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Josef-Thomas Göller
Vorwahlkampf: Howard Dean gewinnt mit "Strategie
der Wut" eine erste Runde
Viva Jorge! George W. Bush setzt auf die Stimmen
der Hispanos
Wer stoppt Howard Dean, den stets bewusst wütend
auftretenden Präsidentschaftskandidaten der Demokraten? Diese
Frage stellen sich seit Wochen vor allem seine acht demokratischen
Mitbewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Partei -
immer hilfloser. Gleich der erste Stimmengang in Washington, D. C.
am 13. Januar zeigte, dass der ehemalige Gouverneur von Vermont,
der bereits seit Herbst 2003 weit vor allen anderen Herausforderern
liegt, in der Wählergunst seiner Parteibasis ganz oben steht.
Zum Entsetzen des Establishments der Demokraten. Dort werden die
vermeintlich präsidiableren Kandidaten John Kerry, Senator aus
Massachusetts, und General a. D. Wesley Clerk favorisiert.
Doch die strammen Basis-Wähler der Demokraten - jene, die
seit dem Einzug von Präsident Bush ins Weiße Haus vor
drei Jahren ihrer eigenen Regierung mental den Krieg erklärt
haben - wollen diesmal keinen geschliffenen Polit-Profi als
Kandidaten, der wohlformuliert alle Fehler der Bush-Regierung auf
politikwissenschaftlichem Sprachniveau erläutern kann.
Für rund 37 Prozent der Demokraten, soviel etwa machen die
hartgesottenen Stammwähler Deans bereits aus, reicht es
vielmehr, wenn ihr neuer Guru ihnen bei einer Wahlversammlung
zubrüllt: "Der muss weg!"
Im Staate Iowa im Mittelwesten hingegen, wo bisher traditionell
die erste Vorwahl unter den Kandidaten begann, spricht der einstige
Arzt Dean anders. Dort, so weiß er, nützen ihm
Sprüche nichts. Die Bauern von Iowa wollen von ihm vielmehr
wissen, was er von den niedrigen Schweinepreisen hält und wie
er die Kühe vor BSE schützen will. Dean tritt vor den
Landwirten gesetzter auf, als spreche er zu Patienten. Er
erläutert in scheinbar einfachen Worten seine "Therapie"
für die amerikanische Wirtschaft. Die oft
deutschstämmigen Bauern nicken, verstehen ihn aber dennoch
nicht. Was bleibt, ist der Eindruck: "Dr. Dean" weiß schon,
was für den Patienten am besten ist. Diese typische
besserwisserische Arzt-Haltung erklärt indes seinen bisherigen
Erfolg am deutlichsten: Howard Dean ist in der Lage, den seit drei
Jahren maßlos enttäuschten Massen der Demokraten den
Eindruck zu vermitteln, er, nur er, sei in der Lage, jene Wunden,
die Präsident Bush der Nation zugefügt habe zu heilen.
Dean kann sich dabei oft in die dümmlichsten
Abstrusitäten versteigen, etwa, Präsident Bush habe vom
Terroranschlag am 11. September im voraus Kenntnis gehabt, all dies
spielt für seine Anhänger keine Rolle. Wie einst der
neurotische Kommunisten-Hetzer Joseph McCarthy in den 50er Jahren,
genügt es auch Dean jetzt, einfach Behauptungen aufzustellen,
um den Beweis für das Gegenteil dann dem Angeschuldigten zu
überlassen.
Warum nun findet dieser Demagoge ausgerechnet unter der sonst
sehr kritischen Intellektuellenschicht der Ostküste
scharenweise Zuläufer. Der junge Politik-Professor an der
renommierten Georgetown-University, Michael Bailey, fand im
Gespräch mit dieser Zeitung folgende Erklärung: "Für
mich zum Beispiel ist Dean nicht die erste Wahl unter den
Kandidaten. Wenn er aber am Ende des Auswahlwettbewerbs als
derjenige übrigbleibt, der gegen Bush antritt, werde ich
für ihn stimmen. Denn die Politik des Präsidenten halte
ich für eine Katastrophe, innen- wie außenpolitisch."
Baileys Ansicht ist repräsentativ für die
amerikanische Bildungsschicht, das geht aus zahlreichen
Meinungsäußerungen der Universitäten hervor.
Dean hat nachweislich innenpolitisch wenig Erfahrung,
außenpolitisch gar keine; er verwickelt sich ständig in
Widersprüche, lässt sich von der erzkonservativen
Waffen-Lobby sponsern und agiert gegenüber Afro-Amerikanern
oft an der Grenze zum Rassismus. Dies alles weist ihn nicht als
geschicktes Naturtalent aus. Zählt diese Addition an
Negativ-Charakteristika für die demokratischen Wähler
derzeit gar nicht?
Professor Bailey: "Deans ungeschickte Äußerungen,
seine mangelnde Erfahrung, das legt sich schon mit der Zeit, wenn
er erst einmal im Weißen Haus ist."
Um dorthin zu gelangen, muss Dean als ersten Schritt mit einer
überzeugenden Mehrheit der demokratischen Wähler in den
50 Bundesstaaten die Nominierung der Partei gewinnen. Die Vorwahlen
dienen dieses Jahr ausschließlich der Kandidatenfindung unter
den Demokraten. Die Republikaner führen keine Vorwahlen durch.
Bei ihnen steht Präsident Bush für eine zweite Amtszeit
als Kandidat der Partei fest.
So bekämpfen sich also die Demokraten erst einmal allein.
Von "Selbstzerfleischung" spricht deshalb der Front-Runner Dean, da
sich seine acht Parteigegner förmlich gegen ihn verschworen
haben.
Die Hauptattacken gegen Dean reitet indes nicht einer der
seriösen Mitbewerber wie Kerry oder Joseph Lieberman, sondern
der aussichtslose Reverend Al Sharpton, ein schwarzer Prediger aus
New York.
Seitdem Dean öffentlich um die konservativen, bibelfesten
Wähler der amerikanischen Südstaaten wirbt, jene, die mit
der Konföderiertenflagge auf ihren Autos herumfahren - dem
Symbol der weißen Sklavenhalter aus dem 19. Jahrhundert - und
außerdem zur gleichen Zeit von heute auf morgen "Jesus als
meinen Wegbegleiter" entdeckt hat, randaliert der demokratische
Reverend gegen Dean, nennt ihn "Heuchler" und "eine Schande
für die Demokraten".
Obwohl Sharpton weiß, dass seine Bewerbung ums Weiße
Haus chancenlos ist, will er dem "Schwarzen Amerika" eine Stimme
verleihen. Denn er findet - zu Recht - dass die rund 25 Millionen
Afro-Amerikaner zunehmend an Einfluss verlieren. Andere
Minderheiten, wie die spanischsprachigen Einwanderer, haben die
Schwarzen zahlenmäßig übertroffen. Um dem
weißen Yankee Dean aus dem hohen Norden Vermont zu beweisen,
dass er keine Ahnung von den Nöten der Afro-Amerikaner hat,
betreibt Sharpton vor allem in den schwarzen Hochburgen des Landes
einen intensiven Wahlkampf. Dazu gehört auch die Hauptstadt
Washington, in der mehr als 70 Prozent der Einwohner
afro-amerikanischer Herkunft sind. Die Hauptstadt ist gleichzeitig
ein Bundesbezirk, der District of Columbia, und hat deshalb keine
gewählten Vertreter im Kongress. Laut Verfassung dürfen
nur Bundesstaaten Senatoren und Abgeordnete in den Kongress
entsenden. Um gegen diesen seit geraumer Zeit als undemokratisch
empfundenen Zustand zu protestieren, haben die Demokraten des
District of Columbia (D. C.) dieses Jahr einfach selbstständig
eine Vorwahl durchgeführt, noch vor der eigentlichen ersten im
Staat Iowa.
Allerdings blieben fünf Kandidaten dieser D. C.-Vorwahl
fern, da sie gegen die politischen Ambitionen des Bundesbezirks
sind. Hingegen kandidierten Howard Dean und Al Sharpton sowie zwei
weitere, unbedeutende Kandidaten. Dean setzte sich in dieser Wahl
klar als Spitzenkandidat durch, und der schwarze Reverend Al
Sharpton hat seinen ersten Dämfer erhalten. Denn seine
potentielle Klientel blieb lieber zu Hause. Lediglich acht bis zehn
Prozent der als Demokraten eingeschriebenen Wahlberechtigten
bemühten sich zu den Wahllokalen.
Während Dean seinen Wahlsieg dahingegen interpretiert, dass
er offenbar doch in der Lage sei, schwarze Wähler
anzusprechen, liegt die Vermutung von Al Sharpton wohl näher:
In DC, wo drei Renommier-Universitäten miteinander wetteifern,
haben in erster Linie die weißen demokratischen
Intellektuellen ihre Stimme abgegeben, also jene, die voll und ganz
auf Dean "abfahren".
Das extrem hohe Desinteresse der Afro-Amerikaner an Politik,
noch dazu in einem weit überwiegend schwarzen Wahlbezirk, in
dem mit Leichtigkeit ein farbiger Politiker jede Wahl gewinnen
könnte, wirft dunkle Schatten für die Demokraten auf die
eigentliche Präsidentschaftswahl im November voraus. Anders
als zur Regierungszeit von Bill Clinton empfinden die
Afro-Amerikaner in zunehmendem Maße keine absolute Bindung
mehr mit den Demokraten. Das liegt teilweise an der erfolgreichen
Strategie der Republikaner, unter den schwarzen Stammwählern
der Demokraten zu wildern. Mit steigendem Einkommen und
höherem Bildungsgrad wählen Afro-Amerikaner konservativ!
Zum anderen liegt es auch an den Kandidaten der Demokraten, die
längst nicht mehr jene Ausstrahlung auf schwarze Wähler
haben, wie einst Robert Kennedy oder Bill Clinton. Deshalb
könnte es gut sein, dass am Wahltag im Herbst die weit
überwiegende Mehrheit der Afro-Amerikaner gar nicht
wählen geht - sehr zum Schaden der Demokraten.
Präsident Bush scheint diesen Trend erkannt zu haben,
immerhin hat er drei hochrangige Afro-Amerikaner in seinem
Kabinett. Der Präsident allerdings zielt auf eine ganz andere
Wählergruppe: die inzwischen auf 30 Millionen angewachsene
Minderheit der spanisch-sprachigen Einwanderer aus Lateinamerika.
Bush kündigte kürzlich an, er werde dem Kongress
vorschlagen, den schätzungsweise acht bis zwölf Millionen
illegal in die USA eingewanderten Hispanos mit einem Federstrich
den Rechtsstatus von Gastarbeitern zu gewähren. Mit dieser
Initiative erhofft er sich, weitere Sympathien unter der
großen Masse an latino-stämmigen Wählern zu
gewinnen. Diese sind in der Regel katholisch-konservativ, strebsam
und haben "keine linken Flausen" im Kopf. Schon als Gouverneur von
Texas umwarb George W. Bush die Hispanics, mehr noch bei der Wahl
im Jahr 2000, als er als erster Präsidentschaftskandidat
Werbematerial in Spanisch verteilen ließ, darunter die
Ansteck-Buttons
"Viva Jorge!" - Hoch lebe George.
Inzwischen protestieren die ersten Parteigenossen gegen den
"Ausverkauf" republikanischer Politik. Es gibt namhafte Stimmen in
der Partei, die alle illegalen Einwanderer des Landes verweisen und
einen Einwanderungsstopp von fünf Jahren verhängen
wollen. Für sie ist die Absicht des Präsidenten, die
Illegalen auch noch zu belohnen, ein Schlag ins Gesicht. Es gibt
zahlreiche republikanische Abgeordnete aus den Bundesstaten an der
mexikanischen Grenze, die deshalb um ihre Wiederwahl bangen. Dort
nämlich wird der enorme legale und illegale Einwanderungsdruck
der armen Südamerikaner als "Invasion" empfunden.
Man darf gespannt sein, ob Dean dieses konservative
Unmutspotential für sich entdeckt. Dann würde es eng
werden für Bush.
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