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Nr. 21-22 / 17.05.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Karl-Heinz Baum

In der Bundesstaatskommission werden die Länder eine flexible Haltung einnehmen

Ministerpräsidenten haben sich zu einer einheitlichen Meinung zusammengerauft

Am 6. Mai haben sich die Ministerpräsidenten aller 16 Bundesländer zu einer einheitlichen Meinung zur Reform des Bundesstaates mehr oder weniger zusammengerauft. Doch man hat sich offenkundig nur auf eine Rahmenposition einigen können, wie die Pressekonferenz der Ministerpräsidenten der Länder nach der Sondersitzung in Berlin deutlich machte. Den Sprecher, Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), unterbrach der Regierungschef des ostdeutschen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff (SPD), mehrfach. Am 14. Mai, der darauf folgenden Sitzung der von Bundesrat und Bundestag eingesetzten Bundesstaatskommission, wollte deren Kovorsitzender Stoiber (CSU) die Vorschläge der Länder einbringen; der andere Kovorsitzende der Kommission ist der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Franz Müntefering.

Zwei Tage zuvor, am 12. Mai, mahnte der Ende Juni aus dem Amt scheidende Bundespräsident Johannes Rau in seiner Berliner Rede "klare Verantwortlichkeiten" in Bund, Ländern und Gemeinden an. "Jeder Interessierte sollte wissen können, wer für welche Entscheidung verantwortlich ist", sagte Rau. Das aber sei heute kaum möglich. Denn die politisch Verantwortlichen aller Staatsebenen seien "zu oft in einer Verflechtungsfalle gefangen". Für Rau muss die Kommission "diese Blockade" aufbrechen und die "institutionalisierte Verantwortungslosigkeit" beenden.

Nach ihrer Sitzung Anfang Mai in Berlin haben die Ministerpräsidenten immerhin - für manche politischen Beobachter doch ziemlich überraschend - der Bundesregierung angeboten, "in beachtlichem Umfang" auf die so genannten Zustimmungsrechte im Gesetzgebungsverfahren zu verzichten und die Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund und Ländern im wesentlichen abzuschaffen - mit der Ausnahme des Küstenschutzes und der Forschungsförderung. Dagegen sollten künftig allein die Länder für die bisherigen Gemeinschaftsaufgaben Hochschulbau und Förderung der Wirtschafts- und Agrarstruktur zuständig sein.

Der Bundesrat muss bestimmten Bundesgesetzen zustimmen. Verweigert die Länderkammer die Zustimmung, können vom Bundestag bereits beschlossene Gesetzentwürfe nicht in Kraft treten, sondern sind im Gesetzgebungsverfahren gescheitert. Für den angebotenen Verzicht verlangen die Länder, der Bund müsse Zuständigkeiten an die Länder zurückgeben. Über die konkurrierende Gesetzgebung und über die Gemeinschaftsaufgaben mit ihrer Mischfinanzierung von Bund und Ländern haben die Länder seit 1949 eine ganze Reihe ihrer Zuständigkeiten verloren.

Bayerns Ministerpräsident Stoiber nannte das Angebot der Länder einen "entscheidenden Schritt" nach vorn. Die Möglichkeiten zur Blockade würden sich dann erheblich vermindern. Als Beispiel nannte er das zwischen dem Bundestag und der Länderkammer umstrittene Zuwanderungsgesetz: Es wäre nicht mehr zustimmungspflichtig. Nach Stoiber würde auf diese Weise die Zahl der Gesetze, die der Bundesrat mit absoluter Mehrheit verhindern könnte, um die Hälfte sinken, von bisher 60 auf dann nur noch 30 Prozent aller Gesetze.

Vor allem stört die meisten Länder, dass sich der Bund in ihre ureigene Verwaltungshoheit einmischen kann. Sie denken da an das Beamtenrecht, an die Bildung und an die Regionalpolitik. Vor allem diese Politikfelder sollen vollständig in die Zuständigkeit der Länder übergehen.

Aber Regierungschefs kleinerer Länder wie der Landesvater von Mecklenburg-Vorpommern Ringstorff wollen darüber erst noch ausführlich diskutieren. Neben Bayern wollen vor allem die schwergewichtigen Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg die Besoldung ihrer Beamten und Angestellten selbst in die Hand nehmen und hoffen, am Ende finanziell besser wegzukommen als über gemeinsame Tarifverhandlungen von Bund, Ländern und Gemeinden mit Gewerkschaften und Verbänden, in denen meist doch der Bundesinnenminister das entscheidende Machtwort sprechen kann. Ringstorff jedenfalls verdeutlichte, er könnte ganz gut ohne diese Zuständigkeit leben. Wenn der Bund diesen Vorschlägen nicht folgen wolle, müssten die Länder wenigstens von den Vorgaben des Bundes abweichen können, müsste es also für die Länder Ausnahmen vom Bundesrecht geben, meinte Stoiber. Auch diese Äußerung verdeutlicht, dass sich die Länder nicht auf ein festes Korsett verständigt haben, sondern die Einigung der Regierungschefs darin besteht, Alternativen zu formulieren, deren günstigste Auswirkung in den Beratungen der Kommission erst noch gefunden werden soll. Die Staatskanzleien in München und Bremen hatten der Runde ein entsprechendes Zwölf-Punkte-Papier vorgelegt.

Stoiber räumte Differenzen zwischen den Ländern ein, will diese aber zugleich als Spielraum für Verhandlungen mit dem Bund nutzen. Arbeitsgruppen der Länder und wohl auch der Kommission sollen nun prüfen, wie sich die Forderungen umsetzen lassen, regionale Lebenssachverhalte -- gemeint sind etwa Wohnungswesen und öffentliche Fürsorge - regional zu regeln.

So war für die Beobachter am wichtigsten, was offenbar aus den Ländervorstellungen mangels Einigung im Kreis der Ministerpräsidenten nicht mehr in Stoibers Forderungskatalog auftauchte: Finanzschwächere Länder haben den größeren offenkundig ausgeredet, einen "Steuerwettbewerb" untereinander anzufangen; jedenfalls ist seit der Runde der Regierungschefs davon nicht mehr die Rede. Stoiber hätte sich vorstellen können, dass "Länder, die es sich leisten können", etwa bei bestimmten Steuern, "Rabatte" geben.

Aber der Zug ist ohne Rabatte abgefahren. Über Steuern werden auch weiterhin allein der Bundestag und der Bundesrat entscheiden, nicht aber Länderparlamente. Die ostdeutschen Länder bestanden darauf, bei jeder Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern stets die herausragende Förderung im Osten zu erhalten, in verabredeter Höhe und Zeitdauer.

Auf Widerspruch des Bundes stieß sogleich eine andere Vorstellung der Länder. Die Zustimmungspflicht der Länder zu Bundesgesetzen ist bisher immer dann gegeben, wenn sich aus der Gesetzesvorlage Verwaltungsaufgaben für die Länder ergeben. Das war in der Vergangenheit das große Einfallstor für die, wie der Bundespräsident es nannte, "Verflechtungsfalle". Darauf wollen die Länder zwar künftig verzichten, doch verlangen sie nun eine Zustimmungspflicht für jene Gesetzesvorlagen, die ihnen finanzielle Folgen bescheren. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte dazu, bei der Reform des Bundesstaats gehe es nicht darum, die Länderhaushalte zu sanieren. Dann werde zwar auf einer Seite entflechtet, auf der anderen aber noch mehr verflechtet.

Strikt abgelehnt haben die Länder den Wunsch der Bundesregierung, ihre Rechte in europäischen Angelegenheiten abzubauen. Dazu erklärte Stoiber nach der Runde der Ministerpräsidenten nur knapp: "Diese Rechte stehen nicht zur Disposition!" Stoiber will gerade im erweiterten Europa und in Zeiten einer Verfassungsdiskussion die Rechte der Länder ausgeweitet sehen. Er könne sich gut vorstellen, dass in einzelnen Fällen die Länder selbst in Brüssel verhandeln und nicht der Bund für sie. Die meisten Bundesländer unterhielten ohnehin bereits eigene Vertretungen bei der Europäischen Union.

Hauptstadtfunktion Berlins

Einen großen Erfolg konnte bei dieser Ministerpräsidentenkonferenz Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verbuchen. Die Hauptstadtfunktion Berlins, darauf haben sich die Bundesländer verständigt, soll im Grundgesetz festgeschrieben werden. Damit unterstützen sie die Hauptstadt in ihrer Forderung, der Bund solle ihr die mit der Hauptstadtfunktion entstehenden Kosten erstatten; in der Repräsentation für den Bundesstaat, für Kultur, Geschichte und Infrastruktur.

Im Januar hatte Wowereit der Kommission eine Hauptstadt-Klausel im Grundgesetz vorgeschlagen. Zur Begründung meinte er, eine solche Klausel brächte nicht die Lösung der Berliner Finanzprobleme, aber die Hauptstadt sei schließlich Sache aller Deutschen. Eine Klausel im Grundgesetz, die es bisher nicht gibt, könnte über die Finanzierung der Hauptstadtfunktionen hinaus zur Grundlage eines neuen gemeinsamen Selbstverständnisses für den Umgang mit der Hauptstadt werden. Die für eine solche Klausel fällige Grundgesetzänderung bedarf allerdings einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat.

Nun warten politische Beobachter gespannt darauf, ob die Ländervorstellungen die Kommission ein Stück voran bringen werden. Davon wird abhängen, ob die beiden Vorsitzenden der Bundesstaatskommission, Stoiber und Müntefering, im Sommer dem Bundestag und der Länderkammer einen so vielversprechenden Abschlussbericht werden vorlegen können, der am Ende bei seiner Umsetzung in Gesetzesform in beiden Häusern die Zweidrittel-Mehrheit findet.

Oder wird es nur ein Zwischenbericht bis auf weiteres? Stoiber warnte schon: Entweder man verständige sich in diesem Jahr oder das Vorhaben werde ganz scheitern. Nach dem Zeitplan findet die (vorerst?) letzte Sitzung der Bundesstaatskommission am 8. Juli statt. Noch sind alle Beteiligten hoffnungsvoll gestimmt. Die offizielle Lesart heißt weiterhin: Es geht recht gut voran. Nur wenn es so ist, warum hätte dann der Bundespräsident in seiner letzten "Berliner Rede" Anlass zur unüberhörbaren Mahnung gehabt?

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