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Schutz der Kultur oder Gefahr für den Markt?

Bild: Antje Vollmer und Hans-Joachim Otto
Antje Vollmer (re), Bündnis 90/Die Grünen und Hans-Joachim Otto, FDP.

Bild: Hans-Joachim Otto
Im Gespräch: Hans-Joachim Otto ...

Bild: Antje Vollmer
... und Antje Vollmer.

Musikquote im Radio

Wird im Radio zu wenig deutsche Musik gespielt? Brauchen wir eine Musikquote? Was viele Sänger fordern, hat quer durch die Parteien einen heftigen Streit ausgelöst.
Im Streitgespräch diskutieren die Bundestags­vizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) und der kulturpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Hans-Joachim Otto darüber, wie Deutschland zu seinen Künstlern steht.

Blickpunkt Bundestag: Frau Vollmer, brauchen wir, wie über 500 Musiker von Udo Lindenberg bis Xavier Naidoo fordern, eine Radioquote für deutsche Musik?

Antje Vollmer: Die Diskussion darüber gibt es ja schon lange. Inzwischen glaube ich: Ja, wir brauchen die Quote auch als Antwort auf die Globalisierung und darauf, dass unsere Sender von dem, was wirklich passiert in der Musikszene an Avantgardistischem, Schrägem, Ungewöhnlichem, Neuem, viel zu wenig bringen. Wenn der Prozentsatz von Neuvorstellungen im Rock- und Popbereich ungefähr bei einem Prozent liegt, dann ist das demonstrativ zu wenig.

Blickpunkt: Ist das nicht Bevormundung, Herr Otto? Sollte nicht der Markt regeln, welche Musik wirklich gewünscht wird?

Hans-Joachim Otto: Es ist Bevormundung. Auch ist die Zahl nicht richtig, die Frau Vollmer gerade nannte. Es gibt weit mehr als ein Prozent Neuvorstellungen, wenn auch der Anteil höher sein könnte. Wir wollen weder in die Programmautonomie der Sender eingreifen, noch die Hörer und Hörerinnen bevormunden. Das ist auch gar nicht notwendig. Denn deutsche Musik verkauft sich momentan ausgezeichnet, obwohl sie im Radio nicht so häufig gespielt wird. Deshalb ist es keine Antwort auf die Globalisierung, nun mit einer Deutschquote zu kommen.

Vollmer: Das mit den Hörern ist ja ein schönes Argument. Dabei haben Umfragen in vielen Zeitungen ergeben, dass eindeutige Mehrheiten der Leser – zum Teil bis zu 80 Prozent – sagen: Wir wollen mehr hören von dem, was unsere deutschen Bands und unsere deutschen Musiker bringen. Außerdem: Es ist doch absurd, wenn man in den Sendern nichts Neues vorstellt und anschließend sagt, die Leute wollen das nicht hören. Es gibt ein real existierendes Publikum für diese Musik. Nur wird es im Prozentsatz der Sendungen nicht abgespiegelt. Das finde ich, muss den Sendern und ihren Verantwortlichen zu denken geben.

Blickpunkt: Soll die Quotierung für deutschsprachige oder für jede in Deutschland produzierte Musik gelten?

Vollmer: Die Musikerinitiative möchte, dass die Sänger, die hier leben, gehört werden. Juristisch ist es wohl nur so möglich zu machen wie in Frankreich ...

Blickpunkt: ... wo es schon seit Jahren eine Quote von 40 Prozent gibt ...

Vollmer: ... nämlich die eigene Kultur und damit die eigene Sprache zu unterstützen.

Blickpunkt: Und wie soll das durchgesetzt und kontrolliert werden? Mit einer neuen Kontrollbehörde?

Otto: Diese Frage stellen Sie bitte an Frau Vollmer. Ich finde, dass wir so etwas nicht brauchen. Selbst die Nutzer der Homepage der Grünen lehnen eine solche Deutschquote mit überwältigender Mehrheit ab.

Vollmer: Die Umsetzung ist im Übrigen ganz einfach. Wir haben ja schon jetzt die GEMA-Gebühren, über die jedes gesendete Musikstück abgerechnet wird. Mit derselben Elektronik kann man selbstverständlich auch deutschsprachige Musik registrieren. Die Franzosen überprüfen das sogar alle vier Stunden, damit neue Musik nicht allein in die Nachtstunden verlegt wird. Viele Länder machen das inzwischen, die Kanadier, die Polen, die baltischen Staaten, selbst Paraguay. Sie alle reagieren auf die weltweite Monokultur von 40 Hits in den Charts damit, dass sie sagen: Wir wollen auch hören, was unsere Künstler bringen.

Blickpunkt: Wäre eine freiwillige Selbstverpflichtung nicht besser?

Vollmer: Das ist ein Kompromissvorschlag, über den diskutiert wird. Dennoch finde ich, dass die Forderung nach der Quote die richtigere und konsequentere Antwort ist. Die Debatte muss über die Quote angestoßen werden. Leider haben viele Sender, besonders die ARD, den Ernst der Kritik noch nicht begriffen. Die Sender sollten wirklich ernsthaft mit den Künstlern ist Gespräch kommen.

Otto: Ich erinnere daran, dass wir in Deutschland bislang nur in der DDR eine Quote hatten und zwar in Höhe von 60 Prozent. Die meisten DDR-Bürger haben damals Wege gefunden, diese Quote zu umgehen. In einer globalen Welt wird das noch viel einfacher sein. Deshalb ist es unsinnig, deutsche Musik hinter den Schutzzaun einer Quote zu stellen. Wir haben ja eine sehr lebendige deutsche Musikszene, die sich hervorragend verkauft. Das läuft ja nicht nur übers Radio, sondern viel über das Internet. Seit Jahren sind nicht mehr so viele deutsche Titel im Verkauf.

Blickpunkt: Wer wäre der Nutznießer einer Quote? Die jungen, unbekannten oder die ohnehin schon arrivierten Musiker?

Vollmer: Also, zunächst einmal nicht die so genannte Volksmusik, die von den Sendern nun wirklich ausreichend gepflegt wird. Nutznießer wären vor allem diejenigen, die neu einsteigen, denn sie haben die größten Probleme. Bislang werden viel zu wenig Neue aufgebaut. Wir fördern in Deutschland Qualität beim Buch durch die Buchpreisbindung, die seriöse Information durch die Unterstützung der öffentlich-rechtlichen Sender. Warum sollen wir da keine neue deutsche Musik fördern? Sie soll ja nicht privilegiert werden, sondern nur ihre Chance bekommen, überhaupt gehört zu werden. Diese Chance brauchen besonders junge Bands. Deshalb sagen wir auch, die Hälfte der Quote soll für Neuvorstellungen sein, denn wir haben auf diesem Sektor keinen freien Markt.

Otto: Also eine doppelte Quote! Wir haben in Deutschland ohnehin schon viel zu viel Bürokratie, jetzt soll es noch schlimmer kommen. Das darf doch nicht wahr sein. Im Übrigen finde ich es schon seltsam: Die deutsche Rock- und Popkultur hat sich doch teilweise bewusst gegen die Gesellschaft entwickelt und jetzt rufen die Künstler nach einer Staatsquote. Wie weit ist die deutsche Rockmusik eigentlich schon gesunken? Wir brauchen die Quote schlicht und einfach nicht. Auch nicht, um junge Künstler zu fördern. Es kommen immer wieder junge Künstler hoch, junge Menschen hören sie direkt in Konzerten oder laden sich ihre Musik im Internet herunter. Ich verstehe nicht, warum wir jetzt nach einer neuen Bürokratie rufen. Die Grünen sind mal angetreten als eine antiautoritäre Partei und jetzt fordern sie eine Staatsquote. Das ist doch absurd.

Vollmer: Es ist die Aufgabe von Politik, gegenzusteuern, wenn es keinen fairen Chancenausgleich gibt. Das hat schon die Frauenquote bewiesen.

Blickpunkt: Kann man Musik- und Frauenquote vergleichen?

Vollmer: Für die Frauen ist das kein beleidigender Vergleich. Nochmals: Die großen Majors, Warner's zum Beispiel, haben gesagt, dass sie die ganze Deutschsparte aussteuern und nicht mehr bedienen. Auch für die wäre es ein wichtiges Signal, dass die deutschen Künstler zu Hause wieder eine Chance bekommen. Dann würden große Firmen endlich wieder etwas für den deutschen Markt tun.

Otto: Diese Verelendungstheorie greift nicht. Die ganz nüchternen Zahlen belegen: Die deutschen Musiker sind momentan sehr erfolgreich. Man kann fast schon von einer neuen deutschen Welle sprechen. Das ist doch prima!

Vollmer: Das ist schon der erste Erfolg auf unsere Kampagne!

Otto: Das glauben Sie wirklich?

Vollmer: Dafür gibt es klare Anzeichen. Also: Musik ist einfach ein ganz besonderer Stoff. Der spielt im Alltagsleben der Menschen eine besondere Rolle. Das kann jeder aus seiner eigenen Geschichte sehen. Deshalb wundert mich, dass der Überdruss der Leute über immer dieselbe Dudelmusik im Radio erst so spät thematisiert wurde.

Blickpunkt: Aber lassen sich Qualität und Vielfalt über eine Quote erreichen?

Otto: Klare Antwort: Nein. Das werden wir nicht erreichen, oder wir müssen noch eine dritte Quote einführen, eine Qualitätsquote. Ich bin zutiefst der Überzeugung, dass auch heute schon ein Radiohörer, der abwechslungsreichere Musik hören will, ausreichende Formate dafür findet. Deshalb muss ich nicht gleich einschreiten und mit dem Gesetzgeber drohen. Gerade weil Musik ein besonderer Stoff ist, müssen wir uns als Gesetzgeber, als Parlament zurückhalten. Es kann nicht sein, dass wir in Zeiten der Globalisierung und Europäisierung um die deutsche Musik einen Zaun ziehen.

Vollmer: Wir haben in Deutschland eine Kulturtradition, die durchaus mit Förderung zu tun hat. Die Quote ist bei der Musik die einzige Möglichkeit zu signalisieren: Wir wollen, dass ihr existieren könnt. Natürlich ist die Quote keine Garantie für Qualität. Aber sie ist eine Garantie, dass Qualität überhaupt entstehen kann.

Blickpunkt: Machen wir uns mit einer Quote nicht lächerlich?

Vollmer: Nein, wir müssen uns doch fragen: Soll das, was neu wächst, eine Chance haben, sein Publikum zu erreichen, oder geben wir uns mit dem weltweiten Einheitsangebot zufrieden? Andere Länder haben eine bessere Tradition. Die Spanier, die Italiener stehen einfach zu ihren Künstlern. Da kann kommen, was will.

Otto: Auch wir stehen zu unseren Künstlern, Sie haben Chancen und sind erfolgreich. Deshalb gibt es keine Notwendigkeit für die Quote.

Das Gespräch führte Sönke Petersen.
Fotos: Phalanx Fotoagentur
Erschienen am 08. November 2004

Reden Sie mit beim Thema „Musikquote”:
Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen): antje.vollmer@bundestag.de
Hans-Joachim Otto (FDP): hans-joachim.otto@bundestag.de
Redaktion: blickpunkt@media-consulta.com


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