"Eigene Finanzierungsquelle ist
überfällig"
Interview mit Diemut Theato (CDU), Vorsitzende
des Haushaltskontrollausschusses des EP
Diemut Theato (CDU) ist Vorsitzende des
wichtigen Haushaltskontrollausschusses des Europäischen
Parlaments. Dieser Ausschuss wacht über die korrekte Ausgabe
der Finanzmittel in der Europäischen Union; bemängelt
werden die manchmal nachlässigen nationalen Kontrollen des
"anonymen" EU-Geldes.
Das Parlament
Wenige Wochen vor der Wahl zum
Europäischen Parlament ist Europa in aller Munde, aber nicht
so, wie Sie es sich wünschen. Was ist dran an der
Medienschelte gegen die Abzockerei der Abgeordneten?
Theato Ich lehne es ab, mich gegen diese
Angriffe zu verteidigen, weil ich die Beschuldigungen nicht
akzeptiere. Was hier passiert, ist zutiefst unseriös und
diffamierend. Es muss auch im Journalismus Grenzen
geben.
Gewisse Medien dürfen sich nicht einfach
haltlose Behauptungen zu eigen machen. Sie machen es sich zu
einfach, wenn sie sich formal auf ihre Quellen und Informanten
berufen und vorgeben, nur über die Äußerungen
Dritter zu berichten.
Das Parlament
Gibt es für Sie also keinen Grund, an
der Abrechnungspraxis des Parlaments etwas zu
ändern?
Theato Doch, natürlich. Auch bei uns
liegt einiges im Argen. Es ist doch vollkommen klar, dass unsere
Verwaltung reformbedürftig ist. Und es liegt auch auf der
Hand, dass wir endlich ein Abgeordnetenstatut brauchen, das klare
Verhältnisse bei Gehältern und Kostenabrechnungen
schafft. Kritik von außen ist immer willkommen, weil sie
helfen kann, die Dinge zu verbessern. Aber was hier abläuft,
ist destruktiv. Pauschale Beschuldigungen sind ein Schlag ins
Gesicht all derjenigen, die sich Europa verpflichtet fühlen
und für diese Überzeugung hart arbeiten. Genau diejenigen
Medien, die voriges Jahr Front gegen das Abgeordnetenstatut gemacht
haben, beklagen sich nun scheinheilig über angebliche
Missstände, die das Statut wenigstens zum Teil beseitigt
hätte. Das kann man doch nicht mehr ernst nehmen. Hier wird
einfach nur Stimmung gegen Europa gemacht, um Auflagezahlen und
Einschaltquoten zu verbessern.
Das Parlament
Fällt die Medienschelte nicht deshalb
auf fruchtbaren Boden, weil sie ein tiefsitzendes und wachsendes
Unbehagen über die EU bedient?
Theato Damit haben Sie teilweise Recht.
Früher war Europa etwas Hehres, die Überwindung der
Spaltung auf unserem Kontinent, an dem keine Kritik geübt
werden durfte. Heute wird darauf mit dem Finger gezeigt, obwohl
oder vielleicht gerade, weil wir so viel erreicht haben. Für
viele Menschen ist der Erfolg der europäischen Integration
inzwischen eine Selbstverständlichkeit, die sie nicht mehr
wahrnehmen. Deshalb fällt es der Boulevardpresse so leicht,
Funken aus jedem angeblichen Skandal in Brüssel oder
Straßburg zu schlagen.
Das Parlament
Trägt die Politik an der Grundstimmung
eine Mitschuld?
Theato Was mir Sorge bereitet, das ist die
reflexhafte Abwehr von allem, was aus Europa kommt. Manche
Regionalpolitiker sind darin ganz groß. Sie arbeiten damit
gewollt oder ungewollt den Zündlern in die Hände. Wir
müssen die Menschen wieder davon überzeugen, dass Europa
eine mühsam erarbeitete Erfolgsgeschichte ist und eben keine
Selbstverständlichkeit. Und wir müssen den Bürgern
beibringen, dass der vielgescholtene EU-Zentralismus eine Mär
ist. Dieses Europa ist kein Staat, der sich in alles einmischt. Es
ist ein freiwilliger Zusammenschluss selbständiger Staaten,
die sich für die enge Zusammenarbeit entschieden haben. Der
Erfolg zeigt sich an der Erweiterung. Jeder will rein, aber keiner
möchte den Club verlassen.
Das Parlament
Wer die Debatten des Europäischen
Parlaments verfolgt, kann über manche Themen mitunter nur den
Kopf schütteln und sich fragen, warum er zur Wahl gehen soll.
Warum konzentriert sich das Plenum nicht auf das, was wirklich
wichtig ist?
Theato Das Parlament hat sich in vielen
Fragen zu einem gleichberechtigten Partner der EU-Regierungen in
der Gesetzgebung emanzipiert. Vieles von dem, was in Deutschland
Gesetz wird, ist hier bei uns entstanden. Das bedeutet auch, dass
wir uns mit mitunter sehr technischen Regelungen befassen, denen
Außenstehende keinen Reiz abgewinnen können.
Das Parlament
Gibt es nicht auch die Gefahr der
Verzettelung ?
Theato Ja. Statt Richtungen vorzugeben,
bedienen manche Abgeordnete lieber ihr Steckenpferd. Doch das gibt
es auch im Bundestag. Wichtiger erscheint mir etwas anderes: Die
Mitentscheidung hat einen Pferdefuß. Wenn sich die Regierungen
querstellen und unsere Forderungen nicht akzeptieren wollen,
können wir am Ende nur ablehnen und ein Gesetzesvorhaben zu
Fall bringen. Wir können es aber nicht neu
gestalten.
Das Parlament
Warum ist es so schwierig, eine sorgsame
Verwendung des EU-Haushalts zu garantieren?
Theato Weil EU-Gelder in den Mitgliedstaaten
oft noch immer als anonymes Geld betrachtet werden. Deshalb sind
die nationalen Verwaltungen und Gerichte nicht selten
nachlässiger als bei der Kontrolle nationaler Steuergelder.
Hier mangelt es an einem Zugehörigkeitsgefühl zu Europa
und an dem Bewusstsein, dass auch die eigenen Steuerzahler zum
EU-Haushalt beitragen.
Das Parlament
Muss der Haushaltskontrollausschuss dann
nicht viel mehr auf die EU-Länder achten?
Theato Beides muss Hand in Hand gehen. Der
EU-Haushalt ist eben weitgehend ein Subventionshaushalt, und in das
Management der Gelder sind viele Ebenen eingeschaltet. Ich kann nur
immer wieder wiederholen, dass mehr als 80 Prozent des Budgets von
den Mitgliedstaaten verwaltet werden und wir die EU-Länder
deshalb stärker in die Verantwortung nehmen
müssen.
Das Parlament
Wie steht es um die Finanzierungsseite der
EU? Braucht die Gemeinschaft eine eigene Steuer?
Theato Dieser Begriff ist ein rotes Tuch, das
man sich besser nicht umbindet. Aber richtig ist: heute durchschaut
kein normaler Mensch das gültige System mit seiner
Mischfinanzierung aus Zöllen, Abgaben, Mehrwertsteuer und
nationalen Beiträgen. Eine eigene Finanzierungsquelle für
die Gemeinschaft ist überfällig - natürlich unter
der Voraussetzung, dass die Belastung für die EU-Bürger
insgesamt nicht steigt. Dann würde deutlich, wie wenig Europa
wirklich kostet.
Das Parlament
Warum hat das Parlament nicht schärfer
auf die Eurostat-Affäre reagiert?
Theato Was hätte das in diesem Fall
gebracht? Die Verweigerung der Entlastung ist das härteste
Instrument, das wir haben, und damit müssen wir entsprechend
zurückhaltend umgehen. Es war ja nicht so, dass die ganze
Kommission versagt hätte. Wir brauchen praktikable
Zwischenlösungen, zum Beispiel die Entbindung einzelner
Kommissare von ihren Aufgaben.
Die Zusage von Kommissionspräsident
Prodi, Kommissare bei Fehlverhalten nach Hause zu schicken, hilft
nicht weiter. Das würde schon am Widerstand der heimischen
Regierungen scheitern.
Das Parlament
Wie beurteilen sie die Arbeit von
EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer?
Theato Frau Schreyer hat eine fast
unmögliche Aufgabe. Ihre Zuständigkeiten sind zu weit
gespannt und deshalb sind Interessenskonflikte programmiert. Als
Haushaltskommissarin muss sie erklären, dass die Kommission
die Dinge immer besser in den Griff bekommt. In ihrer
Zuständigkeit für die Betrugsbekämpfung muss sie
andererseits melden, dass die Zahl der gemeldeten Betrügereien
und Unregelmäßigkeiten ansteigt. Sie trägt zwei
Hüte, die nicht zueinander passen. Der kommende
Kommissionspräsident muss die Zuständigkeiten für
Haushalt und Haushaltskontrolle dringend wieder voneinander
trennen. Die Kontrolle gehört in das Aufgabenfeld des
Präsidenten.
Das Interview führte Hajo
Friedrich.
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