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Das Parlament
Nr. 03-04 / 19.01.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Martin Arnhold

Am Ende soll Gott aus der Misere heraushelfen

Der Schweizer Rechtspopulist Blocher zwischen Sachzwängen und Versprechungen

Mit dem Justiz- und Polizeidepartement hat der am 10. Dezember 2003 in die Regierung gewählte Schweizer Rechtspopulist Christoph Blocher erhalten, was er nach Meinung der Linken verdient hat. Schließlich ist seine Schweizerische Volkspartei (SVP) dank ständiger Attacken gegen das Asylwesen zur stärksten Fraktion im Nationalrat geworden. Lieber hätte sich Blocher seine Meriten als Sparer im Finanzministerium verdient.

"Die Wende", jubelte die Christoph Blocher ergebene "Zürcher Weltwoche", und auch die meist bürgerliche Schweizer Presse schwenkte und machte einen Hofknicks: Die Wahl Blochers in den Bundesrat sei staatsmännisch, weise. "Blocher einbinden", beschrieben nun unisono fast alle Medien die neue Taktik. Schließlich sei die SVP-Wählerschaft so stark gewachsen, weil Blocher Oppositionspolitik betrieb, und das, obwohl seine Partei in der Regierung eingebunden war. Damit eigneten sich selbst kritische Medien die Argumente der SVP an. Die hatte - nachdem sie als Siegerin der Parlamentswahlen vom 19. Oktober feststand - noch am Wahlabend einen zweiten Sitz in der Regierung gefordert. Und zwar ultimativ für Blocher. Das bedeutete nichts anderes, als dass die große Wahlverliererin, die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die nun schwächste der Regierungsparteien (Sozialdemokraten und die Freisinnige Demokratische Partei haben unbestritten je zwei Sitze) auf einen ihrer Sitze verzichten solle. Die Regierung wird durch die Vereinigte Bundesversammlung, also durch den National- und Ständerat (Vertreter der Kantone) gemeinsam gewählt. Rechnerisch besitzen CVP, SP, Grüne und Kommunisten gar eine knappe Mehrheit. Doch seit dem 10. Dezember ist klar, dass sich Blocher trotzdem auf der ganzen Linie durchsetzte. Mehr noch: Während die Wahl Blochers in die Schweizer Regierung vor allem im Ausland für Schlagzeilen sorgte, ärgern sich viele Schweizer grundsätzlich über die neue Regierung. Ausgerechnet die junge Ruth Metzler, die noch keine 40 Jahre zählt, musste dem 63 Jahre alten Christoph Blocher weichen. Und anstatt der Bernerin Christiane Beerli, der ehemaligen Fraktionschefin der FDP, wurde als Ersatz für den zurückgetretenen Finanzminister Kaspar Villiger der 61-jährige rechtsfreisinnige Appenzeller Hans-Rudolf Merz in den Bundesrat gewählt. Fazit: Wegen der unklugen Taktik der CVP, die mit den Sozialdemokraten und den Grünen ein Zweckbündnis mit dem Ziel einging, beide Sitze zu halten, sind nun in der neuen Regierung nicht nur die Kräfte der Mitte, sondern auch die Frauen kaum vertreten. Der Affront gegen die urbane, moderne Schweiz provozierte bereits Demonstrationen in Zürich, Bern, Basel und Genf. Der Bundesrat ist als Ganzes konservativer geworden. Der neue Bundesrat Merz ist wie Blocher ein Wirtschaftsliberaler. Böse Zungen nennen ihn spöttisch Bonsai-Blocher. Die Altherrenriege mit Dame (Außenministerin Micheline Calmy-Rey) wird mit Sicherheit in Fragen der Asylpolitik eine schärfere Gangart einschlagen. Deshalb ist die Wahl Blochers in die Regierung auch fragwürdig. Den Preis für dieses politische Experiment müssen die Flüchtlinge bezahlen. Doch das Gespenst des Faschismus, das nun einige Gruppen an die Wand malen, wird dem Phänomen Blocher nicht gerecht. Er selbst sagte salopp, er sei zu alt, um noch Diktator zu werden, aber jung genug, um etwas zu bewirken. Blocher orientiert sich nicht an Jörg Haider oder Jean-Marie Le Pen. Der Zürcher SP-Nationalrat und Politologe Andreas Gross verglich ihn im Deutschlandfunk mit Franz-Josef Strauß. Blocher ist kein verbrämter Fremdenfeind. Aber er nutzte die Ängste vieler Bürger vor der so genannten Überfremdung und gewann damit Wählerstimmen: Seine SVP ist heute die stärkste politische Kraft in der Schweiz und hat die bürgerliche Konkurrenz weit hinter sich gelassen. Bei einem Ausländeranteil von über 20 Prozent darf allerdings in der Schweiz auch eher von Integrationsproblemen gesprochen werden als in den meisten EU-Ländern. Blocher ist ein Sozialabbauer, ein Steuersenker und Deregulierer. Er ist ein Mann mit Widersprüchen: Sein Albtraum ist die Verfilzung von Wirtschaft und Politik, obwohl er selber Unternehmer und Politiker ist. Er ist ein Gegner der EU, nutzt aber als Besitzer des Autozulieferers Ems-Chemie geschickt Vorteile, die ihm die Union ermöglicht. In seinen Betrieben arbeiten viele Ausländer, die er auf der politischen Bühne wiederum bekämpft. Die Auseinandersetzungen mit seinen politischen Gegnern führt er mit offenem Visier. Und wenn er mit der Faust auf den Tisch haut und poltert, weckt dies andere Erinnerungen als etwa in Deutschland. Die schweizerische Demokratie ist alt und sehr gefestigt. Das Land kennt keinen Führer, an den es erinnert werden könnte.

Die Risikobeurteilung bei der Integration eines so genannten Rechtspopulisten in eine Regierung fällt in der Schweiz zwangsläufig anders aus als in anderen Ländern. Das Regierungsgremium, der Bundesrat, funktioniert als Kollektiv. Wichtige Entscheidungen werden zwar mit Mehrheitsabstimmung gefällt. Nach außen tritt der Bundesrat aber mit einer Stimme auf. Das bedeutet, dass ein Bundesrat, der im Gremium unterlegen ist, gleichwohl öffentlich die Gesamtmeinung äussern muss. In dieser Runde ist Blocher einer von sieben. Selbstkritik scheint nicht seine Stärke zu sein, er brüskiert oft und hat bereits angekündigt, sich auch in die wichtigen Dossiers seiner Regierungskollegen einzuarbeiten und dann mitzureden. Die Zusammenarbeit in diesem Siebenergremium, das einer Zwangsgemeinschaft gleich kommt, dürfte deshalb in Zukunft noch schwieriger werden. Zwar hat die Schweiz jedes Jahr einen im Turnus wechselnden Bundespräsidenten, doch der hat eher Repräsentationspflichten. Die Machtfülle eines deutschen Bundeskanzlers besitzt kein eidgenössischer Politiker.

Blocher wird lernen müssen, im Bundesrat anders aufzutreten, als er dies gewohnt ist. Der Milliardär hat seine Ems-Chemie in ein erfolgreiches Unternehmen verwandelt. Doch Auftritte im Patriarchenstil dürften in Bern kaum gefragt sein. Als Bundesrat wird Blocher zudem die Nähe zur SVP, die wie keine andere Partei auf seine Person zugeschnitten war, meiden. Zudem gibt er das Präsidium der "Aktion für eine neutrale und unabhängige Schweiz" (AUNS) ab. Dieses Sammelbecken patriotisch Gesinnter mit fragwürdiger Nähe zum rechtsextremen Spektrum erwies sich in der Vergangenheit als zuverlässige Speerspitze in Blochers Kampf gegen die "Classe Politique", der er nun als hoher Repräsentant selber angehört. Hier zeichnet sich Blochers Dilemma ab. Ohne seine Ems-Chemie, deren operative Führung er seiner Tochter abgegeben hat, ohne seine Getreuen in der Partei und bei der AUNS, könnte aus dem populistischen Polterer bald ein einsamer Mann werden.

Er wird sich öfters dem Kollegium beugen müssen und als Regierungsmitglied contre coeur Beschlüsse vertreten - eine für ihn ganz und gar ungewohnte Rolle. Spielt er sie nicht, drohen die Sozialdemokraten mit dem Gang in die Opposition. Die Pfeiler seiner Politik als Justiz- und Polizeiminister hat Blocher bereits formuliert. Er wird als erklärter EU-Gegner mit Brüssel die Zusammenarbeit im Bereich Polizei (Schengener Abkommen) und Asylwesen (Dubliner Abkommen) sowie die Freizügigkeit gegenüber Bürgern der neuen EU-Länder verhandeln müssen. Blocher möchte eine restriktive Politik gegenüber Asylbewerbern und Neueinwanderern. Aber er wird dabei Kompromisse schließen müssen, die seinen eigenen Anhängern nicht schmecken werden. Denn mit Initiativen und Referenden, den Instrumenten der direkten Demokratie, könnte ein Rechtskurs Blochers oder der ganzen Regierung verlangsamt oder gar blockiert werden. Aber auch die AUNS hat bereits angekündigt, ihre Referendumsfähigkeit weiter auszubauen. Sie werde weiterhin kompromisslos gegen Fehlentwicklungen antreten. Dies sei umso wichtiger, als die SVP mit zwei Bundesräten vermehrt werde Kompromisse eingehen müssen.

Blochers Spielraum ist eng, und die Hoffnungen seiner Wähler sind groß. Deshalb waren seine Worte nach der Wahl wohl mehr als nur Show, er habe Angst, den großen Erwartungen nicht gerecht zu werden. Er vertraue aber darauf, "dass Gott uns hilft, dass es gut herauskommt".

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