Michael Edinger
Freud und Leid in der Landespolitik
Landtagsabgeordnete: Volksvertreter abseits des
Rampenlichts
Wer einem ausländischen Besucher den aus
zwei Fremdwörtern zusammengesetzten und doch so
unverwechselbar deutschen Begriff "Exekutivföderalismus"
verdeutlichen soll, dem bietet sich seit kurzem mit der Kommission
zur Reform der bundesstaatlichen Ordnung ein neues
Anschauungsbeispiel. In der Kommission brüten die 16
Ministerpräsidenten und eine gleich große Zahl von nach
Parteienproporz bestimmten Bundestagsabgeordneten über nichts
Geringeres als über eine Reform des Föderalismus.
Mit am Verhandlungstisch sitzen auch sechs
Vertreter der Landesparlamente, zwei Landtagspräsidenten und
vier Fraktionsvorsitzende. Als beratende Mitglieder können sie
sich an den Debatten beteiligen, mitentscheiden dürfen sie
aber nicht. Damit unterscheidet sich ihr Status von dem eines
Sachverständigen allein durch das Antragsrecht. Selbst diese
Mitwirkung zweiter Klasse musste von den Vertretern der Landtage,
immerhin direkt vom Volk legitimierte Abgeordnete, noch mühsam
erstritten werden.
In der Zusammensetzung der Kommission ist
damit auch der Verlierer von Entwicklungen im deutschen
Föderalismus ablesbar, die zu seiner eingangs erwähnten
Etikettierung geführt haben. Während der Bund etwa von
seinen Kompetenzen zur konkurrierenden und Rahmengesetzgebung
extensiv Gebrauch gemacht und damit den legislativen Spielraum der
Länder begrenzt hat, sind diese zumal im Kontext der
Verfassungsrevision 1992 durch erweiterte Mitwirkungsrechte
kompensiert worden. Verlierer dieses Trade-off sind die Landtage,
die von der Aufwertung des Bundesrates zu einer Art Nebenparlament
der Regierenden nicht profitiert haben.
Welche Bedeutung haben diese Entwicklungen
für die Zusammensetzung der Parlamente? Wodurch sind Karrieren
und Arbeit der Landtagsabgeordneten charakterisiert? Wie sehen
schließlich die Parlamentarier ihre eigene Tätigkeit, und
mit welchen Problemen finden sie sich konfrontiert? Erkenntnisse
über das weitgehend unbekannte Wesen Landtagsabgeordneter
verspricht ein Forschungsprojekt zum parlamentarischen
Führungspersonal im Rahmen eines an den Universitäten
Jena und Halle beheimateten Sonderforschungsbereichs der Deutschen
Forschungsgemeinschaft. Neben einschlägigen Handbuch- und
Archivmaterialien stützt sich das Projekt auf eine
telefonische Befragung der Mitglieder von zehn Landtagen, an der
sich mehr als 700 Abgeordnete beteiligt haben.
Erste Ergebnisse widerlegen ein zumal von der
Boulevardpresse gern gepflegtes Vorurteil. Das Bild des
Landtagsabgeordneten als eines Parlamentariers zweiter Klasse mit
geringen Qualifikationen, der sich bei üppigen Diäten mit
politischen Belanglosigkeiten beschäftigt, hat mit der
Realität nichts zu tun. Wer lange genug fahndet, mag
Abgeordnete finden, die diesem Zerrbild nahe kommen.
Die Regel sieht anders aus: Wer in ein
Landesparlament gewählt wird, verfügt über einen
hohen Bildungsstand, langjährige politische Erfahrung und ist
durch ehrenamtliche Tätigkeiten bestens in das
gesellschaftliche Leben integriert. Die Tätigkeit des
Abgeordneten ist zudem längst zu einem Full-Time-Job geworden,
der nach Angaben der Akteure eine wöchentliche Arbeitszeit
zwischen 50 Stunden (sitzungsfreie Wochen) und 60 Stunden
(Sitzungswochen) bedeutet.
Selbst wenn vor allem die Freiberufler unter
den Abgeordneten ihren früheren Beruf nicht gänzlich
aufgeben: Die überwiegende Mehrheit der deutschen
Landesparlamentarier hat auch dem eigenen Selbstverständnis
nach die Politik längst zum Beruf gemacht.
Die Entwicklung vom Amateur- und Freizeit-
zum Berufspolitiker lässt sich besonders deutlich in den
ostdeutschen Landtagen beobachten, weil sie dort im
Schnelldurchlauf vollzogen worden ist. Abgeordnete der ersten
Stunde, die dem Trend zur Professionalisierung nicht gefolgt sind,
haben in der Regel den Wiedereinzug in den Landtag
verpasst.
Erfahrungsvorsprung
Auf unterschiedliche Grade der
Professionalisierung in ost- wie westdeutschen Landesparlamenten
verweist freilich die Binnendifferenzierung. Denn im Zentrum der
parlamentarischen Entscheidungsfindung stehen vor allem die
Abgeordneten, die dem Parlament seit drei oder mehr
Legislaturperioden ununterbrochen angehören. Sie verfügen
überdurchschnittlich häufig über
Führungserfahrung auf parlamentarischer Ebene
(Fraktionsvorstand, Ausschussvorsitz, Landtagspräsidium) oder
in Regierungsämtern. Entsprechend stark sind die Anreize
für Mandatsinhaber, erneut für den Landtag zu
kandidieren. Folgerichtig schließen nur wenige Parlamentarier
eine weitere Kandidatur für sich aus.
Bei vielen Politikern bildet das
Landtagsmandat den Abschluss der politischen Karriere. Für
eine beträchtliche Minderheit jedoch fungiert der Landtag eher
als Durchgangsstation auf dem Weg in politische Spitzenpositionen
(etwa im Kabinett) oder in andere politische Funktionen zumeist auf
kommunaler Ebene. Besonders beliebt ist das Amt eines
Bürgermeisters.
Leicht überschätzt wird die
Bedeutung der Landtagszugehörigkeit für den Gewinn eines
Bundestagsmandats. Zwar hat fast ein Fünftel der derzeitigen
Bundestagsabgeordneten schon einmal einem Landtag angehört.
Umgekehrt führt für eine Reihe von Berufspolitikern der
Weg aber auch vom Bundestag in die Landesparlamente. Das
Durchschnittsalter bei Mandatsantritt für MdB und MdL liegt
jeweils deutlich über 40 Jahren, was dafür spricht, dass
es sich im Regelfall um parallel verlaufende Karrieren
handelt.
Die Analyse von Karrierewegen der
Landtagsabgeordneten lässt eine Professionalisierung erkennen,
die angesichts ihrer eher begrenzten Entscheidungskompetenzen
Aufmerksamkeit verdient. Allerdings bleiben dabei einige der immer
wieder beklagten Defizite ausgeblendet: die amateurhaft betriebene
Medienarbeit vieler Abgeordneter, die bei Insidern als
uninspirierend empfundenen Landtagsdebatten sowie die
Abhängigkeit vom Informationsfluss aus der Exekutive, die
durch die mäßige Personalausstattung eher verstärkt
wird. Diese erklären sich oftmals gerade aus den Erwartungen
der Wählerschaft und dem steigenden öffentlichen
Legitimationsdruck. Manche Aspekte der Professionalisierung werden
eben vom Wähler nicht honoriert - im Unterschied etwa zur
lokalen Präsenz der Abgeordneten und der Vertretung
partikularer lokaler Interessen.
Mitunter frustriert
Knapp die Hälfte der
Landesparlamentarier betrachtet denn auch die unzureichende
Akzeptanz in der Öffentlichkeit als ein großes oder sogar
sehr großes Problem. Die Problemwahrnehmung ist unter den
ostdeutschen Parlamentariern stärker als unter den
westdeutschen. Nahezu jeder zweite ostdeutsche Landtagsabgeordnete
gibt an, dass seine tatsächlichen
Gestaltungsmöglichkeiten geringer sind als erwartet; unter den
westdeutschen MdL ist es nur jeder vierte. Offenbar begünstigt
die längere politische und parteiliche Sozialisation der
Abgeordneten im Westen die Ausbildung realistischerer Vorstellungen
vom Mandat.
Kritischer sehen die westdeutschen MdL
hingegen die Entwicklung des Parlaments als politisches
Entscheidungsorgan. 60 Prozent konstatieren einen allmählichen
Bedeutungsverlust, im Osten sind es 50 Prozent. Wie diesem begegnet
werden kann, darüber existieren unterschiedliche
Vorstellungen. Erweiterte Informationspflichten der Regierung und
mehr Gesetzgebungsinitiativen aus dem Parlament heraus gelten als
vordringliche Reformziele. Die westdeutschen Abgeordneten nennen
zudem eine verbesserte Personal- und Sachmittelausstattung. In
einem Punkt sind sich Ost und West jedenfalls einig: Bei allem
Reformbedarf sollte das föderale System erhalten
bleiben.
Chancen auf die angestrebte
Re-Parlamentarisierung verspricht allein die Entflechtung von
Bundes- und Landeskompetenzen und eine daraus resultierende
Rückverlagerung von Entscheidungsbefugnissen auf die
Länder. In dieser Sache haben die Landesparlamente mit ihrer
Lübecker Erklärung vom März 2003 denn auch deutlich
Position bezogen. Ebenso wichtig wie ihr Inhalt ist, dass es den
Landtagen gelungen ist, überhaupt einmal über
Landesgrenzen hinweg als kollektiver Akteur in Erscheinung zu
treten. Ob diese Einigkeit Wirkung zeigt, bleibt
abzuwarten.
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