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K. Rüdiger Durth
Geldnot und Zukunft
Berlin im Grundgesetz verankern?
Nach Wowereit soll der Artikel 22 des Grundgesetzes, der bislang
lediglich regelt, dass die Bundesflagge schwarz-rot-gold ist, um
einen Berlin-Artikel ergänzt werden. Dieser müsste
aussagen, dass der Bund für die hauptstadtbezogene
Infrastruktur ebenso aufkommt wie für die Repräsentation
des Gesamtstaates in Berlin. Das hat sofort die anderen
Bundesländer auf den Plan gerufen, die sich um
zusätzliche finanzielle Leistungen für Berlin sorgen. Die
Hauptstadtfrage steht jedoch nicht nur auf der Tagesordnung der
Föderalismus-Kommission, sondern auch im Mittelpunkt der vom
Berliner Abgeordnetenhaus eingesetzten Enquete-Kommission "Eine
Zukunft für Berlin". Und drittens liegt seit Herbst 2003 beim
Bundesverfassungsgericht eine Klage Berlins gegen den Bund, der
dazu verurteilt werden soll, Berlin mindestens 35 Milliarden Euro
zur Schuldentilgung zu bezahlen.
Inzwischen hat der rot-rote Senat von Berlin festgestellt, dass
es ihm bei seinen Initiativen weder darum gehe, aus Berlin einen
regierungsunterstellten Distrikt analog der amerikanischen
Bundeshauptstadt Washington zu machen, noch die Grundlagen des
Bonn-Berlin-Gesetzes in Frage zu stellen, das den Ausgleich und die
Aufgabenverteilung zwischen alter und neuer Hauptstadt regelt.
Berlin, so der Senat, will Bundesland bleiben (bei der zum Ende
dieses Jahrzehnts angestrebten Fusion des Landes Berlin mit dem
Land Brandenburg soll Berlin eine Kommune im neuen Bundesland
Berlin-Brandenburg sein). Allerdings sollen sich der Bund und die
übrigens 15 Bundesländer eindeutig zur deutschen
Hauptstadt bekennen. Das hätte selbstverständlich auch
finanzielle Konsequenzen.
Damit aber stößt Berlin auf taube Ohren. Bei
Finanzminister Eichel ohnehin, aber auch bei den Ländern, die
fürchten, Berlin könne auch für sie zu einem
finanziellen Fass ohne Boden werden. So hat denn auch schon der
Hamburger Senat erklärt, die Berliner Probleme könnten
nur dort gelöst werden, wo sie auch entstanden seien.
Ähnlich sehen das die anderen Bundesländer, zumal
Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin erklärt hat, die
Bundeshauptstadt habe kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem.
Gleichwohl hat der Senat bereits Ende 2002 offiziell festgestellt,
dass sich Berlin in einer "extremen Haushaltsnotlage" befinde; ein
knappes Jahr später reichte er in Karlsruhe die Klage ein. Was
einst dem Saarland und Bremen gewährt wurde, fordert man nun
auch für sich selbst, nämlich Milliarden-Hilfe zur
Sanierung des Schuldenhaushaltes (inzwischen rund 61 Milliarden
Euro).
Gegenüber dem Bundesverfassungsgericht haben die
norddeutschen Bundesländer Niedersachsen, Hamburg,
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern darauf hingewiesen,
dass in Berlin allein die bereits 1994 vorgenommene Gleichstellung
der Tarif- und Besoldungsregeln in der einst geteilten Stadt zu
erheblichen finanziellen Aufwendungen geführt hätten.
Auch sind diese Länder überzeugt, Berlin solle mehr als
bislang privatisieren. Umgekehrt weist Berlin darauf hin, dass es
alles tut, um die Ausgaben zu senken - allein die Löhne und
Gehälter für den Öffentlichen Dienst sind um
durchschnittlich zehn Prozent abgesenkt worden. In der Tat hat
Berlin, finanziell gesehen, kaum noch Luft zum Atmen.
Das Bundesfinanzministerium hat inzwischen vorgerechnet, dass
Berlin seit dem Fall der Mauer Ende 1989 bis einschließlich
2002 Finanzhilfen und Steuervergünstigungen von über 140
Milliarden Euro erhalten hat. Das sind pro Jahr rund 14 Milliarden
direkter und indirekter Zuwendungen bei einem Gesamthaushalt von
etwa über 20 Milliarden Euro. Zu berücksichtigen ist,
dass die Steuereinnahmen Berlins von über sieben Milliarden
Euro weitgehend für Löhne und Gehälter sowie
Pensionen des Öffentlichen Dienstes aufgefressen werden.
Was die anderen Bundesländer ebenfalls verärgert:
Berlin versucht, mit günstigen Angeboten Unternehmen und
Verbände an die Spree zu locken. Etwa im Bereich Medien, Mode,
Werbung, was jene Länder in Rage bringt, die diese Unternehmen
ziehen lassen müssen. Neue Arbeitsplätze werden dadurch
nicht geschaffen, sondern nur verlagert. Damit hat allerdings auch
Berlin zu kämpfen, wenn Unternehmen aus Berlin nach
Brandenburg ziehen. Besonders deutlich hat im vergangenen Jahr der
Kölner Oberbürgermeister Schramma seinem Ärger Luft
gemacht, als bekannt wurde, dass die populäre und umsatzstarke
"Popcom" vom Rhein an die Spree ziehen wird.
Zu den vielfältigen direkten Bundesgeldern für Berlin
gehören seit 1995 die Bundesergänzungszuweisungen: 16
Milliarden Euro bis 2002. Von erheblicher Bedeutung sind auch die
4,5 Milliarden für den Aufbau-Ost. Weitere Beispiele aus der
Vielzahl bundesstaatlicher Förderung für den Zeitraum
1989 bis 2002: 300 Millionen Euro für die Hauptstadtkultur,
200 Millionen für die Sicherheit im Parlaments- und
Regierungsviertel, 2,5 Milliarden für hauptstädtisch
bedingte Bau- und Entwicklungsmaßnahmen, 2,1 Milliarden
für Verkehrsmaßnahmen, 5,7 Milliarden für Schulen
und Hochschulen.
Der Senat wehrt sich. Die Polizeikosten, die durch den Bund
entstehen, belaufen sich auf 110 Millionen Euro pro Jahr. Der Bund
übernimmt nur 35 Prozent. Andererseits aber muss Berlin
einräumen, dass sich der Bund verpflichtet hat, für die
milliardenteure Sanierung der Museumsinsel aufzukommen. Was Berlin
besonders ärgert: Die Länder weigern sich zu sagen, was
ihnen Berlin als Hauptstadt wert ist. Umgekehrt fürchten die
Länder eine zu starke Zentralisierung und sind bemüht,
ihre eigenen Hauptstädte weiter auszubauen - um im vereinten
Europa konkurrenzfähig zu bleiben. Schließlich legen sie
Wert darauf, dass auch in ihren Hauptstädten Oper und Theater,
Orchester und Museen von nationalem Ruf eine Zukunft haben.
Die Auseinandersetzungen um den Stellenwert der Bundeshauptstadt
und die Finanzierung des total überschuldeten Berlin wird also
weitergehen. Mit einer Aufnahme Berlins in das Grundgesetz wird es
nichts. Viele Länder haben bereits abgewunken. Dafür wird
es weder im Bundestag noch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit
geben. Wowereit verfolgt in Wahrheit auch ein ganz anderes Ziel: Je
mehr über die Hauptstadt diskutiert wird, desto geneigter
könnte Karlsruhe werden, den Bund zu zwingen, Berlin bei der
Entschuldung unter die Arme zu greifen.
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