Nagold, 20.
Mai 2003
Handwerk ist
veränderungsbereit
Handwerksvertreter diskutierten mit SPD-Abgeordneten über
Liberalisierung der Handwerksordnung
„Unsere
Volkswirtschaft befindet sich zur Zeit nicht nur in einer
Konjunkturkrise, sondern auch in einer Strukturkrise“. Mit
diesen Worten begrüßte der SPD-Bundestagsabgeordnete
Christian Lange Vertreter aus dem Handwerk bei einem
mittelstandspolitischen Dialog im Autohaus Möhrle in
Freudenstadt. „Vordringliche Aufgabe ist, die Konjunktur zu
beleben, beispielsweise mit einem Zinsverbilligungsprogramm
für Kommunen, sowie die längst fälligen Reformen,
auch im Handwerksrecht, anzugehen“, so Lange.
Der
handwerkspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion folgte
einer Einladung seiner Kollegin Renate Gradistanac, um über
die Reformpolitik der Bundesregierung zu informieren. Firmeninhaber
Joachim Möhrle, Präsident der Handwerkskammer Reutlingen,
nutzte gemeinsam mit seinen Stellvertretern und der
Freudenstädter Kreishandwerkerschaft die Gelegenheit, aus der
Sicht des Handwerks auf die Liberalisierung der Handwerksordnung
einzugehen.
Das im
März von Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgestellte
Reformprogramm habe als Ziel, Deutschland bis zum Jahr 2010 wieder
zum Wachstumsmotor in Europa zu machen, so Christian Lange. Bis zum
Ende des Jahrzehnts werde Vollbeschäftigung angestrebt.
Viereinhalb Millionen Arbeitslose verdienten es, dass alles getan
werde, um jedem von ihnen die Chance auf Teilhabe am Erwerbsleben
zu ermöglichen. Zur Konjunkturbelebung trage neben dem
kommunalen Investitionsprogramm in Höhe von 7 Milliarden Euro
auch das 8 Milliarden Euro umfassende Wohnraum- und
Modernisierungsprogramm bei. Die Anfang nächsten Jahres
greifende Gemeindefinanzreform werde die kommunalen Einnahmen
verstetigen und gemeinsam mit der geplanten Abgeltungssteuer zur
Verbesserung der Investitionskraft der Gemeinden beitragen.
„Davon profitieren gerade die Handwerksbetriebe vor
Ort“, betonte der Mittelstandspolitiker. Um die strukturellen
Ursachen für die zurückgehende Beschäftigungs- und
Ausbildungsquote sowie den sinkenden Umsatz im Handwerk zu
beseitigen, sei eine Modernisierung des Handwerksrechts
unumgänglich. Als nicht mehr zeitgemäß und mit dem
europäischen Recht vereinbar bezeichnete Lange den
Meisterzwang als Voraussetzung zur Führung eines
Handwerksbetriebs. Nur Luxemburg habe eine dem deutschen
Meisterbrief vergleichbare Zugangsregelung. Nach den Vorstellungen
der rot-grünen Regierungskoalition solle die
Meisterprüfung künftig gefahrengeneigten Handwerken
vorbehalten sein. Dies treffe zwar nur für ein Drittel aller
Meisterberufe zu, doch fielen drei Viertel aller Betriebe darunter,
bemerkte Christian Lange.
Handwerkspräsident Joachim Möhrle bezeichnete das
Handwerk grundsätzlich als veränderungsbereit. Er
wünschte sich von der Politik, dass diese das Handwerk nicht
ausbluten lasse. Der Wegfall des Meisterzwangs lasse negative
Folgen für die Berufsausbildung befürchten. „Wenn
der Meisterbrief eingeschränkt wird, wird es einen
Gründungsboom von Minihandwerksfirmen geben, die für die
Ausbildung nicht zur Verfügung stehen. Bereits jetzt bilden
Kleinbetriebe mit weniger als 6 Arbeitskräften nicht mehr
aus,“ klagte Joachim Möhrle. Diese Befürchtung
teilte Christian Lange hingegen nicht. Die Betriebe hätten ein
Eigeninteresse an qualifizierten Arbeitskräften. Ausbildung
bringe für den auszubildenden Betrieb wirtschaftliche
Vorteile. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Gradistanac
fügte hinzu, dass ein Gesellenabschluss künftig mehr
Möglichkeiten biete. So könne der Meistertitel schneller
erworben werden und bereits nach zehn Jahren sei es möglich,
einen Betrieb ohne Erfordernis einer teuren Meisterprüfung zu
führen. „Der freiwillige Meisterbrief wird somit zu
einem Qualitätssiegel“.
Bildunterschrift:
Renate Gradistanac im Gespräch mit dem Präsidenten der
Handwerkskammer Reutlingen, Joachim Möhrle (links) und dem
SPD-Bundestagsabgeordneten Christian Lange
(rechts).
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