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Marzenna Guz-Vetter
Der Siegeszug der Populisten
Polen und Ungarn vor der Wahl
Die Wahlen zum Europäischen Parlament
fanden in der polnischen Öffentlichkeit bislang kaum
Beachtung. Sie werden von der krisenhaften, innenpolitischen
Entwicklung überschattet: dem anstehenden Regierungswechsel
innerhalb des enorm geschwächten Lagers der Sozialdemokraten
und der wachsenden Bedeutung der populistischen
"Selbstverteidigung" des Bauernführers Andrzej Lepper. Die
Einberufung vorzeitiger Parlamentswahlen wird nicht mehr
ausgeschlossen.
Die labile politische Lage verunsichert die
polnische Bevölkerung und vermehrt die Ängste im
Zusammenhang mit dem Beitritt zur Europäischen Union. Viele
Bürger haben das Gefühl, dass die Interessen Polens,
darunter vor allem der polnischen Unternehmer und Bauern, seit dem
1. Mai 2004 nicht angemessen vertreten sein werden. Deshalb kann
davon ausgegangen werden, dass mit den Wahlen zum Europäischen
Parlament vor allem der innenpolitischen Frustration Ausdruck
gegeben wird, um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Erste
Umfragen zu den Europawahlen haben bereits gezeigt, dass die
Populisten um Andrzej Lepper die meisten Vertreter nach
Straßburg entsenden könnten: Mit einer Unterstützung
von 30 Prozent liegen sie an erster Stelle, gleich danach kommt die
liberale "Bürgerplattform" (Platforma Obywatelska). Die
Regierungspartei SLD (Linksbündnis) erreicht nur zehn
Prozent.
Leppers Partei geht in die Europawahlen mit
einem nebulösen Programm: "Wir sind nicht gegen Polens
Beitritt in die EU, doch wir sind gegen die Grundsätze, die
diesen Beitritt begleiten," sagte Lepper bei der Eröffnung der
Wahlkampagne. Um welche Grundsätze es sich konkret handelt,
wird nicht erklärt. Die Wahlen zum Europaparlament
gehören dabei nicht zu den Prioritäten der Mannschaft von
"Samoobrona". Sie werden eher als Sprungbrett für die Wahlen
auf nationaler Ebene betrachtet. Lepper ist klug zu wissen, dass
seine Leute für das europäische Parkett noch nicht reif
sind: Sie verfügen weder über entsprechende Sprach- noch
Fachkenntnisse.
Den Gegenpol zur "Samoobrona" bildet die
liberal-konservative "Bürgerplattform", die bei
Meinungsumfragen ebenfalls auf etwa 30 Prozent der Stimmen kommt.
In der Europapolitik sind die Parteispitzen gespalten: Während
der frühere Außenminister Olechowski sich eindeutig zur
EU bekennt, ist die Haltung des Parteivorsitzenden Tusk bereits
kritischer. Und gerade der prominenteste Platforma-Politiker Jan
Rokita war es, der mit dem Slogan "Nizza oder Tod" die
öffentliche Meinung in Polen gegen einen Kompromiss in Frage
der EU-Verfassung mobilisiert hatte. Die Bürgerplattform sieht
sich in der Nähe der Europäischen Volkspartei. Auf der
Wahlliste finden sich Namen prominenter Politiker, darunter des
früheren Ministerpräsidenten Jerzy Buzek als auch des
ehemaligen Leiters des Europaministeriums Jacek Saryusz-Wolski.
Saryusz-Wolski gilt als einer der besten polnischen Experten
für EU-Fragen und obwohl in Brüssel wegen seines harschen
Umgangstons eher unbeliebt, gehört er sicherlich zu den
Kandidaten, auf den der Posten eines EU-Parlamentariers am besten
zugeschnitten ist.
Die sozialdemokratische Regierungspartei SLD
dürfte in Anbetracht der in den vergangenen Monaten rapide
gesunkenen Meinungsumfragen die Chance auf zahlreiche Posten in
Straßburg verspielt haben. Auf den Kandidatenlisten der
Sozialdemokraten finden sich zudem bis auf wenige Ausnahmen keine
bekannten Persönlichkeiten, dafür viele Namen längst
vergessener Politiker, die für ihre früheren Dienste mit
einem Platz auf den Europalisten belohnt werden sollen.
Die ehemals an der Regierung beteiligte
liberal-demokratische "Freiheitsunion" (Unia Wolnosci), die bei den
Parlamentswahlen 2001 die Hürde ins Parlament nicht geschafft
hat, versucht über die Wahlen zum Europäischen Parlament
ein politisches Come-back. Auf den Wahllisten finden sich Namen des
früheren Außenministers Bronislaw Geremek oder des
ehemaligen Verteidigungsministers Janusz Onyszkiewicz. Die Unia
Wolnosci gehört zweifelsohne zu den europafreundlichsten
Parteien in Polen und hat mit der ihr nahestehenden
Schuman-Stiftung den größten Beitrag zur Verbreitung des
Wissens über die EU geleistet.
Der Warschauer Politologe Mateusz Falkowski
vom Institut für Öffentliche Angelegenheiten erklärt
das geringe Interesse der polnischen Öffentlichkeit an den
Europawahlen auch damit, dass bislang von den Parteien keinerlei
Themen eingebracht worden sind, mit denen sie ihre
europapolitischen Prioritäten setzten wollen. Lediglich die
rechtsorientierten Gruppierungen und die populistische "Samoobrona"
haben den Kampf um polnische Interessen als die wichtigste Aufgabe
in Straßburg in ihre Programme geschrieben.
Im Unterschied zu Polen kann auf der
politischen Szene in Ungarn bereits seit mehreren Monaten ein
stärkeres Engagement für die Europawahlen beobachtet
werden, was vor allem mit der seit Jahren gefestigten
Parteienlandschaft zusammenhängt. Tonangebend sind die derzeit
regierenden Sozialisten (MSZP) und die oppositionelle,
konservativ-nationalistische Bürgerbewegung Fidesz unter dem
ehemaligen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Mit den Wahlen
zum Europäischen Parlament möchte er vor allem
innenpolitisch Punkte sammeln. Nach Meinungsumfragen liegen die
Bürgerlichen mittlerweile weit vor der Regierungspartei von
Premier Peter Medgyessy und dürften damit auch als Sieger aus
den Europawahlen hervorgehen.
Fidesz moblisiert seine Mitglieder bereits
seit Monaten für den Europawahlkampf. Besorgnis erregend sind
dabei die neuen, populistischen Töne, die der Führer der
ungarischen Konservativen anschlägt. Ähnlich wie Lepper
in Polen, Gasparovic in der Slovakei oder Paksas in Litauen
präsentiert er sich als Robin Hood der Verlierer der
Transformation, vor allem der Rentner und Kleinbauern und
verspricht eine Anhebung von Sozialleistungen, die den ungarischen
Haushalt gerade in der schwierigen Anlaufzeit in der EU sprengen
könnte. Obwohl sich Orban gerne in Gesellschaft prominenter
Europapolitiker wie Altbundeskanzler Helmut Kohl zeigt, liegt die
Vermutung nahe, dass die EU für die ungarischen Konservativen
vor allem als lukrative Geldquelle und nicht als ein Wert für
sich gesehen wird. Sie sind und bleiben in erster Linie Ungarn.
Kürzlich verschreckte Viktor Orban ausländische
Investoren mit der Absicht, die Privatisierung rückgängig
machen zu wollen.
Der Siegeszug der Populisten in Mittel- und
Osteuropa kommt nicht von ungefähr. Viele Bürger
fühlen sich angesichts des EU-Beitritts verunsichert und
fürchten um Existenz und Arbeitsplätze. In Polen, wie
auch in den anderen Beitrittsstaaten ist darüber hinaus wenig
getan worden, um der Bevölkerung die Mechanismen der
EU-Politik näherzubringen und sie auch auf die harten Folgen
der Erweiterung vorzubereiten. Die Informationskampagnen sind meist
sofort nach den Beitrittsreferenden eingestellt worden. So
weiß die Mehrheit der neuen EU-Bürger über die Ziele
und die Rolle der europäischen Institutionen, darunter des
Europäischen Parlaments, kaum Bescheid. Mit infantilen
Propagandasendungen wurde dafür der Beitritt verkitscht,
während die Bürger mit konkreten Beitrittsproblemen
alleine gelassen wurden: Bauern mussten sich mit Antragsformularen
für die Direktbeihilfen herumschlagen, Unternehmer bekamen die
neuen EU-Identifizierungsnummern nicht rechtzeitig
zuerkannt.
Der mangelnde europapolitische Dialog sowie
die Angst vor dem unbekannten, reichen Europa werden damit den
Ausgang der Wahlen in den Beitrittsstaaten bestimmen. Gewinner
könnten diejenigen werden, denen der Beitritt am wenigsten am
Herzen liegt.
Die Verfasserin ist freie Journalistin in
Warschau.
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