Raimund Kortje
Parlamente brauchten immer viele Bücher
Der Umzug der Bundestagsbibliothek von Bonn nach
Berlin ist beendet
Der Umzug der Bundestagsbibliothek von Bonn nach
Berlin geht dieser Tage seinem Ende entgegen. Die Bibliothek mit
ihren rund 1,3 Millionen Bänden ist im
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus untergebracht, wo auch das
umfangreiche Presseausschnitt-Archiv seine neue Bleibe gefunden
hat. Damit steht eine der größten Parlamentsbibliotheken
der Welt wieder voll zur Verfügung. Der Umzug der
Bundestagsbibliothek ist Anlass für einen Rückblick auf
die Anfänge in Bonn und auf die ehrwürdige
Vorgängerin, die Reichstagsbibliothek.
Parlamentsbibliotheken gibt es heute in allen
europäischen Staaten. In einigen größeren sind sie
bereits im 19. Jahrhundert eingerichtet worden. Zu ihnen
gehörte die Bibliothek des Deutschen Reichstags, für die
schon im ersten Jahr nach der Gründung des Reiches im Jahr
1871 im Rahmen des Haushalts für 1872 die finanziellen
Voraussetzungen geschaffen worden sind. Gleichzeitig wurde die
Einstellung eines Bibliothekars beschlossen, der ein
jährliches Honorar von 600 Talern erhalten sollte. Als
Gründungsdatum der Bibliothek gilt der 1. Januar 1872, der
Beginn des Haushaltsjahres.
Die seit 1872 bestehende und im Laufe der
Jahre personell und sachlich immer weiter ausgebaute
Reichstagsbibliothek hat einen tiefen Einschnitt nach dem Ende des
Ersten Weltkriegs erfahren, ist aber in der Zeit der Weimarer
Republik wieder stabilisiert worden. Sie hat auch unter der
nationalsozialistischen Herrschaft fortbestanden, und zwar als
Organisationseinheit der Reichstagsverwaltung und gehörte
damit zum Kompetenzbereich des Reichstagspräsidenten Hermann
Göring. Ihr förmliches Ende erlebte sie erst am 28.
Februar 1946.
Die Bibliothek war allerdings schon am 2. und
3. Mai 1945 im Zuge der letzten Kämpfe um das
Reichstagsgebäude in Berlin fast völlig verbrannt. Dank
der glücklichen Fügung, dass ihr Direktor, Dr. Eugen
Fischer (Direktor seit 1928, Fischer-Baling seit 1945, offiziell
1951), überlebte und als "Chef der Restverwaltung des
Reichstags" - seit 18. Juni 1945 im Auftrag des neugebildeten
Berliner Magistrats tätig - sich um die Sicherstellung der
Überbleibsel der Bibliothek kümmerte, konnte dieser Rest
als Grundstock einer neugeschaffenen "Dokumentationszentrale
für Neueste Deutsche Geschichte" zunächst überleben.
Doch bereits am 1. März 1946 wurde sie in "Zentralstelle
für Zeitgeschichte" umbenannt und als städtisches
Institut mit marxistischer Ausrichtung weitergeführt. Es
existierten noch 8.000 Bände aus der
Reichstagsbibliothek.
Fischer-Baling war aus den Diensten der
ehemaligen Reichstagsbibliothek entlassen worden. Er hatte in der
Weimarer Zeit begonnen und die NS-Zeit überstanden, ohne
Parteigenosse gewesen zu sein. Ab 1. März 1946 wurde er als
Honorarprofessor an die Bergakademie in Freiberg/Sachsen berufen
und beendete sein öffentliches Wirken als erster "Ordinarius
für die Wissenschaft von der Politik" an der Freien
Universität Berlin (1953 bis zu seinem Tod mit 83 Jahren
1964).
Aus kleinsten Anfängen
Seit 1948 war er mit dieser Universität
duch das Otto-Suhr-Institut verbunden und gelangte in diesen Jahren
auch in den Kreis der Gründer der "Kommission für
Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien" in
Bonn. Als Hochschullehrer ist er besonders bekannt geworden durch
seine Erfindung des Wortes "Politologe", wofür sich 1956
sämtliche Professoren der "Deutschen Hochschule für
Politik" in Berlin mit ihrer Unterschrift bedankten.
Die Bibliothek des Deutschen Bundestages in
Bonn entwickelte sich zunächst ohne förmlichen
Gründungsakt im Anschluss an die geringen Hilfsmittel, die dem
Parlamentarischen Rat 1948/49 zur Verfügung gestanden hatten
(ungefähr 1.334 Titel). Sie wuchs aber bis zum Wechsel nach
Berlin zu einer der am besten ausgestatteten deutschen
Behördenbibliotheken mit über einer Million Bänden.
Die Bundestagsbibliothek wurde damit zu einer
politikwissenschaftlichen Spezialbibliothek, die auf den
Säulen Politik, Recht und Wirtschaft ruhte, mit Abrundung zu
Randgebieten hin.
Die Leitung hatten bis 1970 der Direktor beim
Bundestag und der Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung des
Bundestages, beide als Abteilungsleiter dem Präsidenten des
Bundestages untergeordnet. Diese hierarchische Ordnung wurde 1970
und 1989 geringfügig geändert, was aber den sachlichen
Ausbau und das Funktionieren der Bibliothek nicht berührt hat.
Entscheidend war hierfür vielmehr von Anfang an die Auswahl
des Personals. Das galt zumal für die Zeit des Beginns, als
sich manche Bedienstete der ehemaligen Reichstagsverwaltung, auch
Nationalsozialisten, um einen Dienst in der Bundestagsbibliothek
bemühten.
Mit der "vorläufigen Leitung" wurde am
1. September 1950 die seit dem Ersten Weltkrieg in der
Reichstagsbibliothek tätig gewesene, 1943 vom Volksgerichtshof
zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilte Bibliotheksinspektorin
Hildegard Neumann betraut; sie war von Fischer-Baling empfohlen
worden. Ihr folgten als "Leiter" für ein Jahr der
SPD-Bundestagsabgeordnete Professor Gülich und als
zunächst "kommissarischer Leiter" Kurt Georg Wernicke, der im
Juli 1953 Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung der
Bundestagsverwaltung und zugleich Direktor der Bibliothek wurde.
Erst mit seinem Nachfolger Dr. Zwoch erhielt die Bibliothek 1964
zum ersten Mal einen ausschließlich für sie
zuständigen Chef.
* * *
Der Beitrag von Raimund Kortje geht
zurück auf die verdienstvolle Arbeit von Gerhard Hahn, viele
Jahre stellvertretender Leiter der Bundestagsbibliothek. Die 1997
von der "Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und
der Politischen Parteien" herausgegebene Studie (759 Seiten, 198,-
Euro) ist eine Pionierarbeit, die historisch weit ausgreift,
nämlich bis auf die Bibliothek der Frankfurter
Nationalversammlung von 1848/49 zurückgeht, die damals nicht
von den Abgeordneten selbst, sondern von mehreren Buchhändlern
zusammengestellt worden war.
Das Buch enthält auch einen kurzen
Abschnitt über die "Volkskammerbibliothek" der DDR von 1949
bis 1990 sowie einen Anhang über die Parlamentsbibliotheken
Österreichs und der Staaten, die von 1938 bis 1945 von
Deutschland besetzt waren. Hahns Bibliotheksgeschichte ist
eingebettet in die politische Geschichte und in die Geschichte der
Bauten, der Verwaltung und Finanzen, letztlich auch mit einem Blick
auf die Besucher. Sie erscheint in der Tat wie ein Spiegel der
deutschen Geschichte von 1848 bis zum Abschluss des Werks
1997.
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