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Robert B. Fishman
Selbst die Höhe der Kleiderhaken wird zum
bürokratischen Hürdenlauf
Weniger ist mehr. Mit dem Streichen von Gesetzen
und Verordnungen wollen Bund und Länder die Wirtschaft
beflügeln und Bürokratie abbauen
Deutschland ist bekannt für seine Sorgfalt, seine
Sicherheit, aber eben auch für seine Bürokratie: Doch nun
haben sich einige Bundesländer und Modellregionen dazu
durchgerungen, Genehmigungsvorbehalte zu streichen, Verfahren zu
beschleunigen und Auflagen außer Kraft zu setzen.
Nordrhein-Westfalen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern schaffen ab,
was vielen Unternehmern in Deutschland ein Dorn im Auge ist: Den
lange Weg der Bürokratie, der schon manches Unternehmen
bereits vor seinem Start das Aus gekostet hat.
Im Regierungsbezirk Detmold gilt das "Bürokratieabbaugesetz
OWL" von April an versuchsweise für drei Jahre. Beispielsweise
müssen die Gemeinden ihre Genehmigung für die Ansiedlung
großer Einkaufszentren sowie ihre Zustimmung zu Sonn- und
Feiertagsarbeit in Zukunft nur noch in der Landeshauptstadt melden.
Kommt von dort binnen zwei Wochen kein Einspruch, gilt dies als
Zustimmung.
Das Gesetz ist in gewisser Weise aus dem Druck der
lähmenden Verhältnisse heraus geboren. Denn: Länder
und Kommunen stehen sich oft selbst im Weg. Der Detmolder Landrat
Friedel Heuwinkel, dessen Landkreis Lippe eine Stiftung
gegründet hat, kann davon ein trauriges Lied singen. Die
Stiftung seines Landkreises soll Existenzgründern
Risikokapital leihen. Obwohl der Kreistag die "Stiftung
Standortsicherung" einstimmig beschlossen habe, diskutieren die
Landespolitiker "seit mehr als neun Monaten", ob die Einrichtung
einer solchen Stiftung der Gemeindeordnung widerspricht. Selbst der
Bau eines Kindergartens werde zum bürokratischen
Hürdenlauf, schimpft Heuwinkel. "Die Gemeinde baut, dann kommt
das Kreisjugendamt und bestimmt, in welcher Höhe die
Kleiderhaken hängen müssen, und schließlich muss die
Bezirksregierung das ganze noch abnehmen."
Ein anderes Beispiel nennt Jürgen Heinrich,
Projektkoordinator für die Modellregion bei der
Marketinggesellschaft Ostwestfalen-Lippe (OWL-Marketing): In der
"bereinigten amtlichen Sammlung von Schulvorschriften", der BASS,
ist geregelt, wie viele Lehrkräfte eine Schulklasse beim
Schwimmen begleiten und welche Helme Schüler beim
Schlittschuhlaufen tragen müssen. Inzwischen gäbe es hier
so viele Vorschriften, dass die Verantwortlichen den Überblick
verloren hätten. Heinrich sieht im Düsseldorfer
Landesgesetz für Bürokratieabbau einen "Einstieg in ein
neues Politikmodell". Wie in Großbritannien und den USA
beginne nun auch der deutsche Gesetzgeber damit, Versuch und Irrtum
zuzulassen und Entscheidungen von oben nach unten zu verlegen. Es
sei doch sinnvoller, im Gesetz die Ziele - zum Beispiel die
Vermeidung von Unfällen an Schulen - festzuschreiben und die
Umsetzung den Verantwortlichen vor Ort zu überlassen. Die
dürfen dann allerdings nicht mehr, wie bisher häufig der
Fall, eine Entscheidung aus Angst vor der Verantwortung verweigern
und auf genaue Regeln des Gesetzgebers warten. Alle
Änderungen, die sich im nordrhein-westfälischen
Modellversuch bewähren, will das Land nach dem Ende des
Versuchs 2007 in seine Gesetze übernehmen.
Bremen und die Region Schwerin-Westmecklenburg versuchen
ebenfalls mit weniger Amt die Wirtschaft beflügeln und
Investoren anzulocken. Die Bremer Bürgerschaft hat den Senat
schon im Mai 2003 mit der "Entrümpelung der
Landesvorschriften" beauftragt. Die meisten neuen Gesetze und
Verordnungen versieht die Bürgerschaft inzwischen wie der
nordrhein-westfälische Landtag mit einem Verfallsdatum nach
fünf Jahren. Über Bauanträge will die Bremer
Verwaltung in Zukunft spätestens acht Wochen nach Einreichung
aller Unterlagen entscheiden. Nach Ablauf der Frist soll die
Genehmigung ab Sommer 2004 als erteilt gelten. Neu ist in Bremen
auch die "Mittelstandsverträglichkeitsprüfung". Bevor ein
Gesetz in Kraft tritt, werden seine Auswirkungen auf die
mittelständische Wirtschaft überprüft.
Im zukünftigen Landkreis Westmecklenburg haben die
Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer, Landräte
sowie die Oberbürgermeister von Schwerin und Wismar 120
Vorschläge zur Verwaltungsvereinfachung zusammengetragen.
Wirtschaft und Kommunen wünschen sich hier vor allem
Lockerungen im Bau- und Gaststättenrecht. Die Verpflichtung
zur Schaffung von Parkplätzen soll aus der Bauordnung
gestrichen und - wo das nicht möglich ist - sollen die
Ablösesummen gesenkt werden. Bisher zahlt jeder Bauherr in den
Innenstädten für jeden nicht geschaffenen Stellplatz
16.000 Euro an die Gemeinde. Für Gewerbebauten soll
zukünftig eine Genehmigung ausreichen. Wenn die Behörde
nicht binnen sechs Wochen über den Bauantrag entscheidet, soll
die Genehmigung als erteilt gelten. Der Leiter der Abteilung
Industrie, Technologie und Umwelt bei der IHK Schwerin, Klaus Uwe
Scheifler, geht davon aus, dass die meisten Vorschläge noch
vor den nächsten Landtagswahlen in zwei Jahren umgesetzt
werden.
Parallel zu den Modellregion-Projekten arbeiten Städte,
Gemeinden und Landkreise bundesweit an Vorschlägen zum
Bürokratieabbau. Mehr als 500 Ideen aus der Bevölkerung
hat der Landkreis Emsland über seine Internetseite gesammelt.
Anfang des Jahres schrieb der Landrat zudem 12.000 Unternehmen und
Freiberufler mit der Bitte um Ideen für eine effektivere
öffentliche Verwaltung an. Der Kreis hat nach eigenen Angaben
55 Nebenbestimmungen aus seinen Bewilligungsbescheiden gestrichen.
Beispiele für gut gemeint aber letztlich absurde
Bürokratie finden sich zu Hauf. So konnte im Emsland eine
Heilpraktikerin ihre Praxis nicht eröffnen, weil sie eine
behindertengerechte Toilette hätte einbauen müssen. Ihr
Argument, dass sie behinderte Menschen nicht in der Praxis, sondern
in deren Wohnung behandele, verpuffte vor den Bestimmungen des
Baurechts.
Parallel zum Bürokratieabbau in den Ländern arbeitet
das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA)
zusammen mit der Bertelsmann Stiftung an Vorschlägen für
weniger Gesetze. Die Stiftung hat dazu im vergangenen Jahr rund
1.000 Vorschläge von Kammern, Kommunen und Unternehmen
ausgewertet. Hier finden sich Ideen zu Lockerungen des
Gaststättenrechts, Vereinfachungen der
Buchführungspflichten für Unternehmen oder die zeitweise
Befreiung der Unternehmensgründer von der
Pflichtmitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer. Noch im
April will das BMWA seine Ergebnisse präsentieren und das
Modellvorhaben Innovationsregionen ausschreiben. Kreise, Gemeinden
und ganze Bundesländer bewerben sich dann als Modellregionen,
in denen per Bundesgesetz Vorschriften versuchsweise für
einige Jahre aufgehoben werden. Um aus den Versuchen
verlässliche Schlüsse zu ziehen, bräuchte
Deutschland mindestens sechs bis acht solcher Modellregionen,
schätzt Frank Frick von der Bertelsmann Stiftung. In der
Gütersloher Denkwerkstatt koordiniert Frick das Projekt
Innovationsregionen für Bürokratieabbau.
70.000 Gesetze und Verordnungen beschäftigen nach Angaben
des BMWA die Unternehmen in Deutschland. Ein mittelständisches
Unternehmen mit 500 Beschäftigten muss sich nach Angaben der
Bertelsmann Stiftung mit durchschnittlich 30 Krankenkassen
auseinander setzen. Dazu kommen noch der Papierkrieg mit den
Berufsgenossenschaften, der Bundesversicherungsanstalt, den
Landesversicherungsanstalten, der Arbeitslosenversicherung,
statistische Meldungen an die Kammern, Landesbehörden und
Finanzämter. Sinnvoll fände Frick zumindest ein
Servicecenter aller Sozialversicherungsträger, das die
Unternehmen aus einer Hand betreut.
Dass auch Fachleute nicht mehr durchblicken, zeigt eine Umfrage
der Stiftung bei den 16 Bundesländern. Nur fünf
Landesregierungen wussten nach Fricks Angaben überhaupt, wie
viele Gesetze und Verordnungen sie verwalten. Sachsen meldete 770,
Bayern 1.539. Dort fand sich sogar eine Gemeinde, die eine
Beschattungsabgabe erhebt. Eine Ladeninhaberin sollte 35 Euro
bezahlen, weil ihre Markise in den bayerischen Luftraum ragt.
"Politiker können sich heute nur noch profilieren, in dem
sie zu einem aktuellen Missstand ein Gesetz vorschlagen",
erklärt Frank Frick das Wachsen des deutschen
Gesetzesdschungels. Ist eine Regel erst einmal aufgestellt, finde
sich immer ein Experte, der sie für unverzichtbar
erklärt.
Gewerkschaften und Umweltschutzverbände warnen dennoch vor
der Deregulierungsbegeisterung. Wenn Städte und Gemeinden zu
viel unkontrolliert allein entscheiden dürften, wachse die
Gefahr sachfremder Einflussnahme, befürchtet die
abfallpolitische Sprecherin des Bund für Umwelt und
Naturschutz BUND, Claudia Beitinger. Sie erinnert an den
Kölner Müllskandal, wo Politiker der Stadt nicht für
die Bürger sondern für ihre Freunde in der Chefetage
eines großen Abfallunternehmens entschieden hatten. Der
Grüne Detmolder Regierungspräsidenten Andreas Wiebe
rät zum Kompromiss. Die Bezirksregierungen sollten die
Aufsicht übernehmen. Schließlich seien sie in der
Nähe des Geschehens und Teil der weniger Einflüssen
ausgesetzten Landesverwaltung. Robert B. Fishman
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