Rede von
Christel Riemann-Hanewinckel MdB zur Debatte Gentechnik im
Deutschen Bundestag am 31.05.2001
Wir
debattieren heute über die Würde des Menschen - von
Beginn bis zum Ende seines Lebens - von der ersten Zellteilung bis
zum letzten Atemzug.
Wie soll
menschliches Leben aussehen?
Gibt es
unterschiedlich wertvolles Leben?
Welche
Andersartigkeit, welche Abweichung von der Norm akzeptiert die
Gesellschaft?
Was ist
erlaubt an Eingriffen?
Wann ist es
vertretbar, Krankes, Belastendes, Abweichendes am Leben zu lassen
oder dieses Leben zu beenden?
Wie
hundertprozentig soll/muss/kann "Gesundheit" sein?
Wer
entscheidet alle diese Fragen?
Die Medizin,
die Forschung, der internationale Wettbewerbszwang, die Kassen, die
Allgemeinheit, die werdenden Eltern, die Politik?
Der
Fragenkatalog ist noch umfangreicher.
Er macht mir
deutlich, dass die Debatte überall geführt werden
muss - und ich hoffe, dass der Deutsche Bundestag heute ein
deutliches Signal für die Notwendigkeit der Diskussion und
Entscheidungsfindung gibt.
Ich
möchte mich auf einen Punkt konzentrieren.: die Situation, in
die werdende Eltern schon heute in Deutschland kommen.
Eine
Schwangerschaft ist heute weniger eine Normalität als Risiko
bis Krankheit!
Schwangere
haben sich zig pränatalen diagnostischen Untersuchungen zu
unterziehen, über die sie oft nicht aufgeklärt werden,
geschweige denn, dass ihr Einverständnis abgefragt
würde.
Untersuchungen, die in der Mehrzahl nicht der Heilung
und Behandlung der werdenden Mutter oder des Fötus dienen,
sondern dem Erkennen von Schäden beim Fötus mit der
Konsequenz seiner möglichen Abtreibung - wie etwa die
Untersuchung zum Erkennen des Down-Syndroms.
Mütter
bzw. Eltern haben oft keine Chance, sich mit dem zu erwartenden
Krankheitsbild auseinander zu setzen, weil vor der Beratung bzw.
Überweisung an eine Beratungsstelle oder Selbsthilfegruppe das
Terminangebot für eine Abtreibung steht.
Damit wird
indirekt aus medizinischer Sicht deutlich gemacht: "Nicht solch ein
Kind in dieser Gesellschaft!"
Schwangere
haben kaum eine Chance, sich der PND zu entziehen, da sie inklusive
im Behandlungsvertrag mit den meisten Ärztinnen und
Ärzten festgeschrieben ist.
Die
Präimplantationsdiagnostik reduziert auf die Frage, ob die
Qualität des Embryos reicht zum Einpflanzen oder
nicht.
Die
potenziellen Eltern haben diesen Konflikt ohne das Erleben von
Schwangerschaft zu entscheiden. Damit wird aus meiner Sicht die
Entscheidung entpersonalisiert. Nicht das Kind steht im
Vordergrund, sondern der Wille der Eltern nach einem gesunden
Kind.
Der
Ärztinnenbund und der Behindertenrat haben sich gegen PID
ausgesprochen. Ich tue das auch, denn Behinderung und Krankheit
mindern nicht den Wert des Lebens. 1994 haben wir in Artikel 3 des
Grundgesetzes verankert: Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden.
Das gilt
für mich auch im Reagenzglas.
Die PID ist
mit der Würde des Menschen nicht vereinbar. Das menschliche
Leben ist nicht in bestimmten, gewünschten Arten und Weisen zu
haben. Es ist immer unterschiedlich in seinen Möglichkeiten,
Fähigkeiten, Schönheiten. Und: es ist immer
unterscheidbar zu anderen Werten.
Menschenwürde ist deshalb nicht gebunden an eine
bestimmte Art von Gesundheit oder Krankheit. Sie ist nicht mit der
Freiheit der Forschung verrechenbar - und auch nicht aufrechenbar
gegen das Bruttosozialprodukt, Arbeitsplätze oder
Gewinne.
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