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Alva Gehrmann
Das "Mondnagel- Känguruh"
Wie EU-Recht übersetzt wird
Wie jedes neue Mitglied muss auch Lettland das EU-Recht in die
Landessprache übersetzen. Und stößt dabei auf so
manche Hindernisse. Was ist ein "wurrung"? Das fragten sich die
Übersetzer, als sie Vorschrift Nummer 2724/2000 aus dem
Englischen ins Lettische übersetzen sollten. In dieser
EU-Vorschrift geht es um den Schutz wildlebender Tier- und
Pflanzenarten. Also blätterten sie im
Englisch-Lettisch-Wörterbuch, ohne Erfolg. Kein "wurrung" zu
finden. Ein Problem, auf das die Übersetzer immer mal wieder
stoßen sollten.
Dass diese Rechtstexte jedem Bürger der Europäischen
Union in seiner Landessprache zur Verfügung gestellt werden,
gehört zum Grundsatz der Mehrsprachigkeit. Jede Sprache soll
gleichgestellt sein, das wurde 1958 in der Europäischen
Gemeinschaft mit Verordnung Nr. 1 festgelegt. Und sorgt in der nun
erweiterten EU für einen großen Übersetzungsbedarf:
Denn seit dem 1. Mai hat sich die Zahl der EU-Amtssprachen von elf
auf 20 erhöht. Allein der "gemeinschaftliche Besitzstand"
(acquis communautaire), das gemeinsame Fundament aus Rechten und
Pflichten, das für alle Mitgliedsstaaten der EU verbindlich
ist, umfasst 85.000 Seiten. Insgesamt sind über 100.000 Seiten
zu übersetzen.
Wenn es ein Wort - wie zum Beispiel "wurrung" - nicht gibt, dann
kreiert man eben eins. Dafür sind Terminologen zuständig,
zum Beispiel Raimonds Apinis vom Translation & Terminology
Centre (TTC) in Riga. Basis der Übersetzung ins Lettische ist
die englische Textversion. Ist diese nicht eindeutig oder
missverständlich, fragen sie Experten aus den Fachgebieten
oder suchen nach der Bedeutung in anderen Sprachen: "onychogale
croissant" heißt "wurrung" im Französischen und auf
Deutsch "Mondnagel-Känguruh". So mixten die Terminologen aus
den verschiedenen Sprachen ein neues lettisches Wort: "menesnagu
kengurs".
"Jeden Monat sammeln, systematisieren und harmonisieren wir etwa
1.500 bis 2.000 Begriffe", sagt Raimonds Apinis. "Viele sind uns
bereits bekannt. Nur in der Biologie fehlen etliche Wörter."
Seltene Känguruh-Arten ebenso wie die Namen mediterraner
Fische. Doch die Hauptaufgabe der Terminologen ist es,
gebräuchliche Begriffe zu harmonisieren, die bisher nicht
einheitlich verwendet wurden - etwa aus Wirtschaft und Verwaltung.
"In der Wirtschaftsterminologie orientieren wir uns neben dem
Englischen häufig an der deutschen Sprache", sagt der
Chef-Terminologe Apinis. So heißt das Wertpapier nun
"vertspapirs" und administrative Begriffe wie Dienst lauten nun
"dienests". Wenn es ums Rechtswesen geht, bedienen sie sich des
Französischen.
"Es ist uns wichtig, eine einheitliche Sprachregelung zu
finden", sagt Marta Jaksona, Direktorin des TTC. Denn bislang
wurden im Lettischen bei inoffiziellen Übersetzungen
häufig verschiedene Begriffe für ein und dieselbe Sache
verwendet. Experten aus Wirtschaft, Biologie oder Militär
prüfen nun die neuen Wörter, später werfen die
zuständigen Ministerien einen Blick darauf, ebenso die
"Terminology Commission of the Latvian Academy of Sciences". Sind
all diese Instanzen durchlaufen, wird der neue Begriff in das
Sprachcomputer-Programm der Übersetzer integriert und in einer
zentralen Datenbank gespeichert. Marta Jaksona setzt sich an ihren
Laptop, öffnet das Datenbank-Programm und zeigt ein Beispiel:
Ein für die Europäische Union zentrales Wort wie
"Verordnung" heißt nun "regula", der Begriff orientiert sich
am englischen Wort "regulation". 122.000 Begriffe enthält
diese Datenbank. Das TTC, welches 1996 gegründet wurde,
fungiert als Koordinierungsstelle. Es ist eine staatliche
Institution, die die Aufgabe der Regierung unterstützen soll,
das EU-Recht ins Lettische zu übersetzen. Sie liegt dabei gut
im Zeitplan. Bis auf aktuelle Änderungen, die gerade erst am
30. April 2004 beschlossen wurden, ist alles übersetzt. Allein
im Jahr 2003 übersetzten sie 43.000 Seiten.
Die Autorin gehört der Freien Redaktion Berlin an.
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