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Ungerechtigkeiten auf der Spur

Bild: Mitglieder des Petitionsausschusses diskutieren mit Bürgern in Castrop-Rauxel
Ortstermin des Petitionsausschusses in Castrop-Rauxel.

Bild: Schnell fahrender Zug hinter einem beschrankten Bahnübergang
Castrop-Rauxel: Schranke oder Tunnel?

Ortstermine

Manche Eingaben sind auf den ersten Blick in den Bereich Amüsantes einzusortieren: Wie die Petition des Mannes, der dem Bundeskanzler das „Grinsen“ übel nahm und den Petitionsausschuss aufforderte, den Regierungschef in diesem Punkt zu belehren. Keine Chance: Der Gesichtsausdruck gehört zur Freiheit der Meinungsäußerung, und diese steht natürlich auch dem Bundeskanzler zu.

Bei manchen Petitionen wächst aus dem ersten Eindruck, nur originell zu sein, sehr schnell eine wichtige Erkenntnis. „Mehr Taschengeld“ erbat sich eine Frau von ihrem Mann – und schaltete deswegen den Petitionsausschuss ein. Der fand daraufhin heraus, dass es tatsächlich einen dafür einschlägigen Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch gibt, den es im Hinblick auf die Preisentwicklung im Auge zu behalten gilt.

Gerade Massenpetitionen liegen mit der politischen Großwetterlage geradezu „in der Luft“. Im zurückliegenden Sommer machte sich die Debatte um die „Hartz“-Arbeitsmarktreformen auch in Bergen von Unterschriftenlisten an den Petitionsausschuss bemerkbar. Und im Vorfeld des Irak-Krieges füllten sich die Eingangskörbe des Ausschusses mit „Nie-wieder-Krieg!“-Petitionen: Rund 15.000 Bürgerinnen und Bürger verlangten, alle politischen und diplomatischen Möglichkeiten zu nutzen, um den Militäreinsatz zu verhindern. Vereinzelt erreichten den Ausschuss aber auch Petitionen, in denen die Intervention gefordert wurde, um das Volk im Irak von seinem barbarischen Regime zu befreien.

Stoff für Konflikte

Wenn’s um Geld geht, liegt stets auch Stoff für Konflikte nahe. Deshalb sind die Petitionen aus dem Bereich des Finanz-, des Gesundheits-, des Sozial- und des Arbeitsministeriums traditionell häufig vertreten. Da geht es dann beispielsweise um die Absetzbarkeit der Kosten für eine berufsbedingte doppelte Haushaltsführung (die Petition hatte Erfolg), um Pauschbeträge für die Pflege schwerstbehinderter Kinder (ebenfalls eine erfolgreiche Petition), die Begrenzung des Arbeitgeberanteils bei privat Krankenversicherten (erfolglos), die Finanzierung eines Rollstuhles (erfolgreich), die Rückforderung überzahlter Altersrente (teilweise erfolgreich).

Joachim Fischer aus Itzehoe hat erlebt, wie einzelne Bürger am eigenen Leib von schlichten „Pannen“ im Gesetzgebungsverfahren betroffen werden können – und wie der Petitionsausschuss dann weiterhelfen kann. Der Müllermeister hat mit Freunden den gemeinnützigen Verein „Humanitäre Hilfe für Osteuropa“ ins Leben gerufen. Viele Stunden verbringen die zehn Helfer jeden Monat ehrenamtlich damit, da einzuspringen, wo Unterstützung dringend gebraucht wird. „Wir sind überall ansprechbar, wir sind auch schon überall gewesen – von Riga bis zum Kosovo.“

Das Prinzip: Wenn irgendwo ein großer Mangel herrscht, ruft der Verein zu Spenden auf – und mit einem großen Sattelzug aus Beständen der Nationalen Volksarmee (NVA) bringt es Fischer dann hin. Mal geht es um Krankenhauswäsche für eine von der Oderflut überschwemmte Klinik in Oberschlesien, mal um Schulmöbel für ein Dorf im Baltikum. 82 Transporte haben die Helfer schon organisiert. Um so erstaunter waren sie, als sie von einem Mitarbeiter der Bundesanstalt für Güterverkehr angehalten und nach ihrer Plakette gefragt wurden.

Helfen auf eigene Kosten, eingetragen als gemeinnützig – und trotzdem Maut für die Straßenbenutzung zahlen, wie ein gewerblicher Transporteur? Die humanitären Helfer verstanden die Welt nicht mehr. Die „Kollegen“ vom Roten Kreuz und vom Technischen Hilfswerk brauchen doch auch keine! Eine kurze Nachprüfung ergab: Die sind auch in der Katastrophenhilfe tätig, und für die sieht das Gesetz eine Befreiung vor. Der Blick ins Gesetz ergab eine ganze Reihe von Ausnahmen: Selbst die Schausteller sind mit ihren Kirmeswagen von der Mautpflicht befreit. Nur humanitäre Hilfe ist nicht vorgesehen. Fischer schickte einen Antrag auf Befreiung ans Verkehrsministerium. „Zuerst gab es gar keine Antwort und nach einer nochmaligen Nachfrage den Hinweis, dass eine Befreiungsmöglichkeit im Gesetz nicht vorgesehen sei.“ Für Fischer war das natürlich alles andere als die erhoffte Antwort.

Offensichtliche Ungerechtigkeit

Was kann man nun noch tun angesichts der offensichtlichen Ungerechtigkeit? Fischer schrieb an den Petitionsausschuss. Der bekam die gleiche Auskunft vom Ministerium „nicht vorgesehen“, gab sich – wie Fischer – aber auch nicht damit zufrieden, sondern entfaltete seine verschiedenen Möglichkeiten. Anregung zur Gesetzesergänzung, Hinweise an die Fraktionen. Und siehe da, es war ohnehin eine Novelle zur Mautgesetzgebung in der Mache: das „erste Gesetz zur Änderung des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge“.

Dazu reichten die Fraktionen Änderungsanträge ein, einigten sich auf einen gemeinsamen Entwurf, und nachdem der Verkehrsausschuss einstimmig die Änderung empfohlen hatte, gab auch der Bundestag Anfang Oktober einstimmig grünes Licht für eine neue Passage des Mautgesetzes. Danach soll künftig die Maut auch nicht zu entrichten sein bei Fahrzeugen, „die von gemeinnützigen oder mildtätigen Organisationen für den Transport von humanitären Hilfsgütern, die zur Linderung einer Notlage dienen, eingesetzt werden“. Sobald der Bundesrat ebenfalls zugestimmt hat, kann das Gesetz in Kraft treten. Und der Verein kann mautbefreit weiter helfen.

Ortstermin in Castrop-Rauxel

Der Petitionsausschuss hat eine ganze Reihe von Rechten, kann nicht nur Fachleute und Akten anfordern, er kann sich auch selbst auf den Weg machen. So reist der Ausschuss zum Ortstermin nach Castrop-Rauxel, um sich aus der Nähe anzusehen, warum Bürger und Stadt unbedingt einen Bahnübergang behalten, Verkehrsministerium und Bahn aber unbedingt eine Millionen kostende Untertunnelung haben wollen. Gespräche mit Anliegern, mit Geschäftsleuten, mit Stadtvertretern und Mitarbeitern von Bahn und Ministerium bringen den Konflikt auf den Punkt. Und der Ausschuss fährt mit klaren Bildern im Kopf wieder nach Berlin, wo er danach versucht, aus dem Gesehenen, Gehörten und Gelesenen eine Vermittlung zustande zu bringen.

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Text: Gregor Mayntz
Fotos: Max Lautenschläger
Erschienen am 15. Dezember 2004

Erklärungen

Massenpetitionen: Wenn Petitionen in Form von Unterschriftenlisten eingereicht werden, spricht der Petitionsausschuss von Sammelpetitionen, die wie eine einzige Petition behandelt werden. Das Gleiche gilt für Massenpetitionen, die zwar jeweils einen anderen Absender haben, im Text jedoch ganz oder fast übereinstimmen. Sie werden dann gezählt und ebenfalls dem Bundestag insgesamt zur Kenntnis gegeben. In der zurückliegenden Wahlperiode gingen beim Petitionsausschuss 4.629 Sammelpetitionen und 203.579 Massenpetitionen ein.
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Novelle: Die besten und schnellsten Chancen, Petenten selbst dann zu helfen, wenn eine Lösung nur durch eine Änderung der bestehenden Rechtslage möglich ist, bestehen immer dann, wenn zu dem angesprochenen Gesetz ohnehin eine Neufassung (Novelle) in der Vorbereitung ist. Dann lassen sich kleine Details ohne großen Aufwand durch Änderungsanträge auch noch mitten im parlamentarischen Verfahren unterbringen.
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Rechte: Zu den Befugnissen des Petitionsausschusses gehört es, Petenten, Zeugen und Sachverständige anzuhören. Diese werden für ihre Anreise und Auslagen entschädigt. Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, dem Ausschuss und den von ihm beauftragten Mitgliedern Amtshilfe zu leisten. Bundesregierung und Bundesbehörden haben dem Petitionsausschuss auf dessen Verlangen Akten vorzulegen, Auskunft zu erteilen und Zutritt zu ihren Einrichtungen zu gestatten. Das darf nur verweigert werden, wenn zwingende Gründe der Geheimhaltung existieren.
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