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Hartmut Hausmann
Österreichischem Informanten
"Stasi-Methoden" vorgeworfen
Europaparlament lässt Abzocke-Vorwürfe
nicht auf sich sitzen
Bei unverhofften Angriffen gehört enges
Zusammenrücken zur erprobten Verteidigungspraxis. Diesen
Grundsatz beherzigten auch die fünf deutschen
Spitzenkandidaten von CSU, CDU, SPD, Grünen und PDS bei den
Europawahlen am 13. Juni. Erstmals in der Geschichte des Parlaments
wehrten sie sich in einer gemeinsamen Pressekonferenz gegen die in
der "Bild" erhobenen Vorwürfe des großen Abkassierens von
Tagegeldern.
Der aus der Sozialistischen Fraktion
ausgeschlossene österreichische Parlamentarier Hans-Peter
Martin hatte in dem Boulevard-Blatt berichtet, dass sich viele
Abgeordnete in ein Zentralregister eintragen, das zum Empfang von
einem Tagegeld von 262 Euro berechtigt und dann nicht an der
jeweiligen Sitzung des Parlaments teilnehmen. Martin will unter
anderem bei 57 deutschen Abgeordneten problematisches Verhalten
festgestellt haben.
Der EVP-Fraktionsvorsitzende und
CDU-Spitzenkandidat Hans-Gert Pöttering sprach von völlig
unhaltbaren Vorwürfen. Er verlangte von der
Parlamentsverwaltung umgehend Mitteilung, ob und wann welche
Unterschriften gefälscht worden seien. Dies seien
strafwürdige Tatbestände, die geahndet werden
müssten. Er wies zugleich darauf hin, dass es sich bei einer
Eintragung nicht um Sitzungs-, sondern um Tagegelder handele, die
als Kostenersatz für die dreifache Haushaltsführung im
Wahlkreis, in Brüssel und in Straßburg gedacht sind:
"Tagegelder sind keine Gegenleistung für die Teilnahme an
Sitzungen."
SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz warf dem
Österreicher vor, das Parlament in einen Pauschalverdacht
gesetzt zu haben. Er forderte seinen ehemaligen Fraktionskollegen
auf, bei den Kontrollinstanzen endlich Namen zu nennen. Enrique
Baron, der spanischer Vorsitzender der sozialistischen Fraktion,
warf Martin gar "Stasi-Methoden" vor.
Der Grünen-Kandidat Daniel Cohn-Bendit
bezichtigte Hans-Peter Martin der "Kollegenbespitzelung". Anstatt
sich an der Reform der Geschäftsordnung und der
Reisekostenregelung zu beteiligen, habe er sich zum "Geheimagent
der Wahrheit" erhoben.
Die Spitzenpolitikerin der PDS, Silvia-Yvonne
Kaufmann, stand ausdrücklich zu dem Recht der
Öffentlichkeit, alle Informationen zu erhalten, wenn
finanzielle Unregelmäßigkeiten entdeckt würden. Was
aber nicht gehe, sei das gewählte Vorgehen, die
Integrität der Kollegen grundsätzlich in Frage zu
stellen.
CSU-Spitzenkandidat und EP-Vizepräsident
Ingo Friedrich schaute schon einen Schritt weiter und
plädierte dafür, im neuen Parlament das im Ministerrat
gescheiterte Abgeordnetenstatut nach der Europawahl wieder in
Angriff zu nehmen. Mit dem Statut sollte ein einheitlicher
Diätensatz für alle Abgeordneten festgelegt und ein
System der Reisekostenabrechnung nach Vorlage des Flugtickets oder
einer Fahrkarte eingeführt werden.
Auch wenn der Vorwurf der
Kollegenbespitzelung gegenüber Martin keineswegs neu ist, mit
den Tagegeldern hat Martin in der Tat einen Schwachpunkt des
Abrechnungssystems des Parlaments aufgegriffen. Das System der vor
den Sitzungssälen ausliegenden Listen lädt zu Missbrauch
durchaus ein. Der Vorwurf, Abgeordnete würden sich morgens
noch schnell eintragen, ehe sie abreisen oder sich sogar durch
Kollegen oder Mitarbeiter einschreiben lassen, war bereits
früher laut geworden. Auch aus diesem Grund drängt das
Parlament, mit einem einheitlichen Abgeordneten-Statut einheitliche
Bedingungen schaffen. Als vor wenigen Monaten endlich eine Einigung
greifbar schien, warf das selbe deutsche Blatt zusammen mit dem
Nachrichtenmagazin Spiegel den Europaabgeordneten schon einmal
Abzockerei vor, was von den Parlamentariern als unverantwortliche
"Hetz- und Neidkampagne" empfunden wurde. Daraufhin knickte die
Regierung in Berlin ein. In einem offenen Brief an den
Chefredakteur von "Bild" wiesen alle 99 deutschen Abgeordneten die
Vorwürfe zurück.
Gegen diese geballte Reaktion versuchte das
Blatt dadurch zu kontern, dass es für den Tag darauf Beweise
vorzulegen versprach. Doch vorlegen konnte man nur eine Liste mit
deutschen Abgeordneten, die sich eingetragen hätten, danach
aber weniger als eine Stunde anwesend gewesen seien. Um den Schaden
für das Ansehen des Parlaments abzuwenden, trat auch der
irische Präsident des Parlaments vor die Presse und wies diese
Form von kollektiven Schuldzuweisungen scharf zurück. Das
Parlament verlange Beweise für Unregelmäßigkeiten
und Betrug und werde sich das Drehbuch nicht von der deutschen
Boulevardpresse vorschreiben lassen.
Präsident Cox verteidigte die
gängige Praxis, dass sich Abgeordnete in ein
Anwesenheitsregister eintragen, dann aber nicht oder nur kurz an
den Plenarsitzungen teilnehmen. Jedes Mitglied unterschreibe
für jeden Tag seiner Präsenz am jeweiligen Arbeitsort,
sei es im Plenum, im Ausschuss oder für sonstige Arbeiten. Die
Abgeordneten hätten indes nicht die Verpflichtung, den ganzen
Tag im Plenarsaal zu verbringen.
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