Sollte es ein Referendum über die EU-Grundrechte-Charta geben?
14.05.02 Dr. Jürgen Meyer
Die Grundrechte-Charta ist die derzeit modernste Fassung eines
Menschenrechtsdokuments. Mit ihr dokumentiert die EU, dass sie
nicht nur eine Wirtschafts-, sondern vor allem eine
Wertegemeinschaft ist. Die Charta fördert die
Identitätsstiftung der Bürgerinnen und Bürger mit
dem europäischen Projekt und stärkt ihren Rechtsschutz
gegenüber den Organen der EU.
Sie wurde von einem Konvent erarbeitet und angenommen und auf dem
Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU in Nizza im Dezember
2000 feierlich verkündet.
Rechtsverbindlichkeit hat die Charta damit noch nicht erlangt. Sie
muss aber Rechtsverbindlichkeit erlangen, um ihre volle Wirkung
entfalten zu können. Das ist der Fall, wenn sie Teil der
Europäischen Verträge, das heißt konkret zentraler
Bestandteil der Europäischen Verfassung wird. Dies sollte im
Weg eines europaweiten Referendums geschehen. Denn Legitimität
und Akzeptanz der Charta hängen nicht nur von ihrem Inhalt,
sondern auch davon ab, auf welchem Weg sie Rechtsverbindlichkeit
erlangt.
Welche Frage wäre besser für ein Referendum geeignet, als
die Formulierung und die Sicherung von Grundrechten der Menschen
gegenüber einem hoheitlichen Gemeinwesen, also den
europäischen Institutionen? Am plausibelsten erscheint es,
dass es in jedem Mitgliedstaat eine Mehrheit für die Charta
geben muss. Bislang ist im Europarecht zwar noch kein Referendum
vorgesehen, es kann aber ohne weiteres vorgesehen werden, wenn der
politische Wille dafür da ist.
16.05.02 Britta Steffenhagen
Ich bin auf jeden FAll dafür ein Referendum einzuführen,
das Identitätsstiftend wäre und die Grundrechtecharta
mehr in die Öffentlichkeit rücken würde.
16.05.02 Frau Stefanka Igova
Bulgarien stellt sich als ein sehr ehrgeiziges, jedoch durchaus
realistisches Ziel die Beitrittsverhandlungen mit der EU im Jahre
2003 abzuschließen. Die Mitgliedschaft Bulgariens in die EU
ist ein natürliches und konsequentes Anstreben, mit einer
besonders hohen Akzeptanz unter der bulgarischen Bevölkerung
– rund 75%.
Die Interessen der Bürger in Bulgarien stimmen überein
mit den Interessen der Bürger der Mitgliedsländer,
formuliert in der Laaken Deklaration – Beschäftigung,
Bekämpfung der Armut und der „Ent-Sozialisierung“,
wirtschaftliche und soziale Zusammenführung, Justiz,
Kriminalitätsbekämpfung u.s.w. Aus diesem Grund wollen
Bulgarien und die anderen Beitrittskandidaten aktive Gestalter in
den dynamischen Integrationsprozessen der EU sein.
Die bevorstehende Erweiterung der EU bedeutet „eine
geopolitische Umwälzung Europas“ /Giscard
d’Estaing, 05.05.2002, Stuttgart/. Die Debatte über die
Zukunft Europas im Konvent gibt den gegenwärtigen und
zukünftigen Mitgliedern der EU die Möglichkeit, gemeinsam
Lösungen für grundsätzliche Herausforderungen des
21. Jahrhunderts zu finden.
Bulgarien ist sehr an der Zusammenarbeit für eine
zukünftige europäische Verfassung interessiert. Ein
einheitlicher Verfassungstext wird die acquis communáutaire
konsolidieren; die EU näher, transparenter und anziehender
für die Bürger machen, und nicht zuletzt zur
Stärkung der gemeinsamen europäischen Identität
beitragen. Ein Verfassungsvertrag wird auch die jetzige
Säulenstruktur der EU überflüssig machen, womit die
Lösungen der Kompetenzfragen deutlicher und leichter gefasst
werden können.
Die EU-Grundrechtecharta muss ein Bestandteil des
Verfassungsvertrags werden um Rechtsverbindlichkeit zu erlangen.
Ein europaweites Referendum über die Grundrechtecharta muss
jedoch vor dem Vertragsabschluß seitens der
Regierungskonferenz 2004 durchgeführt werden. In welcher Art
und unter welchen rechtlichen Rahmen werden die Bürger der 12
verhandlungsführenden Beitrittskandidaten an dieses Referendum
teilnehmen können?
Kommentar der Moderatorin: Es steht noch nicht fest, ob und wenn ja in welchem Umfang es ein Referendum zur Europäischen Grundrechtecharta geben wird.
01.08.02 Ilka Friedrich
Ich unterstütze die Idee ein Referendum durchzuführen.
Besonders interessieren würde mich die öffentliche
Meinung zum Thema, ob es in der Präamnel einen Gottesbezug,
bzw. einen Rückbezug auf die Religion geben soll.
Wer weiß etwas über die Diskssion und/oder hat eine
Meinung dazu?
Kommentar der Moderatorin: Die Frage nach einem Gottesbezug in der Präambel der Charta wurde bereits intensiv im Grundrechte-Konvent diskutiert. Dort hat man sich auf die folgende Formulierung (deutsche Fassung) verständigt: _"In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität."_ Dies stellt unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten der Union einen guten Kompromiss dar.
14.02.03 Achim Zwick
Ich fürchte, derzeit könnte ein Verfassungsreferendum an
den in einigen EU-Ländern gültigen Quoren, also der
Wahlbeteiligung, scheitern. Insofern bevorzuge ich eine Verfassung,
die in den Landes-Parlamenten und im EU-Parlament in
Straßburg verabschiedet werden soll.
Kommentar der Moderatorin: Nach dem bisher für Vertragsänderungen anwendbaren Verfahren (Art.48 EU-V) würde die Europäische Verfassung auf einer Regierungskonferenz durch die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (MS) vereinbart und träte in Kraft nachdem sie vor allen MS gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden wäre; in Deutschland durch Bundestag und Bundesrat. Das Europäische Parlament hat nach derzeitiger Rechtslage keine Befugnisse bei der Verabschiedung der Verfassung, es ist aber druch seine Vertreter im Konvent wesentlich an der Erarbeitung der Verfassung beteiligt und soll weitere Befugnisse erhalten.
21.03.03 Daniel Schily
Eine EU-Verfassung sollte insgesamt in einem verfassungsgebenden
Referendum von den europäischen Bürgerinnen und
Bürgern verabschiedet werden. Das schließt
selbstverständlich die Abstimmung über die Grundrechte
ein. Jedem Land stünde es dann frei, das Ergebnis des
Referendums bezogen auf das eigene Volk zu interpretieren. Man
stelle sich in diesen Zeiten einmal die außenpolitische
Bedeutung eines solchen europäischen Referendums vor: 25
Völker entscheiden sich in Freiheit für eine
demokratische Ordnung und die Menschenrechte!
15.05.03 Jessika Wimmer
Obwohl ich eine klare Verfechterin basisdemokratischer
Entscheidungen bin, sehe ich bei Abstimmungen über eine derart
komplexe Materie wie die künftige Europäische Verfassung
gewisse Schwierigkeiten.
Gerade weil ein solcher Verfassungsentwurf sehr umfangreich sein
wird, dürften nur wenige Bürgerinnen und Bürger
überhaupt bereit sein, diesen eingehend zu studieren.
Ein Referendum über einen inhaltlich unbekannten
Verfassungsentwurf rechtfertigt allerdings den enormen Aufwand
einer solchen Abstimmung nicht.
Deshalb sollte man unsere Volksvertreterinnen und Volksvertreter,
die ja von uns gewählt worden sind, für uns abstimmen
lassen.
01.06.03 ingo
da steht nun :
"Denn Legitimität und Akzeptanz der Charta hängen nicht
nur von ihrem Inhalt, sondern auch davon ab, auf welchem Weg sie
Rechtsverbindlichkeit erlangt.
Welche Frage wäre besser für ein Referendum geeignet, als
die Formulierung und die Sicherung von Grundrechten der Menschen
gegenüber einem hoheitlichen Gemeinwesen, also den
europäischen Institutionen? Am plausibelsten erscheint es,
dass es in jedem Mitgliedstaat eine Mehrheit für die Charta
geben muss."
und mir erscheint es so, als gehe es hier um eine fixe Charta, die
durch die aktuellen Volksvertreter diskutiert und dann maximal
durchs Volk mit "ja" angenommen oder mit "nein" abgelehnt werden
soll.
Die geforderte Legitimität und Akzeptanz der Charta kann doch
nur dann erreicht werden, wenn die Charta auch dem Volk nahegelegt
wird, diese diese strukturiert diskutieren und am Ende auch
möglichst direkt und zeitnah darüber entscheiden
können (und als Bürgerpflicht aufgefaßt auch
sollten).
Und zum zweiten Teil des Zitats der Einleitung:
Mir erscheint es eher insgesamt sehr wenig plausibel, wie es in
jedem Mitgliedstaat (und als Denokrat: bei jedem
Mitgliedsbürger) eine Mehrheit für DIE Charta geben kann.
Dann müßten die Bürger jederzeit die
Möglichkeit haben, diese Charta selber den aktuellen und
langfristigen Bedürfnissen mittels zielgerichteter Diskussion
anpassen und Optimiren können. Es wäre schön, wenn
diese Möglichkeit auch als Recht mit in die Verfassung mit
aufgenommen würde. Auch auf die Gefahr hin, dass die
Politiker, die diesen weisen Entschluß wirklich umsetzen,
sich damit auch selber wieder nach einem Job und neuer Anerkennung
umsehen müssen.
Dies wäre sicher wichtiger als die Diskussion oder der
Beschluß Gott mit in die Verfassung mitaufzunehmen. Gott ist
sicher auch ohne Charta und auch ohne EU weiter da...
Mit freundlichen Grüßen und Hoffnung