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Christel Riemann-Hanewinckel
MdB
SPD
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Rede von Christel Riemann-Hanewinckel zum Zuwanderungsgesetz und zum VI. Familienbericht am 1.3.2002 im Deutschen Bundestag

Jahrelang behauptete die konservative Bundesregierung, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Spätestens seit Oktober 2000 ist diese These nicht mehr haltbar. Die Sachverständigenkommission des VI. Familienberichtes, die noch durch die ehemalige Ministerin Frau Nolte eingesetzt wurde, legte es uns schwarz auf weiß vor: Deutschland IST ein Einwanderungsland.

Der volle Titel des VI. Familienberichtes heißt „Familien ausländischer Herkunft - Leistungen - Belastungen - Herausforderungen“. Die Sachverständigen haben Familien unabhängig vom Rechtsstatus untersucht, ausländische, eingebürgerte, Aussiedler, Geduldete, Asylbewerber oder Illegale.

Die zugewanderten Familien kommen aus über 180 Staaten, dabei kann es bei gleicher Staatsangehörigkeit noch einmal unterschiedliche Zugehörigkeiten zu Ethnien, Volksgruppen und Kulturen geben. Sie gehören unterschiedlichen Religionen an und kommen aus verschiedenen Lebenssituationen. Ihre Migrations- oder Fluchtgründe sind vielfältig. Sie wollen in Deutschland kurz, länger oder für immer bleiben. Viele wollen nur „durchwandern“; andere mit ihren Familien arbeiten und leben.

Ein Ziel der Sachverständigen war, genauer zu untersuchen, welchen Beitrag ausländischer Familien für das Wohl der eigenen Angehörigen leisten und wie es mit dem Beitrag für die deutsche Aufnahmegesellschaft bestellt ist. Das Ergebnis ist überraschend:

Alle die, die Vorurteile hatten, dass Migrantinnen und Migranten auf Kosten des deutschen Steuerzahlers leben, dass sie schwach und fürsorgebedürftig sind, müssen diese über Bord werfen.

Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Die große Mehrzahl der Zugewanderten ist erfolgreich integriert. Familien ausländischer Herkunft erbringen erhebliche Leistungen für unsere Gesellschaft, z.B. durch die Einzahlung in die Sozialsysteme. Zum anderen sorgen sie für die eigene Integration, v.a. auch für die Integration nachziehender Familienmitglieder.

Und: Migration in, nach und durch Deutschland ist nicht das Kommen und Gehen Einzelner, sondern Migration und Integration sind Familienprojekte.

Auch die unabhängige Kommission „Zuwanderung“ (Süssmuth-Kommission) hat in ihrem Bericht vom 4. Juli 2001 festgestellt, dass Migration meist im Familienverband geschieht und dass Familie und Verwandtschaft viel zu einer erfolgreichen Integration beitragen. Auch hier kamen die Sachverständigen zu dem Schluss: Wer Integration fördern will, muss die familiäre Solidarität stärken.

Ich zitiere:

„Die Kommission erachtet daher die rechtlich gesicherte Möglichkeit des Nachzugs der Kernfamilie aus integrationspolitischen Gründen als vorrangig... Für das Einreisealter nachziehender Kinder gilt grundsätzlich: Je früher die Einreise erfolgt, desto wahrscheinlicher ist ein positiver Integrationsverlauf. Eine Trennung von Eltern und minderjährigen Kindern ist aber aus familienpolitischen Gründen abzulehnen. Die Kommission empfiehlt daher eine Anhebung des Höchstalters für den Nachzug von Kindern von derzeit 16 auf 18 Jahre. Hierbei erscheint der Kommission eine Differenzierung zwischen der unmittelbaren Einreise im Familienverband und dem späteren Nachzug bedenkenswert.“

Leider hat sich die Union der Vorsitzenden der Kommission, Frau Süssmuth, nicht angeschlossen, sondern als eine der Kernbedingungen für den Konsens eine Senkung des Nachzugsalters auf 12 Jahre gefordert. In §32 Abs. 4 wurden jedoch Ausnahmen geregelt, wenn es das Wohl des Kindes oder die familiäre Situation erfordert.

Für mich ist völlig unverständlich, dass ausgerechnet von der CDU/CSU diese Forderung gekommen ist und die CDU/CSU wegen der Härtefallregelung dieses Gesetz blockieren will. Ihr christliches Familienverständnis scheint nur für deutsche Familien zu gelten.

Der Familienbericht, der Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Grünen und der Bericht der Süssmuth-Kommission enthalten eine Fülle von Empfehlungen und Forderungen für die Jugend- und Sozialarbeit, für den Bildungsbereich, die interkulturelle Öffnung von Behörden, Einrichtungen, sozialen Angeboten, für die Arbeit von Vereinen und Verbänden.

Leider kann der Bundestag in bestimmten Bereichen nur Forderungen aufstellen. So zum Beispiel die dringende Forderung an die Länder und die Kommunen, für frühzeitige und adäquate Betreuungsangebote für ausländische Kinder im Vorschulalter zu sorgen. Wir haben gestern in der Debatte zum XI. Jugendbericht festgestellt, wie notwendig Chancengleichheit in der Bildung ist. Das gilt ganz besonders für Kinder aus Familien ausländischer Herkunft. Hier hat Deutschland in den nächsten 10 Jahren noch erhebliches zu leisten.

Wenn Migration in aller Regel ein Familienprojekt ist, das nicht in einer Generation abgeschlossen ist, sondern mehrere Generationen umfaßt, bedeutet das, dass Familien ausländischer Herkunft langfristige Perspektiven haben müssen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Die Expertenkommission des Familienberichtes fordert in diesem Zusammenhang „... insbesondere Überschaubarkeit und Kontinuität in den politischen und administrativen Rahmenbedingungen....“

Das Zuwanderungsgesetz wird für eine solche transparente Einwanderungspolitik sorgen. Mit der Beschränkung auf zwei Aufenthaltstitel wird es die auch im Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Grünen geforderten klaren und umfassenden rechtlichen Regelungen geben. Familien, die einwandern wollen, kennen die Bedingungen. Dies gibt ihnen Sicherheit, um ihre Zukunft planen zu können.

Das bisherige Ausländergesetz sah keine Integrationsmaßnahmen vor. Doch hat der VI. Familienbericht gezeigt, dass es bei Familien ausländischer Herkunft noch immer keine Chancengleichheit gibt in punkto Bildung, Erwerbstätigkeit, sozialer und politischer Partizipation. Im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes wird nun von Bundesseite sichergestellt, dass jede und jeder, der auf Dauer hier bleiben kann, Anspruch auf einen Sprachkurs und eine Einführung in unsere Rechtsordnung, Kultur und Geschichte hat. Eine erfolgreiche Teilnahme wird durch die Möglichkeit einer früheren Einbürgerung honoriert.

Einer der großen Erfolge für Frauen im Zuwanderungsgesetz ist die Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Verfolgungsgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Ich halte es für sinnvoll, wenn die Bundesregierung jährlich über die Größe dieser Flüchtlingsgruppe berichtet, um den Vorurteilen vorzubeugen, es handele sich hier um eine „Schwemme“. Wie der Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Albert Schmidt, erst vor kurzem im Familienausschuss ausführte, sind es pro Jahr nur ca. 1000 Frauen, die in Deutschland um Aufnahme nachsuchen.

Im Juni 2000 bei der Nachfolgekonferenz zur Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 hat Deutschland sich sehr darum bemüht, dass andere Staaten Verletzungen der Würde und des Körpers der Frau als Menschenrechtsverletzung anerkennen. Wenn wir dies im Zuwanderungsgesetz nun regeln, ist dies für andere Länder ein wichtiges Signal.

Ein zweites frauenpolitisches Anliegen war es, dass Frauen im Auswahlverfahren nicht benachteiligt werden. Ginge es nur um die „schulische und berufliche Qualifikation sowie die Berufserfahrung des Zuwanderungsbewerbers“, gäbe es in Zukunft nur Männer, die in Deutschland einwandern. Denn die Männer hätten wegen Kindererziehung oder Pflege von Verwandten keine beruflichen Ausfallzeiten. Daher wurde in §20 geregelt, dass sich dies nicht nachteilig auf die Zuwanderungschancen von Frauen auswirken darf. Außerdem wird bei der Auswahl der Zuwanderungsbewerber und -bewerberinnen ein Frauenanteil berücksichtigt, der dem der Bewerbungen entspricht.

Ich bin froh über die Neuregelung des Familienasyls und -abschiebeschutzes im Asylverfahrensgesetz. Der Abschiebeschutz kann nun auch engen Familienangehörigen von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt werden, die nach § 60 des Aufenthaltsgesetzes als politisch verfolgt anerkannt sind, ohne asylberechtigt zu sein. Artikel 6 unseres Grundgesetzes gilt nun auch für die sogenannten Konventionsflüchtlinge.

Ein letzter Punkt: Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, im BMJ eine Frau zu finden, die sich in der Lage sieht, dieses unser Gesetz geschlechtsneutral bzw. an den Stellen wo es gar nicht anders geht, geschlechtsspezifisch zu formulieren. Gender Mainstreaming gilt eben auch bei Gesetzestexten und es wäre peinlich gewesen, wenn ein neues Gesetz nur mit Schlips und Kragen in das Bundesgesetzblatt gekommen wäre. An dieser Stelle an die Mitarbeiterinnen im BMJ schon jetzt ein herzliches Dankeschön.