Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 1998 > Blickpunkt Bundestag - Juli 1998, Nr. 2/98, Seite 2, Inhalt >
Juli 02/1998
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Gesundheitspolitik auf dem Prüfstand

Bilanz der Reformen in der 13. Wahlperiode

Selten wurde eine Legislaturperiode so von der Gesundheitspolitik mitbestimmt wie die jetzt auslaufende. Das gilt sowohl für den Umfang der Reformen als auch für Probleme wie die Aufarbeitung des Skandals um die aidsverseuchten Blutkonserven oder die schwierige Handhabung der Rinderseuche BSE sowie für die oft heftigen politischen Kontroversen im Bundestag über den künftigen Kurs der Gesundheitspolitik. War die Gesundheitsstrukturreform von 1993 noch im parteiübergreifenden Konsens entstanden, so kamen die Gespräche über weitere Reformen in dieser Legislaturperiode nur zögerlich voran. Koalition und Opposition machten immer wieder deutlich, daß die jeweiligen Positionen nahezu unvereinbar seien. Das bestimmte auch die letzte große gesundheitspolitische Debatte dieser Legislaturperiode kurz vor der parlamentarischen Sommerpause.

Dritte Reformstufe

Im Mittelpunkt der gesundheitspolitischen Diskussion dieser Legislaturperiode stand die sogenannte dritte Stufe der Gesundheitsreform. Sie soll die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sichern, die durch teuren medizinischen Fortschritt, steigende Lebenserwartung und Einnahmeprobleme infolge von Arbeitslosigkeit und geringen Lohnsteigerungen gefährdet ist. Erreicht werden soll das durch "Vorfahrt für die Selbstverwaltung" und mehr Eigenverantwortung der Versicherten. Die dritte Stufe der Gesundheitsreform selbst war zweistufig angelegt, vorgeschaltet war ihr ein Beitragsentlastungsgesetz. Erstmals wurden damit die Beitragssätze gesetzlich eingefroren und zum 1. Januar 1997 um 0,4 Prozentpunkte abgesenkt. Viele Krankenkassen sahen sich allerdings schon bald wieder gezwungen, die Beiträgsätze anzuheben.
Zum Ausgleich für die verordnete Beitragssenkung wurden die Zuzahlungen für Medikamente um eine Mark angehoben und für Kuren mehr als verdoppelt. Die generelle Kurdauer wurde verkürzt, die Abstände für Wiederholungskuren wurden verlängert.
Mit den GKV-Neuordnungsgesetzen (NOG), die ein halbes Jahr später in Kraft traten, wurden dann die Medikamentenzuzahlungen nochmals um fünf Mark und alle prozentualen Zuzahlungen um fünf Prozentpunkte erhöht. Das bringt den Kranken- kassen Mehreinnahmen von rund fünf Milliarden Mark pro Jahr. Die Selbstbeteiligung in festen Beträgen wird künftig regelmäßig entsprechend der Lohnentwicklung angehoben. Auf heftige Kritik - vor allem auch der Krankenkassen - stieß die Koppelung von Beitragserhöhungen und Zuzahlungen. Damit sollten die Kassen veranlaßt werden, ihrerseits möglichst für stabile Beiträge zu sorgen. Diese Automatik ist inzwischen vorübergehend außer Kraft gesetzt worden, weil die Krankenkassen in den westdeutschen Bundesländern ihre ostdeutschen Tochterunternehmen aufgrund einer gesetzlichen Neuregelung finanziell unter die Arme greifen, damit die ihre Defizite ohne Beitragserhöhung abbauen können. Das Beitragsentlastungsgesetz kürzte zudem das Krankengeld von 80 auf 70 Prozent des Bruttoeinkommens und schloß - mit wenigen Ausnahmen - Zahnersatzleistungen für Versicherte der Jahrgänge ab 1979 aus. Mit den Neuordnungsgesetzen wurde in diesem Jahr ein reines Vertragsverhältnis zwischen Zahnarzt und Patienten eingeführt. Der Patient erhält eine Rechnung, die er selbst begleichen muß. Die Kasse zahlt einen Festzuschuß, der sich nach einer ausreichenden Regelversorgung richtet.

Kontroversen

Die hier genannten Einzelheiten standen im Mittelpunkt aller kontroversen Diskussionen im Gesundheitsausschuß und im Plenum des Bundestages. Durch Elemente der privaten Krankenversicherung (z. B. Kostenerstattung) und die Ausweitung der Zuzahlungen zerstöre die Koalition die solidarische Krankenversicherung, lautet der zentrale Vorwurf der Opposition. Sie belaste einseitig die Kranken und schone die Leistungsanbieter. Redner von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS forderten deshalb in der abschließenden gesundheitspolitischen Debatte am 18. Juni noch einmal die Regierung auf, wesentliche Teile der Reformen zurückzunehmen. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer betonte demgegenüber - ebenso wie andere Redner der Koalition -, daß von der Selbstbeteiligung rund 20 Millionen Versicherte völlig befreit seien und für alle anderen - insbesondere für chronisch Kranke - Überforderungsklauseln gelten. Er fügte hinzu, "daß wir ohne diese Selbstbeteiligung die Erreichung unseres obersten politischen Zieles, nämlich erstklassige Medizin und Pflege für kranke Menschen in Deutschland, in den letzten Monaten nicht hätten sicherstellen können". Das bestreitet die Opposition unter Hinweis darauf, daß es noch erhebliche Wirtschaftlichkeitsreserven und - allein im Arzneimittelbereich durch die von der Koalitionsmehrheit wieder abgeschaffte Positivliste - Einsparpotentiale in erheblicher Milliardenhöhe gebe. Die Positivliste war ursprünglich im Gesundheitsstrukturgesetz 1993 beschlossen worden. Sie sollte Medikamente enthalten, die künftig noch auf Kassenkosten verschrieben werden dürfen. Unwirksame und unwirtschaftliche Arzneien sollten ausgegrenzt werden. Mindestens zwei Milliarden Mark Ersparnis erhoffte sich davon die Opposition. Nachdem die Positivliste erstellt worden war, strich die Koalition diese Bestimmung wieder aus dem Gesetz. Ihre Begründung: Naturheilmittel würden weitgehend unter den Tisch fallen, es gäbe Umgehungsmöglichkeiten, Spareffekte seien nicht nachweisbar.
Hauptangriffspunkt der Koalition ist wiederum das unter anderem von der SPD geforderte "Globalbudget". Mit dem Globalbudget sollten nach dem Willen der SPD die Gesamtausgaben der Kassen begrenzt werden. Krankenkassen und Leistungsanbieter sollten aushandeln, wie das Geld verteilt wird. Nach Auffassung der Koalition würde eines solches Globalbudget aber dazu führen, daß Leistungen rationiert werden. Die Koalition verweist darauf, daß es praktisch seit sechs Jahren Beitragsstabilität im Westen gibt. In diesem Zeitraum sind die Beitragssätze lediglich von 13,4 auf 13,6 Prozent gestiegen - aus Sicht der Opposition allerdings für den zu hohen Preis kräftig gestiegener Zuzahlungen für Versicherte. Auch in diesem Jahr wollen die Krankenkassen die Beiträge stabil halten. Sie werden ein zumindest ausgeglichenes Finanzergebnis haben. 1996 - vor der dritten Reformstufe - gab es noch ein Defizit von sechs Milliarden Mark. Inzwischen stagnieren die Ausgaben, so daß selbst die wegen der hohen Arbeitslosigkeit und geringen Lohnerhöhungen unbefriedigende Einnahmeentwicklung aufgefangen werden kann.
Die Kontroversen um die Gesetzliche Krankenversicherung überdeckten, daß andere wichtige Gesetze, die teilweise jahrelang strittig waren, verabschiedet wurden. Dazu zählen das Psychotherapeutengesetz, das Physiotherapeutengesetz, das Transplantationsgesetz sowie die Hilfe für durch Blutprodukte HIV-Infizierte. Die Sicherheit von Blutproben wurde als Folge des Aids-Skandals verbessert. Es wurden zahlreiche Verordnungen auf nationaler und EU-Ebene beschlossen, um sicherzustellen, daß BSE-verseuchtes Fleisch nicht nach Deutschland importiert und sich die Seuche in der Bundesrepublik nicht ausbreiten kann.
Bei allem Disput in der Gesundheitspolitik scheint eines sicher: Die Zukunft der Gesundheitsversorgung wird auch ein zentrales Thema der 14. Wahlperiode des Deutschen Bundestages sein - unter welchen Mehrheitsverhältnissen auch immer.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9802/9802085
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion