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Marianna Butenschön
Eine Chance für die Regionalisten und ihre
sprachlichen und kulturellen Eigenheiten
Bei den französischen Regionalwahlen fiel
die Bretagne erstmals an die Linke
Caouënnec-Lanvézéac, ein 648-Seelen-Dorf im
Departement Côtes-d'Armor, wo die Leute noch mehr bretonisch
sprechen als anderswo in der Bretagne, heißt in der
Landessprache Kaouenneg-Lanvezeeg. Felsgraue Häuser im alten
Ortskern, neben der Kirche die Mairie, bretonisch: "Ty ker",
gegenüber ein Frisörsalon und das "Gwenn ha Du", ein
Bistro mit Billardtisch, Lebensmittelverkauf und Gästezimmern,
das aus unerfindlichen Gründen nach der schwarz-weißen
bretonischen Fahne benannt ist. Den Gemeindesaal hinter der Kirche
nennen die Alten im Dorf "Ty bihan Maï", "Marie's
Häuschen". Dort werden Hochzeiten, Geburtstage und Taufen
gefeiert, Ausstellungen und Theateraufführungen arrangiert
sowie bretonische Musikabende abgehalten. Der Klang von Dudelsack
und Bombarde liegt lange in der Luft.
Am 21. März, an den Feldwegen blühte schon der
Ginster, wurde in Ty bihan Maï gewählt. Zur Wahl stand
der Regionalrat der Bretagne in Rennes, um dessen 83 Sitze sich 633
Kandidaten bewarben, die Hälfte davon Frauen. So will es das
Gesetz. Die Kandidaten stellten sich den Wählern auf sieben
Parteilisten und Listenverbindungen vor, und man darf annehmen,
dass die meisten Wähler von den meisten Kandidaten noch nie
etwas gehört oder gesehen hatten. Und wozu die 26
Regionalräte da sind, die in den 80er Jahren gebildet und nun
zum vierten Mal gewählt wurden, schien den Wählern auch
nicht ganz klar zu sein. Jedenfalls hatten die beiden großen
regionalen Tageszeitungen, der "Ouest France" in Rennes und das
"Télégramme" in Morlaix, wie die vielen kleinen
Wochenblätter es für nötig gehalten, den Lesern noch
einmal zu erklären, welche Institution sie eigentlich
wählen sollten - Indiz dafür, dass die von der Regierung
Jean-Pierre Raffarin eingeleitete "Dezentralisierung" die Regionen
noch nicht richtig erreicht hat.
Dennoch stellte sich die bange Frage nach der Höhe der
Wahlbeteiligung in Caouënnec-Lanvézéac mit seinen
492 Wahlberechtigten nicht. Schon gegen Mittag war klar, dass die
Leute sich nicht nach Umfragen und Prognosen richteten, sondern dem
Appell "Aux armes, citoyens" ("Zu den Urnen, Bürger") des
populären Wochenblattes "le trégor" folgten, und so lag
die Wahlbeteiligung schließlich bei 69 Prozent. Und dann erst
das Ergebnis: Die rechte Regierungspartei UMP ("Die Bretagne
gewinnen lassen") mit dem amtierenden Präsidenten, Herzog
Josselin de Rohan, an der Spitze erhielt gerade mal 60 Stimmen.
Hingegen entfielen 158 Stimmen auf die Sozialistische Partei (PS)
und ihre Verbündeten, die unter Führung des Sozialisten
Jean-Yves Le Drian aus Lorient "Eine linke Bretagne, eine Bretagne
für alle" versprachen. Auf dem dritten Platz war mit 36
Stimmen die neue Liste "Grüne/UDB/Alternative Linke" gelandet,
die nicht von Pariser Parteigrößen unterstützt
wurde, sondern von den Großen der bretonischen Kultur,
darunter die Sänger Alan Stivell und Gilles Servat. Es folgten
die zentristische UDF mit 24 Stimmen, der rechtsradikale Front
national und die gleichgesinnte Bewegung MNR mit ebenfalls 24
beziehungsweise sieben Stimmen sowie die revolutionären
Kommunisten und Trotzkisten, die man in einem bretonischen Dorf
nicht gerade vermutet, mit 23 Stimmen.
Auf regionaler Ebene fiel das Wahlergebnis nicht viel anders
aus, und es war insofern bemerkenswert, als die Bretagne zu den
fünf Regionen im Hexagon gehörte, die dem Front national
und der extremen Linken eine Absage erteilt hatten. Außerdem
war "Breizh", so der bretonische Eigenname, neben dem Elsass und
Korsika die einzige Region, die mit der UDB, der Bretonischen
Demokatischen Union, und einer Gruppe unabhängiger Linker eine
kämpferische Riege notorischer Regionalisten und Autonomisten
in die zweite Runde schickte.
In ihrer 40-jährigen Geschichte hat die UDB bisher nur in
kleinen oder mittleren Kommunen Fuß fassen können, in
denen sie 85 Gemeinderäte und auch mal einen
Bürgermeister oder Vizebürgermeister stellt. Doch
für den Sprung in den Regionalrat brauchte sie Verbündete
und fand sie in den bretonischen Grünen, denen Bernard Rubin,
Chefredakteur des "Trégor" in Lannion, "eine Logik der
Autonomie" zuschreibt. Die von einer Grünen geführte
Liste kam regional auf 9,78 Prozent, brauchte für den zweiten
Wahlgang also einen Partner. Und das Parteienbündnis von
Jean-Yves Le Drian, das auf 39,02 Prozent gekommen war
benötigte, um die 50-Prozent-Hürde nehmen zu können,
einen Mehrheitsbeschaffer. Die beiden fusionierten, wie verabredet,
zur Liste "Yves le Drian". Auf der anderen Seite tat sich die
rechte Verliererin UMP mit der zentristischen UDF zur "Union
für den Sieg" zusammen, die Josselin de Rohan, der "kleine
Chirac der Bretagne", anführte.
Am 28. März gingen in Caouënnec-Lanvézéac
die Leute noch zahlreicher zur Wahl und straften die Rechte noch
kräftiger ab. Bei der Stimmenauszählung nannte
Bürgermeister Alain Touminet 270 mal den Namen Le Drian (73,77
Prozent) und nur 96 mal den Namen de Rohan (26.23 Prozent). Auf
Regionalebene fiel der Sieg der Linken mit 58,66 Prozent nicht ganz
so glänzend aus wie im traditionell "linken"
Caouënnec-Lanvézéac.
200 Jahre war die Bretagne als konservatives, frommes Bauernland
eine Bastion der Rechten. Jetzt ist sie, nach den wirtschaftlichen
Veränderungen der letzten 30 Jahre, erstmals an die Linke
gefallen. "Und was macht die jetzt mit ihrer Mehrheit?" hatte einer
der letzten Wähler in Caouënnec gefragt, als die Stimmen
ausgezählt waren. Das fragen sich auch die Regionalisten, die
zusammen mit den Grünen 13 Sitze erhielten und in Jean-Yves Le
Drians "Regenbogenkoalition" erst einmal Profil zeigen
müssen.
Denn so erfreulich der Einzug vor allem der UDB in den
Regionalrat auch ist, auch das Votum der Bretonen war primär
Ausdruck sozialer Unzufriedenheit und insofern ein "nationales". Da
stellt sich die Frage, warum eine Region wie die Bretagne, die sich
auf eine eigene Geschichte berufen kann, die eine eigene Sprache
und eine starke Identität besitzt, die stolz auf ihre
Kulturbewegung, ihre Buchproduktion und ihr Bildungsniveau ist,
bisher nur eine Menge Splitterparteien hervorgebracht hat, die in
der Lage wäre, die Eigenart der Region zu erhalten und ihre
Interessen in Paris und Brüssel durchzusetzen.
"Das ist ein Paradox", sagt Bernard Rubin und verweist auf den
ausgeprägten Individualismus seiner Landsleute, wonach zwei
Bretonen "mindestens drei verschiedene Meinungen" vertreten.
Hingegen macht der Philosoph und Publizist Fañch Kerrain,
Mitglied des Kulturrats der Bretagne, das hochzentralisierte
politische System Frankreichs, das Jakobinertum auf der Rechten wie
auf der Linken, dafür veranwortlich, dass "die bretonischen
politischen Bewegungen sich nicht artikulieren können."
Letztlich hätten die beiden großen politischen
"Maschinen", Rechte wie Linke, nur ein Ziel: "die Schaffung einer
homogenen Gesellschaft und die Ausschaltung aller kulturellen und
sprachlichen Besonderheiten." Nach Jahrhunderten französischer
Dominanz und sprachlicher Unterdrückung sei das bretonische
Volk kaum noch in der Lage, eigenständige Ziele zu formulieren
oder gar durchzusetzen.
Es sind die großen Pariser Parteien, die in der Bretagne
den Ton angeben und Geld, Kontakte, Einfluss nach Gutdünken
einsetzen. Eine regionale Partei, die schon per definitionem nicht
in Paris präsent sein kann, wird von dort auch nicht
unterstützt. Sie hat keinen Apparat, kein Geld und keinen
Zugang zu den Medien und macht sich schon verdächtig, wenn sie
in ihrem politischen Diskurs Begriffe wie "Autonomie" oder
"Föderalismus" verwendet, die in Frankreich als obsolet
gelten, weil sie dem Verfassungsgrundsatz der "einen und
unteilbaren Republik" widersprechen.
Immerhin haben die Sozialisten vor den Wahlen prominente
Vertreter der bretonischen Kulturbewegung konsultiert, die sich um
das Überleben ihrer Sprache sorgen. "Unter der Rechten
hätten wir eine weitere Zerstörung unserer Kultur
hinnehmen müssen, und unsere Sprache wäre nicht
gefördert worden", sagt Fañch Kerrain.
Anders als der Herzog de Rohan, der sich als Vorsitzender der
UMP-Gruppe im Senat mehr in Paris aufhielt als in Rennes, wird sein
Nachfolger es sich nicht mehr leisten können, ein virtueller
Präsident zu sein. Die Bretagne, die sich in einer tiefen
ökonomischen und ökologischen Krise befindet, braucht
Dynamik und mehr Eigenständigkeit. Marianna
Butenschön
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