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Forschung für die Menschen - Ja zur Stammzellenforschung

  23.11.01 Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, MdB, FDP-Fraktion
Wir entscheiden in den nächsten Wochen darüber, ob wir einen langen Weg beginnen, an dessen Ende die Hoffnung auf Therapien gegen heute noch unheilbare Krankheiten steht. Wir sind keineswegs blind fortschrittsgläubig. Jeder Schritt auf diesem sensiblen Gebiet muss vorsichtig überlegt werden und stellt eine schwere Abwägung zwischen Forschungsfreiheit, Hilfe für schwerkranke Patienten und der Würde des werdenden Lebens dar.
Die FDP befürwortet die Forschung an embryonalen Stammzellen unter strengen Auflagen und an wenigen, eigens dafür lizenzierten Zentren. Um das Verständnis für die Funktion der Zellprogrammierung zu gewinnen, können die Wissenschaftler nicht nur mit adulten Stammzellen arbeiten, sondern benötigen auch - zumindest für eine Übergangszeit -Erkenntnisse aus Forschungen an embryonalen Stammzellen. Beide Forschungszweige, wie auch Forschungen an Zellen aus Nabelschnurblut, haben ihre Berechtigung und brauchen Unterstützung. Darauf hat die Deutsche Forschungsmeinschaft (DFG) bereits im Mai hingewiesen.
Die Öffentlichkeit muss auf jeder Stufe des Forschungsprojektes informiert und durch ein höchstmögliches Maß an Transparenz eingebunden sein.
Wir lehnen ein Importverbot von embryonalen Stammzellen ab. Auf Dauer ist es jedoch moralisch nicht zu verantworten, nur mit ausländischen Zelllinien zu forschen. Deshalb meinen die Liberalen, dass eine begrenzte Nutzung von Zelllinien auch in Deutschland ermöglicht werden muss. Dazu sollen solche Embryonen verwendet werden, die bei der künstlichen Befruchtung überzählig bleiben, d.h. nicht implantiert werden. Freilich nur nach einer intensiven Beratung und mit schriftlicher Zustimmung der Eltern. Diese Embryonen haben auch heute nicht die Chance, sich zu einem Menschen zu entwickeln, denn sie werden eingefroren und aufbewahrt. In der ethisch-moralischen Abwägung muß dies bedacht werden, denn die Alternative ist eben nicht "Sterben für die Forschung oder Entwicklung zum Menschen" sondern "Sterben für die Forschung oder Sterben im ewigen Eis".
Die FDP will das Embryonenschutzgesetz von 1991 entsprechend ändern und wird einen entsprechenden Gesetzesentwurf in den Bundestag einbringen.
Wir meinen, dass die Stellungnahmen der Enquete-Kommission, der DFG und des Nationalen Ethikrates wichtige Hinweise geben können. Entscheiden, ob Forschung an embryonalen Stammzellen zugelassen werden soll, muss aber letztlich das Parlament. Es ist deshalb falsch, diese Entscheidung immer weiter hinauszuzögern. Das nützt nicht den Menschen, die an schweren, genetisch bedingten Krankheiten leiden. Verzögern schadet auch dem Forschungsstandort Deutschland, weil hervorragende Wissenschaftler abwandern oder gar nicht erst kommen werden. Denn machen wir uns nichts vor: Deutschland ist keine Insel, auf der wir uns von internationalen Entwicklungen abschotten könnten.
Und es schadet der Glaubwürdigkeit der Politik, von der die Menschen immer weniger annehmen, dass sie Richtungsentscheidungen trifft. An dieser Entscheidung könnte die Politik ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

  23.11.01 rainer S.
Herr Prof. Schmidt-Jortzig,

Ich stimme ihnen grossteils zu und bin froh, dass durch Politiker wie Sie auch vernünftige Ansichten zu dem Thema eine Stimme im Parlament haben. Ich halte es für eine absolute Katastrophe, wie viele Bundestagsabgeordnete das Thema ausschlachten, indem sie systematisch Vorurteile gegen Reproduktionsmedizin und Stammzellforschung schüren, nur um sich dannach als Saubermänner profilieren zu können, indem sie möglichst scharfe Gesetze fordern. Die Gefahren, die von dieser Forschung angeblich ausgehen, erweisen sich bei näherem Hinterfragen alle als Hirngespinnste. Wer das nicht glaubt, soll nach Grossbritannien schauen: Dort wird schon seit 10 Jahren an Embryonen geforscht, ohne dass das Land dadurch in Barbarei versunken wäre.

  28.11.01 Marcus Leven
Sehr geehrter Herr Professor Schmidt-Jortzig,
in der Tat heißt die Alternative nicht "Sterben für die Forschung oder Entwicklung zum Menschen". Die Problematik liegt nicht im Sterben des Embryos, sondern in der damit verbundenen Nutzung für Forschungszwecke. Ist diese Nutzung mit der Menschenwürde vereinbar? Nach meinem Verständnis nicht. Zu dieser Kernfrage sollten Sie das Verständnis der FDP erläutern. Die Forderung nach "strengen Auflagen" ist kein Ersatz dafür.

  30.11.01 C. Rauner
Als 5 fache Mutter, davon ein Baby schwer herzkrank durch einen angeborenen Herzfehlbildungskomplex, sehe ich der in den kommenden Jahren möglichen Verbesserung von medizinischen Heilmethoden erwartungsvoll entgegen. Jeder, ausnahmslos jeder, der nicht selbst von der Problematik eines lebensbedrohlichen Gesundheitsproblems weiss, spricht von der Erforschung neuer Behandlungswege wie ein Blinder von der Farbe. Es wird erwähnt, dass ein im Labor gezeugter "Embryo" zu Forschungszwecken "sterben" müsse- dazu müsste er in erster Linie einmal gelebt haben! Einer 6-Zellen Blastozyste ohne mütterlichen Organismus mehr Lebensrecht einzuräumen als meinem -bis auf den Herzfehler- völlig gesunden Baby- das sind für mich die echten Zyniker verkleidet im Deckmantel der Moralisten. Die Widersprüchlichkeit der Kritiker wird am ehesten dann klar, wenn man die Einwände derer sucht, die sich nun am lautesten gegen den medizinischen Forschritt stellen, wenn man die Abtreibungszahlen beachtet, die bisher kritiklos hingenommen wurden.
Ich danke jedem Politiker, der die Weitsicht aufbringt, dass die Hilfe für abertausend Kranke nicht scheitern darf an einem hinkenden Vergleich, der gezogen wird zwischen dem, was ein Baby ausmacht: eine befruchtete Eizelle, eingenistet im Mutterleib, geliebt durch seine Eltern, und dem, was den Reproduktionsmedizinern als "Abfallprodukt" übrigbleibt, einer nicht mehr benötigten, überzähligen befruchteten Eizelle im 6-8Zellstadium ohne Perspektive auf Weiterentwicklung.
Danke, Herr Schmid-Jorzig!

  02.12.01 M. Röttgen
Zunächst geht es hier gar nicht um Forschung am Menschen, sondern nur um Forschung an einzelnen Zellen, welche nur unter höchster Auflösung unter dem Mikroskop sichtbar sind. Bei jedem Putzen der Nase oder beim Stuhlgang verlieren wir Tausende eigene lebende Körperzellen, die dann im Papiertaschentuch oder in der Kanalisation sterben, ohne dass der nationale Etikrat einschreiten muss. Aber dies ist ein gutes Beispiel für die naturwissenschaftlichen Kenntnisse der Deutschen die inzwischen sehr verkümmert sind.

  05.12.01 Cornelia K.
Zum Diskussionsbeitrag von M.Röttgen:
Keine der Körperzellen, die uns täglich durch die von Ihnen beschriebenen Vorgänge verloren gehen, besitzt die Fähigkeit, zu einem erwachsenen Menschen heranzuwachsen. Ihr Vergleich entbehrt daher einiger grundlegender naturwissenschaftlicher Kenntnisse.
Zu Herrn Schmidt-Jorzig:
Wussten Sie, dass die Bundesregierung 90mal weniger Gelder in die medizinische Forschung investiert als die USA? Liegt hier nicht der eigentliche Forschungsbremsklotz - und nicht bei ethischen Bedenken? Wissen Sie, dass Mitglieder des nationalen Ethikrats (Detlev Ganten) offen das experimentelle menschliche Klonen einfordern, da eine embryonale Stammzellforschung ohne Klonen keinen Sinn macht? Wussten Sie, dass implantierte embryonale Stammzellen zu Tumorbildung neigen und - falls nicht geklont wurde - mit den aus der Transplantationsmedizin bekannten Abstoßungsreaktionen zu rechnen ist? Welche Rolle spielen bei der Forderung nach Einfuhrerlaubnis für embryonale Stammzellen die Patentansprüche und Knebelverträge amerikanischer Zellproduktionsfirmen?

  22.12.01 R. Tepest
Sehr geehrter Herr Professor Schmidt-Jortzig,

den "überzähligen" Embryo findet man ja nicht, einfach so, in einer schicksalhaften Situation vor. Viel mehr wurde er dieser Lage ausgesetzt, wenn auch schweren Herzens, um einem Anderen das Leben zu geben. Und so trifft vielleicht der Begriff "ausgesetzter Embryo", in des Wortes mehrfacher Bedeutung, eher die Ausgangslage für ein menschliches Lebewesen, dem Sie die Alternatve "Sterben für die Forschung oder Sterben im ewigen Eis" zumuten wollen. Unter Beachtung der Menschenwürde ist die Übertragung dieser Situation auf geborene Menschen in einer freien Gesellschaft undenkbar. Oder wovon sprechen Sie, wenn die Würde des werdenden Lebens gegen Forschungsfreiheit und Hilfe für schwerkranke Patienten abwägen wollen?

  22.12.01 Chr. Frodl, Interesssengemeinschaft Kritische Bioethik Bayern
Zum Beitrag von M. Röttgen:
"Bei jedem Putzen der Nase oder beim Stuhlgang verlieren wir Tausende eigene lebende Körperzellen, die dann im Papiertaschentuch oder in der Kanalisation sterben, ohne dass der nationale Etikrat einschreiten muss. Aber dies ist ein gutes Beispiel für die naturwissenschaftlichen Kenntnisse der Deutschen die inzwischen sehr verkümmert sind. "

Es ist einfach unglaublich, welche Argumentationen manche Menschen nehmen um Forschung, die menschliches Leben vernichtet, zu rechtfertigen. Da werden schon mal Embryonen mit Rotz oder Stuhlgang verglichen, aber gleichzeitig wird vorgehalten, die Deutschen hätten keine naturwissenschaftlichen Kenntnisse ...
Erschreckend ist nur, dass es solche ähnlichen Diskussionsbeiträge hier öfters gibt.

Aber nun zu Ihren Aussagen, Herr Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
Sie und die Fraktion der FDP setzen sich für eine Forschung für die Menschen ein und sagen Ja zur Stammzellenforschung.
Diesen Vorstoß einschließlich ihres Gesetzentwurfes zur PID zeugt sicher von Glaubwürdigkeit in der Politik, wie Sie meinen.

Nur liegt die Glaubwürdigkeit für uns darin, dass wir langsam aber sicher in unserem Glauben bestärkt werden, dass sich hier der Widerstand gegen diese Politik verstärken muss bzw. verstärken wird.

Dieser Politik, die immer mehr menschliches Leben zu angeblich höheren Zwecken in Frage stellt, können wir als Interessengemeinschaft Kritische Bioethik Bayern sicher kein Vertrauen mehr schenken. Ihre ganze Biopolitik orientert sich wohl eher an einem Rückschritt für den Menschen.

Denn im Fall der Forschung mit embryonalen Stammzellen ist der Fortschritt mit dem Preis der Verrohstofflichung menschlichen Lebens, sprich Embryonen, verbunden. Einen Fortschritt zu diesem Preis werden wir uns mit allen demokratischen Mitteln entgegen stellen. Es geht hier nicht um eine generelle Fortschrittsfeinlichkeit, sondern um einen Fortschritt nach Maß, wie ihn Bundespräsident Johannes Rau in seiner Rede im Mai gefordert hat.

Das bedeutet konkret, wir unterstützen und Befürworten eine Forschung, die sich auf ethisch unbedenkliche Alternativen, wie z.B. adulte Stammzellen stützt. Hier liegt auch das Potential, auf dem Deutschland führend werden könnte. Diesen Weg sollte gefördert werden. Aber nicht eine Forschung, die nicht nur für uns ethisch kaum zu rechtfertigen ist.
Dies sollten Sie und Ihre Partei vielleicht noch einmal überdenken.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Frodl
Sprecher der
Interessengemeinschaft Kritische Bioethik Bayern


http://www.bioethik-bayern.de
http://www.nationaler-ethikrat.de
http://www.kritische-bioethik.de

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