Die
Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, Christel Hanewinckel, SPD, redet heute im
Deutschen Bundestag zum Antrag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS
90/Die Grünen, F.D.P. und PDS "Gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt".
(Es gilt das
gesprochene Wort)
Anrede,
Bei den
Demonstrationen in der DDR im Oktober/November 1989 einte alle,
egal in welcher Stadt und in welchem Alter, ein Wunsch: Keine
Gewalt.
Nie hätte
ich 1989 geglaubt, dass wenige Jahre später Menschen durch
Städte gehetzt, totgeschlagen, angebrannt würden wegen
ihrer Sprache, Hautfarbe, wegen ihrer Obdachlosigkeit.
Ich hätte
nicht geglaubt, dass ein Gesetz gegen die Gewalt in der Erziehung
zehn Jahre brauchen würde, ehe es endlich eine Mehrheit im
Deutschen Bundestag bekam.
Ich hätte
nicht geglaubt, dass die DVU in Sachsen-Anhalt 1998 fast 13% der
Stimmen bekommen konnte.
Ich hätte
nicht geglaubt, dass der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion
Sachsen-Anhalt Anfang 2001 die Zivilcourage von Bürgerinnen
und Bürgern beschämen würde, indem der die
Beendigung der von ihnen initiierten Aktion Noteingang
forderte.
Kolleginnen
und Kollegen,
einige
Beispiele aus ostdeutscher Wirklichkeit. Wir kennen die Zahlen. Sie
erschrecken, denn es ist z.B. kaum vorstellbar, dass 20% der
Ostdeutschen rechtsextreme Einstellungen haben und 40% generell
fremdenfeindlich sind. Wir wissen auch, dass vor allem junge
Menschen, junge Männer, fast Kinder, zu rechtsextremen
Gewalttätern werden. Und wir wissen, dass es in den
Städten der DDR schon Skins und rechtsextreme Gruppen gab. Die
aber in der DDR von allen Parteien, der SED, CDU etc. verschwiegen
wurden.
Wir wissen
auch, dass junge und alte Leute sich von der Art und Weise
ansprechen lassen, in der Politiker sich diffamierend über
Ausländer und Asylbewerber äußern - wenn
Landtagswahlen auf dem Rücken dieser Menschen gewonnen
werden
Deshalb
wäre es so wichtig gewesen, wenn heute vom Deutschen Bundestag
ein gemeinsames Signal ausgegangen wäre - ein Antrag ALLER
Fraktionen.
Doch nicht nur
die rechtsextremen Straf- und Gewalttaten sind gestiegen. Gewachsen
ist auch die intensive öffentliche Debatte, die Bereitschaft,
genau hinzusehen, sich gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und
Fremdenfeindlichkeit einzusetzen, sich in Initiativen zusammen zu
schließen, durch Demonstrationen deutliche Zeichen zu setzen.
Gerade in den ostdeutschen Bundesländern gibt es
Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer,
Kirchgemeinden, Eine-Welt-Vereine, die Integrationsarbeit leisten,
in den verschiedensten Projekten. Heute setzt der Deutsche
Bundestag ein deutliches Zeichen für ein demokratisches, der
Menschenwürde aller verpflichtetes Deutschland.
Initiativen,
die sich für Toleranz, Demokratie und Integration einsetzen,
werden 2001 mit zusätzlich 30 Millionen finanziell
unterstützt. Ich hoffe sehr, dass die Haushälterinnen und
Haushälter aller Fraktionen diese Mittel auch für die
kommenden Haushaltsjahre einsetzen können
Für
Initiativen gegen Rechtsextremismus und für Opferberatung in
den neuen Ländern sind im Haushalt des BMFSFJ zwei neue
Haushaltstitel mit je 5 Millionen Mark eingerichtet
worden.
Was
können wir konkret tun?
Wir
müssen den Jugendlichen etwas bieten:
-
XENOS
- Ausbildungs-
und Arbeitsplätze, wie sie durch JUMP bereitgestellt
werden
-berufliche
Integration für besonders benachteiligte Jugendliche in
sozialen Brennpunkten im ländlichen Raum und in der Stadt, wie
sie das E&C-Programm anbietet
-
Auslandsaufenthalte und -kontakte, wo die Jugendlichen mitbekommen,
wie es ist, Ausländer zu sein und die erlernte Toleranz
zuhause an andere weitergeben
Eine
Verschärfung des Jugendstrafrechts brauchen wir ganz sicher
nicht. Wir werden unsere Bemühungen lieber darauf
konzentrieren, die jungen Menschen zu erreichen, bevor sie
rechtsextrem denken, bevor sie Gewalt anwenden.
Was wir auch
nicht brauchen, ist die Fortführung der "stolzen" Debatte.
Dies ist genau das falsche Signal. Eine ehrliche Auseinandersetzung
mit der Vergangenheit Deutschlands und seiner Zukunft, die für
mich in einem weltoffenen, integrativen Deutschland liegt, ist
angesagt. Bei der Diskussion des VI. Familienberichtes werden wir
dazu noch Gelegenheit haben.
Was wir in
Deutschland brauchen, ist eine faire Debatte über Integration,
über Weltoffenheit und Demokratie. Auch dafür bin ich
1989 auf die Straße gegangen - ohne Gewalt.
Und wir
brauchen Erwachsene, die in ihrem Reden und Handeln Artikel 1 und
Artikel 3 des Grundgesetzes erfahrbar machen - allen Menschen
gegenüber, die in Deutschland leben.
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