Karl-Heinz Baum
In der Bundesstaatskommission werden die
Länder eine flexible Haltung einnehmen
Ministerpräsidenten haben sich zu einer
einheitlichen Meinung zusammengerauft
Am 6. Mai haben sich die Ministerpräsidenten aller 16
Bundesländer zu einer einheitlichen Meinung zur Reform des
Bundesstaates mehr oder weniger zusammengerauft. Doch man hat sich
offenkundig nur auf eine Rahmenposition einigen können, wie
die Pressekonferenz der Ministerpräsidenten der Länder
nach der Sondersitzung in Berlin deutlich machte. Den Sprecher,
Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), unterbrach der
Regierungschef des ostdeutschen Bundeslandes
Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff (SPD), mehrfach. Am 14.
Mai, der darauf folgenden Sitzung der von Bundesrat und Bundestag
eingesetzten Bundesstaatskommission, wollte deren Kovorsitzender
Stoiber (CSU) die Vorschläge der Länder einbringen; der
andere Kovorsitzende der Kommission ist der
SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Franz Müntefering.
Zwei Tage zuvor, am 12. Mai, mahnte der Ende Juni aus dem Amt
scheidende Bundespräsident Johannes Rau in seiner Berliner
Rede "klare Verantwortlichkeiten" in Bund, Ländern und
Gemeinden an. "Jeder Interessierte sollte wissen können, wer
für welche Entscheidung verantwortlich ist", sagte Rau. Das
aber sei heute kaum möglich. Denn die politisch
Verantwortlichen aller Staatsebenen seien "zu oft in einer
Verflechtungsfalle gefangen". Für Rau muss die Kommission
"diese Blockade" aufbrechen und die "institutionalisierte
Verantwortungslosigkeit" beenden.
Nach ihrer Sitzung Anfang Mai in Berlin haben die
Ministerpräsidenten immerhin - für manche politischen
Beobachter doch ziemlich überraschend - der Bundesregierung
angeboten, "in beachtlichem Umfang" auf die so genannten
Zustimmungsrechte im Gesetzgebungsverfahren zu verzichten und die
Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund und Ländern im
wesentlichen abzuschaffen - mit der Ausnahme des
Küstenschutzes und der Forschungsförderung. Dagegen
sollten künftig allein die Länder für die bisherigen
Gemeinschaftsaufgaben Hochschulbau und Förderung der
Wirtschafts- und Agrarstruktur zuständig sein.
Der Bundesrat muss bestimmten Bundesgesetzen zustimmen.
Verweigert die Länderkammer die Zustimmung, können vom
Bundestag bereits beschlossene Gesetzentwürfe nicht in Kraft
treten, sondern sind im Gesetzgebungsverfahren gescheitert.
Für den angebotenen Verzicht verlangen die Länder, der
Bund müsse Zuständigkeiten an die Länder
zurückgeben. Über die konkurrierende Gesetzgebung und
über die Gemeinschaftsaufgaben mit ihrer Mischfinanzierung von
Bund und Ländern haben die Länder seit 1949 eine ganze
Reihe ihrer Zuständigkeiten verloren.
Bayerns Ministerpräsident Stoiber nannte das Angebot der
Länder einen "entscheidenden Schritt" nach vorn. Die
Möglichkeiten zur Blockade würden sich dann erheblich
vermindern. Als Beispiel nannte er das zwischen dem Bundestag und
der Länderkammer umstrittene Zuwanderungsgesetz: Es wäre
nicht mehr zustimmungspflichtig. Nach Stoiber würde auf diese
Weise die Zahl der Gesetze, die der Bundesrat mit absoluter
Mehrheit verhindern könnte, um die Hälfte sinken, von
bisher 60 auf dann nur noch 30 Prozent aller Gesetze.
Vor allem stört die meisten Länder, dass sich der Bund
in ihre ureigene Verwaltungshoheit einmischen kann. Sie denken da
an das Beamtenrecht, an die Bildung und an die Regionalpolitik. Vor
allem diese Politikfelder sollen vollständig in die
Zuständigkeit der Länder übergehen.
Aber Regierungschefs kleinerer Länder wie der Landesvater
von Mecklenburg-Vorpommern Ringstorff wollen darüber erst noch
ausführlich diskutieren. Neben Bayern wollen vor allem die
schwergewichtigen Länder Nordrhein-Westfalen und
Baden-Württemberg die Besoldung ihrer Beamten und Angestellten
selbst in die Hand nehmen und hoffen, am Ende finanziell besser
wegzukommen als über gemeinsame Tarifverhandlungen von Bund,
Ländern und Gemeinden mit Gewerkschaften und Verbänden,
in denen meist doch der Bundesinnenminister das entscheidende
Machtwort sprechen kann. Ringstorff jedenfalls verdeutlichte, er
könnte ganz gut ohne diese Zuständigkeit leben. Wenn der
Bund diesen Vorschlägen nicht folgen wolle, müssten die
Länder wenigstens von den Vorgaben des Bundes abweichen
können, müsste es also für die Länder Ausnahmen
vom Bundesrecht geben, meinte Stoiber. Auch diese
Äußerung verdeutlicht, dass sich die Länder nicht
auf ein festes Korsett verständigt haben, sondern die Einigung
der Regierungschefs darin besteht, Alternativen zu formulieren,
deren günstigste Auswirkung in den Beratungen der Kommission
erst noch gefunden werden soll. Die Staatskanzleien in München
und Bremen hatten der Runde ein entsprechendes
Zwölf-Punkte-Papier vorgelegt.
Stoiber räumte Differenzen zwischen den Ländern ein,
will diese aber zugleich als Spielraum für Verhandlungen mit
dem Bund nutzen. Arbeitsgruppen der Länder und wohl auch der
Kommission sollen nun prüfen, wie sich die Forderungen
umsetzen lassen, regionale Lebenssachverhalte -- gemeint sind etwa
Wohnungswesen und öffentliche Fürsorge - regional zu
regeln.
So war für die Beobachter am wichtigsten, was offenbar aus
den Ländervorstellungen mangels Einigung im Kreis der
Ministerpräsidenten nicht mehr in Stoibers Forderungskatalog
auftauchte: Finanzschwächere Länder haben den
größeren offenkundig ausgeredet, einen "Steuerwettbewerb"
untereinander anzufangen; jedenfalls ist seit der Runde der
Regierungschefs davon nicht mehr die Rede. Stoiber hätte sich
vorstellen können, dass "Länder, die es sich leisten
können", etwa bei bestimmten Steuern, "Rabatte" geben.
Aber der Zug ist ohne Rabatte abgefahren. Über Steuern
werden auch weiterhin allein der Bundestag und der Bundesrat
entscheiden, nicht aber Länderparlamente. Die ostdeutschen
Länder bestanden darauf, bei jeder Neuregelung der
Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern stets die
herausragende Förderung im Osten zu erhalten, in verabredeter
Höhe und Zeitdauer.
Auf Widerspruch des Bundes stieß sogleich eine andere
Vorstellung der Länder. Die Zustimmungspflicht der Länder
zu Bundesgesetzen ist bisher immer dann gegeben, wenn sich aus der
Gesetzesvorlage Verwaltungsaufgaben für die Länder
ergeben. Das war in der Vergangenheit das große Einfallstor
für die, wie der Bundespräsident es nannte,
"Verflechtungsfalle". Darauf wollen die Länder zwar
künftig verzichten, doch verlangen sie nun eine
Zustimmungspflicht für jene Gesetzesvorlagen, die ihnen
finanzielle Folgen bescheren. Bundesjustizministerin Brigitte
Zypries (SPD) sagte dazu, bei der Reform des Bundesstaats gehe es
nicht darum, die Länderhaushalte zu sanieren. Dann werde zwar
auf einer Seite entflechtet, auf der anderen aber noch mehr
verflechtet.
Strikt abgelehnt haben die Länder den Wunsch der
Bundesregierung, ihre Rechte in europäischen Angelegenheiten
abzubauen. Dazu erklärte Stoiber nach der Runde der
Ministerpräsidenten nur knapp: "Diese Rechte stehen nicht zur
Disposition!" Stoiber will gerade im erweiterten Europa und in
Zeiten einer Verfassungsdiskussion die Rechte der Länder
ausgeweitet sehen. Er könne sich gut vorstellen, dass in
einzelnen Fällen die Länder selbst in Brüssel
verhandeln und nicht der Bund für sie. Die meisten
Bundesländer unterhielten ohnehin bereits eigene Vertretungen
bei der Europäischen Union.
Hauptstadtfunktion Berlins
Einen großen Erfolg konnte bei dieser
Ministerpräsidentenkonferenz Berlins Regierender
Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verbuchen. Die
Hauptstadtfunktion Berlins, darauf haben sich die Bundesländer
verständigt, soll im Grundgesetz festgeschrieben werden. Damit
unterstützen sie die Hauptstadt in ihrer Forderung, der Bund
solle ihr die mit der Hauptstadtfunktion entstehenden Kosten
erstatten; in der Repräsentation für den Bundesstaat,
für Kultur, Geschichte und Infrastruktur.
Im Januar hatte Wowereit der Kommission eine Hauptstadt-Klausel
im Grundgesetz vorgeschlagen. Zur Begründung meinte er, eine
solche Klausel brächte nicht die Lösung der Berliner
Finanzprobleme, aber die Hauptstadt sei schließlich Sache
aller Deutschen. Eine Klausel im Grundgesetz, die es bisher nicht
gibt, könnte über die Finanzierung der
Hauptstadtfunktionen hinaus zur Grundlage eines neuen gemeinsamen
Selbstverständnisses für den Umgang mit der Hauptstadt
werden. Die für eine solche Klausel fällige
Grundgesetzänderung bedarf allerdings einer
Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat.
Nun warten politische Beobachter gespannt darauf, ob die
Ländervorstellungen die Kommission ein Stück voran
bringen werden. Davon wird abhängen, ob die beiden
Vorsitzenden der Bundesstaatskommission, Stoiber und
Müntefering, im Sommer dem Bundestag und der Länderkammer
einen so vielversprechenden Abschlussbericht werden vorlegen
können, der am Ende bei seiner Umsetzung in Gesetzesform in
beiden Häusern die Zweidrittel-Mehrheit findet.
Oder wird es nur ein Zwischenbericht bis auf weiteres? Stoiber
warnte schon: Entweder man verständige sich in diesem Jahr
oder das Vorhaben werde ganz scheitern. Nach dem Zeitplan findet
die (vorerst?) letzte Sitzung der Bundesstaatskommission am 8. Juli
statt. Noch sind alle Beteiligten hoffnungsvoll gestimmt. Die
offizielle Lesart heißt weiterhin: Es geht recht gut voran.
Nur wenn es so ist, warum hätte dann der Bundespräsident
in seiner letzten "Berliner Rede" Anlass zur
unüberhörbaren Mahnung gehabt?
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