Streitgespräch
DIALOG
Streitgespräch über den Haushalt 2002
Schöngefärbt oder solide finanziert?
Der Bundeshaushalt für das Jahr 2002 ist vom Parlament verabschiedet. Rund 484 Milliarden Mark will der Bund im nächsten Jahr ausgeben. Doch der Streit darüber, ob der Haushalt solide finanziert ist oder angesichts einer lahmenden Konjunktur hohe Risiken trägt, hält an. Die Opposition spricht von Schönfärberei, die Koalition von finanzpolitischer Solidität. Darüber führte "Blickpunkt Bundestag" ein Streitgespräch mit den haushaltspolitischen Sprechern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und von Bündnis 90/ Die Grünen, Dietrich Austermann und Oswald Metzger.
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Blickpunkt Bundestag: Finanzminister Hans Eichel hat eingeräumt, der Haushalt sei "auf Kante genäht", also sehr eng ausgelegt. Nährt er damit nicht den Vorwurf der Opposition, der Haushalt sei schon bei der Verabschiedung Makulatur, Herr Metzger?
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Oswald Metzger: Nein, der Finanzminister und die Regierungsfraktionen sind im Gegenteil sehr realistisch. Es ist richtig, dass Deutschland momentan am Rande einer kleinen Rezession entlangschrammt. Wir haben den Begriff "auf Kante genäht" deshalb gewählt, weil wir die Reservepositionen, die ein guter Finanzminister immer in den Schätzansätzen verbirgt, diesmal entrümpelt haben. Denn uns war das strategische Ziel wichtig, auch beim vierten Haushalt in Folge die Nettokreditaufnahme abzusenken.
Blickpunkt: Sie schütteln den Kopf, Herr Austermann. Warum?
Dietrich Austermann: Weil man an den Daten des Haushalts gut erkennen kann, dass sie von bloßem Optimismus statt dem nötigen Realismus geprägt sind. So ist das unterstellte Wirtschaftswachstum viel zu hoch angelegt. In Wahrheit gehen die Wachstumsraten ständig nach unten. Was bedeutet, dass die Steuereinnahmen niedriger und die Ausgaben für den Arbeitsmarkt höher liegen werden als angenommen. Damit brechen wesentliche Eckwerte des Haushaltes zusammen.
Blickpunkt: Hat Rot-Grün den Haushalt auf Luftnummern aufgebaut?
Metzger: Unsinn, wir haben nicht irgendwelche Wirtschaftsprognosen, sondern sehr seriös die offiziellen Steuerschätzungen als Basis für den Haushalt genommen. Und dabei Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt in Höhe von 3,3 Milliarden Euro (6,4 Mrd. Mark) und rund 2,7 Milliarden Euro (5,3 Mrd. Mark) weniger Steuereinnahmen berücksichtigt. Diesen Kraftakt haben wir geschultert. Sicherlich auch dadurch, dass wir Privatisierungserlöse bewusst als Brücke zur Senkung des Defizits im laufenden Haushalt eingestellt haben. Eigentlich missfällt mir als Haushaltspolitiker dieser Rückgriff auf Einmalerlöse, aber das ist immer noch besser als die Nettokreditaufnahme zu erhöhen. Denn damit würden wir die erfolgreiche Sparpolitik dieser Regierung konterkarieren.
Austermann: Aber Sie werden damit keinen Erfolg haben. Denn alles spricht schon jetzt dafür, dass die Nettokreditaufnahme im nächsten Jahr deutlich überschritten wird. Vielleicht fallen Ihnen zur Kaschierung ja noch ein paar Tricks ein, obwohl ich glaube, dass das Arsenal an Tricks erschöpft ist. Was aber vor allem schlimm ist am Haushalt: Es fehlt jede Perspektive. Es gehen von diesem Haushalt keine positiven Signale aus, weder für die Wirtschaft noch für den Arbeitsmarkt. Und das angesichts einer rapide ansteigenden Zahl an Arbeitslosen. Ein Armutszeugnis.
Blickpunkt: Ist der strikte rot-grüne Sparkurs noch vertretbar?
Metzger: Natürlich. Wir sparen uns ja nicht kaputt, sondern versuchen nur, die Fremdfinanzierung herunterzufahren. Im nächsten Jahr nehmen wir noch immer 41 Milliarden Mark (21 Mrd. Euro) neue Schulden auf, um die laufenden Leistungen des Staates zu finanzieren. Da ist der Vorwurf des Kaputtsparens doch absurd. Wir dürfen einfach nicht zu Lasten der Zukunft leben. Dass wir hier einen anhaltenden Wertewechsel erreicht haben, ist der große Erfolg dieser Koalition.
Austermann: Einspruch. Der Finanzminister hat zwar aus Privatisierungserlösen 100 Milliarden Mark (51,1 Mrd. Euro) Schulden reduziert, zugleich aber 183 Milliarden Mark (93,6 Mrd. Euro) neue Schulden gemacht. Das heißt, für den täglichen Verbrauch der Regierungsarbeit wird Vermögen verfrühstückt, mit Sparen und Konsolidieren hat das überhaupt nichts zu tun.
Metzger: Es ist schlicht falsch, was Kollege Austermann sagt. Aber es hat wenig Sinn, uns weiter gegenseitig Zahlen um die Ohren zu schlagen. Die Konsolidierungspolitik dieser Regierung jedenfalls ist vernünftig, richtig und allgemein anerkannt.
Blickpunkt: Wie ist Hans Eichel das Kunststück gelungen, trotz steigender Ausgaben und sinkender Steuereinnahmen beim vorgesehenen Ansatz der Neuverschuldung von 41,3 Milliarden Mark (21,1 Mrd. Euro) zu bleiben?
Austermann: Durch Tricks.
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Im Gespräch: Dietrich Austermann (rechts) ...
Metzger: Nein. Durch ganz offen angesprochene Aktionen. So haben wir bei den Münzeinnahmen zusätzliche Einnahmen von eineinhalb Milliarden Euro (2,9 Mrd. Mark), dann 2,75 Milliarden Euro (5,4 Mrd. Mark) Privatisierungserlöse eingestellt ...
Austermann: ... was früher Verscherbeln von Tafelsilber hieß ...
Metzger: Damit hatte die Regierung Kohl/Waigel viel mehr Erfahrung. Hinzu kommen deutlich weniger Ausgaben für Zinszahlungen. Also bitte keine falschen Verdächtigungen. Hier wurde solide gearbeitet und gerechnet.
Blickpunkt: Keine Tricks, keine Bilanz-kosmetik?
Austermann: Natürlich gibt es eine Reihe von Tricks , die unliebsame Fakten kaschieren sollen. So hat man einfach andere Basiswerte bei der Berechnung des Wachstums und bei den Arbeitslosenzahlen eingesetzt, Rückflüsse von der EU eingeplant, die bisher noch gar nicht feststehen und, was am Schäbigsten ist, tief in die Rentenkasse gegriffen. So etwas hat es bisher noch nicht gegeben.
Metzger: Die Vorwürfe von Herrn Austermann sind unlauter. Denn er verschweigt, dass wir die Schwankungsreserve der Rentenkasse auf eine Monatsausgabe - das sind rund 30 Milliarden Mark (15,3 Mrd. Euro) aufgestockt haben. Die Vorgängerregierung hat sich mit der Hälfte begnügt. Wenn wir jetzt, statt die Rentenbeiträge zu erhöhen, kurzfristig auf einen Teil der Reserve zurückgreifen, erscheint mir dies verantwortbar und auch konjunkturpolitisch durchaus sinnvoll.
Austermann: Nicht kurzfristig, sondern auf Dauer und per Gesetz.
Blickpunkt: Welche Risken liegen in einem Haushalt, der auf einem Wirtschaftswachstums von 1,25 Prozent basiert, wenn inzwischen aber die Prognosen bei nur 0,7 Prozent liegen?
Metzger: Es gibt ja nicht nur schlechte Nachrichten, sondern auch gute. So haben wir zum Beispiel dank der Zinsentwicklung erheblich weniger Ausgaben bei der Schuldentilgung, außerdem haben die Schuldner unserer Republik, an erster Stelle die Russen, in erheblichem Maße alte Verbindlichkeiten zurückgezahlt. Also: Die Lage ist nicht so schlecht, wie sie von der Opposition schwarz gemalt wird.
Austermann: Sie unterliegen einem Zweckoptimismus. Das Schlimme an diesem Budget ist nicht nur seine windige Finanzierung, sondern das drastische Herunterfahren der Investitionsquote im Haushalt. Das ver- schlimmert die ohnehin schlechte Lage am Arbeitsmarkt noch einmal. Mit diesem Haushalt verbinden sich keine aufbauenden Signale. Und die "Tilgung" durch Russland war nichts anderes als ein Schuldenerlass.
Blickpunkt: Sehen Sie trotz der angespannten Lage noch Chancen für das ehrgeizige Ziel von Finanzminister Eichel, bis zum Jahr 2006 ganz ohne neue Schulden auszukommen?
Metzger: Aber sicher. Wenn wir an diesem Ziel nicht festhalten, dann werden wir die Handlungsfähigkeit im Sinne der künftigen Generationen nicht gewinnen. Allerdings müssen wir im Jahr nach der Bundestagswahl, wenn diese Koalition bestätigt wird, ein neues Paket an strukturellen Reformen schnüren, und zwar speziell für Gesundheit und Arbeitsmarkt.
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... und Oswald Metzger
Austermann: Ich gehe davon aus, dass Hans Eichel dieses Ziel aus mehreren Gründen nicht erreichen wird: Zum einen wird er dann seit vier Jahren kein Finanzminister mehr sein, zum Zweiten werden die Grundlagen sich so verschlechtern, dass es der öffentlichen Hand kaum möglich ist, das gesamtstaatliche Defizit 2004 auf Null und das Defizit des Bundes im Jahr 2006 auf Null zu setzen. Wir werden uns leider auf eine viel längere Frist einzustellen haben, auch wenn wir im Herbst 2002 die Regierung übernehmen.