STREITGESPRÄCH ÜBER DEN ATOMAUSSTIEG
Vorrang für die Sicherheit, aber wie?
Mehreren Atomkraftwerken in Deutschland droht die Zwangsabschaltung, weil die Lager-kapazitäten für abgebrannte Brennstäbe fast erschöpft sind. Doch die Genehmigung neuer Castortransporte zieht sich in die Länge, die Betreiber sehen gar einen Ausstieg durch die Hintertür. Darüber sprach die Berliner Journalistin Andrea Ziech mit der energiepolitischen Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Michaele Hustedt, und dem umweltpolitischen Sprecher der CSU-Landesgruppe, Christian Ruck.
|
Michaele Hustedt (links) und Christian Ruck. |
Blickpunkt Bundestag: Rund zwei Jahre, nachdem die frühere Umweltministerin Angela Merkel die Castortrans-porte wegen zu hoher Abstrahlungen der Castorbehälter gestoppt hat, laufen neue Genehmigungsverfahren. Warum hat das so lange gedauert?
Ruck: Weil die Bundesregierung eine Verstopfungsstrategie verfolgt. Die Kraftwerke, die Transporte am dringendsten brauchen, werden bewusst von der Entsorgung abgeschnitten und müssen letztendlich stillgelegt werden. Dabei ist die damalige Grenzwertüberschreitung, die zum Transportstopp führte, längst behoben. Die rot-grüne Bundesregierung hat aber aus den zehn Punkten von Angela Merkel 100 Auflagen gemacht und 1.000-seitige Gutachten eingeholt. Hinzu kommt, dass das Gutachten für die Transporte in die ausländischen Wiederaufbereitungsanlagen als Letztes eingeholt wurde. Dabei gibt es dort die größten Engpässe.
Hustedt: Herr Ruck, das stimmt nicht. Die Gutachten sind gleichzeitig in Auftrag gegeben worden. Das für die Transporte ins Ausland war nur sehr viel komplexer und hat deshalb mehr Zeit benötigt. Außerdem möchte ich einmal an den Anlass für das Prüfverfahren erinnern, nämlich den Riesenskandal, dass die Betreiber die Grenzwerte erheblich überschritten hatten und dies gewusst und absichtlich geheim gehalten haben. Das Ergebnis war der Stopp der Transporte durch Frau Angela Merkel. Die Gutachten behandeln die Frage, ob die damals von ihr aufgestellten zehn Forderungen erfüllt worden sind. Und die 100 Auflagen waren das Ergebnis dieser wissenschaftlichen Überprüfung. Es gibt deshalb auch keine Verstopfungsstrategie, sondern eine ernsthafte Prüfung auf Sicherheit, damit die Bürger und auch die Polizisten, die diese Transporte begleiten, Vertrauen haben können. Es gibt viele Ängste im Zusammenhang mit der Atomkraft, so dass wir mit der Sicherheitsfrage äußerst gewissenhaft umgehen müssen. Sicherheit geht allem vor.
Es gibt viele Ängste im Zusammenhang mit der Atomkraft
Ruck: Das war auch immer unsere Philosophie. Es gibt auch eindeutige Gutachten, zum Beispiel des TÜV, die sagen, dass es zu keinem Zeitpunkt eine gesundheitliche Gefährdung gegeben hat. Ich werfe Ihnen vor, dass Sie, dass die Grünen die Panik, die damals bei der Grenzwertüberschreitung entstanden ist, geschürt haben.
Wird es in nächster Zukunft überhaupt Transporte geben?
Hustedt: Wenn die Genehmigungen erteilt sind, ist das zunächst einmal Sache der Länder. Bei den Transporten nach Gorleben in Niedersachsen gibt es zwei Probleme. Zum einen muss eine Brücke saniert werden, und das ist erst im Frühjahr möglich. Zum anderen sieht sich das Land nicht in der Lage, während der Expo 2000 die Transporte zu sichern, weil die Polizisten bei der Expo gebraucht werden.
Werden Sie dann den Kraftwerksbetreibern die Möglichkeit einräumen, Atommüll in den Atomkraftwerken zwischenzulagern?
Hustedt: Ja, auf Transportgestellen. Einige Betreiber haben bereits entsprechende Anträge gestellt. Schon deshalb stimmt der Vorwurf der Verstopfungsstrategie nicht. Es gibt Möglichkeiten, wie die Betreiber die Zeit überbrücken können, bis Transporte wieder möglich sind. Mittelfristig können dann Zwischenlager genehmigt werden. Aber die Betreiber nehmen dieses Angebot nur sehr zögerlich in Anspruch. Anscheinend setzen sie eher auf Konfrontation.
Irgendwann muss der radioaktive Müll abtransportiert werden
Ruck: Nein, es gibt keine anderen Möglichkeiten, kurzfristig zwischenzulagern. Es dauert drei bis fünf Jahre, bis eine Genehmigung für ein Zwischenlager erteilt wird. Das ist also auch nur eine mittelfristige Lösung. Und damit wird es für einige Kernkraftwerke schon eng. Irgendwann müssen die Behälter mit dem radioaktiven Müll in ein Endlager abtransportiert werden. Darum kommt auch eine rot-grüne Bundesregierung nicht herum.
Die Frage des Transports bleibt auch im Fall des Atomausstiegs ein Problem?
Hustedt: Das ist völlig richtig. Aber im Gegensatz zu Ihnen, Herr Ruck, gehen wir nicht davon aus, dass Gorleben ein geeignetes Endlager ist. Und damit hätten wir dann möglicherweise doppelte Transporte. Der Atommüll muss in 20 oder 30 Jahren in ein Endlager transportiert werden. Aber solange wir nicht wissen, wo das sein wird, ist die beste Lösung: Zwischenlager an den Atomkraftwerken, bis wir ein Endlager haben.
Ruck: Gorleben ist ein Endlager. Das wollen Sie nur nicht wahrhaben. Sie wollen Gorleben nicht, und Sie wollen die Atomkraft nicht. Und Sie werden mit immer neuen bürokratischen Hürden dafür sorgen, dass die ersten Atomkraftwerke vom Netz müssen. Mir geht es darum, rationale Energiepolitik zu betreiben.
Es gibt Forderungen, Transporte erst dann zu genehmigen, wenn es einen Ausstiegsplan gibt. Wäre dies zulässig?
Hustedt: Nein. Die Betreiber haben das Recht auf eine Transportgenehmigung, wenn sie die Auflagen erfüllt haben. Da ist der Umweltminister an die geltenden Gesetze gebunden. Und an die wird er sich halten.
Ruck: Die Politik der bürokratischen Verzögerung und der Nadelstiche ist aber etwas, was unseren Rechtsstaat unterhöhlt. Ein Ausstiegsgesetz ist da die ehrlichere Lösung.
Ausstiegsgesetz im Notfall auch im Dissens durch den Bundestag bringen
Hustedt: Das machen wir ja auch. Wir werden uns mit der SPD auf ein Ausstiegsgesetz einigen, das wir im Notfall auch im Dissens durch den Bundestag bringen. Das wird so sicher sein, dass es auch bei den zu erwartenden Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat. Lieber wäre uns natürlich der Konsens. Wir werden auch noch einen Versuch starten, mit den Stromkonzernen zu sprechen, und dabei den Vorschlag wiederholen, dass die Stromkonzerne mit den Laufzeiten flexibel umgehen können.
Bürgerinitiativen wollen künftig nicht mehr nur in Gorleben und Ahaus, sondern direkt an den Atomkraftwerken versuchen, die Atomtransporte zu verhindern.
Hustedt: Drei bis vier Transporte pro Jahr können vielleicht durchgeprügelt werden. Aber um den laufenden Betrieb zu sichern, ist eine vielfache Zahl von Transporten nötig. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche Menge von Transporten von der Bevölkerung ohne Atomausstieg akzeptiert wird. Der Wettbewerb auf dem Markt führt ohnehin zum Auslaufen der Atomkraftwerke. Seit zehn Jahren ist in Deutschland kein neues Atomkraftwerk mehr gebaut worden. Mit einem geordneten Ausstieg können die notwendigen Transporte in Ruhe und mit Planungssicherheit durchgeführt werden. Wenn es diesen Konsens nicht gibt, wird es weitere 30 Jahre Streit um die Atomkraft geben.
Ruck: Das ist doch scheinheilig. Die Grünen sind doch für diesen Streit und für die Proteste gegen die Atomtransporte verantwortlich. Und es ist auch falsch, dass sich die Atomkraftwerke im Wettbewerb nicht rechnen. Es gibt eine Renaissance der Atomkraft in der Welt. Und meiner Ansicht nach ist es bedenklich, wenn die sich an deutschen Sicherheitsstandards vorbei entwickelt.
Das Land Niedersachsen will die Kosten für die Sicherung der Transporte nicht mehr alleine tragen.
Ruck: Dass 30.000 Polizisten nötig sind, um einen Transport zu schützen, hat doch seine Ursache in der Panikmache, für die auch die Grünen verantwortlich sind. Ich würde einfach wieder zu einer emotionsloseren und rationaleren Diskussion in der Politik zurückkehren. Es ist unbestritten, dass die Atomtransporte nötig sind, um die Sicherheit der Anlagen zu gewährleisten und den Betrieb der Kernkraftwerke zu sichern. Die Länder beklagen sich zu Recht über die hohen Kosten für die Sicherung. Aber dieses Problem lässt sich nur politisch lösen.
Hustedt: Sie haben ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie. Die Menschen können schon selbst denken. Und wenn seit Jahren über 50 Prozent der Bevölkerung für den Atomausstieg sind, wird es Zeit, dass die Politik dies berücksichtigt.
Wie soll die Energiepolitik in nächster Zukunft aussehen?
Hustedt: Wir wollen den Ausstieg aus der Atomkraft auch, um die Auseinandersetzungen zu beenden, die es darüber seit 30 Jahren in der Gesellschaft gibt. Und wir berücksichtigen dabei die unterschiedlichen Interessen. Wir wollen den Konsens, damit wir wieder eine gemeinsame Energiepolitik machen können, die sich der Herausforderung des Wettbewerbs und einer nachhaltigen Entwicklung stellt.
Kernenergie nicht die endgültige Antwort auf unseren Energiebedarf
Ruck: Energiepolitik im Konsens bedeutet für mich, die verschiedenen Probleme unter einen Hut zu bekommen. Das ist eine Energiepolitik, die Ressourcen und Klima schont; die bezahlbar ist und ein Risiko hat, das wir verantworten können. Ich bin auch der Ansicht, dass die Kernenergie nicht die endgültige Antwort auf unseren Energiebedarf ist. Aber ich wehre mich dagegen, mit der Kernenergie jetzt eine völlig irrationale Energiepolitik zu betreiben.