Weiter bergab auf der schiefen Ebene von Pisa?
20.02.02 Ulrike Flach, FDP
Das schwache Abschneiden Deutschlands überrascht kaum. Wir
wissen längst, wo die Schwachstellen unseres Bildungssystems
liegen. Also bitte keine ritualisierte Schuldzuweisungsdebatte,
sondern Anpacken der Probleme. Das beginnt im Elternhaus. Wenn
Kinder nicht betreut werden, können Kindertagesstätten,
Vorschule und Schule die Defizite nur schwer aufholen. Pisa zeigt,
dass Kinder aus sozial schwachen Familien oder mit
Migrationshintergrund es nicht schaffen, ihre Rückstände
aufzuholen. Vorschulerziehung muss deshalb bundesweit geregelt
werden. Hier sind pädagogische Konzepte nötig, die Kinder
spielerisch an das Lernen heranzuführen.
Lernschwache brauchen wie Hochbegabte besondere Unterstützung,
Kinder aus Ausländerfamilien intensive Hilfe beim
Spracherwerb, verbunden mit einer verbindlichen Sprachprüfung
vor der Einschulung. Wir brauchen klare Noten in den ersten
Schuljahren. Die Einschulung sollte in der Regel mit fünf
Jahren erfolgen und nach zwölf Jahren zum Abitur
führen.
Schulzeit muss betreute Zeit sein. Deshalb ist der Entschluss des
Landes Rheinland-Pfalz richtig, jede fünfte Schule in eine
Ganztagsschule umzuwandeln. Bessere pädagogische Betreuung
lässt sich nur mit mehr Lehrern, kleineren Klassen und weniger
Unterrichtsausfall realisieren. Sinkende Schülerzahlen
dürfen nicht zum Abbau von Lehrerstellen missbraucht werden.
Lehrer brauchen Motivation durch praxisorientiertere Ausbildung an
den Hochschulen, durch Bezahlung nach Leistung und
Personalautonomie der Schulen. Schulen sollen regelmäßig
auf ihre Leistung überprüft werden. Dazu benötigen
wir einen gemeinsamen Bildungsbericht von Bund und
Ländern.
Wenn es nicht gelingt, den erhöhten Stellenwert der Bildung
auch finanziell gegenüber den Finanzministern durchzusetzen,
wird es auf der schiefen Ebene von Pisa weiter bergab gehen.
23.02.02 Arno Dalwigk
Irgendwie vermisse ich die Frage, was war früher, als wir noch
im Bildungsspitzenfeld lagen, anders.
Folgende Veränderungen lassen sich auf der ersten Blick
feststellen.
Den Lehrer sind zunehmend die Möglichkeiten sich im Unterricht
Respekt zu verschaffen entzogen worden.
Die Bildungsbasis ist, zugunsten einer Erhöhung des Niveaus,
verschmälert worden.
Jahrzehntelang war die Bildungspolitik ein ideologisches
Schlachtfeld, auf dem sich Parteipolitik ausgetobt hat.
Der Familienzusammenhalt ist in weiten Bereichen schlicht nicht
mehr vorhanden.
Jede Menge alleinerziehende Elternteile, das verschwinden der
Generationenfamilie. etc.
Welche Schlüsse lassen sich nun daraus ziehen?
Es wird eine flächendeckende Einführung der
Ganztagsschule benötigt. Selbstverständlich mit einer
mittäglichen Essenversorgung der Kinder, da immer mehr Kinder
morgens mit unzureichender Ernährung zur Schule kommen. Den
Kinder muß wieder nicht mehr nur Wissen vermittelt, sondern
auch das Lernen gelehrt werden. Entsprechend müssen die
Lehrpläne angepasst werden.
Der Schwerpunkt der Ausbildung muß wieder auf ein breites
Allgemeinwissen abgestellt werden.
25.02.02 Jana Ehlers
Bravo, gute Ansätze !
Wär schön, wenn was davon umgesetzt würde ... nicht
nur in Rheinland-Pfalz ...
J. Ehlers
25.02.02 Iris Herrmann
Bravo, Frau Flach!
Das sollte ihr Hauptwahlkampfthema werden, sie glauben gar nicht
wie viele Stimmen sie bekommen würden (aber bitte auch nach
der Wahl daran halten)!
M.f.G. I.Herrmann
25.02.02 Petra
Hallo,
hört sich alles gut und vernünftig an. Dennoch, es
fängt im Elternhaus an? Eltern betreuen ihre Kinder nicht mehr
und das kann Kindergarten etc. nicht auffangen? Schon möglich,
doch warum sind junge Eltern gezwungen so zu handeln? Kaum eine
Familie kann es sich heute leisten das ein Elternteil zu Hause bei
den Kindern bleibt (wenn man sich den Luxus Kind überhaupt
mehrfach leistet) - schon da muss man ansetzen. Kinder noch
fürher einschulen? Daür sind sie dann früher fertig?
Was soll das bringen wenn sich am Stoff und der Verbreitung nichts
ändert?
PISA darf keinen Feldzug für Schuldzuweisungen bieten, aber
auch nicht für die Einführung irgendwelcher vielleicht
besseren Dinge - es muss der Auslöser für
überparteiliche Zusammenarbeit zum Wohle von Kindern sein. Nur
so kann sich etwas ändern denke ich.
Mit freundlichem Gruß Petra
25.02.02 Dr. Dorothee
Stiewe/Grüne
Meiner Ansicht nach muss mensch bei der Lektüre der
PISA-Studie berücksichtigen, dass SchülerInnen heute ein
ganz anderes Verhalten den Bildungsgütern gegenüber
haben, als es die Jugendlichen früherer Generationen
besaßen: Sie lesen weniger und sitzen mehr am Computer(der
für sie ja auch enorme Möglichkeiten der
Informationsbeschaffung bietet) und am Fernseher. Sie
benötigen deshalb ein besseres methodisches Training und ein
besseres Selbstbewusstsein, um mit ihrer komplizierten Umwelt
fertig zu werden. Meiner Ansicht nach sollten wir schon in der
Lehrerausbildung den Mittelstufenschüler besonders stark in
den Mittelpunkt stellen, weil dieser die meisten Schwierigkeiten
hat, die in einem derartigen Ausmaße in der Oberstufe nicht
vorhanden sind. Bei einer Neuorientierung der Schule wären da
m. E. sowohl methodische als auch soziale Maßnahmen, die
Gesamtschulen erleichtern könnten, notwendig. Das
Nicht-zu-Hause-Sein in der Schule kann weder zu hohen Leistungen
noch zur gesellschaftlichen Integration führen. Wenn die
Jugendlichen z. B. gewalttätig werden, ahmen sie nur das nach,
was sie in den Medien täglich sehen. Und sie müssen sich
schon in unseren Schulen zu Hause fühlen, um sich hohe
Leistungen zuzutrauen und sich freundschaftlich dem anderen
zuzuwenden. Wir sollten also in erster Linie dem jungen Menschen
der Mittelstufe in seinem noch schwachen Selbstvertrauen helfen.
Schule und Eletrnhaus sollten dabei zusammenarbeiten.
26.02.02 Sigrid Müller
Ich finde die gegenwärtige Bildungsdiskussion ziemlich
verkürzt. Bildung ist mehr als Wissenserwerb. Vielmehr geht es
auch um die Auseinandersetzung mit Werten,um den Erwerb von
sozialen Kompetenzen und um Kreativität, um nur ein paar
wichtige Dinge zu nennen. Mit möglichst viel Fachwissen allein
wird eine Gesellschaft bestenfalls Exportweltmeister aber nicht
menschlich.
Wer das alles allein der Schule aufbürden will,
überfordert sie von vornherein, selbst wenn er sie finanziell
noch so hervorragend ausstattet.
Zu bedenken ist auch, dass Schule zwangsläufig etwas mit
Pflicht zu tun hat. Es braucht die Ergänzung durch freiwillige
Angebote. Und nicht wenige Kinder und Jugendliche brauchen auch
eine Ersatzfamilie. Die dürften Kinder und Jugendliche kaum in
der Schule finden.
Abgesehen davon haben sich die Väter und Mütter unserer
Verfassung einiges dabei gedacht, als sie dem Staat eben nicht das
Erziehungsmonopol übertragen haben.
Ich wünsche mir eine wirklich breite Bildungsdebatte, die sich
von einem zu engen Bildungsbegriff befreit. Die
außerschulische Jugendbildungsarbeit, wie sie von den
Jugendverbänden geleistet wird, gehört mit in die
Debatte. Bildung ist mehr als Schule und Wissenserwerb.
In der gegenwärtigen verkürzten Diskussion muss man ja
fast befürchten, dass außerschulische Jugendbildung am
Ende noch als Einsparfaktor, zugunsten der "richtigen" Bildung
herhalten muss.
Sigrid Müller, Jugendbildungsreferentin
06.03.02 Eugen Füner
Frau Flach,
Ihre Aussagen sind recht und schön und man kann ihnen
zustimmen. Aber wissen wir wirklich woran die
PISA-Mittelmäßigkeit unserer Schüler liegt? Setzen
Sie sich bitte für ein Hearing im Bundestag ein und laden Sie
Spezialisten auch internationale ein. Beauftragen Sie das MPI
für Bildungsforschung (Baumert hat TIMMS und PISA in
Deutschland verantwortet) mit der Erforschung der Gründe. Und
dann entwerfen Sie bitte erst Programme und Maßnahmen. Die
Vorschläge der verschiedensten pol. Richtungen von der
Gesamtschuleinführung, der Ganztagsbetreuung bis zur
Förderung der Benachteiligten sind alle wunderbar. Aber ihr
Zusammenhang mit dem schlechten Abschneiden unserer Schüler
wird nur vermutet, er ist nicht erwiesen. Werfen Sie bitte dem
Geld, das für die schlecht ausgebildeten schon z.T. vergeblich
ausgegeben wurde nicht noch mehr hinterher, wenn nicht sicher ist,
dass es hilft.
Und dann noch eins: Herr A. Dalwigk hat sicher recht, dass der
richtige Einstieg sein muss zu fragen, was war früher als wir
noch gut waren anders. Neben den Unterschieden, die Herr Dalwigk
anführte fällt mir ein, dass das Ansehen der Schule in
Deutschland in den letzten dreißig Jahren drastisch gefallen
ist (in Finnland ist das anders, vgl. H. Schmoll, FAZ). Es wird
noch viele andere Unterschiede geben. Erforschen wir sie und ihre
Gründe.
E. Füner
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