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Bert Schulz
Die Kür, die zur Posse verkam
Damals... vor 45 Jahren am 8. April: Kanzler
Adenauer verkündet seine Kandidatur für das Amt des
Bundespräsidenten
Es gibt politische Aussagen, die kehren Jahreszeiten gleich
immer wieder, und ähnlich wie bestimmte Blumen nur im
Frühling blühen, haben diese Aussagen auch nur zu ganz
bestimmten Phasen des immerwährenden politischen Kalenders
ihre Gültigkeit. "Die Stellung, die Aufgabe und die Arbeit des
Bundespräsidenten wird in der deutschen Öffentlichkeit zu
gering eingeschätzt. Sie ist viel größer, als man
schlechthin glaubt." So sprach Konrad Adenauer am 8. April 1959
über alle Radiosender zu seinen "lieben Landsleuten". Damals
glaubte er an die Macht des Präsidenten - wie sonst hätte
sich der Bundeskanzler zu der Kandidatur zum höchsten, aber
vergleichsweise einflussarmen Amt im Staat aufschwingen
können? Einen Tag zuvor hatte Adenauer den Vorschlag eines
63-köpfigen CDU/CSU-Gremiums dazu angenommen. Die "lieben
Landsleute" waren perplex.
In den folgenden zwei Monaten kümmerte sich Adenauer dann
darum, seine Aussage gründlich zu widerlegen. Am 5. Juni
erklärte der Kanzler den Rücktritt von der Kandidatur.
Die Presse sprach von "Präsidentenkrise", einer
unwürdigen Demontage des Amtes und zynischem Machtwillen
Adenauers. Sein Ansehen in der Bevölkerung bekam schwere
Kratzer. Denn die Präsidentschaftsposse offenbarte der
Öffentlichkeit einige Charaktereigenschaften des "Alten" und
deutliche Einblicke, wie tief das Verhältnis zwischen ihm und
dem allgemein als Kronprinz geltenden Wirtschaftsminister Ludwig
Erhard zerrüttet war.
Im Vorfeld dieses Wahlkampfes um das Präsidentenamt 1959,
der bis heute ja kein wirklicher ist und offiziell auch nicht sein
soll, steht noch die Überlegung, die Verfassung zu
ändern, um Bundespräsident Theodor Heuss eine dritte
Amtszeit zu ermöglichen. Heuss gilt als idealer, hoch
angesehener Mann auf diesem Posten und als einer der drei
geachteten Garanten der bisher so glücklichen Entwicklung
Deutschlands nach 1945. Die anderen beiden sind Adenauer und
Erhard. Dabei spricht der Kanzler seinem Wirtschaftsminister die
außenpolitische Kompetenz ab, Deutschland zu führen. Er
will verhindern, dass Erhard ihn als Kanzler beerbt. Jenen auf den
Präsidentenposten "fortzuloben", wäre eine
erfolgversprechende Taktik.
Ende Februar schlägt Adenauer - und ein von ihm
zusammengestellter Kreis von 16 CDU-Spitzenpolitikern - den
Wirtschaftsminster als Unionskandidaten vor. Doch einflussreiche
Teile der Unionsfraktion meutern. Sie hoffen, mit dem
populären Politiker die nächsten Bundestagswahlen zu
gewinnen. Am 3. März verzichtet Erhard. Er wolle seine "Kraft
wirksamer im Bereich der aktiven Politik einsetzen".
Ab Ende März wird dem 83-jährigen Adenauer selbst von
Kollegen und Freunden der Sprung auf das Präsidentenamt und
damit der Rückzug aus dem stressigen politischen
Alltagsgeschäft nahegelegt. Der Kanzler lässt sich
daraufhin noch einmal die Vorzüge des Präsidentendaseins
erläutern. Vielleicht sind es das offizielle Vorschlagsrecht
für den Kanzler sowie völkerrechtliche Vertretung des
Landes bei Vertragsabschlüssen, die ihn glauben lassen, als
Präsident weiterhin die aktuelle - also seine - Innen- und
Außenpolitik "sichern" zu können, wie Adenauer seine
plötzliche Motivation erklärt. In der Folge wuchern die
Spekulationen über die Kanzlernachfolge in der Presse wie in
der Union.
Die Euphorie über seine vermeintliche taktische
Meisterleistung hält nur kurz an: Schon wenige Tage nach dem
8. April wird dem Kanzler deutlich, "wie blödsinnig er sich
verrannt hat", schreibt sein ihm wohlgesonnener Biograf Hans-Peter
Schwarz. Adenauer wird klar, dass er durch eine erfolgreiche
Kandidatur den Weg für Erhard, den er verhindern will, gerade
erst ebnet. Adenauers Entschluss, einen Rückzug anzutreten,
der noch dazu in seiner eigenen Partei auf wenig Unterstützung
stößt, steht seit Mitte Mai. Doch er wartet, bis Erhard
in die USA reist und nicht unmittelbar reagieren kann, um die
Aufgabe der Kandidatur am 5. Juni zu verkünden. Offizielle
Begründung: die angespannte außenpolitische Lage - die
Alliierten sind sich in ihrer Haltung gegenüber Berlin
zunehmend uneins. Die Schuld an seiner Präsidentenposse
schiebt er einigen engen Parteifreunden zu, die ihn zu der
Kandidatur geradezu getrieben hätten. Nicht nur die Presse und
Teile seiner Partei sind wütend über Adenauers
gescheiterte Scharaden. Ein entzürnter Theodor Heuss schreibt:
"Adenauer hat Glück, dass ich nicht freier Publizist bin."
Schließlich überredet der Kanzler seinen Minister
für Ernährung, Heinrich Lübke (CDU), zur Kandidatur
- einen Mann, gegen den er eine tiefe Abneigung hat. Er wird am 1.
Juli gewählt. Einfluss auf die Tagespolitik und Kanzlerwahlen
nahm er nicht. Bert Schulz
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