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Debatte
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Wortlaut der Reden

Dr. Helmut Kohl, CDU/CSU Dr. Friedbert Pflüger, CDU/CSU >>

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich hier zunächst bei all denen, die vor mir gesprochen haben, für die Art und Weise bedanken, wie sie es taten und wie sie damit eine Debatte im Hohen Hause ermöglichten, die in den letzten Wochen außerhalb des Hohen Hauses nicht immer in der gleichen Form und Fairneß der Auseinandersetzung geführt wurde. Wir alle empfinden, dies ist eine wichtige Entscheidung, aber ich hoffe, wir empfinden auch, daß es nicht die Entscheidung schlechthin über die Zukunft der deutschen Politik ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Es ist ganz verständlich und auch ganz richtig, daß diese Debatte mit dem Herzen und mit dem Verstand geführt wird und daß auch die Frage des Umgangs miteinander für uns eine Chance darstellt, politische Kultur praktizieren zu können.

Jeder von uns weiß auch, daß diese Entscheidung große Auswirkungen auf Einzelschicksale hat. Es ist nicht kleinmütig, und es ist schon gar nicht kümmerlich gedacht, wenn auch die soziale und die wirtschaftliche Dimension für die Betroffenen hier angesprochen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Wer dies leugnen würde, liebe Kolleginnen und Kollegen, würde an der Wirklichkeit unseres Landes vorbeireden. Deswegen halte ich einen solchen Hinweis für berechtigt.

Folgendes will ich hier noch einmal vor meiner persönlichen Stellungnahme sagen: Ich hoffe, daß alle Kolleginnen und Kollegen wissen, daß

-- wie immer die Entscheidung ausgeht -- wir mit unserer Entscheidung eine Verpflichtung für die Zeit danach für die beiden in Frage stehenden Städte und Regionen unseres Landes übernehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und beim Bündnis 90/GRÜNE)

Wir können diese Entscheidung nur guten Gewissens -- jeder für sich allein -- treffen, wenn wir uns auch dazu bekennen, daß diesen beiden Städten und Regionen dann unsere besondere Sorge zu gelten hat. Das muß auch dann gelten, wenn es ins Detail geht und schwierige Entscheidungen anstehen.

Ich will mich bei den Kolleginnen und Kollegen bedanken, die sich ungeachtet des Wirbels in der öffentlichen Diskussion um einen Kompromiß bemüht haben. Ein Parlament muß entscheiden, aber es muß immer auch fähig sein, einen Kompromiß zu suchen.

Ich glaube nicht, daß der Kompromiß gelingt; aber ich füge hinzu: Es war wichtig und richtig, daß versucht wurde -- und dafür bin ich dankbar --, einen Kompromiß zu finden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Herr Kollege Glotz, ich glaube nicht, daß wir hier den Begriff »moralisieren« einführen sollten. Es geht hier nicht um eine Legende, sondern es geht um die persönliche Entscheidung eines jeden Mitglieds des Deutschen Bundestags.

So hat die Öffentlichkeit Anspruch darauf, daß ich, der ich aus dem deutschen Südwesten stamme und seit über vierzig Jahren in meiner Partei politisch tätig bin und unserem Land in vielen Funktionen dienen durfte, heute ganz klar sage: Ich stimme für Berlin.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Es gibt viele Gründe; viele davon sind genannt worden; für mich persönlich will ich einige davon noch einmal nennen.

1947 bin ich mit 17 Jahren zum erstenmal in Berlin gewesen. Es war eine zerstörte Stadt. Wenn mich damals jemand gefragt hätte: Was ist die deutsche Hauptstadt?, wäre die Antwort keine Überlegung wert gewesen; ich hätte gesagt: Das ist selbstverständlich Berlin!

Mein Lebensweg hat mich oft nach Berlin geführt. Ich war wenige Tage nach dem 17. Juni 1953 dort. Wenn mich am 20. Juni 1953 jemand gefragt hätte: Was ist die deutsche Hauptstadt, und zwar im vollen Sinne des Wortes?, hätte ich gesagt: Berlin.

Im Juni 1987 stand ich mit Ronald Reagan vor dem Brandenburger Tor, als er rief: Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor!

Wenn mich damals jemand gefragt hätte -- es hat mich aber keiner gefragt --,

(Heiterkeit im ganzen Hause)

was die deutsche Hauptstadt sei, hätte ich gesagt: Berlin.

Ich stand mit den meisten von Ihnen in jener unvergeßlichen Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990, als der Tag der deutschen Einheit um 0 Uhr gefeiert wurde, vor dem Reichstag, und mir war natürlich klar, daß ich für Berlin bin, und ich glaube, daß es für die meisten in dieser Nacht klar war. Das sind keine historischen Reminiszenzen, die man so einfach aus seiner

Gefühlswelt zur Seite schiebt, sondern das ist die Erkenntnis, daß Berlin Brennpunkt deutscher Teilung und der Sehnsucht nach deutscher Einheit war.

Wenn ich dies sage, ist doch überhaupt nichts gegen Bonn gesagt. Wir alle verdanken dieser großartigen Stadt sehr viel, die nicht erst seit 1948/49 -- das will ich bei dieser Gelegenheit auch einmal sagen --, sondern schon vorher ihren eigenen Platz in der deutschen Geistesgeschichte hatte. Ich will das hier nicht näher ausführen.

Aber mit Bonn ist immer die Gründung der zweiten Demokratie auf deutschem Boden verbunden. Herr Glotz, Sie haben ganz recht: Mit Bonn ist immer der zweite Versuch der Deutschen verbunden -- aller demokratisch gesonnenen Deutschen, die guten Willens waren und sind --, wieder Demokratie zu wagen. Aber ich kann darin keinen Gegensatz zu dem erkennen, was ich zuvor gesagt habe: Mein voller Respekt, meine Sympathie, meine Zuneigung für das, was ich hier in Bonn in Jahrzehnten selbst erleben durfte, sind ganz selbstverständlich, und ich will es noch einmal deutlich ausdrücken.

Aber für mich ist Berlin eben auch immer die Chance zur Überwindung der Teilung gewesen. Ich bin sicher -- ich wage diese Behauptung, die sicher von anderen angefochten wird --, ohne dieses Berlin der letzten vier Jahrzehnte und ohne das, was Berlin und übrigens auch die Berliner für uns bedeutet haben, wäre die deutsche Einheit nicht möglich gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei

Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Auch das kann man nicht einfach wegtun, nicht nur weil wir in unseren Reden gesprochen haben -- auch ich --, sondern weil unsere Landsleute in der früheren DDR -- in den neuen Bundesländern, wie wir jetzt sagen -- bei dem, was sie dachten, was sie empfanden, was sie spürten -- übrigens auch bei all ihrem Ärger gegenüber dem Berlin Walter Ulbrichts, was ebenfalls in dieses Bild gehört --, natürlich das Berlin vor Augen hatten,

das Hauptstadt eines freien, friedlichen und geeinten Deutschland sein würde. Auch deswegen bin ich für die Hauptstadt Berlin; im vollen Sinne des Wortes.

Herr Glotz, Sie haben eine wichtige Frage angesprochen, und ich bin dafür dankbar. Daß Sie mich dabei in eine nahe Verwandtschaft zu Konrad Adenauer stellen, ehrt mich -- und Sie auch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jeder weiß, daß ich ein leidenschaftlicher Europäer bin, und jeder weiß auch -- ich hoffe, das bezweifelt niemand --, daß ich das, was ich tun kann, damit wir in diesem Jahrzehnt den Durchbruch zur politischen Einigung sowie zur wirtschaftlichen und sozialen Einigung Europas erreichen, auch tun werde. Ich möchte erreichen, daß wir in den nächsten drei, vier, fünf Jahren den Prozeß in Richtung auf den Bau, wie es Churchill in seiner Züricher Rede genannt hat, der »Vereinigten Staaten von Europa«, unumkehrbar machen. Dabei weiß ich natürlich auch, daß ein solches vereintes Europa nicht vergleichbar sein wird mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir werden in diesem vereinten Europa genauso wie bisher Franzosen, Deutsche, Briten und Italiener sein. Europa ist von sprachlich-kultureller Vielfalt geprägt -- von der Tradition des Abendlandes aus Christentum, aus Aufklärung, aus Humanismus.

Aber dieses Europa muß ein Europa sein, das mehr ist als das Europa der Zwölf von heute, der EG von heute.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Wenn dieses Europa bliebe, was die EG heute ist -- selbst wenn wir von einer politisch geeinten Europäischen Gemeinschaft ausgehen --, wäre es nicht unser Europa. Zu unserem Europa gehört Nordeuropa. Als mich in der letzten Woche Ministerpräsident Carlsson anrief und mir mitteilte, daß Schweden den Beitrittsantrag stellen werde, sagte ich ihm: Wir, die Deutschen, werden Sie unterstützen. -- Wenn, wie ich hoffe, in den Jahren, die vor uns liegen, Norwegen oder gar Finnland eine solche Entscheidung treffen sollten, werden wir sie unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Aber -- das habe ich am Montag bei der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages gesagt -- es ist unser Wunsch -- ein ganz wesentlicher Wunsch --, daß die Reformstaaten in der östlichen Nachbarschaft, daß auch die CªSFR, Polen und Ungarn den Weg zu diesem Europa finden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Sehen Sie, Herr Glotz, dann ist Berlin eben nicht in einer Randlage, sondern hat eine geopolitisch wichtige, zentrale Funktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das ist der Grund, warum ich glaube, daß Berlin auch im Jahr 2000 oder 2005, wenn sich das Bild des neuen Europa gerundet haben wird, ein guter Standort ist, und deswegen stimme ich für Berlin.

(Lebhafter Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pflüger.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_015
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