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Oktober 10/2000
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ANHÖRUNG ZUM THEMA RECHTSEXTREMISMUS

In Ostdeutschland etwa viermal mehr fremdenfeindliche Gewalttaten

(in) In Ostdeutschland werden pro 100.000 Bürger etwa viermal mehr fremdenfeindliche Gewalttaten verzeichnet als im Westen. Diese Einschätzung äußerte Professor Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, am 25. Oktober in der Anhörung zum Rechtsextremismus. Veranstaltet wurde das Hearing vom Innenausschuss, vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und von der Enquete-Kommission 'Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements'.

Pfeiffer beschrieb rechtsextreme Gewalt vor allem als ostdeutsches Problem. Zwar gebe es auch im Westen rechtsextreme Gewaltexzesse, doch tatsächlich errechne sich für 100.000 Ausländer im Osten ein etwa 20-faches Risiko, Opfer fremdenfeindlicher Gewalt zu werden. Dort müssten "Skinheads regelrecht suchen, wenn sie einen Ausl.änder zusammenschlagen wollen". Während junge Rechtsextremisten im Westen eine kleine Minderheit darstellten, hätten sie im Osten einen bis zu dreimal so starken Kern. Auf vielen öffentlichen Plätzen beherrschten sie die Szene, es fehle eine spürbare Gegenkultur. Dabei gebe es kein Defizit der Bekämpfung des Rechtsextremismus durch Polizei, Justiz und Verfassungsschutz zu beklagen. Was fehle, sei "eine Zukunftsinvestition Jugend". Wenn Ausländer aus einsichtigen Gründen nicht bereit wären, nach Osten zu gehen, dann sei dafür zu plädieren, "junge Ostler" ins Ausland zu bringen und mit 10.000 Stipendien pro Jahr "quasi Weltoffenheit im Turbokurs" zu erlernen.

Öffentliche Anhörung der Experten vor dem Innen- und dem Familienausschuss
Öffentliche Anhörung der Experten vor dem Innen- und dem Familienausschuss

Mit dem bedrückenden Szenario eines "imaginären Ortes 'Schönbruch' nördlich von Berlin" schilderte Professor Hajo Funke von der Freien Universität Berlin die Atmosphäre der "No-Go-Areas" außerhalb der großen Städte, in denen gewaltbereite junge Neonazis so dominierten, dass es für Jugendliche mit anderen Ansichten und Interessen "kein Entkommen" gebe. In einer solchen Mischung aus rechtsextremer Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Jugendarbeitslosigkeit brauche es "mehr als jene '25plus' Millionen, um zu demokratischer Kultur zu gelangen". 1 Milliarde DM für ein "Community Coaching" sei eher die Größenordnung, in der man rechnen müsse. Wenn von Politikern "der Aufstand der Anständigen" gefordert werde, so müsse es auch den "Anstand der Zuständigkeit" zur Bewilligung geeigneter Mittel geben.

Professor Reinhard Kühnl von der Universität Marburg konstatierte, die gegenwärtige Entwicklung von Rassismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sei Folge einer jahrzehntelangen Politik, die Ausländer immer unter Nützlichkeitsaspekten gesehen und bewertet und Einwanderer "nie als dazugehörig" betrachtet habe. In einer Untersuchung von 13 Staaten stehe Deutschland in der Ecke der wenigen Nationen, in der völkischer Nationalismus tief verwurzelt sei. Auch vermenge sich hierzulande verhängnisvoll Konkurrenzdenken mit wirtschaftlicher Wertschätzung. Asylsuchende Ausländer würden als überflüssige Esser, als Bedrohung des eigenen Lebensstandards angesehen. Zivilcourage, so Kühnl, könne man nicht herbeireden, wenn man gesamtgesellschaftlich die Antifaschisten jahrelang diskriminiert habe – eben jene, die sich couragiert gegen den Rechtsextremismus gewandt hätten.

Professor Gerd Langguth vom Fachbereich Politische Wissenschaften der Universität Bonn kritisierte die Medien am Beispiel der "befreiten Zonen", wenn mit undifferenzierter Übernahme rechtsextremistischer Diktion der Schaden eher vergrößert werde. Stephan Eisel von der Konrad- Adenauer-Stiftung sah Befürchtungen bestätigt, dass mit Mittelkürzungen für politische Stiftungen eine Einbuße an politischer Bildung und demokratischer Wertschätzung einherginge. Wenn rechtsextremistische Straftaten zu 70 Prozent von Jugendlichen unter 21 Jahren begangen würden, müssten gesellschaftliche Institutionen wie Familie und Schule deutlich gestärkt werden. Die Geschichtslosigkeit bei Rechtsextremisten sei nicht zuletzt auf mangelnden Geschichtsunterricht zurückzuführen.

Mangel an sozialer Bindung

Peter Rieker vom Deutschen Jugendinstitut ging wie zuvor Professor Wilhelm Heitmeyer vom Institut für interdisziplinäre Konflikt-und Gewaltforschung auf Ursachen des Rechtsextremismus ein, wonach Gewalt als Erfahrung in der Familie "gelernt" werde. Rieker konstatierte Mangel an sozialer Bindung, fehlende Verlässlichkeit im familiären Umfeld sowie politische Unkenntnis und forderte, den Jugendlichen ein gewaltfreies Aufwachsen (in der Familie) und schulische Erfolge zu ermöglichen.

Bernd Wagner vom Zentrum Demokratische Kultur, Professor Hans-Joachim Heuer von der Polizeiführungsakademie Münster und Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ergänzten die Beiträge durch Darstellung der Strukturen und des Vorgehens rechtsextremistischer Organisationen und erläuterten Lösungsansätze zur Bekämpfung.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0010/0010019
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