik die darauf hinausläuft, unser Land zu modernisieren. Dann kommen wir auch bei den Arbeitsplätzen vorwärts. Dann können wir Vertrauen bei unseren Bürgern und ausländischen Investoren finden. Dazu ist aber eine Veränderung der Politik notwendig.

Dieses Zitat, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat nichts an Aktualität eingebüßt.

   Herr Bundesfinanzminister, wenn ich Ihre Rede Revue passieren lasse, muss ich sagen: Das war keine Haushaltsrede.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Nein!)

Das war eine Rede an Ihre eigenen Fraktion, an eine zögerliche SPD-Fraktion. Sie treten für Reformen ein, aber Sie haben dort eine Fraktion, die zu Reformen nicht fähig ist,

(Widerspruch bei der SPD)

die Reformen teilweise zu spät eingeleitet hat oder die die Notwendigkeit von Reformen gar nicht anerkennen will.

(Waltraud Lehn (SPD): So ein Quatsch!)

   Sie haben davon gesprochen, dass wir ein starkes Land sind. Diese Auffassung teile ich. Nur: Wir sind ein starkes Land und haben eine schwache Regierung. Das ist unser Problem.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wir haben den Eindruck, dass, was die Reformen angeht, nicht nur die Regierung, sondern auch die Koalitionsfraktionen über viele Jahre Urlaub von der Realität gemacht haben. Nichts anderes können wir hier heute feststellen.

(Beifall bei der FDP)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sieht die Bilanz der rot-grünen Koalition heute aus? Schauen wir uns den Haushalt 2005 an! Beim Wirtschaftswachstum belegt Deutschland in der EU seit 1999 den letzten Platz. Die Arbeitslosigkeit ist mit 4,3 Millionen inakzeptabel hoch. Eine Trendumkehr ist überhaupt nicht in Sicht. Die Abgabenlast beträgt 42,1 Prozent, ist also unvermindert hoch. Hinzu kommt – das ist das Allerschlimmste; das fällt in Ihre Verantwortung, Herr Eichel –: 190 Milliarden Euro zusätzliche Schulden sind seit der Regierungsübernahme durch Rot-Grün zu verantworten. Das liegt in Ihrer Verantwortung.

   Der Bundeshaushalt 2005 wird erneut verfassungswidrig sein, gegen Art. 115 des Grundgesetzes verstoßen und – auch dieser Punkt muss hier angesprochen werden – der Stabilitätspakt als völkerrechtlicher Vertrag wird zum dritten Mal hintereinander gebrochen. Das ist die Bilanz Ihrer Politik.

   Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung machen. Sie haben von Reformen gesprochen, auch in Richtung Ihrer Fraktion. Aber Sie haben als Bundesfinanzminister keinerlei Initiativen ergriffen, um die Reformen voranzutreiben. Sie sind nicht im Kabinett aufgestanden und haben gesagt: So geht es nicht weiter. So komme ich mit meinem Haushalt nicht klar.

   Sie haben in Ihrer Haushaltsrede nebenbei auch den Zahnersatz angesprochen. Da hatte man den Eindruck: Nicht nur Sie, sondern auch Ihre Fraktion hat am Zahnersatz schwer zu kauen.

(Beifall bei der FDP – Joachim Poß (SPD): Frau Merkel!)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, unternehmerisch betrachtet treibt Deutschland in die Pleite, Rot-Grün macht neue Schulden, der Schuldenberg wächst ständig und ein Konzept, wie wir aus der Schuldenfalle herauskommen, fehlt völlig. Der Etatentwurf 2005 ist nur auf dem Papier verfassungskonform. Es sind Haushaltsrisiken da, die Sie hier einfach herunterspielen, wichtige Finanzdaten werden einfach zu optimistisch angesetzt und die Einhaltung des Stabilitätspaktes ist reine Illusion. Auch beim Haushaltsentwurf 2005 verfahren Sie nach dem Motto: tarnen, täuschen und beschwichtigen. Das scheint mir, nachdem ich Ihre Rede heute gehört habe, die Grundaussage Ihrer Politik zu sein.

   Ihr Haushalt 2005 ist wie ein Kartenhäuschen: Der kleinste Windstoß und das Ganze fällt um. Im Entwurf liegt die Nettokreditaufnahme in Höhe von 22 Milliarden Euro gerade einmal 800 Millionen Euro unter der Höhe der Investitionen. Betrachtet man die gesamtwirtschaftliche Annahme, so geht die Bundesregierung in ihrer Planung für 2005 von einem realen Wachstum von 1,8 Prozent aus. Wir sagen, das ist zu optimistisch, insbesondere wenn man sie mit den Aussagen der Forschungsinstitute vergleicht. Das heißt, Sie haben bereits die Steuereinnahmen viel zu hoch angesetzt, die Ausgaben für den Arbeitsmarkt aber zu niedrig. Da liegt das Risiko hinsichtlich Art. 115 Grundgesetz. Ich empfehle auch den Abgeordneten der Koalition, noch einmal nachzulesen, was in Art. 115 des Grundgesetzes steht, denn darin wird Ihnen ganz deutlich vor Augen geführt, dass Ihr Haushaltsentwurf für 2005 gegen die Verfassung verstößt. Hartz IV kommt ja auch noch dazu; ich will gerne anerkennen, dass die Koalitionsabgeordneten zugegeben haben, dass hier noch eine erhebliche Lücke besteht.

   Wenn ich nun in Ihrem Haushalt, Herr Eichel, lese, dass Privatisierungserlöse in Höhe von 15 Milliarden Euro eingeplant werden – plötzlich, auf einmal soll das gehen –, dann frage ich mich, was Sie in den vergangenen Jahren gemacht haben. Sie hätten doch diese Erlöse längst erzielen können, damit hätten Sie uns die Aufnahme vieler Schulden ersparen können. Ihr Haushaltsansatz zu den Privatisierungserlösen ist blanke Theorie.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Weiterhin rechnen Sie mit einer globalen Minderausgabe von 1 Milliarde Euro und der Auflösung des ERP-Sondervermögens. Sie wissen doch genau, dass diese Punkte so nicht eintreten werden. Ich muss Ihnen ganz offen sagen: Man gewinnt den Eindruck, Sie würden Haushaltspolitik in einer Bananenrepublik betreiben. Sie haben nichts anderes gemacht, als die Bilanzen manipuliert.

(Widerspruch des Abg. Joachim Poß (SPD))

Viele Ansätze auf der Einnahmeseite entspringen einfach Wunschdenken und sind geschönt.

(Beifall der FDP und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich, Kollege Poß, eine Anmerkung machen: Sie haben der Rede des Kollegen Austermann Schwarzfärberei vorgeworfen – gut, das können Sie machen –, aber Ihre Rede beinhaltete nur Schönfärberei, nichts anderes.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Kolleginnen und Kollegen Haushälter der Koalition haben eine Klausurtagung durchgeführt. Da haben sie schon festgestellt, dass eine erhebliche Finanzierungslücke besteht. Das wollen sie durch Ausgabenkürzungen ausgleichen. Wenn dies in vernünftiger Weise geschieht, werden sie uns dabei an ihrer Seite finden. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen.

   Dann – das ist das Interessante – habe die Koalition beschlossen, wie man in verschiedenen Zeitungen liest, Einnahmeverbesserungen durchzuführen. Sie müssen mir allerdings einmal erklären – Kollege Poß ist nicht darauf eingegangen –, wie Sie von der Koalition Einnahmeverbesserungen durchführen wollen. Die Einnahmeverbesserungen durch die Koalition, die ich in den letzten sechs Jahren erlebt habe – Kollegin Hermenau wird das ja gleich in Ihrer Rede bestätigen können –, bestanden in nichts anderem als Abkassieren bei den Bürgern. So sehen Ihre Einnahmeverbesserungen aus.

(Beifall bei der FDP)

   Sagen Sie uns jetzt einmal ganz deutlich, wo Sie bei den Bürgern kassieren wollen. Ich sage Ihnen, was Sie vorhaben und was kommen wird – in der Antwort des Finanzministeriums auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion war es zu lesen –: Im Stillen träumt nämlich Hans Eichel so, wie er da sitzt, genau wie Heide Simonis von einer Mehrwertsteuererhöhung. Die Pläne dazu hat er bereits in der Schublade. Das ist ja in der Antwort auf die Anfrage der FDP-Fraktion auch bestätigt worden. Das wird kommen; davon träumt er.

(Bettina Hagedorn (SPD): Das stimmt doch gar nicht! Das steht doch in der Antwort gar nicht drin!)

   Erinnern wir uns daran – ich kann das nur wiederholen –: Die FDP hat bei den letzten Haushaltsberatungen erhebliche Spar- und Kürzungsvorschläge gemacht. Diese beruhten auf Gedanken von Günter Rexrodt. Wir haben diese Forderung nach Kürzung bei allen Subventionen und Zuwendungen konsequent aufrechterhalten. Daraus würden sich Einsparungen in Höhe von 2,5 Milliarden ergeben. Die FDP hat vorgeschlagen, nur im Bereich Bildung draufzusatteln. Dazu stehen wir auch weiter, denn das ist notwendig. Ansonsten werden wir erneut Kürzungsanträge stellen; nicht in der Art, wie Sie es früher gemacht haben: dieses oder jenes Großprojekt wie Eurofighter. Wir haben vielmehr über 200 einzelne Anträge gestellt. Das ist uns gar nicht so leicht gefallen, da es auch die Klientel der FDP getroffen hätte. All diese von uns gestellten Anträge sind von der rot-grünen Koalition abgelehnt worden, obwohl sie eine Ersparnis von über 2,5 Milliarden gebracht hätten. Erklären Sie doch einmal, Herr Eichel, warum die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen dem nicht zugestimmt haben. Wenn Sie jetzt kürzen wollen, empfehle ich Ihnen wieder unsere Anträge.

   Kommen Sie uns, Herr Eichel, nicht mit Ihrem Gejammer über die Tabaksteuer. Dass Sie durch eine Erhöhung keine Mehr-, sondern Mindereinnahmen erzielen würden, haben wir Ihnen doch im Ausschuss gesagt, aber Sie haben diese Argumente einfach vom Tisch gewischt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nein, Sie haben ein Problem, Herr Eichel: Sie laufen in jede Falle, die Sie sich vorher selber aufgestellt haben, hinein.

   Wir haben weitere Probleme; das haben Sie richtig angesprochen, Herr Eichel. Die Sozialausgaben und die Zinsausgaben machen bereits 60 Prozent der Gesamtausgaben im Bundeshaushalt aus. Jedem Haushälter, aber auch jedem anderen Politiker muss klar sein, dass es so nicht weitergeht. Die Sozialausgaben und die Zinsausgaben haben ein Volumen von 150 Milliarden Euro; damit sind drei Viertel der Steuereinnahmen des Bundes belegt. So geht es auf die Dauer nicht weiter; hier muss umgesteuert werden. Ich denke, darüber werden wir auch in den Beratungen des Haushaltsausschusses sprechen müssen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Aber so richtig konkret ist das alles nicht!)

   Wir müssen auch darüber sprechen, dass die Investitionsausgaben des Bundes seit 1999 zurückgegangen sind. Jahr für Jahr haben Sie die Investitionsausgaben des Bundes gekürzt. Das ist ein Tatbestand. Die Kürzungen bei den Investitionsausgaben im Bundeshaushalt in Ihrer Regierungszeit betragen im Vergleich zu dem letzten Haushalt, den die CDU/CSU-FDP-Regierung damals vorgelegt hat, 30 Prozent. Das ist unverantwortbar. Es zeigt auch, wie Sie wirtschaftspolitisch denken und dass Sie gar kein Interesse haben, die Konjunktur anzukurbeln; denn durch höhere Investitionsausgaben hätten Sie ein Signal geben können. Im Übrigen hätten Sie dann nicht gegen Art. 115 des Grundgesetzes verstoßen.

   Das ist unser Problem: Wir haben eine enorme Zunahme bei der Neuverschuldung, aber eine Reduzierung der Investitionsausgaben. Das ist die Dramatik der rot-grünen Haushalts- und Finanzpolitik.

   Wenn ich unser Wirtschaftswachstum im Vergleich zum Beispiel zu dem Amerikas oder Asiens sehe, muss ich feststellen, dass wir kein Wachstum haben, sondern einen jämmerlichen Stillstand bzw. Rückschritt. Das können Sie doch hier nicht besonders hervorheben!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist, Herr Eichel, ein Verharren auf trostlosem Niveau. Einen Aufschwung kann ich hier nicht sehen.

   In unserem Lande sind weitere Reformen notwendig; das wissen wir. Die Agenda 2010 wird nicht viel bringen, zumindest nicht auf dem Arbeitsmarkt selber. Auch wenn solche Schritte vielleicht notwendig sind, zur Schaffung von Arbeitsplätzen werden sie aber nicht dienen. Wir werden dringend eine Steuerreform, vor allem eine Vereinfachung des Steuerrechts brauchen. Mein Kollege Solms wird gleich noch darauf eingehen. Auf dem Arbeitsmarkt benötigen wir eine Deregulierung. Auch die Sozialsysteme werden wir uns weiterhin anschauen müssen. Wir brauchen mehr Eigenverantwortung im Gesundheitswesen. Das ist Bestandteil der Vorschläge der FDP, die auch auf dem Tisch liegen. Das gehört dazu, wenn man einen realistischen Bundeshaushalt vorlegen will. All das haben Sie nicht gemacht.

   Insofern kann ich nur feststellen: Mit dem Bundeshaushalt 2005 kann die Vertrauenskrise in Deutschland nicht überwunden werden. Seriosität und Signale für einen finanzpolitischen Aufbruch in bessere Zeiten gehen von diesem Haushalt auf keinen Fall aus.

   Herr Eichel, ich kann nur feststellen, dass der Entwurf 2005, den Sie uns hier vorgelegt haben, deutlich dokumentiert: Ihnen fehlt die Kraft zur Gestaltung. Der Bundeshaushalt 2005 gestaltet überhaupt nichts. Sie sind kein Gestalter, Herr Eichel, Sie sind ein schlechter Buchhalter, der die Bilanzen auch noch frisiert hat. Sie setzen in Ihrer Politik eigentlich das fort, was Ihr Vorgänger Oskar Lafontaine begonnen hat: eine Haushaltspolitik auf Kosten kommender Generationen, die zukünftig all das zahlen müssen, was Rot-Grün in den letzten Jahren an unsolider Haushaltspolitik gewagt hat.

   Ich komme zum Schluss.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Gott sei Dank!)

Herr Eichel, Ihr Haushaltsentwurf ist unseriös und unrealistisch; er verstößt gegen das Grundgesetz und gegen internationale Verträge. Nehmen Sie ihn zurück und legen Sie einen realistischen Haushaltsentwurf vor. Für so eine Politik kann die FDP-Fraktion nicht die Hand heben.

   Vielen Dank für Ihre Geduld.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort der Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.

Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Auch bedeutungsschwangeres Tremolo, Herr Kollege Koppelin, macht nicht richtiger, was Sie gesagt haben. Natürlich ist der Bundeshaushalt 2005 eine Zustandsbeschreibung der Baustelle; das ist ganz klar. Natürlich hat Deutschland wenig Erfahrung damit, wie Haushalte funktionieren und präzise berechnet werden können, wenn man mehrere Reformen gleichzeitig in diesem Land vorantreibt, was wir tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   30 Jahre Kollektivleistung in trauter Eintracht von Parteien, die in Deutschland einmal regiert haben – die FDP war übrigens 24 Jahre lang dabei; das muss man ab und zu erwähnen –,

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 29 Jahre!)

haben das zur Folge, was wir in Deutschland als Problem und Reformstau zu bewältigen haben. Da ist es nicht sinnvoll, sich gegenseitig immer nur die Schuld in die Schuhe zu schieben. Sinnvoller wäre, sich selber einfach einzugestehen – das fehlt auf Ihrer Seite noch –, dass über Jahre hinweg in Deutschland ein Anspruchsdenken aufgebaut worden ist, das so nicht mehr haltbar und nicht mehr finanzierbar ist, und dass wir mit der Situation jetzt klug und weise umgehen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Auch bedeutungsschwangeres Tremolo, Herr Kollege Koppelin, macht nicht richtiger, was Sie gesagt haben. Natürlich ist der Bundeshaushalt 2005 eine Zustandsbeschreibung der Baustelle; das ist ganz klar. Natürlich hat Deutschland wenig Erfahrung damit, wie Haushalte funktionieren und präzise berechnet werden können, wenn man mehrere Reformen gleichzeitig in diesem Land vorantreibt, was wir tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   30 Jahre Kollektivleistung in trauter Eintracht von Parteien, die in Deutschland einmal regiert haben – die FDP war übrigens 24 Jahre lang dabei; das muss man ab und zu erwähnen –,

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 29 Jahre!)

haben das zur Folge, was wir in Deutschland als Problem und Reformstau zu bewältigen haben. Da ist es nicht sinnvoll, sich gegenseitig immer nur die Schuld in die Schuhe zu schieben. Sinnvoller wäre, sich selber einfach einzugestehen – das fehlt auf Ihrer Seite noch –, dass über Jahre hinweg in Deutschland ein Anspruchsdenken aufgebaut worden ist, das so nicht mehr haltbar und nicht mehr finanzierbar ist, und dass wir mit der Situation jetzt klug und weise umgehen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn Ihnen die Haushaltsberatungen in diesem Jahr so ähnlich vorkommen wie die im letzten oder im vorletzten Jahr, dann liegt es nicht nur daran, dass es dieselben Redner sind, sondern auch daran, dass wir die gleiche Baustelle weiter bearbeiten müssen. Dazu gehört das strukturelle Defizit und die Tatsache, dass die Ausgabenstruktur des Bundeshaushaltes viel zu stark konjunkturabhängig ist. Der Bundeshaushalt ist eigentlich so aufgebaut, dass er nur in guten Zeiten wirklich funktionieren kann. Um es einmal sozialstaatlich auszudrücken: Es müssen besonders gute Zeiten sein, damit der Haushalt auch im sozialstaatlichen Bereich funktionieren kann. Von diesen Zeiten können wir aber auch in den nächsten Jahren nicht ausgehen.

   Dieses angehäufte strukturelle Defizit ist sehr hoch. Es beträgt deutlich mehr als der Betrag, der in den letzten drei Jahren für die Anhebung der Neuverschuldung nötig war. Es ist vonseiten des Finanzministers Eichel schon vor zwei Jahren der Versuch gemacht worden, an der Problematik des strukturellen Defizits zu arbeiten. Die zwei Stellschrauben, auf die es dabei ankommt, sind die Reform des Sozialstaates und die Rückführung der Staatsausgaben.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wie war das mit der Tabaksteuer?)

   Nun kommen wir einmal zur Rolle der Union, die immer versucht, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, sie würde im Bundesrat kooperieren. Als Herr Eichel vor zwei Jahren das Steuervergünstigungsabbaugesetz vorlegte, in dem alle Maßnahmen bis auf das letzten Komma klipp und klar beschrieben waren,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das war ein Steuererhöhungsgesetz!)

da hat die Union insgesamt sechs Monate Zeit gebraucht, um zu entscheiden, dass sie diesem Gesetz nicht zustimmen möchte. Das alleine hat also schon viel Zeit gekostet. Unabhängig davon haben Sie natürlich eine strukturelle Entlastung in Höhe von 17 Milliarden Euro für die gesamte öffentliche Hand verhindert, die dringend nötig gewesen wäre. Mit der Umsetzung dieses Steuervergünstigungsabbaugesetzes hätten wir einen Teil unseres strukturellen Defizits in den Griff bekommen.

   Aktuell höre ich zur Eigenheimzulage, dass die Union einem Abbau erneut nicht zustimmen möchte. Das ist weltfremd; denn aufgrund des demographischen Wandels gehen die Bevölkerungszahlen zurück, sodass – nicht nur im Osten – immer mehr Wohnungen leer stehen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie hier vorgehen. Genauso wenig kann ich nachvollziehen, dass Herr Stoiber deutlich gemacht hat, ein Subventionsabbau in der Landwirtschaft komme für ihn nicht infrage. Ich finde es unglaublich, dass Sie uns in archaischen Strukturen festnageln wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Zu dieser, wie ich finde, relativ perfiden Strategie, immer wieder den Versuch zu unternehmen, die rot-grüne Bundesregierung finanzpolitisch gegen die Wand knallen zu lassen, kommt hinzu, dass Sie zunehmend Muffensausen entwickeln. Ich stelle das mit einer gewissen inneren Zufriedenheit fest, weil es nämlich wirklich großen Mut erfordert – SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben ihn bewiesen –, jemandem etwas wegzunehmen, woran er sich gewöhnt hat. Das müssen wir hier und da tun. Sie kriegen langsam Muffensausen. Nach Ihrem neoliberalen Rausch vom Herbst letzten Jahres, als Sie auf Regionalkonferenzen Überlegungen zur Einführung einer Kopfpauschale angestellt haben, holt Sie die Realität ein.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Tabaksteuer!)

   Wenn man sich einmal Ihr Existenzgrundlagensicherungsgesetz – das war Ihr Vorschlag zum Arbeitslosengeld II – anschaut,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das war ein gutes Gesetz!)

das Sie im Herbst des letzten Jahres anstelle von Hartz IV vorgelegt haben, dann kann man die Unionslinie erkennen, nämlich dass Sie den vollen Unterhaltsrückgriff wollen. Das heißt, Kinder haften für ihre Eltern und Eltern haften für ihre Kinder. Das ist Sippenhaft im Falle von Arbeitslosigkeit.

   Sie wollten, dass das Auto verkauft werden muss.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie disqualifizieren sich gerade, Frau Kollegin!)

Wir sind der Meinung, dass die Menschen ein Auto brauchen, weil sie sonst keine Arbeit finden. Sie wollten die Zuverdienstmöglichkeiten auf Null herunterfahren.

(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau so ist es!)

Vielleicht haben ein paar ostdeutsche Abgeordnete in Ihren Reihen begriffen, dass die Zuverdienstmöglichkeiten enorm wichtig sind, damit Hartz IV im Osten überhaupt funktionieren kann.

   Aber nein, Sie kneifen. Herr Milbradt war sogar dafür, Ihre viel schärfere Variante umzusetzen.

(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Er hat sich deswegen gegen Hartz IV und für das Existenzgrundlagensicherungsgesetz im Bundesrat ausgesprochen. Dann hat er aber mitbekommen, dass die Zuverdienstmöglichkeiten in einem Land wie Sachsen, wo es so viele Arbeitslose gibt, eine Rolle spielen könnten, und er hat sich aufgeschwungen, eventuell an einer Demo teilzunehmen.

(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Opportunist!)

   Ich sage Ihnen: Mich ärgert das. Wir brauchen viel mehr mutige ostdeutsche Politiker, die in der Lage sind, sich in ihren eigenen Parteien durchzusetzen. Herr Milbradt hat weder Herrn Koch noch Herrn Stoiber gestoppt. Deswegen haben Sie eine so schlechte Grundlage für den Kompromiss geliefert. Die Auswirkungen müssen wir jetzt ausbaden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Damit Sie nicht denken, ich würde einfach nur von den mutigen ostdeutschen Politikern daherreden, will ich Ihnen sagen: Ich habe gegen den Willen meiner Fraktionsspitze damals gegen das Maßstäbegesetz zum Länderfinanzausgleich gestimmt, das die entsprechenden Berechnungsformeln beinhaltet, weil ich der Meinung war, dass es für die ostdeutschen Kommunen und für die ostdeutschen Länder eine große Benachteiligung darstellt. Man kann sich als ostdeutscher Politiker innerhalb seiner Partei und Fraktion schon trauen, seine eigene Meinung durchzuhalten.

   Kommen wir zu Herrn Merz. Er ist mit einer, wie ich finde, interessanten Vorlage gestartet, was das Thema Subventionsabbau im Steuerrecht betrifft. Was ist daraus geworden? Es gab in Bayern eine Beerdigung zweiter Klasse.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist doch nicht der Landtag, Frau Kollegin!)

   Herr Austermann hat sich vorhin künstlich darüber aufgeregt, dass wir im Bereich der Arbeitsmarktmaßnahmen, der ABM, und im Bereich der GA bzw. der Infrastrukturförderung Kürzungen vornehmen. Erstens war die Rückführung der Mittel für ABM immer ein gemeinsames Diskussionsgut im Haushaltsausschuss,

(Joachim Poß (SPD): Eine Forderung in den Reihen dort drüben! Von Merz: Alles abschaffen! – Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Forderung der Union!)

weil klar geworden war, dass ABM keine Dauerlösung der strukturellen Arbeitslosigkeit darstellen. Zweitens haben die Kürzungen im Bereich der Infrastrukturförderung etwas mit der Koch/Steinbrück-Liste zu tun. Man kann nicht auf der einen Seite einen Ministerpräsidenten der Union wie Herrn Koch – er gehört ja wahrscheinlich noch zur Union – vorschicken und im Hinblick auf den Subventionsabbau eine kleine Vorzeigeliste erstellen lassen und hinterher auf der anderen Seite so tun, als ob genau diese Kürzungen nicht hinhauen würden. Herr Austermann, Sie beklagen immer die gesunkene Investitionsquote im Haushalt.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ja!)

Auch das hat mit der Koch/Steinbrück-Liste zu tun; Sie wissen das ganz genau.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Weil wir gerade dabei sind, Dinge aufzuarbeiten, die deutlich machen, wer alles am wirklichen Leben vorbeidenkt:

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und zwar ziemlich weit vorbei!)

Ich habe darüber nachgedacht, wie das Steuersenkungskonzept der FDP mit dem zusammenpasst, was Herr Koppelin gerade mit bedeutungsschwangerem Tremolo in der Stimme vorgetragen hat. Ich würde es vorziehen, wir würden uns in Wirtschaftsberatungs- und Steuerberatungsfragen auf die Lobbyisten verlassen. Für Ihre Partei müssten wir dann vielleicht eine andere Aufgabe finden.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

   Sie haben in der letzten Zeit versucht, sich mit dem Nachhaltigkeitsdeckmäntelchen zu behängen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Frau Hermenau, platt für jemanden, der auf der Flucht nach Sachsen ist!)

Sie haben versucht, deutlich zu machen, dass Sie in Zukunft mehr Kompetenz in der Ökologie und im Umweltschutz zeigen wollen. Echte Nachhaltigkeit – ich spreche da aus der Praxis – braucht einen langen Atem, Geduld, Zähigkeit und Klarheit in der Meinung. Dies müsste man dann auch länger als ein halbes Jahr durchhalten. Sie haben am 19. Dezember 2003 Hartz IV zugestimmt.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Die Grünen auch!)

Ihre Truppenteile in Sachsen tun so, als ob das nicht so wäre, und behaupten, sie seien gegen Hartz IV. So kann man nicht arbeiten!

   Was die rot-grüne Koalition in den letzten fünf Jahren geschafft hat – darauf bin ich sehr stolz –, ist die Stigmatisierung der Verschuldung. Es ist in Deutschland nicht mehr, wie es in den letzten 25 Jahren und besonders während Ihrer Regierungszeit zur Gewohnheit wurde, ganz normal und selbstverständlich, dass man Schulden aufnimmt, weil das mit dazugehört. Diese Denkschule hat in Deutschland ausgedient.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie machen aber einfach Schulden!)

Dieser Realität werden auch Sie sich stellen müssen, wenn Sie in der nächsten Zeit zufällig an die Regierung kommen sollten.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Nicht zufällig!)

Denn die Bevölkerung hat mehrheitlich akzeptiert, dass Verschuldung kein Weg ist, der in die Zukunft führt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Bravo! – Jürgen Koppelin (FDP): Allseits Zustimmung! Sehr gut!)

– Liebe Kollegen, wir alle kennen uns schon länger: Bitte kein Pharisäertum!

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wenn Sie Eichel kritisieren, haben Sie unsere Unterstützung!)

   Wir waren gerade bei den Dauerbaustellen. Das Rentensystem, das im Wesentlichen entweder eine sozial-liberale oder eine christlich-liberale Ausgestaltung erfahren hat, hinkt 30 Jahre hinter den Realitäten in diesem Land hinterher.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig!)

Nun kann man das Rentensystem aus Vertrauensschutzgründen nicht zu einer Grundrente ummodellieren; dem kann ich folgen. Aber das heißt natürlich trotzdem, dass man weiter daran arbeiten muss.

   Ich mache es nachher im Hinblick auf die Verschuldung insgesamt noch einmal deutlich: Es kann nicht sein, dass wir die implizite Verschuldung immer verschweigen. Wir regen uns über den ausgewiesenen Schuldenstand in Höhe von 66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf. Dazu kommt aber die implizite Verschuldung von 270 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wenn man die Verpflichtungen in Bezug auf die Pensionen für Beamte und unsere Rentenverpflichtungen mit einrechnet. Das ergibt eine unglaublich hohe Summe. Das sind insgesamt mehr als 7 000 Milliarden Euro Schulden, die wir alle eigentlich noch verdienen müssen, weil dieses Geld nicht auf der Bank gelagert ist. Ich halte dies für ein großes Problem, das immer totgeschwiegen wird. Wir halten uns hier mit Debatten auf, in denen Sie von der Opposition Nickeligkeiten vortragen, anstatt dass Sie tatkräftig mitanpacken, das Problem, das Sie selber mit geschaffen haben, abzutragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich habe davon gesprochen, dass wir im Bund eine Ausgabenstruktur haben, die massiv davon abhängt, wie die Konjunktur verläuft. Wie gesagt, in den fetten 70er-Jahren konnte man es sich vielleicht leisten, einen riskanten Haushalt aufzustellen. Aber den Haushalt umzusteuern – das erkennen wir alle selbst – ist ausgesprochen schwer. Wenn die Lohnnebenkosten den Faktor Arbeit bestimmen, wenn die sozialen Sicherungssysteme die Beschäftigungssituation bestimmen, dann brauchen wir als Erstes Arbeitsmarktreformen, damit der Bundeshaushalt nicht mehr so konjunkturanfällig ist.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Na, na, na! – Steffen Kampeter (CDU/CSU): Aber nicht nur reden! Tun!)

Diese Arbeitsmarktreformen haben wir durchgeführt, obwohl Sie beim Kompromiss des Vermittlungsausschusses den Hinzuverdienstmöglichkeiten der Menschen nicht zustimmen wollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sagen Sie das Herrn Schreiner und Herrn Lafontaine!)

   Die explizite Verschuldung – das hatte ich gesagt – beträgt offensichtlich 66 Prozent des BIP. Aber wenn Sie sich einmal anschauen, was an Renten und Pensionen noch hinzukommt, dann ist es eine unglaubliche Verharmlosung des Problemes, wenn Ministerpräsident Stoiber aus Bayern sagt: Spart 5 Prozent der Verwaltungsausgaben ein!

Das ist eine Verharmlosung des Problems, man könnte es auch als Nebelkerzenwerfen bezeichnen, aber so weit will ich gar nicht gehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ansonsten hat er offensichtlich den Kern des Problems nicht erkannt und seine Lösungsansätze nicht verfolgt. Er brüstet sich immer damit, ein großer Finanzexperte zu sein. Wenn er das wäre, könnte er einen solchen Vorschlag nicht machen. Das ist wirklich eine Verdummungsstrategie. Die Menschen werden in dieser Frage verdummt und können nicht erkennen, worauf es wirklich ankommt: Wir müssen uns den in Zukunft fälligen Zahlungsleistungen, auch denen der Rentenkasse, stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist typisch Bayerische Staatsregierung!)

– Ich kenne mich mit Herrn Stoiber nicht so genau aus, aber ich habe gerade aus berufenem Mund gehört, das sei öfter so.

   Es bleibt noch die Frage der Reform des Stabilitätspaktes offen. Alle, die mich kennen, wissen, dass ich mich immer dafür stark gemacht habe, dieses Regelwerk so streng wie möglich zu befolgen. Ich bin auch weiterhin der Meinung, dass das nötig ist; das ist gar keine Frage. Den Vorschlägen, die bisher vonseiten der Kommission zu mir gedrungen sind, habe ich entnommen, dass es bei den bisherigen Kriterien – maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Neuverschuldung und 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Gesamtverschuldung – bleiben soll. Ich finde es richtig, dass wir bei dieser Formel bleiben.

   Ich habe darüber hinaus gehört, dass man versuchen will, den Ländern, die große Schwierigkeiten bei der Umstellung haben – wir merken das gerade in der Politik –, beim Defizitverfahren entgegenzukommen. Das kann ich nachvollziehen und akzeptieren; das halte ich für richtig. Das Entgegenkommen ist sehr vernünftig ausgehandelt worden; denn im Gegenzug dafür bekommen wir eine strengere Überwachung der nationalen Staatshaushalte in wirtschaftlich guten Zeiten. Darauf kam es eigentlich immer an. Es kann nicht sein, dass ein Land, wenn sein Wachstum einmal 2 Prozent oder 2,5 Prozent ausmacht, sofort beginnt, sich weiter zu verschulden, oder Reformen aussetzt,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Diese Probleme hätten wir gern!)

nach dem Motto: Wir haben jetzt mehr Wachstum und mehr Geld, die Reformen sind nicht mehr nötig.

   Ich sage immer salopp: John Maynard Keynes und Adam Smith sind längst tot. Beide haben in ihren Wirtschaftsmodellen zwei Aspekte nicht berücksichtigen können, weil es sie zu ihrer Zeit noch nicht gab. Das eine ist die demographische Entwicklung in Europa – die Bevölkerungszahlen sind rückläufig –, das zweite ist die globalisierte Wirtschaft. Diese beiden Aspekte sind in ihren Wirtschaftsmodellen noch nicht unterstellt.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Für Adam Smith würde ich das in Abrede stellen!)

   Europa steht vor der Aufgabe, selber eine neue Wirtschafts- und Finanzstrategie zu entwickeln. Das halte ich für eine ganz große Herausforderung. Ich glaube auch, dass die Europäer dem gewachsen sind. Wer jetzt Angst hat, es könnte zu einer Verwässerung des Stabilitätspaktes kommen, dem sei gesagt: Im ersten Halbjahr 2005 soll auf EU-Ebene reformiert werden. Die meisten, die sich für dieses Thema interessieren, kennen Monsieur Jean-Claude Juncker und wissen, dass er zuverlässiger Architekt des alten Vertrags gewesen ist. Jean-Claude Juncker wird dem Ecofin, dem Rat der Finanzminister der Nationalstaaten der Europäischen Union, vorsitzen. Das heißt, derjenige, der als wesentlicher Architekt des ersten Vertrags galt, wird auch dafür sorgen, dass die Reform im Geiste des ersten Vertrags durchgeführt wird. Für mich ist das Vertrauensbeweis genug. Da Sie das erheitert, möchte ich Ihnen sagen: Herr Juncker ist, glaube ich, ein konservativer Politiker. Ich möchte ihn nicht rot-grünen Verdächtigungen aussetzen.

   Wem das als Autoritätsbeweis noch nicht genügt, dem sei hinzugefügt, dass der Verwaltungs- und Beamtenapparat, der früher Herrn Solbes beraten hat, jetzt auch Herrn Almunia beraten wird. Dieser Beamtenapparat hat erkennen lassen, dass er die Reformbemühungen, die jetzt auf europäischer Ebene anstehen, durchaus im Geiste der ersten Vereinbarung von Maastricht sieht. Für mich ist das Autoritätsbeweis genug.

   Wem das aber immer noch nicht genügt – Sie aufseiten der Union lästern immer noch herum –, sei gesagt: Herr Braun vom DIHT, der kein verdächtiger rot-grüner Linker ist, hat deutlich gemacht, dass jetzt endlich ein brauchbarer Vorschlag vorliegt, der der Wiederbelebung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auf europäischer Ebene dienen kann. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin Hermenau, ich höre aus den Reihen Ihrer eigenen Fraktion, dies sei Ihre letzte Rede in Ihrer Funktion als Haushaltssprecherin Ihrer Fraktion gewesen,

(Beifall des Abg. Dietrich Austermann (CDU/CSU))

weil Sie mit Blick auf einen bevorstehenden Wahlgang an anderer Stelle mit noch nicht gänzlich klarem Ausgang so oder so andere Aufgaben übernähmen.

   Nun vermute ich – streng überparteilich –, dass diese Nachricht wie andere ähnliche von den einen begrüßt und von den anderen bedauert wird.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jedenfalls bin ich sicher: Beide Seiten werden Sie vermissen.

(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)

   Dass Sie im Übrigen in einer Haushaltsdebatte die von der Fraktion zugedachte Redezeit nicht ausschöpfen, setzt ein einsames Signal, das ich als lobendes Beispiel für die folgenden Beiträge dieser Woche ausdrücklich hervorheben möchte.

   Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)
[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 121. Sitzung – wird morgen,
Mittwoch, den 8. September 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15121
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