“Als
wir alle noch an einem Tisch saßen...”
Die
ostdeutschen Politikerinnen und Politiker
und die
Erfahrungen des Runden Tisches
von Christel
Hanewinckel
Christel
Hanewinckel sitzt seit 1990 für die SPD im Deutschen
Bundestag. Sie ist Vorsitzende des Ausschusses für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend. 1989 hat sie in Halle die SDP
mitbegründet. Von Dezember 1989 bis Mai 1990 hat sie den
Runden Tisch in Halle moderiert.
Zweimal hat
der Runde Tisch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt.
1989, als sich scheinbar die ganze DDR an Runden Tischen
zusammenfand, um die Probleme des Landes anzugehen. Das zweite Mal
jetzt, zehn Jahre später, als die Deutschen den
”Wendeherbst” erinnern und feiern.
Dabei taucht
insbesondere eine Frage immer wieder auf: Entstand an den Runden
Tischen und durch die Arbeit an einem Verfassungsentwurf ein
originär ostdeutsches Politikverständnis, das bis heute
nachwirkt?
Von dem Modell
und der Praxis der parlamentarischen Demokratie in der
Bundesrepublik-Alt unterschieden sich die Runden Tische in einer
ganzen Reihe von Punkten.
Die Runden
Tische waren nicht demokratisch durch Wahlen legitimiert.
Vertreterinnen und Vertreter der evangelischen und katholischen
Kirchen waren gebeten worden, Runde Tische einzuberufen und zu
leiten. Die gewählten Stadtvertretungen, Bezirkstage und die
Volkskammer wurden von der Bevölkerung nicht mehr respektiert.
Die Kirche hatte einen großen Vertrauensvorschuss, im
Gegensatz zu den staatlichen Institutionen.
Die
Moderatorinnen und Moderatoren des Runden Tisches verfügten
über Erfahrungen in der Konsensfindung mit Hilfe von Streit,
Auseinandersetzung, Diskussion. Diese Erfahrungen hatten sie vor
allem in den 80er Jahren sowohl im innerkirchlichen Bereich, in den
Synoden der evangelischen Kirche, die nach dem Prinzip der
parlamentarischen Demokratie gewählt waren, als auch durch die
Zusammenarbeit in der Ökumene gemacht. Auch die Kooperation
der Kirchen mit den Friedensgruppen verlief nicht immer problemlos,
denn diese mussten unter das Dach der Kirche kommen, da die DDR
ihnen keinen anderen Raum zugestand. Auseinandersetzung und
Konsensfindung fanden nicht nur in der Kirche der DDR statt,
sondern auch weltweit im “Konziliaren Prozess für
Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der
Schöpfung”.
Ein Teil der
ostdeutschen Abgeordneten im Parlament kam und kommt aus den
Arbeitsfeldern vor allem der evangelischen Kirche. Entgegen weit
verbreiteter Vorurteile verfügt also ein Teil ostdeutscher
Politikerinnen und Politiker über langjährige Erfahrungen
in demokratischen Strukturen - trotz der “Diktatur des
Proletariats” in der DDR.
Ein
Unterschied zur Arbeit im heutigen Parlament ist die Form der
Konsensfindung an den Runden Tischen. Dort saßen die
neugegründeten Parteien, Bürgerbewegungen und
Interessensgruppen mit ihren “früheren Feinden”
von der SED, der CDU und den anderen Blockparteien zusammen an
einem Tisch. Gemeinsam wurden in dieser schwierigen Zeit
Lösungen gefunden.
Die
Entscheidungen der Runden Tische wurden von der Bevölkerung
akzeptiert. Das Vertrauen war sehr groß.
Meine
Erfahrungen nach neun Jahren parlamentarischer Demokratie: Das
Parlament ist kaum von einer überparteilichen Arbeit
geprägt. Nur die Frauen haben es immer wieder geschafft,
gemeinsame Gesetze auf den Weg zu bringen, z.B. die Neuregelung des
Paragraphen 218, das Kindschaftsrecht und die Problematik der
Vergewaltigung in der Ehe. Überparteiliche Konsensfindung
gelingt sonst kaum. Parteipolitisch wird das auch nicht als
adäquates Mittel angesehen, um Lösungen zu finden. Das
ist inzwischen auch in den östlichen Bundesländern
so.
An den Runden
Tischen wurden die Lösungen nicht nur überparteilich
erzielt, sondern waren auch von einem breiten Konsens aller
beteiligten Gruppen getragen. Die Schwierigkeiten der Zeit
brauchten Mehrheitsentscheidungen.
Ich habe in
den fünf Monaten am Runden Tisch in Halle nicht eine einzige
Kampfabstimmung erlebt. Jeder und jede wurde gehört.
Diskutiert wurde manchmal endlos.
Problematisch
wurden allerdings die Begehrlichkeiten der unterschiedlichen
Interessensgruppen, Sitz und Stimme am Runden Tisch zu bekommen.
Die Grenzen einer Volksvertretung, die nicht durch Wahlen
legitimiert war, wurden an diesem Punkt offensichtlich.
1999, zehn
Jahre nach den Ereignissen des “Wendeherbstes”, stellt
sich die Frage, was bleibt von den Erfahrungen der Ostdeutschen an
den Runden Tischen?
Die Runden
Tische hatten nur eine kurze Lebensdauer. Sie wurden durch die
ersten freien Wahlen auf Stadt-, Bezirks- und DDR-Ebene
abgelöst.
Zwar wurden an
den Runden Tischen bestimmte Politikpraktiken, wie
überparteiliche Konsensfindung und die Berücksichtigung
von Minderheitsmeinungen, praktiziert, jedoch ist dieses
“Wende-spezifische” Gremium mit heutigen
politisch-parlamentarischen Verhältnissen nicht
vergleichbar.
Ein Grund sind
die inzwischen auch im Osten ausdifferenzierten parteipolitischen
Ansätze bzw. Parteiprogramme. 1989 und 1990 hatten wir
keinerlei Programmatik. Was wir brauchten, waren Entscheidungen,
die auf kurzen Wegen umgesetzt werden konnten, nicht jedoch
Gesetzgebungsverfahren. Diese kamen mit der ersten
freigewählten Volkskammer ab März 1990.
Zweitens sind
die Parteien heute im Parlament zahlenmäßig anteilig zum
Wahlergebnis vertreten. An die Runden Tischen wurde niemand
gewählt. Die Parteien, Bewegungen oder Gruppen schickten,
unabhängig von ihrer Größe, je zwei Personen mit je
einer Stimme. Diese Zusammensetzung entsprach weder einem
parlamentarisch-demokratischen Prinzip, noch einer
Basisdemokratie.
Parlamentarismus, Parteipolitik und Programme haben sich erst
im März 1990 mit der frei gewählten Volkskammer den alten
bundesdeutschen Parteien angepasst. Parteiübergreifende
ostdeutsche Interessen gab es nicht. Ab Dezember 1990 war das
Verhalten Parteiprogramm-geleitet und nicht
Interessen-geleitet.
Nur so ist
auch zu erklären, nicht zu verstehen, dass der
Verfassungsentwurf des Runden Tisches der DDR nicht in die
Beratungen der gemeinsamen Verfassungskommission aufgenommen wurde.
Die ostdeutschen VertreterInnen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen wollten die eigenen Erfahrungen und Vorstellungen in
eine gemeinsame Verfassung einbringen. Tatsächlich fand aber
eine Polarisierung statt, vor allem von Seiten der CDU -
westdeutsche gegen ostdeutsche Interessen. Als Beispiel nenne ich
nur die Aufnahme weiterer Staatsziele, die Veränderung der
Präambel, die Neuregelung des Verhältnisses Staat-Kirche
und die Aufnahme plebiszitärer Elemente in die
Verfassung.
Von der
“Westmehrheit”, die allerdings auch durch
Ostabgeordnete der CDU und FDP zustande kam, war offenbar
befürchtet worden, dass die sogenannte Oppositionsbewegung im
Osten Einfluss haben könnte auf die Verhältnisse im
Osten.
Fazit:
Die politisch
Aktiven der 80er Jahre in den verschiedenen Gruppen, später
dann im Neuen Forum, Demokratie Jetzt, SDP, Demokratischer Aufbruch
u.a., sind nur zu einem kleinen Teil Berufspolitikerinnen- und
Politiker geworden. Auf Bundesebene konnte sich daher kein
spezifisch ostdeutscher Politikstil etablieren.
Das Tempo der
Einheit hat keinen Raum gelassen für den Diskurs über
Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges. Anders
ausgedrückt: es hat am Ende der DDR für die
unterschiedlich Betroffenen: Opfer, politisch Aktive, IM's,
politisch Abstinente, Mitglieder der Blockparteien, SED-Mitglieder
u.a. keine Trauerarbeit gegeben, an deren Schluss eine Bilanz
gestanden hätte. Im Vordergrund stand 1990 die gemeinsame
Währung und die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.
Was fehlt ist eine identitätsstiftende Vereinbarung zwischen
Ost und West, die einen gemeinsamen Beginn symbolisiert hätte.
Die Debatte über das Grundgesetz hin zur gemeinsamen
Verfassung des geeinten Deutschland wäre ein erarbeitetes,
lebendiges und tragfähiges Symbol für die deutsche
Einheit gewesen.
Für mich
persönlich bedeutet diese Entwicklung keineswegs Resignation,
sondern wieder und wieder die Erfahrungen der 80er Jahre in der
DDR, des Runden Tisches und unsere Hoffnungen und Wünsche an
eine Demokratie in die laufende Gesetzgebung im Parlament
einzubringen.
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