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Termin: 16. Februar 2005, 17.15 bis 18.00 Uhr
Vom Rhein an die Spree
Nach dem Start 1949 in Bonn hatte der Bundestag dreimal die Koffer zu packen. 1986 ging es ins alte Wasserwerk ein paar Schritte weiter Richtung Rhein, 1992 in den modernen gläsernen Rundbau an Stelle des historischen Vorläufers, und seit 1999 ist der Bundestag im gründlich umgebauten früheren Reichstagsgebäude in Berlin.
Die Ouvertüre „Weihe des Hauses“ von Ludwig van Beethoven erklingt als erstes am Nachmittag des 7. September 1949 im Neubau am Rhein, der binnen weniger Monate – zuletzt in Tag- und Nachtarbeit – in Bonn hochgezogen worden ist. Es ist ein Provisorium: Zuschauer sitzen draußen auf Tribünen hinter den Fenstern, die Arbeitsbedingungen für die Abgeordneten sind auch in den Büros beengt – mehrere Parlamentarier teilen sich einen kleinen Raum und ein Telefon. Aber das schwarze Mobiliar, das als breiter, hochgezogener Block an der Stirnseite Bundesregierung, Bundesrat, Sitzungsvorstand, Rednern und Stenografen Platz bietet, ist schon am ersten Tag dort und wird das Bild vom Bundestag für Jahrzehnte prägen. Hinter dem Präsidenten sind auf Vorhängen die Wappen der Bundesländer abgebildet. 1953 wird der
Plenarsaal umgebaut und erweitert. Zur letzten Sitzung der ersten Wahlperiode zieht der Bundestag aus diesem Grund ins Kölner Funkhaus. Bei der Konstituierung des zweiten Bundestages ist die Front neu gestaltet, wird nun beherrscht vom großen Bundestagsadler. Immer wieder finden in den 50er und 60er Jahren auch Plenarsitzungen in Berlin statt – entweder in der Aula der Technischen Universität oder in der Kongresshalle am Rande des Tiergartens.
Der zunehmende Ost-West-Konflikt führt am 7. April 1965 zu massiven Störungen durch Sowjetunion und DDR, woraufhin der Bundestag fortan nur noch Ausschusssitzungen in Berlin abhält. Auch die Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten tagt nach 1969 bis 1989 nicht mehr in Berlin.
Derweil verändert sich in Bonn das Bild: 1968 kann das Richtfest für das Abgeordnetenhochhaus „Langer Eugen“ gefeiert werden, und im Herbst 1969 wird die Optik auch im Plenarsaal korrigiert. Die hohe Balustrade der Bundesregierungs- und Bundesratsbank wird abgesenkt. Von bis dahin acht Querbrettern bleiben fünf übrig. Die Abgeordneten müssen fortan nicht mehr derart extrem nach oben schauen, wenn sie mit Ministern der Regierung oder Regierungschefs der Bundesländer ein Wort wechseln wollen.
Das Bild ändert sich erst Mitte der 80er Jahre, als der parlamentarische Betrieb im alten Plenarsaal wegen der zunehmenden Schäden und Mängel zum Sicherheitsrisiko geworden ist. Das Parlament entschließt sich zum Neubau und zieht für die Zeit von Abriss und Bau in das mit relativ einfachen Mitteln umfunktionierte ehemalige Wasserwerk direkt am Rhein.
Statt 1.170 Quadratmetern steht nun nicht einmal die Hälfte zur Verfügung. Aber die Abgeordneten richten sich in der neuen, intimeren Atmosphäre schnell ein. Am 9. September 1986 tagen sie erstmals im Behelfssaal, und hier tagen sie auch, als am 9. November 1989 die Mauer fällt. In einer beispiellosen Dynamik gewinnt die Wiedervereinigung an Fahrt, und so wird schon vor dem Umzug in das nach allen Regeln der Parlamentsbaukunst entstandene neue Gebäude klar, dass auch dieses neue Haus wieder nur eine Übergangslösung sein wird: Am 20. Juni 1991 entscheidet sich der Bundestag nach einer elfstündigen Debatte für Berlin als künftigen Sitz von Bundestag und Bundesregierung.
Zuvor hat das in den 60er Jahren zum Tagungs- und Ausstellungshaus umgebaute alte Reichstagsgebäude am 4. Oktober 1990 die erste Sitzung des um 144 von der Volkskammer gewählte ostdeutsche Abgeordnete erweiterten Bundestages als gesamtdeutsches Parlament erlebt. Und hier konstituiert sich am 20. Dezember 1990 auch der zwölfte Deutsche Bundestag als erstes Parlament, dessen Mitglieder aus freien Wahlen im wiedervereinigten Deutschland hervorgegangen sind.
Am 30. Oktober 1992 kann dann der Bonner Neubau eingeweiht werden. Der von Günter Behnisch entworfene Plenarsaal zeichnet sich durch seine kreisrunde Sitzordnung und ein Höchstmaß an Transparenz aus, die schon die große, gläserne Eingangshalle prägt.
Abgeordnete, Besucher, Bedienstete, Journalisten – alle richten sich schnell auf die modernen, die Kommunikation fördernden Umstände ein. Derweil laufen die Planungen für den Umbau des Reichstagsgebäudes auf Hochtouren. Der vom Verpackungskünstler Christo verhüllte Reichstag lenkt im Juni und Juli 1995 bereits die Blicke von Millionen Menschen auf die architektonischen Möglichkeiten des historischen Gemäuers.
Am 23. Mai 1999, genau fünf Jahrzehnte nach der Verkündung des Grundgesetzes, tritt erstmals die Bundesversammlung im Plenarsaal des umgebauten Reichstages zusammen. Und nachdem die Sommermonate für einen generalstabsmäßig geplanten Umzug vom Rhein an die Spree genutzt worden sind, ist es wieder ein 7. September – wie vor 50 Jahren – an dem der Bundestag seine Arbeit in einem neuen Plenarsaal aufnimmt.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: picture-alliance, ullstein-bild
Erschienen am 08. November 2004