Vom Reiz des Vergänglichen und Unfertigen
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Franka Hörnschemeyer hat für einen der nördlichen Höfe des Paul-Löbe-Hauses eine Raumskulptur aus Gitterwänden geschaffen. Die rot- und gelblackierten Eisengitter sind so ineinandergeschoben, dass ein verspieltes und filigranes Raumlabyrinth entsteht, welches die Idee des gärtnerisch gestalteten Heckenlabyrinths aufgreift und neu formuliert. Fünf türgroße Öffnungen laden ein, dieses Labyrinth zu betreten. Es gibt Wege, die hinein- und hinausführen, Räume, die durchquert werden können, aber auch Sackgassen oder geschlossene Kammern. Dank der Gitterstruktur wirkt das Raumgefüge leicht und transparent und öffnet zahlreiche Blickachsen, so dass bei demjenigen, der das Labyrinth betritt, nie der Eindruck entsteht, in einem wirklich abgeschlossenen Raum zu sein.
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Die Gitterwände sind Schalelemente, die zum Herstellen von Wänden im Betonguß verwendet werden. Schalschlösser mit der bautechnischen Bezeichnung „BFD“ halten die Gitter zusammen. Was sonst als bloßes Element zur Herstellung von Wänden dient, ist hier selbst Wand geworden. Die Künstlerin hat die hölzerne Schalhaut entfernt, so dass nur die metallene Gitterstruktur erhalten geblieben ist. Die Gitter bilden verschiedene Teile von Grundrissen der ehemaligen und jetzigen Bebauung des Spreebogenbereiches nach, nämlich sowohl die Grundrisse von inzwischen verschwundenen östlich gelegenen Mauerteilen, Bauen und Hundezwingern der DDR-Grenztruppen als auch Teile vom Grundriß des Paul-Löbe-Hauses. Durch eine axiale Verschiebung sind Grundrißelemente der einstigen und der gegenwärtigen Bebauung miteinander verschränkt – gleichsam schicksalhaft verklammert. So überlagern sich Vergangenheit und Gegenwart, die politische Entwicklung des Ortes wird reflektiert, wird im unmittelbaren Wortsinne greifbar und begreifbar.
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Da die Schalelemente echte Baumaterialien sind, erinnern sie auf den ersten Blick an den Prozeß des Baugeschehens. Mit diesem Eindruck spielen sie auf den Bau des Paul-Löbe-Hauses an und setzen den mächtigen Baukörpern von Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus den Charme des Vergänglichen und Unfertigen entgegen. Auch die Assoziation an Klettergerüste und Spielgeräte liegt nicht fern. Darüber hinaus wird jedoch mit der magischen Figur eines Labyrinths, das in der Mythologie und Kunst des Abendlandes auf eine lange Tradition zurückblicken kann, die Frage nach dem rechten Weg aufgeworfen – ein im politischen Raum gleichermaßen spielerischer und doch ernsthafter gedanklicher Anstoß.
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Die in Osnabrück geborene Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin. In ihren Skulpturen gestaltet sie architektonisch anmutende Raumgefüge, oft aus bereits gebrauchten Baumaterialien. Diese Raumskulpturen sind begehbar und werden für den Betrachter erst beim Umschreiben bzw. Durchschreiten erfahrbar. Die Verwendungen von rauhem Material, das noch Spuren seiner Bearbeitung erkennen läßt, erinnert an ein Ready-made, greift Ansätze der Arte povera sowie des Minimalismus auf und stellt sie zugleich ironisch in Frage.
Text: Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages