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Talk im Knast:
Ihre
Meinung ist gefragt. Diskutieren Sie auf
www.mitmischen.de mit den
Bundestagsabgeordneten Dieter Wiefelspütz
(SPD) und Roland Gewalt (CDU/CSU) sowie
mit jugendlichen Straftätern über Jugendstrafrecht und
Jugendkriminalität.
Termin: 16. Februar 2005, 17.15 bis 18.00 Uhr
Pop & Politik
Der Musiksender VIVA und der Bundestag produzierten zum ersten Mal die Polit-Talkshow „Mitmischen.TV“. Jugendliche trafen auf vier Parlamentarier und diskutierten mit ihnen gemeinsam über das Thema Politikverdrossenheit. Heraus kam eine Wunschliste, wie sich Jugendliche Politik im Bundestag vorstellen.
Verkehrte Welt im Bundestag. Im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus sitzen etwa 50 Jugendliche in bunten T-Shirts auf dem Fußboden und bilden eine willkommene optische Abwechslung vor den sonst kahlen, grauen Betonwänden. Scheinwerfer rücken die Farben ins rechte Licht, Kameras suchen sich die beste Einstellung, Techniker und Kabelträger laufen durch die ungewöhnliche Kulisse. Trubel herrscht in dem Haus, in dem es sonst eher ruhig und konzentriert zugeht.
Wie im falschen Film müssen sich auch buchstäblich die Zuschauer des Musiksenders VIVA am 10. November gefühlt haben, als ihnen statt der üblichen Musikclipberieselung plötzlich Politik und der Blick auf das Reichstagsgebäude ins Zimmer flimmerten. Die Musik vom letzten Videoclip klingt noch in den Ohren, da folgt auf einmal der Sprung zurück auf den Boden der Tatsachen. Politikverdrossenheit heißt das Thema der folgenden Sendung.
Doch das Einschalten sollte sich gelohnt haben. Wer dabei blieb, erlebte eine Premiere. Zum ersten Mal kooperierten der Bundestag und der Musiksender VIVA und produzierten gemeinsam die Talkshow Mitmischen.TV, in der Jugendliche mit Abgeordneten aufeinander treffen und diskutieren sollten. Das Internetportal des Bundestages für Jugendliche – www.mitmischen.de (siehe Infokasten auf S. 43) – hat zudem gemeinsam mit dem Musiksender VIVA eingeladen, um über das Thema Politikverdrossenheit zu reden. Statt Videoclips und Stars aus dem Musikgeschäft als Studiogäste gab es in der einstündigen Sendung Politikunterricht kompakt und Abgeordnete zum Anfassen.
Wie in einem Amphitheater sitzen die jungen Zuschauer in einem Halbkreis auf dem Fußboden. Vier Jacketts wollen allerdings nicht so richtig in das Bild passen. Sie gehören Sabine Bätzing, Eckart von Klaeden, Katrin Göring-Eckardt und Cornelia Pieper. Die vier Abgeordneten sitzen noch ein wenig steif auf den Stufen.
Ganz locker plaudert dagegen der 21-jährige VIVA-Moderator Klaas Heufer-Umlauf drauf los, als er seine Gäste und die Politiker in der ungewohnten Kulisse willkommen heißt. Er holt seine Zuschauer dort ab, wo sie sich auskennen: im Musikbusiness. Zum Einstieg wird in einem kurzen Film gezeigt, was berühmte Musiker und Sänger von Politik halten, denn für das VIVA-Publikum haben natürlich andere Leute das Sagen als Parlamentarische Geschäftsführer oder Fraktionsvorsitzende.
Autorität hat für die VIVA-Zielgruppe Bela B von der Rockband „Die Ärzte“ oder „Superstar“ Alexander Klaws. Viel können die Musiker der Politik allerdings nicht abgewinnen. „Schenkt der Oberflächlichkeit keinen Glauben, sondern informiert euch selbst“, fordern die „Ärzte“ die Zuschauer auf. Und auch „Superstar“ Alexander sieht eher seine Generation in der Pflicht: „Wir sind die Zukunft, wenn wir nichts tun, wer dann?“
Dafür, dass sich Jugendliche sehr wohl Gedanken machen um politische Prozesse und Inhalte, ist die Talkrunde im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus der beste Beweis. Die vier Abgeordneten haben es sich mittlerweile zwischen den Jugendlichen etwas bequemer gemacht und hören sich an, was junge Menschen an der Politik zu bemängeln haben. „Versprechen werden nicht gehalten“, „Engagement lohnt sich in Deutschland nicht“ oder „Die Politiker haben keinen Realitätsbezug“, hagelt die Kritik. „Die Kommunikation zwischen Jugendlichen und Abgeordneten muss verbessert werden“, gibt Sabine Bätzing, 29-jährige Abgeordnete der SPD, freimütig zu. Es sei die Sache der Politiker, das Gespräch mit der jungen Generation zu suchen. Und mit gutem Beispiel vorangehend, gibt sie ihre E-Mail-Adresse an und ruft die Jugendlichen auf, den Kontakt mit ihr herzustellen.
Bätzings Kollege Eckart von Klaeden von der CDU/CSU kann die Kritik der Jugend an Politik verstehen. „Entscheidungsprozesse sind für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar. Aber zur Mündigkeit eines Bürgers gehört auch, sich zu informieren.“
Um die Zuschauer auf den gleichen Wissensstand zu bringen, wird ein kurzer Film à la „Sendung mit der Maus“ eingespielt. „Wofür ist so’n Bundestag eigentlich da?“ ist die zentrale Frage. Mit schnellen Bildern und ohne Fremdwörter werden die Hauptfunktionen des Parlaments dargestellt und erklärt. Tenor: „Bundestag macht Politik transparent und überschaubar.“
Wie kommt es aber dann, dass sich so viele Jugendliche dennoch nicht für Politik interessieren, sich von den Abgeordneten nicht ernst genommen fühlen? Wie können Schüler für das begeistert werden, was ihr Leben in vielen Teilen bestimmt? Schließlich legt die Politik die Lehrpläne fest und entscheidet darüber, wie lange Jungs Wehr- und Zivildienst leisten müssen.
Bildung und Bundeswehr werden von den Jugendlichen in der Diskussionsrunde sofort als brisanter Gesprächsstoff aufgegriffen. „Wenn ich mir angucke, wo die Bundeswehr derzeit überall rumhopst, da könnte man mit dem Geld einiges für die Bildung tun“, kritisiert Alexander, der sich in seiner Freizeit im deutsch-polnischen Austausch engagiert. Bei diesem Thema kann Cornelia Pieper, Generalsekretärin der FDP, bei den Jugendlichen punkten. „Die Frage ist doch, ob wir überhaupt noch eine Wehrpflicht brauchen oder ob nicht eine Freiwilligenarmee die bessere Lösung wäre?“ Dafür gibt es Beifall. Auch im Chat, einem Austauschforum im Internet, wird das Thema Bundeswehr nach der Sendung noch einmal aufgenommen.
Fragen und Probleme gibt es viele, die die Jugendlichen interessieren. Schon während der Diskussion im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus spricht Moderator Klaas verschiedene Themen an. Zum Beispiel den Einzug von rechten Parteien in einige Landtage. Warum lohnt sich der Einsatz für demokratische Parteien? „Weil man etwas beeinflussen und bewegen kann“, sagt Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Beim letzten Parteitag der Grünen hätten die jungen Mitglieder beispielsweise einige Entscheidungen verhindern und die Delegierten von ihren Argumenten überzeugen können. Zufrieden sind die Gäste damit noch nicht. Martin, Mitglied der Jugendorganisation des Deutschen Gewerkschaftsbundes, glaubt, „dass es noch mal richtig knallen muss“, damit sich was ändert. „Jugendliche müssen einfach besser mit einbezogen werden. Schließlich sind wir die zukünftigen Wähler.“
Die Wähler von morgen für Politik zu begeistern und sie zu informieren, war das Ziel von Erwin Ludwig, der als Mitarbeiter des Referats Öffentlichkeitsarbeit Mitmischen.TV betreut. „Wichtig ist, dass sich Jugendliche wieder mehr für Politik interessieren, dass sie sehen, dass Politik alle Lebensbereiche betrifft.“
Durch den Jugendsender VIVA hofft Ludwig, die Zielgruppe anzusprechen. „Jugendliche sind eher über das Fernsehen erreichbar als über Printmedien.“ Mit der Sendung ist er zufrieden, lediglich die Sendezeit, 14 Uhr, sei noch verbesserungswürdig. Sie wurde auch im VIVA-Forum als „ziemlich tote Zeitzone für die angesprochene Zielgruppe“ von einem Zuschauer kritisiert. Zunächst ist Mitmischen.TV ein einmaliges Projekt, wenn es jedoch gut bei den Jugendlichen ankommt, möchte Erwin Ludwig die Sendung regelmäßig produzieren.
Dabei kann er sich der Unterstützung der Abgeordneten sicher sein. Auch sie wünschen sich eine Fortsetzung des Formats. So zum Beispiel Eckart von Klaeden, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion. „Wir müssen jetzt darauf achten, dass das keine Eintagsfliege bleibt. Einmal ist keinmal.“
„Mitmischen.TV ist vor allem keine Einbahnstraße, denn nicht nur die Jugendlichen erfahren Neues und Interessantes von den Politikern, sondern auch wir lernen in solchen Runden immer wieder dazu“, unterstützt Sabine Bätzing (SPD) das Projekt.
Auch Cornelia Pieper (FDP) hat die Talkrunde gefallen. „Solche Gespräche, in denen man fair miteinander umgeht und auch mal zuhört, stärken die Demokratie. Mir hat die offene Diskussion mit den Jugendlichen viel Spaß gemacht. Es hat sich gezeigt, dass der Begriff ,Null-Bock-Generation’ ein Klischee ist.“ Und Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) lobt: „Mitmischen.TV ist eine gelungene Idee und ein gutes Format, um Jugendlichen zu zeigen, wie Politiker und Politikerinnen arbeiten, und um Interesse an politischem Engagement zu wecken.“
Die Jugendlichen haben jedoch noch ganz andere Wünsche an die Parlamentarier. Im anschließenden Chat fragt „Caren“: „Könnte man nicht so eine Jugendsprechstunde bei den Abgeordneten einrichten?“ Auch die Themen Ganztagsschule, Studiengebühren oder Gesundheitsreform werden im virtuellen Gespräch mit den Politikern angesprochen. Manch einer hat auch eine ganz menschliche Frage. So will „Steonato“ wissen: „Ist das nicht manchmal mörderlangweilig im Plenum und würde man nicht lieber irgendwas machen, nur nicht da rumsitzen?“
Einig sind sich alle zum Abschluss der Gesprächsrunde, dass die Politik mehr Jugend nötig hat. Die Abgeordneten wollen sich in Zukunft verstärkt für einen besseren Dialog zwischen jungen Leuten und Politikern einsetzen, damit sie wissen, was sie bewegt und wo die jugendliche Musik spielt. Katrin Göring-Eckardt hat sogar etwas ganz Konkretes von den Sorgen der Jugendlichen gelernt: „Ich muss mich unbedingt um das Berufsbildungsgesetz kümmern.“
Mit Mitmischen.TV ist nicht nur der Bundestag auf Tuchfühlung mit der jungen Popwelt gegangen. Die Sendung hat auch für mehr Verständnis für die Probleme der Jugendlichen und Abgeordneten gesorgt. Eine Rede im Bundestag zu halten, ist sicher aufregend und schwierig. Eine jugendliche Talkrunde im Musikfernsehen zu meistern und junge Menschen vor dem Fernseher anstatt für schnelle Musikclips für politisches Interesse oder Engagement zu gewinnen, ist wahrscheinlich eine ebenso große Herausforderung.
Text: Birte Betzendahl, Marc
Heydenreich
Fotos: Media Consulta
Erschienen am 15. Dezember 2004
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