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Ines Gollnick
Der Waghalsige: Eberhard Gienger
Parlamentarisches Profil
Eberhard Gienger, mit 52 Jahren einer der Politik-Newcomer in
der Unionsfraktion, ist Experte für Punktlandungen. Der
Weltmeister am Reck von 1974, Europameister und 36-fache Deutsche
Meister suchte nach seinen Erfolgen als Kunstturner die
Herausforderung über den Wolken: 3.000 Absprünge mit dem
Fallschirm weist seine Statistik auf. Der Mann aus Künzelsau
in Baden-Württemberg mag das Spektakuläre. Er hat als
"Turn-Fallschirmspringer" unter einem fliegenden Hubschrauber an
einem fest montierten Reck in 2.000 Meter Höhe Riesenfelgen
geturnt und mit elf Salti und dazu noch einer halben Schraube, um
die Rotation zu stoppen, den freien Flug gewagt. Danach hat er den
Fallschirm geöffnet. Sein Sprung vom Berliner Fernsehturm aus
210 Meter Höhe mutet da fast langweilig an.
Zwar nicht spektakulär, aber doch mit einer phantastischen
Punktlandung zog Gienger im Herbst 2002 in den Deutschen Bundestag
ein. Er jagte Staatsminister Hans-Martin Bury im Wahlkreis
Neckar-Zaber das Direktmandat ab. Der Quereinstieg gelang mit
prominenter Schützenhilfe. Matthias Wissmann,
Ex-Bundesminister und seit 1976 Parlamentsabgeordneter, fragte
Gienger 2001, ob er sich ein Mandat im Bundestag vorstellen
könne. Giengers Zusage kam nach längerer Bedenkzeit und
mehreren Gesprächen mit seiner Familie. "Ich habe mich immer
schon für Politik interessiert und mich als Privatperson und
Unternehmer auch über einige Gesetze geärgert. Wenn man
eine Chance bekommt, aktiv an der Gestaltung der Rahmenbedingungen
unseres Landes mitzuwirken, sollte man sie auch nutzen",
begründet Gienger seine Entscheidung. Um bessere
Rahmenbedingungen kümmert er sich jetzt im Sportausschuss, und
als stellvertretendes Mitglied arbeitet er im Petitions- und im
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Seine
Erfahrungen zeigen dann doch die Bodenhaftung des Politikneulings,
der erst 2001 in die CDU eintrat: "Idealistische Vorstellungen
müssen den Realitäten weichen und ins Durchsetzbare
übertragen werden."
In seinem Fachgebiet hat sich der Politiker Gienger die
Förderung des Spitzensports zum Ziel gesetzt. "Defizite sehe
ich vor allem im Übergang vom Jugend- in den Aktivensport, bei
der beruflichen Absicherung, dem Erhalt, Aufbau und Ausbau eines
Stützpunkt- und Nachwuchssystems sowie durch das Wegbrechen
der finanziellen Unterstützung durch Kommunen und
Länder."
Da Gienger selbst ein überzeugter Ehrenamtler ist,
überrascht es nicht weiter, dass er sich für die
Stärkung des Ehrenamtes in den Vereinen stark macht. Seit 1986
arbeitet er als persönliches Mitglied im Nationalen
Olympischen Komitee (NOK) ehrenamtlich, um "mit Fachwissen richtige
Entscheidungen im NOK zu treffen". Für den Abgeordneten kann
das Ehrenamt im Breitensport dann noch besser gefördert
werden, wenn sich die Philosophie stärker durchsetzen
würde, "weg von der Ich- und hin zur Wir-Gesellschaft".
Und worauf kommt es nach Auffassung des olympiaerfahrenen
Sportlers an, damit Leipzig mit seiner Olympiabewerbung 2012
erfolgreich ist? Der Olympia-Gedanke müsse in Leipzig und in
ganz Deutschland in die Köpfe der Bürger getragen werden.
Außerdem gelte es, die IOC-Mitglieder davon zu
überzeugen, dass nur Leipzig die Olympischen Spiele nach den
neuen Ideen des IOC-Präsidenten Jacques Rogge - nämlich
weg vom Gigantismus - umsetzen könne.
Eigentlich dürfte ja einen Tausendsassa wie Eberhard
Gienger, der auch international im Sport schon so viel erreichte,
nichts so schnell aus der Fassung bringen. Doch bei seiner
Jungfernrede im Deutschen Bundestag wurden ihm bei seinen letzten
Schritten zum Rednerpult die Knie noch einmal weich: "Das
Herzklopfen war vergleichbar mit dem Wettkampf bei den ersten
Weltmeisterschaften." Inhaltlich ging es um Sport und das Thema
Doping. Um den Kampf des Staates gegen das Doping zu intensivieren,
sieht Gienger die Unterstützung der Nationalen Doping-Agentur
(NADA) und der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) durch mehr
finanzielle Mittel als eine Voraussetzung an. Auf die Frage, warum
es überhaupt so schwierig ist, das Doping-Problem im
Spitzensport in den Griff zu bekommen, hält er fest: "Die
Kontrolle hinkt der Forschung immer hinterher. Und die Schwelle der
Sportler zum Unrechtsbewusstsein beziehungsweise zum Betrug
sinkt."
Im jeweiligen Fachgebiet durch eigenes Wissen und Erfahrung
Entscheidungen positiv zu beeinflussen, ist dem Parlamentarier
Gienger zwar wichtig. Doch vorrangig will er Dienstleister für
die Bürger und Bürgerinnen im Wahlkreis sein.
Um seine Fitness trotz des Sitzungsmarathons eines Abgeordneten
nicht zu verlieren, geht er kürzere Strecken zu Fuß oder
schwingt sich aufs Kickboard. Er spielt in der
Fußballmannschaft des Bundestages und turnt gelegentlich mit
einer Gruppe in Berlin. Darauf, wieviel punktgenaue Landungen dem
politischen Quereinsteiger außerhalb des Sports gelingen, darf
man gespannt sein. Für Überraschungen ist Gienger aber
immer gut. So wie 1999, als öffentlich wurde, dass er 1975 am
Rande der Kunstturn-Europameisterschaften in der Schweiz seinem
schärfsten Konkurrenten, dem DDR-Meister Wolfgang Thüne,
zur Flucht in den Westen verhalf. Er tarnte ihn als Partner seiner
heutigen Frau auf dem Rücksitz seines Autos.
Ein Mann, der das Risiko liebt. Im Mai fällt der
Bundestagsabgeordnete beim Toto-Lotto-Benefiz Fußball-Zauber
in Bad Saulgau wieder vom Himmel, denn Gienger, Diplom-Sportlehrer,
Werbekaufmann und studierter Slavist, vermarktet sich selbst in der
"Eberhard Gienger pro-motion GmbH". Flugakrobatik ist da neben
Sportsponsoring einer der Schwerpunkte.
Nur einmal, im Jahr 2000, stürzte er bei einer Promotion
für die Post AG in Bremen aus zehn Metern ungebremst auf den
Boden. Becken- und Oberschenkelbrüche hielten ihn nicht davon
ab, wieder abzuheben. Er sei ein Kämpfer, sagt er über
sich: "Ja, ich gebe erst auf, wenn ich nicht mehr aufstehen kann."
Kämpfergeist, der auch in der Politik gefragt ist.
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