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Alva Gehrmann
Mach dich stark, du bist schön so, wie du
bist
Mädchenzeitschriften wollen Lotsen und gute
Freundinnen sein
Annika hat es richtig erwischt. Sie ist verliebt in einen Jungen
aus ihrer Klasse. Doch sie traut sich nicht, ihm das zu sagen. Seit
Wochen überlegt die 16-Jährige nun schon, was sie machen
soll. "Meine Freundinnen sagen, ich soll warten, bis er den ersten
Schritt macht, mir auf gar keinen Fall die Blöße geben.
Wie peinlich wäre das, wenn er Nein sagt. Dann müsste ich
auf der Stelle sterben, schließlich geht er ja in die gleiche
Klasse."
So richtig glücklich ist sie mit der Situation nicht. Mit
ihren Eltern will sie nicht über Jungs reden, also holt sich
Annika Anregungen aus Zeitschriften. Sie liest die "Bravo" und vor
allem Mädchen- und Frauenmagazine. Zum Beispiel "young miss".
Das Blatt ist ein Ableger der Frauenzeitschrift "Brigitte" und
richtet sich an die 16- bis 24-Jährigen. Passend zum
Frühling gibt "young miss" in der März-Ausgabe einen
Flirt-Guide heraus: "Du willst ihn? So kriegst du ihn! Flirten -
die besten Tipps für alle, die richtig rangehen wollen",
heißt es da. So ganz sicher ist sich Annika immer noch nicht,
was sie machen soll, aber immerhin hat sie nun noch andere Tipps.
"Ich zeig' das mal meinen Freundinnen. Mal gucken, was die dazu
sagen."
Ein typisches Verhalten, sagt Waltraud Cornelißen vom
Deutschen Jugendinstitut e.V. (DJI). "Mädchen nehmen ihre
Zeitschriften oft mit in die Schule, zeigen sie ihren Freundinnen
und beginnen angeregt dadurch über Themen zu reden, die sie
beschäftigen", sagt die Leiterin der Abteilung für
Geschlechterforschung. Die Auswahl an Mädchenzeitschriften und
Magazinen für junge Frauen ist groß: "Bravo Girl",
"Mädchen", "young Lisa", "Sugar", "Joy" und "young miss" sind
nur einige der Blätter, die im Regal der
Zeitungsverkäufer stehen.
"Unsere Zeitschrift ist eine Mischung aus guter Freundin und
Lotse", beschreibt Chefredakteurin Kathrin Tsainis die Funktion von
"young miss". "Lotse in dem Sinne, dass es darum geht,
Möglichkeiten und Trends aufzuzeigen." Und so werden neben
Liebestipps auch neue Düfte vorgestellt, Weiß zur
Trendfarbe des Sommers erkoren, sowie Tipps für die perfekte
Gesichtsreinigung gegeben.
Frauenzeitschriften sind eine wichtige Informationsquelle
für junge Frauen. Hier finden sie nicht nur die Poster ihrer
Stars, die dann später in den Zimmern hängen, hier bilden
sie sich ihre Meinung über Sexualität, Kleidung und
Styling. Ina (14) kauft sich die Mädchenmagazine vor allem
wegen der Schmink- und Modetipps. Auf mehrseitigen Fotostrecken
wird die neueste Mode vorgestellt. "Dort gibt es immer so tolle
Klamotten, doch die meisten kann ich mir gar nicht leisten. Klar
kriege ich Taschengeld, aber das reicht nicht für all das, was
man braucht, um auf dem Schulhof dem Style zu entsprechen."
Auch wenn sie sich nicht alles leisten kann: Im Trend sein, ist
für Ina wichtig. Deshalb kauft sie sich pro Monat mindestens
vier Magazine. Die Kosmetik- und Bekleidungsindustrie findet mit
den Mädchenzeitschriften ihre ideale Plattform. Das war schon
immer so, nur dass 2004 stärker geworben wird als noch vor 20
Jahren. Kosmetik-Pröbchen und Damenbinden kleben in den
Heften, zudem verschenken die Magazine so genannte Gimmicks. Das
sind Armreifen, Kettenanhänger oder "coole
Schlüsselbänder in Romantik-Rosa", zum Teil werden schon
halbe Schminkkästen auf das Heft geklebt.
Ansonsten hat sich nicht viel verändert. Zumindest, was die
Themenauswahl angeht. Das Wichtigste sind neben Umwelt- und
Tierreportagen noch immer Gefühle und Partnerschaft, die
Foto-Love-Storys sowie das Bedürfnis schön zu sein.
"Manchmal träume ich davon, dass mich jemand ganz neu stylt",
sagt Ina. "Wenn ich dann richtig gut aussehe, lerne ich vielleicht
auch mal einen Jungen kennen."
DJI-Genderforscherin Waltraud Cornelißen würde sich
wünschen, dass die Botschaft der Magazine lautet: Sei so wie
du bist und du hast es nicht nötig, dich zu schminken und zu
stylen. "Mädchen"-Chefredakteurin Nina Maurischat, 31, sieht
darin keinen Widerspruch. "Auch wenn man sagt, mach dich stark, du
bist schön so, wie du bist', kann sich ein Mädchen doch
für rosa Lipgloss interessieren. Das gehört auch dazu."
Maurischat will ihre Leserinnen auf eine lockere Art und Weise
positiv beeinflussen. "Unser Ziel ist es, ihr Selbstbewusstsein zu
pushen." Zum Beispiel durch eine Anleitung zum Böse sein:
"Trau dich anzuecken" oder "Pfeif auf die Meinung anderer", lautet
die Devise in einer der März-Ausgaben. Heute ist
"Mädchen" frecher als zum Beispiel im Jahr 1987. Da wurde die
Frage, wie Mädchen für Jungen attraktiv werden
können noch leicht wissenschaftlich durch die drei großen
"A"s "Aussehen, Auftreten, Ausstrahlung" definiert. Heute hat sich
das Selbstbildnis der Teenager verändert: Man ist jemand, wenn
man zu sich selber steht. Und das gilt auch für die
Mädchen.
Seit 1976 gibt es "Mädchen", das sich an die Zwölf-
bis 18-Jährigen richtet. Mit dem Lesen von Jugendzeitschriften
beginnen die Kids heute jedoch meist schon früher. So wird die
"Bravo" zum Teil schon von Achtjährigen gelesen. Eine
Entwicklung, die Waltraud Cornelißen bedenklich findet. "In
den Blättern wird ja auch über Sexpraktiken gesprochen,
das überfordert die Kinder."
Auch Kathrin Tsainis, Chefredakteurin der "young miss", trifft
immer wieder auf junge Frauen, die überfordert sind.
Einerseits durch die permanente mediale Beschallung - Internet,
Handys sowie vierzig TV-Programme - andererseits durch die Vielzahl
an Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten. "Der Druck
auf junge Frauen ist riesig", sagt Tsainis, 36. "Sie müssen am
besten alles auf einmal erreichen: Granate aussehen, einen tollen
Freund haben, eine erfülltes Sexualleben, Karriere machen und
dann natürlich glücklich sein." Wer dennoch unzufrieden
sei, dem werde suggeriert: Dann ist das dein Problem.
"Brigitte - young miss" will da gegensteuern - eine Art Filter
und Ratgeber in der Fülle von Möglichkeiten sein.
Ratgeber-Rubriken sind seit jeher ein wesentliches Element von
Magazinen für junge Frauen. Besonders, wenn es um Sex geht.
"Das erste Mal war echt frustrierend, gar nicht so, wie ich mir das
vorgestellt hatte", ist dort immer wieder zu lesen. Eine Erfahrung,
die auch Mara (17) gemacht hat. "Im Fernsehen und in den
"Bravo"-Erlebnisberichten hört sich das immer alles so einfach
an. Mein erstes Mal war irgendwie seltsam. Ich hatte diese ganzen
Bilder im Kopf." Gabi, die "Mädchen"-Beraterin, versucht die
Teenager zu beruhigen. Trotzdem sagt auch Ina: "Meine Freundinnen
haben das erste Mal schon hinter sich, ich bin jetzt 16 und hatte
immer noch keinen Sex. Manchmal glaube ich, ich bin ein Alien."
Der Druck ist da. Auch der Druck, schlank sein zu müssen.
"Bei uns würde es nie eine Diät geben. Es gibt schon
genug junge Frauen, die an Essstörungen leiden, sich permanent
zu fett fühlen, egal wie schlank sie tatsächlich sind",
sagt Kathrin Tsainis von "young miss". "Das merken wir an den
zahlreichen Leserbriefen." Nina Maurischat sieht das ebenso. Das
wirkt sich zusätzlich auf die "Mädchen"-Heftstruktur aus.
"Unsere Models dürfen nicht zu schön oder zu dünn
sein. Es sollen normale Mädchen sein, denn Komplexe haben die
Teenager sowieso genug."
Die "Mädchen"-Marktforschung hat ergeben, dass den
Leserinnen die Reportagen zum Thema Bulimie oder Magersucht gar
nicht hart genug sein können. "Es geht dabei nicht um
Sensationsgier, sondern darum, dass sie aufgerüttelt werden
wollen. Nach dem Motto: So etwas könnte auch mir passieren",
sagt Nina Maurischat. Wenn man ein Foto von einem
Knochengerüst zeige, sei das zwar hart, aber da fühle
sich jeder angesprochen. Sei es, weil die Betroffene im gleichen
Alter ist, oder sich die Leserin selbst auch Gedanken über
ihre Figur macht.
Die Botschaft der Zeitschriften ist, jeder soll so sein, wie er
will. Doch das ist gar nicht so einfach. "Junge Frauen stellen sich
immer wieder in Frage", sagt die "young miss"-Chefredakteurin.
"Männer tun sich leichter damit, einfach zu sein." Doch auch
die haben Komplexe. Und die Probleme, die früher fast
ausschließlich nur Mädchen hatten: "Bin ich schön
genug? Bin ich schlank genug? Habe ich die richtigen Klamotten?",
sind auch mehr und mehr die Fragen, die Jungen beschäftigen.
"Jungen stehen zunehmend unter Druck, was ihr Aussehen angeht", hat
Waltraud Cornelißen vom DJI festgestellt. "Mehr noch als die
vorherige Generation, müssen sie sich entsprechend ihrem
Freizeitstil kleiden, Bodyshaping betreiben, und die Haare
müssen stets gut gegelt sein."
Doch es gibt auch ein Beispiel, das beide Geschlechter beruhigt
- und in den Jugendzeitschriften immer wieder erwähnt wird:
Gareth Gates. Der "Popidol"-Finalist, des englischen "Deutschland
sucht den Superstar"-Contests, zeigt, dass man nicht perfekt sein
muss. Gates ist Stotterer. Trotzdem ist er seinen Weg gegangen.
Heute ist er ein erfolgreicher Popstar und steht zu seiner
Schwäche. Alva Gehrmann
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