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Februar 1/2003
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Erster Untersuchungsausschuss

Die Wahrheit und der Wahlkampf

Und wieder gibt es neben den ständigen Ausschüssen des Bundestages auch ein ganz besonderes Gremium, einen Untersuchungsausschuss. In ihm kristallisieren sich einige Hauptfunktionen des Parlamentes: die Kontrolle der Regierung, die Information der Öffentlichkeit, die Meinungsbildung – und je nach Erkenntnissen der Untersuchung als Folge auch die Notwendigkeit der Gesetzgebung. In Kürze lautet der Gegenstand der Untersuchung (1) diesmal: die Wahrheit im Wahlkampf.

Es hat nicht nur den Hauch einer Gerichtsverhandlung, wenn ein Untersuchungsausschuss tagt. Da werden „Zeugen geladen“, es kommt zu „Beweiserhebungen“, es gibt ein „Aussageverweigerungsrecht“ – aber nur wenn es dafür triftige Gründe gibt. Die Sitzordnung erinnert ebenfalls häufig an Gerichtssäle: Der Vorsitzende sitzt mit dem Sekretariat dem Zeugen gegenüber, rechts von ihm werden Fragen gestellt, die eher an Verteidigung erinnern, von links kommen mehr anklagende Fragen. Oder umgekehrt. Für den Ablauf gilt sogar ausdrücklich die sinngemäße Anwendung der Vorschriften über den Strafprozess.

Und doch ist der Untersuchungsausschuss alles andere als ein Gericht. Es bleibt beim Grundsatz der Gewaltenteilung. Sollte der Ausschuss feststellen, dass jemand ganz offensichtlich gegen Gesetze verstoßen hat, kommt es allenfalls zu einer Beurteilung. Die Verurteilung bleibt den ordentlichen Gerichten vorbehalten. Denn der Untersuchungsausschuss des Parlaments ist und bleibt vor allem ein politisches Kampfinstrument.

Günter Guillaume (r.) mit Ruth und Willy Brandt
Das Recht und die Pflicht zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen ist nach Artikel 44 des Grundgesetzes ein Minderheitenrecht, damit die Parlamentsmehrheit nicht in Versuchung kommt, mögliche Pannen in der von ihr getragenen Regierung zu vertuschen. Ein Viertel der Bundestagsabgeordneten kann einen Ausschuss erzwingen. Ein Spezialfall ist der Verteidigungsaus- schuss: Er kann sich selbst als Untersu- chungsausschuss einsetzen, um Vorgänge im Bereich der Bundeswehr näher beleuchten zu können. Und auch
Günter Guillaume (r.) mit Ruth und Willy Brandt. hier reicht ein Viertel (diesmal der Aus- schussmitglieder), um eine Untersuchung zu erzwingen. Und auch dieses Recht ist grundgesetzlich fixiert (Artikel 45a).

Umstritten war im Vorfeld des jüngsten Wahlkampf-Untersuchungsausschusses zunächst vor allem, wie tief das Parlament der Regierung in die Karten schauen darf. Bedenken der Koalitionsmehrheit, hier werde der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu stark betroffen, trug das Parlament Rechnung, indem in den Untersuchungsauftrag ein Passus hineingenommen wurde, wonach dieses Feld ausdrücklich nicht erforscht werden darf. Wie das freilich in der Praxis auszulegen ist, dürfte anhaltender Anlass für Auseinandersetzungen bleiben.

Foto vom Verwaltungsgebäude
Umstritten blieb daneben eine von der Mehrheit durchgesetzte Ergänzung des Untersuchungsgegenstandes, wonach auch der Umgang mit Prognosen und Modellrechnungen durch die Vorgängerregierung seit 1990 betrachtet und zusätzlich in den Blick genommen werden soll, wie weit Mitglieder des Bundesrates, insbesondere die Ministerpräsidenten Roland Koch, Peter Müller und Edmund Stoiber sowie Mitglieder des Finanzplanungsrates und des Haushaltsausschusses falsche oder unvollständige Erklärungen vor der Bundestagswahl abgegeben haben. Die Opposition erwägt nun einen Gang vors Bundesverfassungsgericht, da nach dem neuen Untersuchungsausschussgesetz, das auf die Arbeit dieses Ausschusses erstmals angewendet wird, Ergänzungen nur mit Zustimmung des Antragstellers möglich seien. Jedenfalls konnte der
Verwaltungsgebäude der Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat, Hamburg. Untersuchungsausschuss bereits wenige Minuten nach der Einsetzung durch das Plenum seine Arbeit noch vor Weihnachten einstweilen aufnehmen.

Ein Untersuchungsausschuss hat als politisches Kampfinstrument natürlich auch mit strategischen und taktischen Überlegungen der Parteien zu tun. Die Opposition betrachtet die Arbeit des Ausschusses nicht nur als Wahlkampf-„Nachlese“, sondern hat sicherlich auch die Landtagswahlen am 2. Februar in Niedersachsen und Hessen im Auge. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Erkenntnisinteressen der Opposition in der zeitlichen Abfolge der Beweisaufnahme von denen der Regierungskoalition. Genügend Stoff für Konflikte ist also schon für den Auftakt der Ausschussarbeit gegeben.

Blutkonserven
Aber auch das weitere Prozedere dürfte bis zum Schluss umstritten bleiben. Während für die Koalition dieses Gremium nicht nur der 33. Untersuchungsausschuss seit 1949 ist, sondern „auch der überflüssigste in der Geschichte des Bundestages“, beruft sich die Opposition auf Umfragen, wonach der Untersuchungszweck von der Mehrheit der Bevölkerung, insbesondere der jüngeren Wähler zwischen 18 und 29 Jahren, getragen werde. Gleich zum Auftakt der Arbeit im neuen Jahr will die Opposition Akten auf dem Tisch haben und mit der Zeugenbefragung beginnen. Gesamtdauer der Ausschussarbeit aus Sicht der Union: ein dreiviertel bis ein ganzes Jahr.
Blutkonserven.

50 Jahre Untersuchungsausschüsse

Untersuchungsausschüsse des Bundestags haben sich seit 1950 unter anderem mit folgenden Themen befasst:

• der „Hauptstadt-Ausschuss“ ging 1950/51 den Hintergründen der Entscheidung zugunsten von Bonn als Bundeshauptstadt nach,

• der „Guillaume-Ausschuss“ beschäftigte sich 1974/75 mit der Anstellung des Kanzlerspions Günter Guillaume,

• der „Neue-Heimat-Ausschuss“ nahm 1986/87 den gewerkschaftseigenen Wohnungskonzern unter die Lupe,

• der „U-Boot-Ausschuss“ ermittelte 1987 bis 1990, wie es zur Lieferung von deutschem U-Boot-Know-how an Südafrika kam,

• der „KoKo-Ausschuss“ versuchte von 1991 bis 1994 die Vorgänge der „Kommerziellen Koordinierung“ rund um den DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski zu klären,

• der „HIV-Ausschuss“ untersuchte 1993/94, weshalb Blut und Blutprodukte verwendet werden konnten, die mit dem AIDS-Virus verseucht waren,

• der „Plutonium-Ausschuss“ spürte 1995 bis1998 einem Koffer mit Plutonium in einer Linienmaschine von Moskau nach München nach,

• der „Parteispenden-Ausschuss“ befasste sich 1999 bis 2002 mit der Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Parteispenden und Waffenlieferungen gegeben hat.


Klaus-Uwe Benneter
Klaus-Uwe Benneter, SPD, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses,
11 Mitglieder, SPD: 5, CDU/CSU: 4, B ’90/Grüne: 1, FDP: 1
Klaus-Uwe Benneter.

Klaus-Uwe.Benneter@bundestag.de

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0301/0301031a
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