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Das Parlament
Nr. 15-16 / 05.04.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Hartmut Hausmann

Österreichischem Informanten "Stasi-Methoden" vorgeworfen

Europaparlament lässt Abzocke-Vorwürfe nicht auf sich sitzen
Bei unverhofften Angriffen gehört enges Zusammenrücken zur erprobten Verteidigungspraxis. Diesen Grundsatz beherzigten auch die fünf deutschen Spitzenkandidaten von CSU, CDU, SPD, Grünen und PDS bei den Europawahlen am 13. Juni. Erstmals in der Geschichte des Parlaments wehrten sie sich in einer gemeinsamen Pressekonferenz gegen die in der "Bild" erhobenen Vorwürfe des großen Abkassierens von Tagegeldern.

Der aus der Sozialistischen Fraktion ausgeschlossene österreichische Parlamentarier Hans-Peter Martin hatte in dem Boulevard-Blatt berichtet, dass sich viele Abgeordnete in ein Zentralregister eintragen, das zum Empfang von einem Tagegeld von 262 Euro berechtigt und dann nicht an der jeweiligen Sitzung des Parlaments teilnehmen. Martin will unter anderem bei 57 deutschen Abgeordneten problematisches Verhalten festgestellt haben.

Der EVP-Fraktionsvorsitzende und CDU-Spitzenkandidat Hans-Gert Pöttering sprach von völlig unhaltbaren Vorwürfen. Er verlangte von der Parlamentsverwaltung umgehend Mitteilung, ob und wann welche Unterschriften gefälscht worden seien. Dies seien strafwürdige Tatbestände, die geahndet werden müssten. Er wies zugleich darauf hin, dass es sich bei einer Eintragung nicht um Sitzungs-, sondern um Tagegelder handele, die als Kostenersatz für die dreifache Haushaltsführung im Wahlkreis, in Brüssel und in Straßburg gedacht sind: "Tagegelder sind keine Gegenleistung für die Teilnahme an Sitzungen."

SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz warf dem Österreicher vor, das Parlament in einen Pauschalverdacht gesetzt zu haben. Er forderte seinen ehemaligen Fraktionskollegen auf, bei den Kontrollinstanzen endlich Namen zu nennen. Enrique Baron, der spanischer Vorsitzender der sozialistischen Fraktion, warf Martin gar "Stasi-Methoden" vor.

Der Grünen-Kandidat Daniel Cohn-Bendit bezichtigte Hans-Peter Martin der "Kollegenbespitzelung". Anstatt sich an der Reform der Geschäftsordnung und der Reisekostenregelung zu beteiligen, habe er sich zum "Geheimagent der Wahrheit" erhoben.

Die Spitzenpolitikerin der PDS, Silvia-Yvonne Kaufmann, stand ausdrücklich zu dem Recht der Öffentlichkeit, alle Informationen zu erhalten, wenn finanzielle Unregelmäßigkeiten entdeckt würden. Was aber nicht gehe, sei das gewählte Vorgehen, die Integrität der Kollegen grundsätzlich in Frage zu stellen.

CSU-Spitzenkandidat und EP-Vizepräsident Ingo Friedrich schaute schon einen Schritt weiter und plädierte dafür, im neuen Parlament das im Ministerrat gescheiterte Abgeordnetenstatut nach der Europawahl wieder in Angriff zu nehmen. Mit dem Statut sollte ein einheitlicher Diätensatz für alle Abgeordneten festgelegt und ein System der Reisekostenabrechnung nach Vorlage des Flugtickets oder einer Fahrkarte eingeführt werden.

Auch wenn der Vorwurf der Kollegenbespitzelung gegenüber Martin keineswegs neu ist, mit den Tagegeldern hat Martin in der Tat einen Schwachpunkt des Abrechnungssystems des Parlaments aufgegriffen. Das System der vor den Sitzungssälen ausliegenden Listen lädt zu Missbrauch durchaus ein. Der Vorwurf, Abgeordnete würden sich morgens noch schnell eintragen, ehe sie abreisen oder sich sogar durch Kollegen oder Mitarbeiter einschreiben lassen, war bereits früher laut geworden. Auch aus diesem Grund drängt das Parlament, mit einem einheitlichen Abgeordneten-Statut einheitliche Bedingungen schaffen. Als vor wenigen Monaten endlich eine Einigung greifbar schien, warf das selbe deutsche Blatt zusammen mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel den Europaabgeordneten schon einmal Abzockerei vor, was von den Parlamentariern als unverantwortliche "Hetz- und Neidkampagne" empfunden wurde. Daraufhin knickte die Regierung in Berlin ein. In einem offenen Brief an den Chefredakteur von "Bild" wiesen alle 99 deutschen Abgeordneten die Vorwürfe zurück.

Gegen diese geballte Reaktion versuchte das Blatt dadurch zu kontern, dass es für den Tag darauf Beweise vorzulegen versprach. Doch vorlegen konnte man nur eine Liste mit deutschen Abgeordneten, die sich eingetragen hätten, danach aber weniger als eine Stunde anwesend gewesen seien. Um den Schaden für das Ansehen des Parlaments abzuwenden, trat auch der irische Präsident des Parlaments vor die Presse und wies diese Form von kollektiven Schuldzuweisungen scharf zurück. Das Parlament verlange Beweise für Unregelmäßigkeiten und Betrug und werde sich das Drehbuch nicht von der deutschen Boulevardpresse vorschreiben lassen.

Präsident Cox verteidigte die gängige Praxis, dass sich Abgeordnete in ein Anwesenheitsregister eintragen, dann aber nicht oder nur kurz an den Plenarsitzungen teilnehmen. Jedes Mitglied unterschreibe für jeden Tag seiner Präsenz am jeweiligen Arbeitsort, sei es im Plenum, im Ausschuss oder für sonstige Arbeiten. Die Abgeordneten hätten indes nicht die Verpflichtung, den ganzen Tag im Plenarsaal zu verbringen.

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