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Helmut Heinzlmeir
Die Dritte Welt und die Neue Weltordnung
Die militärische und wirtschaftliche
Führungsnation USA muss ihre Rolle neu definieren
1989 ging die geschichtliche Ära des
Ost-West-Konfliktes zu Ende. Über 40 Jahre lang hatte er die
Weltpolitik geprägt. An seinem Ende konnten allein noch die
USA als Weltmacht gelten. Dabei ist es bis heute geblieben. Zweifel
sind kaum möglich. Zu eindeutig sind die Daten. Der
amerikanische Verteidigungsetat ist so groß, wie jener der
nächsten zwölf Jahre Länder zusammen. Die
amerikanische Wirtschaftskraft ist so groß, wie jene der
nächsten der nächsten drei Staaten zusammengenommen. Und
die - wie auch immer definierte - amerikanische Kultur von
Hollywood bis Harvard scheint welt weit allgegenwärtig.
Falls es in der voraussehbaren Zukunft einen
Gegenspieler geben sollte, kann dies allein, wenn auch nur
kooperativ Europa, sein. Wirtschaftlich ist die Europäische
Union dazu bereits in der Lage.
Die Terroranschläge vom 11. September
2001 haben an der amerikanischen Vorstellung nichts geändert,
im Gegenteil: Nicht zuletzt militärisch stehen die USA heute
stärker denn je da. Unübersehbar ist dies in der
Krisenregion zwischen Kairo und Kaschmir. Sie haben dort
mittlerweile ein gewaltiges strategisches Potenzial aufgebaut. Vor
allem aufgrund jener zwei Ereignisse, die die aktuelle Weltpolitik
dominieren: dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus und dem
IrakKrieg.
Von diesen Ereignissen blieb die so genannte
Dritte Welt nicht unberührt. Die USA sind heute weltweit
präsent. Und sie haben weltweite Interessen - wenn auch von
Region zu Region unterschiedlich starke. Sie konzentrieren sich auf
den Nahen und Mittleren Osten - die Stichworte sind Israel und
Öl - und mit China und Japanauf die pazifische
Gegenküste. Die USA sind nicht nur eine atlantische, sondern
auch eine pazifische Macht. Lateinamerika wird nicht erst seit
heute als Internum angesehen. Südasien - mit den beiden
Atommächten Indien und Pakistan, Südostasien - mit
Indonesien, dem bevölkerungsreichsten islamischen Land der
Welt - und Afrika haben in den zurückliegenden Jahren nur in
Maßen amerikanisches Interesse gefunden.
Für Afrika bedeutete das Ende des
Ost-West-Konfliktes eine tiefen Einschnitt. Noch in der 80er-Jahren
kam dem Kontinent, als Folge eben jenes Konfliktes, einige
geostrategische Bedeutung zu. Dabei handelte sich der Kontinent
zwar einige blutige "Stellvertreterkriege" ein, davon lebten jedoch
zumindest die Regierenden einer Reihe afrikanischer Staaten ganz
gut. Sie spielten Washington und Moskau gegeneinander aus und
ließen sich von den Meistbietenden unterstützen. Mit dem
Ende des Kalten Krieges hatte dieses Spiel ein Ende. Afrika
büßte an weltpolitischer Bedeutung ein. Auch
wirtschaftlich ist sein Stellenwert gering. Sein Anteil an der
Weltwirtschaft beträgt nur wenig mehr als ein Prozent. Was es
anzubieten hat, sind Rohstoffe. Die aber sind auf dem Weltmarkt -
Ausnahme Öl - nur bedingt gefragt. Der Bedarf an Kaffee, Kakao
und dergleichen ist weitgehend abgedeckt. Es ist eine offene Frage,
ob die derzeit propagierte Marktöffnung der
Industrieländer gerade Afrika sehr nutzen wird. Asien und
Lateinamerika sind konkurrenzfähiger.
Um die Jahrtausendwende galt Afrika als
marginalisierter Kontinent. Außerafrikanische Staaten hatten
ihr Engagement zurückgenommen. Afrika war stärker denn
zuvor auf sich selbst verwiesen. Politik auf dem Kontinent wird
weithin von Afrikanern verantwortet. Das klingt gut, hat aber
kontrovers diskutierte Folgen. Nirgendwo auf der Welt herrscht so
viel Armut wie dort. Und dies, obwohl Afrika nach wie vor
erkleckliche Entwicklungshilfe erhält. Die Zweifel wachsen, ob
diese Hilfen viel genutzt haben, viel nutzen werden. Zu oft dienen
sie nur der Machtsicherung oder der schamlosen Selbstbereicherung
der jeweils Regierenden. Nirgendwo auf der Welt stellt sich das
Problem des Staatszerfalls so drängend wie dort. In Afrika ist
vielerorts das, was man als "nation-building" bezeichnet,
gescheitert. Auf dem Kontinent sind riesige Räume - von Angola
über Kongo/Zaire bis nach Sudan und Westafrika, ungeachtet
aktueller Friedensbemühungen - bar jeder staatlicher
Kontrolle. So genannte Warlords herrschen, Drogen-, Waffen- und
Diamantenschmuggel blühen. Diese Räume können
für wie auch immer definierte Terrorgruppen Zuflucht, aber
auch Rekrutierungsgebiet sein.
In Zeiten eines weltweiten Kampfes gegen den
internationalen Terror muss eine solche Entwicklung Besorgnis
hervorrufen. Immerhin haben sich nahezu alle afrikanischen
Regierungen nach dem 11. September der weltweiten
Antiterror-Koalition angeschlossen, wenn auch nicht ohne
Hintergedanken. Vielerorts wird mittlerweile jegliche Opposition im
Lande - unter Hinweis auf jenen Kampf - als Terrorismus diffamiert.
Und für die Teilnahme wird wie zu Zeiten des Kalten Krieges
von den USA und Europa wieder mehr Entwicklungshilfe erwartet. Im
Westen verkennt man die Problematik einer solchen Entwicklung
nicht. Aber im Bemühen um eine möglichst große
Koalition gegen den Terrorismus arbeitet man mit fast jedermann
zusammen. Mag das Regime auch noch so fragwürdig
sein.
Für die USA war Afrika im vergangenen
Jahrzehnt von geringem Interese. Das hat sich im Gefolge des
Antiterror-Krieges, des Irak-Krieges, teilweise geändert. Es
gibt wieder einiges amerikanisches Interesse, insbesondere an
Ostafrika. In dieser Region - vom Sudan über Somalia und Kenia
bis Tansania - leben Millionen Muslime. Sie kann daher als
Zufluchtsort und Ausgangspunkt von Terrorismus nicht ausgeschlossen
werden. Die verheerenden Anschläge auf die US-Botschaften in
Nairobi und Daressalam 1998 zeigten dies. Insbesondere aber will
Washington von Ostafrika aus Israel und den arabischen
Ölquellen nahe sein. Öl suchen die Amerikaner auch in
Afrika, vor allem in den Küstengewässern Westafrikas.
Wegen der politischen Risiken rund um den Persischen Golf
bemühen sie sich um eine Diversifikation ihrer Bezugsquellen.
Bereits heute beziehen sie rund 15 Prozent ihrer Erdölimporte
aus Afrika. Dieser Anteil soll noch gesteigert werden. Neue
Technologien erleichtern die Off-Shore-Förderung. Zur
Linderung der Armut in Westafrika werden die Milliardenerlöse
aus dem Ölgeschäft jedoch wenig beitragen, die jeweiligen
Regimes werden dies zu verhindern wissen.
Europas Interesse an Afrika ist aufgrund von
Geographie und Geschichte größer als jenes der USA. Aber
auch dieses Interesse hatte sich in den vergangenen Jahren
verringert. Auch von den beiden großen einstigen
Kolonialmächten England und Frankreich. Dennoch sind es auch
heute diese beiden Staaten, die am nachhaltigsten Politik in Afrika
betreiben. Sie allein haben die nötigen Mittel, um
erforderlichenfalls militärisch eingreifen zu können.
Britische Truppen sorgten in Sierra Leone, französische in der
Elfenbeinküste dafür, dass es mit den dortigen
Bürgerkriegswirren ein vorläufiges Ende hatte.
Insbesondere Paris zeigt wieder Interesse an Afrika, weil es dort
große Wirtschaftsinteressen hat und mit seinem Einfluss
Anspruch auf Mitsprache in der Weltpolitik begründen will. Das
jüngste französisch-europäische Engagement in der
kongolesischen Stadt Bunia war nicht zuletzt eine Reaktion auf die
amerikanische Irakpolitik.
Nicht Afrika jedoch, sondern Asien wird
für die Weltpolitik im 21. Jahrhundert mitbestimmend sein.
Nicht nur wegen der Potenziale der Bevölkerungsgiganten China
und Indien, sondern aufgrund brisanter Konfliktherde. Sie reichen
von der koreanischen Halbinsel und Taiwan über das
krisengeschüttelte Indonesien bis zum umstrittenen Kaschmir.
Auch sind in Asien die Machtrelationen zwischen den großen
Staaten China, Indien und Japan noch unklar.
Die USA sind Weltmacht, China will eine
werden. Bis dahin jedoch ist es noch ein weiter Weg. Für die
USA kann dieser Weg nicht lang genug sein. Man will keinen
Konkurrenten. In Washington stellt sich die Frage, ob man die
Entwicklung Chinas kooperativ oder konfrontativ begleiten soll.
Derzeit lassen sich die beiderseitigen Beziehungen mit dem
widersprüchlichen Begriff des "kooperativen Antagonismus"
umschreiben. Für die USA ist eine solche Politik möglich,
weil sie auch im ostasiatisch-pazifischen Raum, wirtschaftlich wie
militärisch, die weitaus stärkste Macht sind. Für
China, das die Terroranschläge vom 11. September umgehend
verurteilte und sich der weltweiten Antiterrorkoalition anschloss,
sind Anpassungen unvermeidlich.
Für die weitere wirtschaftliche
Entwicklung Chinas ist eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den USA
unabdingbar. Längst sind diese zu einem herausragenden
Wirtschaftspartner geworden. Und im pazifischen Asien schwelt eine
Reihe bedrohlicher Krisenherde. Deren brisanteste sind die
explosive Lage auf der koreanischen Halbinsel und das prekäre
Verhältnis zwischen China und Taiwan. Um hier wie dort auch
nur einen modus vivendi aufrecht erhalten zu können, ist eine
Zusammenarbeit mit den USA unverzichtbar.
Peking fühlt sich als Folge des
weltweiten Kampfes gegen den Terror nachgerade eingekreist. Es
sieht sich nicht mehr nur im Osten - in Japan, Südkorea und
Taiwan - mit den USA konfrontiert. Mittlerweile stehen
amerikanische Soldaten auch in Zentralasien, sozusagen im
Rücken Chinas.
Zentralasien, der Kaukasus, die kaspische
Region insgesamt, vermögen einiges an Energie - Öl und
Gas - anzubieten, zwischen fünf und sieben Prozent der
Weltreserven. Eine strategische Alternative zu den Vorkommen rund
um den Persischen Golf stellt dies nicht dar. In allen
zentralasiatischen Staaten herrschen - wenn auch in
unterschiedlichen Graden - repressive Regimes; herausgefordert von
Separatismus und Islamismus. Nicht minder groß ist die
Herausforderung durch eine allgegenwärtige Korruption,
Drogenhandelskriminalität und erschreckende Armut. Vor einem
guten Jahrzehnt noch der so genannten Zweiten - kommunistischen -
Welt zugerechnet, müssen manche Staaten wie beispielsweise
Tadschikistan, wegen des allgemeinen Elends bereits der Vierten
Welt zugeordnet werden.
Die USA haben nicht nur in Zentralasien,
sondern auch in Südasien an Einfluss gewonnen. Sie unterhalten
Militärbasen in Afghanistan und Pakistan. Und die
amerikanisch-indischen Beziehungen haben sich bemerkenswert
vertieft. Das war nicht immer so. Jahrzehntelang stimmte sich Neu
Delhi in internationalen Streitfragen eher mit Moskau, denn mit
Washington ab. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR war eine
Neuausrichtung unumgänglich. Auch in der Wirtschaftspolitik.
Mit einer stark binnenorientierten Politik war man an deutliche
Grenzen gestoßen. Mittlerweile hat Indien mit weitreichenden
Wirtschaftsreformen eine grundlegende Abkehr von der einstigen
Binnenmarktorientierung hin zur Integration in den Weltmarkt
vollzogen.
Längst suchen indische Regierungen das
Gespräch mit Washington. Krieg gegen Islamisten ist für
sie - Stichwort Kaschmir- seit vielen Jahren blutiger Alltag. Mit
Israel verbindet das Land seit langem vielfältige
Zusammenarbeit in atomarer Aufrüstung. Zwischen beiden Staaten
liegt viel islamisches Land. Neu Delhi hat mit den Atomtests vom
Mai 1998 deutlich gemacht, dass es eine Großmachtrolle
beansprucht. Dem steht noch der Konflikt mit Pakistan in Kaschmir
entgegen. Allein die USA sind in der Lage, in dieser Konfrontation
zwischen den beiden Nuklearmächten hinter den Kulissen zu
vermitteln. Pakistan strebte die atomare Aufrüstung an, da es
in ein einer konventionellen nie zu einer Parität mit dem
großen Nachbarn reicht. Es schließt deshalb auch die
Option zum Erstschlag nicht aus, sofern nicht
amerikanisch-israelische Vorsorge greift. So bedrohlich dieser
Konflikt auch scheinen mag, Indien misst sich längst nicht
mehr mit Pakistan, es vergleicht sich mit China. Das läuft
amerikanischen Interessen nicht zuwider.
Die USA identifizieren drei strategische
Kernregionen: Europa, Nordostasien und die Nahmittelost-Region -
zuletzt deutlich geworden im Irak-Krieg. Er stieß weltweit,
auch in der Dritten Welt, auf außerordentlich viele
Vorbehalte. Damit wurde viel Goodwill, das den USA nach den
schrecklichen Bildern vom 11. September auch dort entgegengebracht
wurde, verspielt. An der militärischen Dominanz der USA sind
wenig Zweifel möglich. Aber auch eine Weltmacht läuft mit
solcher, weithin unilateralen Politik Gefahr, langfristig die
eigenen Möglichkeiten zu überfordern. Sie ist sehr teuer.
Und sie führt, nachgerade zwangsläufig, zu
Gegenreaktionen, Gegenkoalitionen. Hegemonie ohne ein gewisses
Maß an allgemeiner Akzeptanz aber wird auf Dauer schwerlich
aufrecht zu erhalten sein.
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