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Talk im Knast:
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Meinung ist gefragt. Diskutieren Sie auf
www.mitmischen.de mit den
Bundestagsabgeordneten Dieter Wiefelspütz
(SPD) und Roland Gewalt (CDU/CSU) sowie
mit jugendlichen Straftätern über Jugendstrafrecht und
Jugendkriminalität.
Termin: 16. Februar 2005, 17.15 bis 18.00 Uhr
Countdown in Berlin...
Die Verfassung schreibt vor, dass der Bundespräsident „ohne Aussprache von der Bundesversammlung“ gewählt wird. Ein einfacher Satz, der es in Verbindung mit den Detailbestimmungen jedoch in sich hat und viele Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung schon Monate vor dem Wahltag am 23. Mai intensiv beschäftigt. Denn der Bundestag ist nicht nur räumlicher Gastgeber der Bundesversammlung, er trägt auch die Verantwortung dafür, dass alles reibungslos über die Bühne geht. Keine leichte Aufgabe, denn das Unternehmen „Bundesversammlung“ gleicht einem Jonglieren mit 1.206 Bällen. Hohe Organisationskunst also ist gefragt.
Schon die Zusammensetzung ist eine Wissenschaft für sich. Um die Bundesversammlung so repräsentativ wie möglich für den aktuellen politischen Willen des Volkes zu machen, besteht sie je zur Hälfte aus den Bundestagsabgeordneten und aus Mitgliedern, die von den 16 deutschen Landesparlamenten nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Das bedeutet: Die Kräfteverhältnisse stehen nur im groben Rahmen fest; im Detail sind sie ständig im Fluss. Jede Landtagswahl birgt spürbare Veränderungen, und jeder Wechsel eines Landtagsabgeordneten von der einen in die andere Fraktion kann sich auf die Zusammensetzung der Bundesversammlung auswirken (siehe die Grafiken "Stimmen der Länder bei der Wahl des Bundespräsidenten" und "Sitzverteilung in der 12. Bundesversammlung").
Zudem bringt es die Wahl nach Listen und deren Berücksichtigung nach dem Berechnungsverfahren mit sich, dass im Einzelfall Fraktionen, die sich zu gemeinsamen Listen zusammenschließen, gemeinsam mehr Plätze in der Bundesversammlung besetzen können als allein. Auch passiert es immer wieder, dass am Ende mehrere Fraktionen gleiche Ansprüche auf den letzten verbliebenen Sitz im jeweiligen „Kontingent“ des einzelnen Bundeslandes haben – dann entscheidet das Los.
Lange Zeit ist die genaue Zusammensetzung also ungewiss. Und auch danach bleibt die Aufteilung auf die einzelnen Parteien schwierig. Wenn SPD und Bündnis 90/Die Grünen sich auf gemeinsame Benennungen einigen, sind die Personen dann bei der SPD oder beim Bündnis 90/Die Grünen zu verbuchen? Auffällig für die Bundesversammlung ist zudem, dass die Parteien immer wieder auch bekannte und verdiente Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben wählen, die keiner Partei angehören.
So entschied sich in diesem Jahr die CDU unter anderem für die Designerin Jette Joop und die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein. Die CSU benannte Gloria Fürstin von Thurn und Taxis und Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandschef von Bayern München. Die SPD entschied sich für den DGB-Chef Michael Sommer, den Kabarettisten Otfried Fischer, Bündnis 90/Die Grünen für die Schauspielerin Nina Hoss und Bilkay Öney vom multikulturellen Verein „ImmiGrün“. Für die FDP tritt unter anderem der Chef der Rotkäppchen-Sektkellerei Gunter Heise an, für die PDS der Olympiasieger im Kugelstoßen Udo Beyer.
Sie alle können sich in ihrem Wahlverhalten der jeweils entsendenden Partei verpflichtet fühlen, aber auch für sie gilt natürlich, dass die Wahl geheim ist und sie niemandem Rechenschaft schuldig sind darüber, wo sie in der Wahlkabine ihr Kreuz machen. Das hält die Bundesversammlung spannend bis zur Verkündung des Ergebnisses.
Wie läuft die Mitgliederwahl technisch ab? Da ist zunächst die Bundesregierung am Zuge. Sie stellt fest, wie viele Mitglieder die einzelnen Landtage entsenden dürfen. Dazu erfragt das Innenministerium beim Statistischen Bundesamt die exakte Zahl der deutschen Bevölkerung und deren Verteilung auf die Bundesländer. Dann nimmt die Regierung die Zahl der Bundestagsabgeordneten (derzeit 603) und verteilt eine gleiche Anzahl entsprechend der Verteilung der deutschen Wohnbevölkerung auf die verschiedenen Bundesländer. Das Ergebnis wird im Bundesgesetzblatt veröffentlicht – so geschehen Mitte Januar. Länder mit weniger Einwohnern erhalten weniger Plätze, Länder mit vielen entsprechend mehr. Innerdeutsche Wanderbewegungen schlagen sich in diesem Schlüssel von Bundesversammlung zu Bundesversammlung nieder. Stärker jedoch macht sich die Verkleinerung des Bundestages bemerkbar. Denn seine Größe ist das Maß. So zählte die Bundesversammlung 1999 noch 1.338 Mitglieder, 1994 waren es 1.344. Dieses Mal sind es „nur“ 1.206.
Ein eingespieltes Team
Wer den Bundespräsidenten mitwählen darf, entscheiden die Landtage. Die endgültigen Namenslisten sammelt dann bei der Bundestagsverwaltung das Tagungsbüro. Hier bilden Paul Thelen und Elfriede Gross-Mathes ein eingespieltes Team. Zusammen haben sie schon eine ganze Reihe von Bundesversammlungen vorbereitet – mit zum Teil großer Unterstützung einiger hundert Kollegen. Denn allein der Hauptablaufplan mit den wichtigsten Punkten umfasst 77 Positionen, die alle im Blick behalten werden müssen. Nacheinander zu erledigen ab Mai 2003 von den Bediensteten in zwei Dutzend verschiedenen Organisationseinheiten allein innerhalb der Bundestagsverwaltung.
Da sind Termin und Ort der Bundesversammlung offiziell festzulegen (erst seit 1979 hat sich der Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 als Tradition durchgesetzt), Kontakte mit beteiligten Behörden und den Sicherheitskräften aufzunehmen und die Mitglieder förmlich einzuladen und mit Informationen zu versorgen. Kontingente in Flugzeugen und Hotels müssen gebucht, die Verkehrslenkung geplant und Räume für die einzelnen Fraktionen bereitgestellt werden. Zudem ist die Auszahlung der Reisekosten vorzubereiten und auch die Wahlausweise und Wahlkarten müssen gedruckt werden. Und schließlich ist der Plenarsaal herzurichten.
Fernsehzuschauer kennen die Anordnung der Abgeordnetensitze im Plenum. Aber: Am 23. Mai müssen hier nicht nur 603 Mitglieder des Bundestages Platz finden, sondern 1.206 Mitglieder der Bundesversammlung sowie – das ist zumeist unbekannt – auch noch 69 Ersatzmitglieder. Die werden ebenfalls von den Landtagen nach dem Verhältnisschlüssel gewählt und halten sich bereit, für ordentliche Mitglieder einzuspringen, falls sie etwa plötzlich erkranken oder aus anderen Gründen ausfallen. Immer wieder kommt das sogar noch kurz vor Beginn der Wahlgänge vor.
Tauziehen um die Sitzordnung
Die Bestuhlung muss also nach der letzten Sitzung am 7. Mai binnen kürzester Zeit von 603 auf 1.275 Plätze gebracht werden. Und auch dabei sind im Vorfeld wichtige Fragen zu klären – traditionell entsteht um die Sitzordnung nach der Neuwahl eines Bundestages ein Tauziehen: Wie drückt sich die neue Machtverteilung auch optisch aus? Wie viele Plätze bekommen die einzelnen Fraktionen in der ersten Reihe? Wo werden Gänge zwischen den Stuhlreihen angelegt? All das ist für den parlamentarischen Alltag im 15. Deutschen Bundestag geklärt. Für die 12. Bundesversammlung nicht. Denn nun gelten andere Größenverhältnisse: SPD und Bündnis 90/Die Grünen stellen plötzlich nicht mehr die Mehrheit, CDU/CSU und FDP sind deutlich stärker und auch die PDS ist an diesem Tag mit weiteren 29 Vertretern neben den beiden fraktionslosen Parlamentarierinnen präsent. Die Sitzordnung der Bundesversammlung muss also sorgfältig geplant werden.
Auf alle Eventualitäten stellt sich die Bundestagsverwaltung durch minutiöse Planungen ein. An tausend Kleinigkeiten ist dabei zu denken. Dass die Wegweiser durch die Bundestagsgebäude rechtzeitig angebracht sind, dass die Broschüren mit den Informationen über alle Fragen, die die Wahlleute betreffen, korrekt zusammengestellt, rechtzeitig gedruckt und zum richtigen Zeitpunkt ausgeliefert sind. Berge von Dokumenten müssen in exakter Zusammenstellung genau zur richtigen Uhrzeit an fünf verschiedenen Stellen liegen, damit die Mitarbeiter an den Eingängen zu den Fraktionssitzungsräumen alle Mitglieder mit ihren persönlichen Unterlagen versorgen können. Alles nicht nur mal 1.206 plus 69, sondern zur Sicherheit noch ein weiteres Mal in Reserve, falls bis zum Wahlgang das eine oder andere verloren gehen sollte. Nervosität, Hektik und Aufregung in einer fremden Stadt – da bleibt immer mal wieder etwas im Hotelzimmer zurück. Und auch dann soll das deutsche Staatsoberhaupt mit Hilfe der richtigen Unterlagen gewählt werden.
Die gesetzlichen Bestimmungen zur Bundespräsidentenwahl erfordern flinkes wie flexibles Reagieren der Helfer im Hintergrund bis zur allerletzten Sekunde. Und auch noch darüber hinaus. Denn bekommt kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, folgen bis zu zwei weitere Wahlgänge, bis am Ende die einfache Mehrheit reicht. Und dafür können jeweils wieder neue Kandidaten vorgeschlagen werden. Soll deren Name mit der Hand auf die Stimmkarten geschrieben werden? Natürlich nicht. Also halten die Bundestagsmitarbeiter sich mit einer kompletten Kleindru-ckerei in nächster Nähe bereit, um so schnell wie möglich liefern zu können.
Keine Theorie – 1994 zum Beispiel wurde daraus Praxis. Und das auch noch unter den Bedingungen eines Provisoriums. Denn das Reichstagsgebäude war noch nicht umgebaut, das Parlament noch nicht umgezogen. So stand die Druckmaschine im Plenarsaal bereit, als tatsächlich ein neuer Kandidat genannt wurde. Der Direktor beim Deutschen Bundestag, Rudolf Kabel, machte sich persönlich mit seinen Mitarbeitern ans Werk. Sie bildeten eine Kette. Und sobald ein Stapel Stimmkarten aus der Maschine gekommen war, reichten sie die Karten bis zum Tisch vor den Wahlkabinen durch, damit der nächste Wahlgang laufen konnte. Die Mitarbeiterin am Tisch brauchte bald ein Handtuch, da die Druckerschwärze noch nicht trocken war.
Das Handtuch kann in diesem Jahr im Waschraum bleiben. Es wird keine schwarzen Finger mehr geben. Denn die Laserdrucktechnik hat sich fortentwickelt. Aber auch dieses Mal wird eine Druckdatei vorbereitet sein, in die bei Bedarf nur noch der Name des nachträglich nominierten Kandidaten eingefügt werden muss – und ab geht die Post im benachbarten Paul-Löbe-Haus. Wenn es denn erforderlich wird.
Sicherheit für 5.000 Menschen
Die Bundesversammlung in Zeiten der Terrorbedrohung – da kann auch die Sicherheit der Mitglieder nicht klein geschrieben werden. Und trotzdem soll der Einlass von vielen hundert Ehrengästen, Botschaftern, Medienvertretern und weiteren Besuchern so reibungslos wie möglich ablaufen. Der bundestagseigene Polizeidienst hat neun verschiedene Ausweise vorbereitet, um den unterschiedlichen Zugangsbedarf der wahrscheinlich rund 5.000 Menschen am 23. Mai im Reichstagsgebäude steuern zu können.
Und wenn dann der neunte Bundespräsident Deutschlands die Wahl annimmt und die zwölfte Bundesversammlung geschlossen wird, dann atmen auch die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung kräftig durch und widmen sich erst einmal wieder dem Alltagsgeschäft – bis 2008. Ein Jahr vor der dreizehnten Bundesversammlung laufen die Vorbereitungen wieder an.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: studio kohlmeier
Grafik: Karl-Heinz Döring
Eine Kurzchronik der Bundesversammlungen. |