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Martin Arnhold
Am Ende soll Gott aus der Misere
heraushelfen
Der Schweizer Rechtspopulist Blocher zwischen
Sachzwängen und Versprechungen
Mit dem Justiz- und Polizeidepartement hat der am 10. Dezember
2003 in die Regierung gewählte Schweizer Rechtspopulist
Christoph Blocher erhalten, was er nach Meinung der Linken verdient
hat. Schließlich ist seine Schweizerische Volkspartei (SVP)
dank ständiger Attacken gegen das Asylwesen zur stärksten
Fraktion im Nationalrat geworden. Lieber hätte sich Blocher
seine Meriten als Sparer im Finanzministerium verdient.
"Die Wende", jubelte die Christoph Blocher ergebene
"Zürcher Weltwoche", und auch die meist bürgerliche
Schweizer Presse schwenkte und machte einen Hofknicks: Die Wahl
Blochers in den Bundesrat sei staatsmännisch, weise. "Blocher
einbinden", beschrieben nun unisono fast alle Medien die neue
Taktik. Schließlich sei die SVP-Wählerschaft so stark
gewachsen, weil Blocher Oppositionspolitik betrieb, und das, obwohl
seine Partei in der Regierung eingebunden war. Damit eigneten sich
selbst kritische Medien die Argumente der SVP an. Die hatte -
nachdem sie als Siegerin der Parlamentswahlen vom 19. Oktober
feststand - noch am Wahlabend einen zweiten Sitz in der Regierung
gefordert. Und zwar ultimativ für Blocher. Das bedeutete
nichts anderes, als dass die große Wahlverliererin, die
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die nun schwächste
der Regierungsparteien (Sozialdemokraten und die Freisinnige
Demokratische Partei haben unbestritten je zwei Sitze) auf einen
ihrer Sitze verzichten solle. Die Regierung wird durch die
Vereinigte Bundesversammlung, also durch den National- und
Ständerat (Vertreter der Kantone) gemeinsam gewählt.
Rechnerisch besitzen CVP, SP, Grüne und Kommunisten gar eine
knappe Mehrheit. Doch seit dem 10. Dezember ist klar, dass sich
Blocher trotzdem auf der ganzen Linie durchsetzte. Mehr noch:
Während die Wahl Blochers in die Schweizer Regierung vor allem
im Ausland für Schlagzeilen sorgte, ärgern sich viele
Schweizer grundsätzlich über die neue Regierung.
Ausgerechnet die junge Ruth Metzler, die noch keine 40 Jahre
zählt, musste dem 63 Jahre alten Christoph Blocher weichen.
Und anstatt der Bernerin Christiane Beerli, der ehemaligen
Fraktionschefin der FDP, wurde als Ersatz für den
zurückgetretenen Finanzminister Kaspar Villiger der
61-jährige rechtsfreisinnige Appenzeller Hans-Rudolf Merz in
den Bundesrat gewählt. Fazit: Wegen der unklugen Taktik der
CVP, die mit den Sozialdemokraten und den Grünen ein
Zweckbündnis mit dem Ziel einging, beide Sitze zu halten, sind
nun in der neuen Regierung nicht nur die Kräfte der Mitte,
sondern auch die Frauen kaum vertreten. Der Affront gegen die
urbane, moderne Schweiz provozierte bereits Demonstrationen in
Zürich, Bern, Basel und Genf. Der Bundesrat ist als Ganzes
konservativer geworden. Der neue Bundesrat Merz ist wie Blocher ein
Wirtschaftsliberaler. Böse Zungen nennen ihn spöttisch
Bonsai-Blocher. Die Altherrenriege mit Dame (Außenministerin
Micheline Calmy-Rey) wird mit Sicherheit in Fragen der Asylpolitik
eine schärfere Gangart einschlagen. Deshalb ist die Wahl
Blochers in die Regierung auch fragwürdig. Den Preis für
dieses politische Experiment müssen die Flüchtlinge
bezahlen. Doch das Gespenst des Faschismus, das nun einige Gruppen
an die Wand malen, wird dem Phänomen Blocher nicht gerecht. Er
selbst sagte salopp, er sei zu alt, um noch Diktator zu werden,
aber jung genug, um etwas zu bewirken. Blocher orientiert sich
nicht an Jörg Haider oder Jean-Marie Le Pen. Der Zürcher
SP-Nationalrat und Politologe Andreas Gross verglich ihn im
Deutschlandfunk mit Franz-Josef Strauß. Blocher ist kein
verbrämter Fremdenfeind. Aber er nutzte die Ängste vieler
Bürger vor der so genannten Überfremdung und gewann damit
Wählerstimmen: Seine SVP ist heute die stärkste
politische Kraft in der Schweiz und hat die bürgerliche
Konkurrenz weit hinter sich gelassen. Bei einem
Ausländeranteil von über 20 Prozent darf allerdings in
der Schweiz auch eher von Integrationsproblemen gesprochen werden
als in den meisten EU-Ländern. Blocher ist ein Sozialabbauer,
ein Steuersenker und Deregulierer. Er ist ein Mann mit
Widersprüchen: Sein Albtraum ist die Verfilzung von Wirtschaft
und Politik, obwohl er selber Unternehmer und Politiker ist. Er ist
ein Gegner der EU, nutzt aber als Besitzer des Autozulieferers
Ems-Chemie geschickt Vorteile, die ihm die Union ermöglicht.
In seinen Betrieben arbeiten viele Ausländer, die er auf der
politischen Bühne wiederum bekämpft. Die
Auseinandersetzungen mit seinen politischen Gegnern führt er
mit offenem Visier. Und wenn er mit der Faust auf den Tisch haut
und poltert, weckt dies andere Erinnerungen als etwa in
Deutschland. Die schweizerische Demokratie ist alt und sehr
gefestigt. Das Land kennt keinen Führer, an den es erinnert
werden könnte.
Die Risikobeurteilung bei der Integration eines so genannten
Rechtspopulisten in eine Regierung fällt in der Schweiz
zwangsläufig anders aus als in anderen Ländern. Das
Regierungsgremium, der Bundesrat, funktioniert als Kollektiv.
Wichtige Entscheidungen werden zwar mit Mehrheitsabstimmung
gefällt. Nach außen tritt der Bundesrat aber mit einer
Stimme auf. Das bedeutet, dass ein Bundesrat, der im Gremium
unterlegen ist, gleichwohl öffentlich die Gesamtmeinung
äussern muss. In dieser Runde ist Blocher einer von sieben.
Selbstkritik scheint nicht seine Stärke zu sein, er
brüskiert oft und hat bereits angekündigt, sich auch in
die wichtigen Dossiers seiner Regierungskollegen einzuarbeiten und
dann mitzureden. Die Zusammenarbeit in diesem Siebenergremium, das
einer Zwangsgemeinschaft gleich kommt, dürfte deshalb in
Zukunft noch schwieriger werden. Zwar hat die Schweiz jedes Jahr
einen im Turnus wechselnden Bundespräsidenten, doch der hat
eher Repräsentationspflichten. Die Machtfülle eines
deutschen Bundeskanzlers besitzt kein eidgenössischer
Politiker.
Blocher wird lernen müssen, im Bundesrat anders
aufzutreten, als er dies gewohnt ist. Der Milliardär hat seine
Ems-Chemie in ein erfolgreiches Unternehmen verwandelt. Doch
Auftritte im Patriarchenstil dürften in Bern kaum gefragt
sein. Als Bundesrat wird Blocher zudem die Nähe zur SVP, die
wie keine andere Partei auf seine Person zugeschnitten war, meiden.
Zudem gibt er das Präsidium der "Aktion für eine neutrale
und unabhängige Schweiz" (AUNS) ab. Dieses Sammelbecken
patriotisch Gesinnter mit fragwürdiger Nähe zum
rechtsextremen Spektrum erwies sich in der Vergangenheit als
zuverlässige Speerspitze in Blochers Kampf gegen die "Classe
Politique", der er nun als hoher Repräsentant selber
angehört. Hier zeichnet sich Blochers Dilemma ab. Ohne seine
Ems-Chemie, deren operative Führung er seiner Tochter
abgegeben hat, ohne seine Getreuen in der Partei und bei der AUNS,
könnte aus dem populistischen Polterer bald ein einsamer Mann
werden.
Er wird sich öfters dem Kollegium beugen müssen und
als Regierungsmitglied contre coeur Beschlüsse vertreten -
eine für ihn ganz und gar ungewohnte Rolle. Spielt er sie
nicht, drohen die Sozialdemokraten mit dem Gang in die Opposition.
Die Pfeiler seiner Politik als Justiz- und Polizeiminister hat
Blocher bereits formuliert. Er wird als erklärter EU-Gegner
mit Brüssel die Zusammenarbeit im Bereich Polizei (Schengener
Abkommen) und Asylwesen (Dubliner Abkommen) sowie die
Freizügigkeit gegenüber Bürgern der neuen
EU-Länder verhandeln müssen. Blocher möchte eine
restriktive Politik gegenüber Asylbewerbern und
Neueinwanderern. Aber er wird dabei Kompromisse schließen
müssen, die seinen eigenen Anhängern nicht schmecken
werden. Denn mit Initiativen und Referenden, den Instrumenten der
direkten Demokratie, könnte ein Rechtskurs Blochers oder der
ganzen Regierung verlangsamt oder gar blockiert werden. Aber auch
die AUNS hat bereits angekündigt, ihre
Referendumsfähigkeit weiter auszubauen. Sie werde weiterhin
kompromisslos gegen Fehlentwicklungen antreten. Dies sei umso
wichtiger, als die SVP mit zwei Bundesräten vermehrt werde
Kompromisse eingehen müssen.
Blochers Spielraum ist eng, und die Hoffnungen seiner
Wähler sind groß. Deshalb waren seine Worte nach der Wahl
wohl mehr als nur Show, er habe Angst, den großen Erwartungen
nicht gerecht zu werden. Er vertraue aber darauf, "dass Gott uns
hilft, dass es gut herauskommt".
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