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Reden

Renate Gradistanac
Mitglied des Deutschen Bundestages
SPD
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Rede im Deutschen Bundestag am 27. Mai 2004

Kinder und Jugendliche wirksam vor sexueller Gewalt und Ausbeutung schützen - Antrag

Frau Präsidentin,

werte Kolleginnen und Kollegen,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

im Jahr 2003 stellte die Kriminalpolizei im Kreis Calw 68 Fälle sexueller Ausbeutung von Kindern fest. Im Kreis Freudenstadt waren davon 28 Kinder betroffen. Die Aufklärungsquote der Polizei in beiden Landkreisen liegt zwischen 80 und 90 Prozent. Meine Damen und Herren, allein in meiner ländlichen Region im Schwarzwald sind im vergangenen Jahr 96 Kinder Opfer sexueller Gewalt geworden. Bundesweit registriert die Kriminalpolizei etwa 20.000 Opfer. Die Dunkelziffer ist weitaus höher.

Wenn ich auf die letzten 10 Jahre zurück blicke, fällt mir auf, dass nur ganz selten sensibel mit diesem Thema umgegangen wird. Entweder wird versucht, den Tatbestand zu verharmlosen oder es wird unangemessen reißerisch darüber berichtet. Nicht selten ist die Berichterstattung auch nicht auf der Höhe der aktuellen Gesetzeslage.

Der Aktionsplan der Bundesregierung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung ist beispielhaft, weil er ressortübergreifend ein nachhaltiges Gesamtkonzept verfolgt. Er hat vier zentrale Ziele: den strafrechtlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen weiter zu entwickeln, den Opferschutz und die Prävention zu stärken, die internationale Strafverfolgung und Zusammenarbeit sicher zu stellen, sowie die Vernetzung der Hilfs- und Beratungsangebote zu fördern.

Wenn man bedenkt, dass der Aktionsplan erst am 29. Januar 2003 verabschiedet wurde, dann wurde bis heute schon viel auf den Weg gebracht.

Das Sexualstrafrecht wurde verschärft und Lücken geschlossen. Vor allem, wenn es um die Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und gegen Menschen mit Behinderungen geht. In diesem Zusammenhang ist es mir besonders wichtig, daran zu erinnern, dass ein neuer Straftatbestand für Kinderpornographie geschaffen wurde, durch den insbesondere geschlossene Tätergruppen im Bereich des Internets verfolgt werden können. Außerdem gilt: Wer sich kinderpornographische Schriften beschafft oder sie besitzt, wird bestraft, wird stärker bestraft als in der Vergangenheit. Bei der jüngst verabschiedeten Opferrechtsreform wurden die Rechte von Opfern in wesentlichen Punkten gestärkt. Mehrfachvernehmungen werden vermieden und Opfer stärker am Verfahren beteiligt.

Für mich als Politikerin ist es wichtig und selbstverständlich, dass die Täter angemessen bestraft werden. Mein politisches Ziel ist es, dafür zu arbeiten, dass in Zukunft weniger Kinder Opfer von sexueller Gewalt werden. Das Kindeswohl hat dabei für mich oberste Priorität. Dafür bedarf es enormer Anstrengungen im Bereich der Prävention: „Hinsehen, handeln, helfen!“ Unter diesem einprägsamen Motto hat das Bundesfamilienministerium am 20. April dieses Jahres eine Präventionskampagne gestartet. Ein Kampagnenbus veranstaltet 18 Aktionstage vor Ort. Bürgerinnen und Bürger können sich informieren. Beratungseinrichtungen haben die Möglichkeit, ihre Arbeit umfassend darzustellen. Eingerichtet wurden zudem eine neue Internetseite und ein Servicetelefon. Ergänzend gibt es den Ratgeber „Mutig fragen - besonnen handeln“.

Zum Handeln und zur Zivilcourage fordert auch die Informationskampagne gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus von terre des hommes auf, die vom Bundesfamilienministerium unterstützt wird. Ich gratuliere dem Kinderhilfswerk ganz herzlich zur hohen Auszeichnung für die beste langfristige PR-Strategie, die unter anderem den Inflight-Spot „Toys“, die Internetplattform „child-hood.com“ und den Spot „words“ umfasst. Die Internetplattform wurde bisher von Menschen aus 82 Ländern genutzt. Das ist doch ein schöner Erfolg.

Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir die SPD-geführte Bundesregierung bei der Umsetzung des Aktionsplans unterstützen. Es gilt, diesen in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten stetig weiter zu entwickeln.

Meine Vorstellung von einer kindgerechten Welt, von einer kinderfreundlichen Gesellschaft ist, dass Kinder und Jugendliche sich auf Erwachsene verlassen können müssen. Sie sind darauf angewiesen, ihnen zu vertrauen. Zwei Drittel der sexuellen Gewalthandlungen gegen Kinder werden im familiären Umfeld begangen. Ein nicht unbeachtlicher Teil der Taten werden auch im Rahmen medizinisch-therapeutischer Abhängigkeitsverhältnisse verübt oder durch Personen, die haupt- oder ehrenamtlich Kinder und Jugendliche betreuen. Von potentiellen Sexualstraftätern ist bekannt, dass sie sich ganz bewusst auch solche Arbeitsfelder suchen, die ihnen den Zugang zu Kindern und Jugendlichen ermöglichen. Hier sind insbesondere alle Organisationen und Institutionen gefordert, die für das Wohl der Kinder Verantwortung tragen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen dringend Handlungsanleitungen und intensive Schulungen, um sexuelle Ausbeutung zu erkennen und um geeignete Ansprechpartner zu sein.

Anonym, vertraulich und kostenlos können Kinder und Jugendliche in Not bei 95 bundesweiten Kinder- und Jugendtelefonen anrufen. Diese werden auch unglaublich oft genutzt. Mit 7 Millionen Anrufen im Jahr 2003 ist das Kinder- und Jugendtelefon zu einer der meist genutzten Anlaufstellen junger Menschen geworden. Deshalb, und das ist eine Forderung in unserem Antrag, müssen diese Telefone weiter ausgebaut und gefördert werden.

Wichtig ist mir außerdem, dass die Bundesregierung bei den Ländern dafür eintritt, zusätzlichen Fortbildungsbedarf bei der Polizei, aber insbesondere für den Bereich der Justiz, zu prüfen. Besonders diese Bitte wird immer wieder an uns Abgeordnete herangetragen.

Außerdem müssen auch die 14- bis 18-Jährigen strafrechtlich vor pornographischen Abbildungen geschützt werden. Das heißt: Das Schutzalter muss heraufgesetzt werden. Dieser strafrechtliche Schutz wird durch die Ratifizierung des Fakultativprotokolls zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie erreicht. Die Bundesregierung bereitet dies derzeit vor.

Meine Damen und Herren, großer Sorgfalt bedarf die Arbeit für die sexuell ausgebeuteten Kinder im Grenzgebiet von Deutschland, Tschechien und Polen. Es ist ein grenzübergreifendes Problem, das nur in Zusammenarbeit zwischen den Ländern gelöst werden kann. Hierfür wurde eine trilaterale Arbeitgruppe eingerichtet. Die zusätzliche Aufnahme Österreichs halten wir für sinnvoll und prüfenswert.

Handlungsbedarf sehe ich auch beim Aus- und Fortbildungsprogramm des Auswärtigen Amtes. Das Thema sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen muss hier ein dauerhafter Bestandteil werden. Zusätzlich ist eine Handreichung für den Einsatz bei den deutschen Auslandsvertretungen notwendig. In die Lageberichte der Länder muss die Thematik der sexuellen Ausbeutung von Kindern dauerhaft integriert werden. Dadurch verspreche ich mir eine größere Sensibilität für die Not der Kinder.

In den Schattenberichten von ECPAT und terre des femmes zum CEDAW-Bericht der Bundesregierung wird kritisiert, dass es sich bei der sexuellen Ausbeutung von Kindern durch Deutsche im Ausland bisher um kein Delikt im Katalog der Organisierten Kriminalität handelt. Damit stehen den Ermittlern keine erweiterten Ermittlungsbefugnisse, Sonderzuständigkeiten und Zeuginnenschutzprogramme zur Verfügung. Wir fordern die Bundesregierung auf, eine Aufnahme in den Katalog der Organisierten Kriminalität zu prüfen.

Um die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus effektiver bekämpfen zu können, ist der Einsatz von weiteren Verbindungsbeamten in den Herkunftsländern erforderlich. Auch hier die Bitte an die Bundesregierung, diesen Prüfauftrag zu unterstützen.

Wir, und ich spreche hier auch als SPD-Tourismuspolitikerin, erwarten, dass die deutsche Tourismusbranche sich an ihren Verhaltenskodex erinnert und ihn endlich Schritt für Schritt erkennbar umsetzt. So kann auch die Branche ihrer Verantwortung gerecht werden und mithelfen, Kinder und Jugendliche vor sexueller Ausbeutung zu schützen. „Gemeinsam aktiv für eine gewaltfreie Zukunft der Kinder“, so steht es im Flyer „Kleine Seelen, große Gefahr ...“. Angesichts der zunehmenden Unverfrorenheit der Täter, setze ich auch auf praktizierte Zivilcourage.