deutsche Geschichte"
Ausschnitte aus der Rede der damaligen
Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth
zur Ausstellungseröffnung im Deutschen Dom
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Die damalige Bundestagspräsidentin bei Ihrer Eröffnungsredeim Deutschen Dom am 26.10.96 |
Es ist eine Folge der für Berlin wichtigsten Bundestagsentscheidungen der letzten Jahre, des Umzugsbeschlusses und der damit verbundenen Umbauarbeiten am Reichstagsgebäude, daß der Deutsche Bundestag seine Ausstellung "Fragen an die deutsche Geschichte" vom Reichstagsgebäude in den Deutschen Dom verlegt. Die Ausstellung ist für das Selbstverständnis des Deutschen Bundestages von großer Bedeutung, denn in ihr sollen die Entwicklung der Idee einer parlamentarischen Volksvertretung, die vielfältigen Anläufe zu ihrer Verwirklichung in der deutschen Geschichte nachvollzogen werden, und zwar unter Einbeziehung auch von Rückschlägen und Hindernissen, die auf diesem schwierigen Weg zu bewältigen waren. So vergewissert sich der Deutsche Bundestag in dieser Ausstellung seiner eigenen Geschichte, seiner Traditionen und Wurzeln, aber auch der Gefährdungen, denen die Freiheit immer ausgesetzt bleibt (...)
Es mag überraschen, daß auch nach einem Vierteljahrhundert, nach so epochalen Umwälzungen, wie dem Zusammenbruch des Kommunismus, dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung, der Titel der Ausstellung "Fragen an die deutsche Geschichte" der gleiche geblieben ist. Doch ist dieser Titel nach wie vor angemessen: Er warnt vor schnellen Antworten. Gerade die deutsche Geschichte weist eine Reihe von Brüchen auf, die keine einfachen Erklärungen zulassen. Die Bereitschaft, angesichts dieser Brüche und Wendungen deutscher Geschichte unvoreingenommen zu fragen, und vor allem der Mut, auch unbequem zu fragen, das sind Tugenden, die den Historiker auszeichnen.
Die überraschenden politischen Umwälzungen der letzten Jahre, die uns die Offenheit des geschichtlichen Prozesses dramatisch vor Augen führten, stellen eine Aufforderung dar, sich nicht auf resignative oder utopisch-optimistische Antworten einzulassen, die einen Stillstand, ein "Ende der Geschichte" prognostizieren wollen. Der mutige Kampf für Freiheit und Bürgerrechte der Menschen in der DDR hat ein Zeichen der Hoffnung gesetzt: Menschen können ihre Geschichte in die Hand nehmen und gestalten - selbst nach Jahrzehnten der Gewalt und Unterdrückung -, und sie werden aus solchem Auftrag nie entlassen.
Folgerichtig steht im Mittelpunkt der Ausstellung die Entwicklung des demokratischen und parlamentarischen Gedankens. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Ausstellung die Forderung der Menschen, in Freiheit und Würde ein selbstbestimmtes Leben führen zu dürfen. Beides wird im Verlauf der deutschen Geschichte deutlich; daß dieser Anspruch sich auf Dauer durch kein Regime unterdrücken läßt, aber auch wie rasch die Freiheit gefährdet und verloren ist. Daher sollte die Ausstellung den Besuchern diese Botschaft vermitteln: In unsere Hände ist die Verantwortung für unsere Geschichte gelegt, wir können, wir müssen sie gestalten, wenn wir nicht schuldig werden wollen. Und das Kostbarste und zugleich Gefährdetste, was wir dabei zu verteidigen haben, ist unsere Freiheit.
Läßt sich dieser Auftrag aus der Geschichte lernen? Gewiß nicht im Sinne einfacher unmittelbar übertragbarer Handlungsanleitungen. Der Baseler Historiker Jacob Burckhardt hat in der Einleitung zu seinen "Weltgeschichtlichen Betrachtungen" jene bedenkenswerte Maxime formuliert: "Wir wollen durch Erfahrungen nicht sowohl klug (für ein andermal), als weise (für immer) werden." Es wäre nicht das Schlechteste, wenn uns diese Ausstellung ein wenig weiser, ein wenig nachdenklicher wieder zu unserer alltäglichen Arbeit entlassen würde.