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Thomas Beck
Kaum zu leisten und doch so nötig
Demandts "Kleine Weltgeschichte"
Der Althistoriker Alexander Demandt hat ein
ehrgeiziges Verlagsprojekt des Hauses Beck angenommen und eine
"kleine" Weltgeschichte aus europäischer Perspektive
vorgelegt. Zwei Leitideen liegen dem Werk zugrunde: Die Kant'sche
Idee einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht und eine um
Erfahrungen des 20. Jahrhunderts verbesserte Hegel'sche
Weltgeschichte. Formuliertes Ziel des Buches ist es, ein
Grundwissen zu vermitteln, das sowohl dem angehenden Studenten der
Humanwissenschaften als auch dem historisch Interessierten in der
unübersehbaren Masse von Spezialpublikationen einen
Überblick verschafft.
Die im Vorwort vermittelte Befürchtung,
selbst Fachhistoriker könnten heute ohne ein Minimum solcher
Grundkenntnisse mit sehr gutem Erfolg ihr Studium abschließen,
trifft sicherlich auf viele Universitäten so nicht zu. Dennoch
vermittelt der öffentliche Diskurs den Eindruck einer
weitgehenden Selbstbeschränkung auf Spezialwissen und auf
Modethemen. So ist es nicht von der Hand zu weisen, dass
gewissermaßen antizyklisch, gleichzeitig mit der wachsenden
Bedeutung der Weltpolitik für Deutschland, die hoch
spezialisierte Regionalgeschichte den öffentlichen und den
universitären Diskurs dominiert. Vor diesem Hintergrund ist
der Vorstoß des Verlages und des Autors
beachtenswert.
Der Stoff, den Demandt behandelt, spannt den
weiten Bogen von der Entstehung des Alls bis zur Apokalypse, dem
Untergang unseres Sonnensystems in einigen Milliarden Jahren. Der
eigentliche Gegenstand, die wenigen kosmischen Minuten der
Geschichte der Menschheit, gliedert sich in die Geschichte von
Hochkulturen und säkularen Ereignissen, die additiv in Kapitel
gegliedert neben einander stehen.
Das reich bebilderte Buch ist somit ein
enzyklopädisches Kompendium, das einen breiten Bildungsschatz
birgt - neben historischem Grundwissen auch wichtige
europäische Mythen wie etwa die Schlacht an der Milvinischen
Brücke und tradierte Bilder wie das vom Primitiven als wildem
Menschenfresser.
Der rote Faden, der die behandelten
Wissensblöcke zusammenbindet, resultiert aus dem Aufzeigen
ethischer Beurteilungsmöglichkeiten und aus der Aufarbeitung
historischer Erfahrungen im Sinne einer sittlichen Erhebung
menschlichen Handelns und der metaphysischen Aufhebung der
Geschichte in sinnstiftende Prozesse eines Fortschreitens der
Menschheit. Das Finale liegt ganz traditionell in einer jenseitigen
Unendlichkeit, die Gott anheim gestellt bleibt.
Demandts Bedenken, eine im Grunde
unlösbare Aufgabe übernommen zu haben, bestätigt
sich indes in fachlicher Hinsicht. Dass der Frühgeschichte und
der Antike breiterer Raum gewidmet wird als den folgenden Epochen,
ist dabei der Fachmannschaft des Autors geschuldet und legitim.
Auch die Auswahl und damit die Beschränkung des Dargestellten
ist ein eher zweitrangiges Problem, obgleich manche Auswahl zu
einer bedenklichen Ungenauigkeit führt, wenn etwa in Demandts
Ausführungen zur Französischen Revolution die
Sansculottes nicht vorkommen, die ganz wesentlich den Verlauf
beeinflussten, was wir seit den bahnbrechenden Arbeiten von Albert
Soboul vor etwa fünf Dekaden wissen.
Gravierender ist der Ansatz und die
Konzeption des Buches. So griffig das in jüngster Zeit neu
thematisierte Bild des Erinnerungsraumes ist, so gefährlich
ist es als Darstellungskonzept, denn dieser "Raum" hat musealen
Charakter. Die Kapitel des Buches gleichen indes Exponaten in einem
sehr traditionalen Erinnerungsraum.
Inhaltlich, das heißt in Form von
enzyklopädischem Wissen, ist in der Tat eine "kleine
Weltgeschichte" vor dem Hintergrund des gegenwärtigen und
stetig wachsenden Spezialwissens nicht mehr zu bewältigen.
Allerdings ist sie damit strukturell als erkenntnistheoretisches
Propädeutikum, wie Demandt treffend darlegt, umso dringlicher
geworden. Dies bedeutete indes den Abschied von lieb gewonnenen
Erinnerungsmustern und die Hinwendung zu anstrengenden
Erkenntniswegen. Immerhin ließen sich die Wege heute
darstellen. "Weltgeschichte" ist per se ein Abstraktum. "Welt"
meint hier nicht "Globus", sondern signiert einen
Bedeutungszusammenhang, der von einem Deutungsinteresse geleitet
ist, das wiederum aus Verständniskrisen geboren
wird.
Der gewissermaßen normale Weg aus
solchen Verständniskrisen heraus ist der Vergleich des
Bekannten mit dem Unbekannten, des ersten, naiven Begreifens der
Unterschiede. Der zweite, jetzt methodische, Schritt ist der
Verständniszugriff auf Unterschiedliches an sich, der die
Herausarbeitung von Typen und Ausprägungen im Visier hat.
Diesen Weg beschreitet die moderne historische Expansionsforschung.
Der zu entrichtende Preis ist die Aufgabe vieler tradierter
Vorstellungen, wie etwa jener, dass in den Weiten Amerikas die
"europäische Intelligenz" die "dünn besiedelten
Kolonialräume" durchdrang. Es war vielmehr auf Macht
gegründete europäische Normenkompetenz, die ihre Grenzen
hatte, und auf die Intelligenz von indigenen und importierten
Zwangsarbeitern zurückgriff, ohne deren Leistung wesentliche
Lebensgrundlagen nicht geschaffen worden wären.
Wir können es uns auch nicht mehr
leisten, uns in Hegel'scher Attitüde vom vermeintlich
primitiven Afrika abzuwenden, um es in "unserer Weltgeschichte"
nicht mehr zu streifen. Historische Unkenntnis über Regionen
und Kulturen ist heute eine gefährliche Nachlässigkeit.
Alexander Demandts Buch ist ein politisches und ein wichtiges Buch,
nicht nur wegen der mutigen Stellungnahmen zu zeithistorischen
Problemen. Es dokumentiert auch eine Bildungsbilanz und wirft die
zentrale Frage nach dem Haben und dem Soll welthistorischen
Verstehens in Deutschland auf.
Alexander Demandt
Kleine Weltgeschichte.
C.H. Beck Verlag, München 2003; 368 S.,
24,90 Euro
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