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Pisa hat die Systemfrage gestellt

  20.02.02 Jörg Tauss, SPD
Die Pisa-Studie dokumentiert es: Das deutsche Bildungssystem befindet sich in einem unbefriedigenden Zustand.

Hektischer Aktionismus wäre jedoch angesichts der Probleme Augenwischerei. Das deutsche Bildungssystem braucht eine grundlegende Erneuerung. Die alten Instrumente wie eine weitere Differenzierung und Abschottung der Schultypen oder verschärfte Prüfungen werden keine Wende herbeiführen. Gefragt sind vielmehr neue Konzepte. Pisa hat mit aller Deutlichkeit die Systemfrage gestellt. Kleine Klassen, Dialog von Schule und Lernenden, Einsatz neuer Medien und ein motivierendes Klima für Schüler und Lehrer sind die wichtigsten Faktoren einer neuen Bildungspolitik. Wir brauchen vor allem eine differenzierte Förderung des einzelnen Schülers und zwar gerade auch am unteren Ende der sozialen Skala. Das deutsche Bildungssystem muss sich von der Zuteilung von Privilegien verabschieden und endlich dazu übergehen, die Bildungsreserven zu erschließen. Dem dient auch eine gezielte Förderung ausländischer Schüler.

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung bereits zu Beginn der Legislaturperiode mit dem Forum Bildung eine Einrichtung geschaffen hat, in der Bund, Länder und gesellschaftliche Gruppen Einvernehmen über den Handlungsbedarf zum Beispiel bei der früheren Förderung von Kindern und bei der Einrichtung von Ganztagsschulen gefunden haben. Diesem ermutigenden Schritt müssen nun Taten fol-gen. Die vorgeschlagenen Reformen werden nicht ohne zusätzliche Mittel zu verwirklichen sein. Der Bund ist in dieser Legislaturperiode mit gutem Beispiel vorangegangen und hat trotz Haushaltskonsolidierung seine Mittel für Bildung erheblich und kontinuierlich gesteigert. Die Länder sind aufgefordert, diesen Weg mitzugehen.

  23.02.02 Klaus Wollschläger
Besonders der Dialog zwischen Lehrenden u. Lernenden scheint Ihnen u. Ihrer Partei besonders am Herzen zu liegen.
Wie soll ich als Lehrer mit Schülern einen Dialog über ein Thema führen, daß ich mit im Studium erarbeitet habe und das die Schüler noch nicht einmal im Ansatz überblicken?
"Wollen wir Mathe machen? Nein, lieber über das Rockkonzert von gester Nacht reden!"
Das ist die Praxis.
Warum verweigern Sie sich eigentlich vehement gegen eine Zentralisierung der Anforderungen in der ganzen Republik?
Fürchten Sie die Unionsregierten Länder mit weitaus leistungsstärkeren Schülern/ Abiturienten? Vermutlich bricht dabei auch Ihr geliebtes System der leistungsschwächsten Gesamtschulen zusammen. Wahrlich kein Verlust. Geben Sie einen Rahmen vor u. lassen die Schulen das Ganze mit Leben erfüllen u. bereiten Sie die Schüler auf das Leben vor: hier zählt Leistung und sonst nichts, oder wie kamen Sie in den Bundstag? Durch ein "Notabitur" an einer Gesamtschule?
Mit freundlichen Grüßen Klaus Wollschläger

  23.02.02 Dorothee Janssen
es gibt doch genügend Alternativen zum herkömmlichen Schulsystem ! Das lernt man doch in Pädagogik ! Warum haben die Kultusministerien so große Probleme die Erfahrungen von Schulexperimenten und Alternativschulen umzusetzen? Warum traueb sie SchülerInnen und LehrerInnen nicht zu, ihre Lehr- und Lernpläne selbst zu gestalten und zu verantworten? Statt dessen paßt Schule ein ein System an, dass die SchülerInnen nicht verstehen können. Warum fördert man nicht ihr Verlangen nach Bildung, ihr Interesse, ihre vorhanden Fähigkeiten ? Ich vermute, dass es da ein tiefsitzendes Misstrauen gibt. Gut das wir im Internet lernen können, Meinungen frei auszutauschen und einander zu vertrauen.

  23.02.02 Jens Tolkmitt
Ich gebe Ihnen hier in allen Punkten vollkommen Recht, nur reicht es nicht. Es hilft nichts, von Ansätzen und punktuellen Änderungen zu reden, wo grundsätzliches gefragt ist.
Es ist bekannt, dass unter den untersuchten Ländern die Bundesrepublik bei den Ausgaben für Bildung bezogen auf das BSP ganz hinten rangiert. Mir ist auch bekannt und bewußt, dass die Bundesregierung an einer Steigerung "arbeitet". Aber das Resultat in der Praxis?
Alles, was an Mehrausgaben durch die Länder geleistet wird, fressen Kostensteigerungen bei Lehrmaterialien (Schulbücher sind bekanntermaßen exorbitant teuer und für jeden Verlag eine Goldgrube!) und Gehältern wieder auf.
Wie bitte will man einen Schüler motivieren, wenn er zu einem Schulgebäude kommt, dass eher den Eindruck einer Ruine macht, denn eines Ortes, an dem man sich wohlfühlen kann (denn nur dann wird ein Kind auch gerne lernen)? Wie kann es sein, dass Eltern Zensuren für ihre Kinder vor gericht erstreiten können? Warum spricht man nach wie vor der Schule auch ein Erziehungsrecht ab (irgenwie ein Relikt der 68er), obwohl die Kindern den wichtigsten Teil des Tages eben in dieser verweilen? Warum werden Fächer wie Musik und Sport, die sehr wesentlich zur Bildung eines kollektiven Denkens (wenn alle im Chor singen, kann keiner ausbrechen....) beitragen, zunehmend aus dem Lehrplan entfernt? Viele Fragen.....
Auf der anderen Seite wird in der Schule durch die Kinder nur das nachvollzogen, was ihnen in der Gesellschaft vorgelebt wird. Nicht Bildung oder Wissen wird gesellschaftlich präferiert, sondern Geld. Und warum soll dann bitte gelernt werden? Es reicht etwas Glück und man bekommt genug davon (die vermeintlichen Stars aus diversen Fernsehshows sind traurige Motivatuion). Solange man nicht den Stellenwert eines Ingenieurs in D anhebt, solange wird man die notwendige Motivation nicht anheben (wobei der Ing. hier nur als Synonym zu sehen ist).
Notwendig ist m.E. neben einem Umbau des Schulsystemes (ein einheitliches Schulsystem in den wichtigen Fächern wie Deutsch oder Naturwissenschaften hat riesige Vorteile) auch eine Änderung des gesellschaftlichen Stellenwertes. Solange eine Autobahn 100x mehr Wert ist, als ein Schulneubau, solange braucht man sich nicht zu wundern.
Und eine Frage: Warum versucht man nicht, z.B. über Schuluniformen erst einmal wieder in der Schule eine Nivellierung zu erreichen? Wäre ein Ansatz, der zu einer deutlichen verbesserung des Klimas beitragen könnte.

  24.02.02 J. Möller
Ja, es muss sich etwas ändern!
Ich denke das Hauptproblem unserers Schulsystems ist die Dreiteilung nach Ende der vierten Klasse.
Die Kinder erhalten schon hier ihren "Stempel" für die Zukunft.
Jeder Hauptschüler weiß, dass er auf der letzten Stufe einer "Dreiklassenteilung" steht, was für junge Menschen, wie ich denke, alles andere als Motivierung für die Zukunft ist. Hinzu kommt der allgemein schlechte Ruf vieler Hauptschulen..
Weiterhin fehlt der Kontakt von schwächeren Lernern zu stärkeren, so dass ein "voneinander lernen" von vorn herein ausgeschlossen wird.
Nicht ohne Grund ist eine gewisse stigmatisierung von Hauptschülern als "dumme Trottel" auf höheren Schulen zu beobachten. (und umgekehrt)
Ich bin daher der Meinung, man sollte das "Dreiklassenschulsystem" durch ein Gesamtschulsystem oder einem Sytem ählich dem in England oder den USA (allerdings ohne Kosten für die Eltern versteht sich) zu ersetzten.
Mit freundlichen Grüßen J.Möller

  24.02.02 Siegmund Kempmann
Jörg Tauss, SPD hat viele dieser Zauberworte geschrieben, mit der man das deutsche Bildungssystem verbessern könne: kleine Klassen, Dialoge, neue Medien, ein motivierendes Lernklima... Aber die kennen die Praktiker schon lange, nur die Umsetzung funktioniert nicht. Auch deshalb nicht, weil sie die Gesellschaft und vorbildschaffenden Kräfte aus Unvermögen nicht geleistet haben. In der Schule kann man keine materiellen Werte schaffen und auch keine Wahlen gewinnen.
Die Schule , das gilt besonders für die Grund-und Hauptschule - aller Sanktionen beraubt - hat mit einer gesellschaftlichen Respektlosigkeit ihr gegenüber zu kämpfen, die sie von der eigentlichen Aufgabe abhält zu unterrichten.
Die Schule sollte den Schülern eine geistige Auseinandersetzung mit ihren persönlichen Erfahrungen ermöglichen, und sie ermutigen, ihre geistigen Ansprüche gegenüber einer bildungsfernen Umgebung zu bekennen und zu verteidigen.
Es sind nicht die Privilegien, sondern Menschen, die andere dazu befähigen, den dornigen Weg des Lernens zu gehen.
Die" gezielte Förderung ausländischer Schüler" kann nur in der Schule erfolgen, die beginnt in Deutschland mit 6 Jahren!
Zauberworte helfen da nicht weiter...............

  25.02.02 Jana Ehlers
Lieber Herr Wollschläger,
ich möchte zu einigen ihrer Punkte kritisch antworten, obwohl ich weder der SPD angehöre noch Fan der derzeitigen Gesamtschulen bin.
>>Wie soll ich als Lehrer mit Schülern einen Dialog über ein Thema führen, daß ich mit im Studium erarbeitet habe und das die Schüler noch nicht einmal im Ansatz überblicken? "Wollen wir Mathe machen? Nein, lieber über das Rockkonzert von gester Nacht reden!" Das ist die Praxis.

Schade, dass sie als Lehrer ihren SchülerInnen so wenig zutrauen. Zu einem Dialog kann doch auch gehören, sich am Anfang des Themas zu überlegen, welche Fragen die SchülerInnen interessieren würden zum Thema. Zu einem Dialog kann gehören, Zwischenfragen zuzulassen, die nicht dem Lehrplan entsprechen. Zu einem Dialog kann gehören, Themen zur Walh zu stellen. Zu einem Dialog kann gehören, nach einem Thema zu überlegen, was klar oder unklar ist, was gefallen hat oder was nicht. Zu einem Dialog kann gehören, gemeinsam zu überlegen, wo man Antworten zu Fragen finden kann. Zu einem Dialog kann gehören, verschiedene Lösungswege zuzulassen und zu diskutieren ... Von Fächern, die mehr Raum zur Diskussion lassen als Mathematik, mal ganz zu schweigen ...

>>Vermutlich bricht dabei auch Ihr geliebtes System der leistungsschwächsten Gesamtschulen zusammen.

Wie soll auch eine Gesamtschule bestehen, die nur neben dem dreigeteilten Schulsystem steht. Wer die Empfehlung zum Gymnasium hat, den schicken die meisten doch trotzdem zum Gym., damit er nicht in seinen Leistungen gestoppt wird durch Schwächere. Also landen auf den Gesamtschulen mehr die Hauptschüler, die man lieber dahin schickt als auf die "Restschule". Wie soll sich dann das Leistungsniveau ergeben, von dem Sie träumen ?
Mit einer guten Differenzierung kann an Gesamtschulen genauso viel Leistung entstehen wie an den drei anderen Schulen.
Im Übrigen fiel mir in meinem Studium auf, dass die KommilitonInnen, die von Gesamtschulen kamen, wesentlich besser im selbstständigen Erarbeiten von Inhalten waren - sich vielfältige Informationen zu einem Thema beschaffen, Referate vorbereiten etc. war für sie nichts Neues. Diese Fähigkeit zählt für mich mehr als starre "Allgemeinbildung".

>>bereiten Sie die Schüler auf das Leben vor: hier zählt Leistung und sonst nichts

Von Soft-Skills wie Teamfähigkeit etc. noch nichts gehört ? Siehe oben: Ich fand die GesamtschülerInnen besser auf das Leben vorbereitet ...

Schönen Gruß ! J. Ehlers

  25.02.02 Ferdinand Bruss
Aufgrund der Pisa-Studie wird viel über die Schulform geredet, gerade hier in Niedersachsen. Dabei ist es in weiten Grenzen wahrscheinlich egal, wie wir die Schulen organisieren. Wichtig sind vielmehr die ZIELE, und darüber hört man fast gar nichts. Das setzt sich in der Qualitätsdebatte fort: Wer keine Anforderungen definiert, kann auch keine Übereinstimmung mit diesen Anforderungen messen, denndas ist eben QUALITÄT.
Zwei anschauliche Vergleiche mögen hier angebracht werden: Wir haben in Jahrzehnten Fett angesetzt, und wenn wir jetzt mit schnellen Diäten anfangen, wäre das der Anfang vom Ende. Unsere Einstellungen zur Bildung und zum Lernen muss sich ändern. Auch die vieler Eltern, für die die Schule eine andere Art der Kinderbetreuung darstellt. Denn bei dieser Einstellung wären Ganztagsschulen eine Katastrophe. Dann hätte sich "der Staat" auch noch die Elternverantwortung aufgehalst.
Der zweite Vergleich ist die Versicherung: Nur wenn ich früh investiere, kommt am Ende ordentlich etwas heraus. Das heißt Elternhaus, Kindergarten und Grundschule müssen gestärkt werden, um die vorhandenen Potentiale rechtzeitig zu entwickeln.

  26.02.02 Dr. G. Haubold
1. Das deutsche Schulsystem krankt daran, daß es von der Leistung wegerzieht. Selbst das dümmste Gewäsch wird noch als "wertvoller" Beitrag hochstilisiert. Wenn ein Schüler der 11. Klasse im Deutsch-Leistungkurs in einem Aufsatz mehr als 80 orthographische Fehler bei ca. 600 Wörtern macht, muß das stärker in Rechnung gestellt werden, ein lächerliches Pünktchen Abzug bringt gar nichts. Und wer nicht weiß, worum es beim "Pythagoras" geht, dem nützen weder Dialogbereitschaft noch sonstige "Kompetenzen". Auch das schlichte, einfache Lernen muß wieder zur Schule gehören.
2. Die gymnasiale Oberstufe krankt daran, daß viel zu viel Spezialwissen behandelt wird, obwohl es an den Grundlagen fehlt. Beispiel: Was nützen einem Schüler, der zufällig nicht Biologie oder Medizin studieren will, die hochgestochenen Inhalte der Molekulargenetik, wenn er nicht einmal ein Gänseblümchen von einem Löwenzahn unterscheiden kann.
3. Die Abwählerei in der Oberstufe produziert nur noch Halb- oder Viertelbildung. Wer Physik abwählt und dann höchst gelehrt über Kernkraft spintisiert, weiß im allgemeinen nicht, wovon er redet. Insgesamt ist das Abitur nur noch ein Rechenexempel zur Optimierung der Bequemlichkeit. Das "Einbringen" von Kursen ist doch nichts anderes Dünnbrettbohren.
4. Die Schuldiskussion bringt in weiten Teilen nur hohle Phrasen ohne Inhalt. Offenbar ist es ein pathologisches Symptom der (west-)deutschen Gesellschaft, banale Inhalte durch wissenschaftlich klingende Phrasen zu übertünchen und die Wahrheit zu verschleiern. Der Schüler braucht keine "Lesekompetenz" (was immer das auch sein mag), er muß lesen können!
5. Die Lehrer müssen wieder mehr Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Faulheit und Unverschämtheit bekommen. Wer im Gymnasium innerhalb eines Vierteljahres dreimal geschwänzt hat, sollte die Schule verlassen müssen. Wer zum 3. Mal dieselbe Hausaufgabe "vergessen" hat, sollte das mit einer "6" belohnt bekommen, usw.
6. Das Bild des Lehrers in der Öffentlichkeit, das über Jahrzehnte hinweg aus ideologischen Gründen demontiert wurde, bedarf dringend einer Aufbesserung. Unsere Lehrer sind keine "faulen Säcke" (Originalton G. Schröder), sie weinen auch nicht alten Zeiten nach, sie stehen mitten im Leben als Puffer zwischen nur zu oft arroganten und faulen Schülern und bequem gewordenen Eltern, die auch einmal daran denken sollten, daß auch sie selbst einen Erziehungsauftrag haben (wenn es um Kindergeld und Kinderfreibeträge geht, sind sie doch sehr aktiv).
7. Das dezentralisierte Schulsystem bringt automatisch Verwerfungen. Selbst wer nur innerhalb eines Bundeslandes umzieht, bekommt den Partikularismus zu spüren. Wieviel schlimmer ist es für Eltern und Schüler, wenn der Umzug grenzüberschreitend ist. Im Übrigen wirft das natürlich die Frage nach der Vergleichbarkeit der Abschlüsse auf. Da praktisch jeder Schüler sein Abiturzeugnis hinsichtlich des Fächerkanons selbst bestimmen kann, wie soll eine Zentrale Vergabestelle die Abiturnoten noch objektiv bewerten können? Übrigens: Artikel 5, Absatz 3 Grundgesetz gilt nur für Universitäten u. dgl., aber nicht für allgeminbildende Schulen.
8. Die Praxis ist das Kriterium der Wahrheit. Wem die Ergebnisse der PISA-Studie, die Klagen von Handwerksmeistern, Universitätsprofessoren u.a. noch nicht genügen, der möge sich doch die häufig dämlichen (Entschuldigung!) Antworten bei Quiz-Sendungen anhören.

  26.02.02 Martin Verlinden
Es fehlt offenbar eine genügend starke politische Lobby für Familien. Leider haben bei den Parlaments-Wahlen die Stimmen von z.B. 21 ledigen Lastwagenfahrern mehr Gewicht als die Stimmen von 20 Alleinerziehenden mit 30 Kindern. Solange wir daher das Wahlrecht nicht in ein FAMILIENWAHLRECHT umändern und von den Eltern pro Kind ein Stimme mehr abgegeben werden kann, wird sich kaum etwas grundsätzliches an der Lage von Familien, Jugendlichen und Kindern ändern.
Bildungskonzepte und -investitionen müssen stärker am tatsächlichen Bedarf von Familien ausgerichtet werden. Also brauchen Eltern und Kinder erheblich stärkere Mitwirkungsrechte als bisher.

  26.02.02 Sigrid Müller
Ich finde die gegenwärtige Bildungsdiskussion ziemlich verkürzt. Bildung ist mehr als Wissenserwerb. Vielmehr geht es auch um die Auseinandersetzung mit Werten,um den Erwerb von sozialen Kompetenzen und um Kreativität, um nur ein paar wichtige Dinge zu nennen. Mit möglichst viel Fachwissen allein wird eine Gesellschaft bestenfalls Exportweltmeister aber nicht menschlich.
Wer das alles allein der Schule aufbürden will, überfordert sie von vornherein, selbst wenn er sie finanziell noch so hervorragend ausstattet.
Zu bedenken ist auch, dass Schule zwangsläufig etwas mit Pflicht zu tun hat. Es braucht die Ergänzung durch freiwillige Angebote. Und nicht wenige Kinder und Jugendliche brauchen auch eine Ersatzfamilie. Die dürften Kinder und Jugendliche kaum in der Schule finden.
Abgesehen davon haben sich die Väter und Mütter unserer Verfassung einiges dabei gedacht, als sie dem Staat eben nicht das Erziehungsmonopol übertragen haben.
Ich wünsche mir eine wirklich breite Bildungsdebatte, die sich von einem zu engen Bildungsbegriff befreit. Die außerschulische Jugendbildungsarbeit, wie sie von den Jugendverbänden geleistet wird, gehört mit in die Debatte. Bildung ist mehr als Schule und Wissenserwerb.
In der gegenwärtigen verkürzten Diskussion muss man ja fast befürchten, dass außerschulische Jugendbildung am Ende noch als Einsparfaktor, zugunsten der "richtigen" Bildung herhalten muss.
Sigrid Müller, Jugendbildungsreferentin

  27.02.02 Holger Schneider
Guten Tag,
das eigentliche Problem liegt nicht in den weiterführenden Schulen. Die Grundschule an sich bietet keinen ausreichenden Lehranteil mehr. Übertriebende Pädagogik und das ständige Motivieren der Kinder immer dem Lehrer zu zuhören, der sich mehr als Clown aufspeilen muss, als den Kindern etwas beizubringen.
Wieso sollten die Kinder mit 6 schon einen Computer bedienen können, wenn sie nicht einmal wissen, was auf dem Monitor vor ihnen steht?. Warum sollten die kinder jetzt schon Englisch lernen, wenn der Lehrer ihnen nicht mal deutsche Grammatik nahe bringen kann? Warum hören die Zuständigen nicht auf das Flehen der Lehrer der weiterführenden Schulen?
Ausserdem steht das Problem im Raum, dass der Lehrer keine Respektsperson mehr darstellt. Wie sollen Kinder von ihm etwas lernen, wenn sie sich lustig über ihn machen? Und diese Respektlosigkeit setzt sich ja dann auch weiter auf die weiteren Lebensabschnitte: Berufsschule, Arbeit oder soziale Auftritte. Ein Kind wird nur einmal in seinem Leben erzogen und diese Möglichkeit wird schon in der Grundschule vergeben. Was soll ein Gymnasiallehrer da noch verändern?
Was lange währte, ist nun falsch? Das glaube ich nicht. Schmeiße sie diesen pädagogischen Qatsch über Bord! Konzentrieren sie die Kinder auf die wichtigen Fächer! Konfrontieren sie Schüler mit dem Leben (Noten, Tests,....)!
Danke fürs Lesen!

  28.02.02 Helmut Pohl
Ein Problem, zum Beispiel hier bei uns in Bayern, ist sicher das dreigliedrige Schullsystem, das seinen Ursprung im Ständestaat des ausklingenden 19. und begindenden 20. Jahrhundert hat. Nach der 4. Klasse werden Kinder nach Zehntelnoten(!) aussortiert und in ein System gezwungen, das mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit kaum noch etwas zu tun hat. Immerhin wird wenigstens die Ganztagsbetreuung der Kinder auch bei uns zum offiziellen Thema.
Schule endet aber nicht mit der Vollzeitschule herkömmlicher Prägung. Lebenslanges Lernen ist angesagt. Unsere Gesellschaft ist einem immer schneller ablaufenden wirtschaftlichen Wandel unterworfen. Ist die berufliche Erstausbildung im Berufsbildungsgesetz noch ausreichend und vor allem für die ganze Bundesrepublik verbindlich verankert, so mangelt es seit Bestehen des Gesetzes an entsprechenden Vorschriften für die berufliche Fort- und Weiterbildung.
Der Bund sollte seine Gesetzgebungskompetenz bei der Berufsbildung konsequenter nutzen und wenigstens auf diesem Gebiet einheitliche Vorgaben für Deutschland schaffen. Die zur Zeit viel gescholtene Bundesanstalt für Arbeit gibt viel Geld für die Fort- und Weiterbildung aus. Vielfach versickert das Geld jedoch, ohne dass ein messbarer Erfolg erzielt wird.
Was wir brauchen, sind verbindliche Inhalte für die Fort- und Weiterbildung, wie sie zum Beispiel in den Ausbildungsberufsbildern (vorbildlich) festgeschrieben sind. Die Anforderungen an die größtenteils privaten Anbieter für berufliche Fortbildung sind nirgends einheitlich geregelt. Es gibt keine Mindeststandards für die Qualifikation der Kursleiter und Dozenten. Entsprechend katastrophal sehen gelegentlich die Ergebnisse der Erwachsenenbildung aus.
Dabei haben wir mit der Berufsschule eine Institution, die das in hervorragender Weise erfüllen könnte. Sowohl die sachliche als auch die personlle Ausstattung lassen kaum Wünsche offen.
Meine Anregung lautet: Aufnahme der beruflichen Fort- und Weiterbildung in das Berufsbildungsgesetz, Festlegung von Mindeststandards und bundesweit anerkannten Abschlüssen sowie die Einbeziehung vorhandener Einrichung wie die Berufsschule als Lernort für die praktische und theoretische berufliche Fort- und Weiterbildung.
Viele Grüße - Helmut Pohl

  01.03.02 Manuel Kirsch
Das 3-gliedrige Schulsystem ist extrem unflexibel, da SchülerInnen schon nach der 4.Klasse selektiert werden. Das Schulsystem darf nicht der Aufteilung von Humankapital dienen, sondern muss in erster Linie mündige Bürger heranziehen. Wenn in der Schule systematisch die Seele der Kinder durch Willensbrechung und Unterwerfung gemordet und Kritik unterdrückt wird, hat das Schulsystem eindeutig versagt.

  05.03.02 Dr. G. Haubold
Verehrter Herr Kirsch,
Ihre Äußerung ist der typische Fall von (west-)deutscher Phrasendrescherei. Wenn Sie "mündige Bürger" erziehen wollen, was auch das natürliche Ziel von Eltern und Schule ist, ist die erste Voraussetzung dazu eine möglischst umfassende Bildung. Und zu dieser Bildung gehört natürlich auch Wissen und nicht bloß Geschwätz. Wie wollen Sie Wissen vermitteln, ohne daß dabei gelernt wird? Und wie soll sich später der Herangewachsene als "mündiger Bürger" behaupten, wenn ihm zur Auseinandersetzung mit dem Staat, Vorgesetzten, anderen gleichfalls "mündigen Bürgern" das nötige Sachwissen fehlt? Als der Lyriker Reiner Kunze nach seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik nach seinen ersten neuen Eindrücken gefragt wurde, äußerte er unter anderem: "Sie urteilen ohne zu wissen". Das war, glaube ich, 1979. Was würde er wohl heute sagen?
Und wenn Sie die Schule - und damit auch die Lehrerschaft - als seelenmordendes und kritikunterdrückendes Instrument diffamieren, tragen Sie gewiß nicht zur Versachlichung der Diskussion bei.

  08.03.02 Sylvia
Also, Ganztagesschulen und Foerderung vor allem am unteren Ende der Skala hilft uns nicht weiter. Fruehzeitige Foerderung schon - man muss die Kindergaerten NICHT von Buchstaben und Zahlen befreit halten - vor allem nicht, wenn die Kinder eigentlich Interesse zeigen.
Und - Differenzierung vor allem in den niedrigen Klassen, eigentlich aber ueberall ist das Zauberwort.
Es kann nicht angehen, dass ein Kind - schon mit 5J. eingeschult in der ersten Klasse nichts als Schreibschrift lernen darf. Wem schadet das, wenn dieses Kind auch Aufgaben bekommt, die seinem Leistungsniveau entsprechen., Und wenn ein anderes Kind laenger zum Lesen lernen braucht, schadet es ihm nicht, wenn es die Zeit kriegt. Und der Klasse auch nicht, da diese dann nicht warten muss. Was ist falsch an konsequenter Differenzierung!!! Natuerlich - es kostet mehr Geld, weil die Klassen kleiner sein muessen. Aber wann begreifen die Damen und Herren Politiker endlich, dass nur so eine gute Zukunft fuer unsere Kinder entstehen kann.
Und noch was: Foerdern der Schwaechsten hebt die Statistik mehr an als Foerdern der Besten. Leider werden Gelder entsprechend ausgegeben und total vergessen, dass letztere auch Extra-Foerderung brauchen.

  09.03.02 Andreas Zorn
Wenn Pisa die "Systemfrage" gestellt hat, dann ist zu überprüfen ob das Systemverständnis nicht u.U. verkehrt ist! Solange Politiker der Ansicht sind, daß Bildung erst mit dem Eintritt in die Schule beginnt, wird sich auf längere Sicht nichts ändern. Hier und da ein paar "Schönheitsreparaturen" am Schulsystem werden wenig bewirken. Es Bedarf eines Perspektivenwechsels: Bildung beginnt bereits von Geburt an (evtl. sogar schon im Mutterleib). Die ersten Jahre bis zum Schuleintritt sind grundlegend, fundamental oder auch elementar für den weiteren Bildungsprozeß. Die Elementarpädagogik hätte hier die Chance den Kindern gute "Fundamente" für ihre weitere Entwicklung mitzugeben, ähnlich wie guten Fundamenten die ein Haus tragen, ihm den notwendigen Halt bieten. Leider findet die Arbeit in den Kindertagesstätten viel zu wenig gesellschaftliche Anerkennung und wird zudem durch sogenannte "Sparzwänge" (Kürzungen) behindert / erschwert. Lernen ist Sache von Anfang an! Eine vernünftige Politik sollte mehr in die Entwicklung stecken, als zu reparieren. Elementare Pädagogik in Kindertagesstätten ist aktive Entwicklungsbegleitung der nachwachsenden Generation. Hier muß investiert werden, da hier die besten Entwicklungsmöglichkeiten vorhanden sind. Kinder die bereits früh in ihrer Lernfreude gefördert werden und voll Neugierde ihr Weltwissen erweitern, die aktiv die Lebenswelt erkunden und explorative Gänge unternehmen, bei denen sie begleitet werden, bilden die besten Voraussetzungen aus für die Schule und ein lebenslanges Lernen.


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