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Ingo Friedrich
Eine Entscheidung über die
Grundrichtung
Die CDU/CSU zur Europawahl
Am 13. Juni 2004 wählen die Bürgerinnen und
Bürger der Europäischen Union in 25 Mitgliedstaaten die
Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Angesichts der
EU-Osterweiterung und ständig wechselnder weltpolitischer
Rahmenbedingungen stehen wir in Europa vor immensen
Herausforderungen. Dem Europäischen Parlament kommt bei allen
wichtigen Richtungsentscheidungen eine große Bedeutung zu. Die
Parteien bieten klare Alternativen. Die Europawahl ist deswegen
eine Entscheidung über die künftige politische
Grundrichtung der Europäischen Union.
Ein für mich persönlich sehr wichtiges Anliegen ist
das Bekenntnis Europas zu seinen christlichen Wurzeln. Nur durch
die klare Verankerung unserer seit jeher gewachsenen
christlich-abendländischen Werte hat Europa ein solides
Fundament, auf dem es aufbauen kann. Im Entwurf des
Verfassungsvertrags sind als Grundlagen Europas bislang Werte
aufgeführt, die von der "griechischen und der römischen
Zivilisation" und der "Philosophie der Aufklärung"
geprägt sind. Es ist geradezu absurd, dass in dieser
Aufzählung das Christentum als Kernelement der
europäischen Geistesgeschichte nicht genannt wird.
Eine entscheidende Frage in der kommenden Wahlperiode des
Europäischen Parlaments wird diejenige nach den Grenzen
Europas sein. Ich wünsche mir, dass man im Interesse der
Gemeinschaft den Mut aufbringt, diese Grenzen klar zu definieren.
Es ist niemandem, auch nicht den beitrittswilligen Ländern
damit geholfen, wenn sich die Europäische Union politisch,
organisatorisch, geographisch und letztlich auch finanziell
überdehnt. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage
nach der Identität Europas. Ist die Gemeinschaft eine "bessere
Freihandelszone" oder eine politische Union auf der Grundlage eines
gemeinsamen Wertefundaments? Nicht nur mit der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union hat die EU die Richtung
selbst vorgegeben. Wir befinden uns in Europa unumkehrbar auf dem
Weg zu einer Wertegemeinschaft. Ein solcher Weg verlangt
insbesondere nach der größten Erweiterungsrunde in der
Geschichte Europas eine mehrjährige Phase der Konsolidierung
und Vertiefung. Man darf die bisher erreichten Ergebnisse nicht
dadurch gefährden, indem man die Erweiterung der Gemeinschaft
zu deren Selbstzweck werden lässt. Mit Blick auf die
Türkei muss deshalb klar bleiben, dass die EU in der heutigen
Situation eine Mitgliedschaft Ankaras nicht verkraften kann.
Die CSU steht für ein Europa der "Einheit in Vielfalt". Auf
der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips müssen die
Mitgliedstaaten und ihre Regionen auch künftig für alle
Entscheidungen zuständig bleiben, die nicht zwingend eine
europäische Lösung erfordern. Die strikte Beachtung des
Subsidiaritätsprinzips leistet einen großen Beitrag
für mehr Bürgernähe. Der Verbleib von wichtigen
Entscheidungen bei den Regionen der Mitgliedstaaten stellt die
Beteiligung der Bürger sicher und stiftet zudem
Identität. Dazu gehört auch die Bewahrung der
Souveränität über die wichtigsten Bereiche der
Daseinsvorsorge, insbesondere über die eigenständige
Wasserversorgung. Ich werde mich deshalb mit allem Nachruck
für die Einhaltung und die Stärkung des
Subsidiaritätsprinzips einsetzen.
Im Februar 2004 legte die Europäische Kommission ihren
Vorschlag für den neuen EU-Haushalt 2007 bis 2013 vor. Darin
sieht sie eine Erhöhung der derzeitigen Ausgaben von rund 100
Milliarden Euro auf circa 125 Milliarden im Jahr 2007 bzw. rund 143
Milliarden Euro im Jahr 2013 vor. Nicht nur bei der Finanzierung
der Strukturpolitik ist die Kommission damit auf dem Holzweg. Die
geplante Ausweitung des EU-Haushalts soll die Ausgabenobergrenze
von jetzt rund einem Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) der
EU deutlich auf 1,15 Prozent anheben. In Zahlen gesprochen geht es
bei dieser Erhöhung von 0,15 Prozentpunkten um rund 43
Milliarden Euro Mehrausgaben, die finanziert werden müssen. So
soll in der Strukturpolitik die Förderung der bisherigen
EU-Mitgliedstaaten weitgehend ungeschmälert fortgesetzt werden
und die Zusatzkosten für die Beitrittsstaaten nicht durch
Einsparungen finanziert werden, sondern "draufgesattelt" werden.
Für Deutschland, einen der größten Nettozahler der
EU, würde dies eine massive Steigerung des
Finanzierungsanteils bedeuten. Der Nettobeitrag Deutschlands
beträgt schon heute rund 5 Milliarden Euro. Eine weitere
Erhöhung dieses Betrages darf und kann unser Land nicht
schultern. Es darf nicht sein, dass sich der EU-Haushalt entgegen
den finanzpolitischen Realitäten der Mitgliedstaaten
entwickelt. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in denen die
nationalen Haushalte "aus allen Nähten platzen", muss auch
Europa sparen. Die EU-Kommission muss deshalb zwei Dinge fest im
Blick haben: Zum einen muss die Ausgabenobergrenze beim momentanen
Stand von circa einem Prozent des BNE eingefroren werden. Zum
anderen muss die EU klar definieren, was zu ihren Aufgaben
gehört und was sie leisten will und kann. Anstatt die
Förderung der bisherigen Mitgliedstaaten weitgehend
unverändert fortzuführen und den Bedarf der beigetretenen
Staaten lediglich zu addieren, müssen bei der künftigen
Strukturpolitik eindeutige Prioritäten gesetzt werden. Eines
meiner Hauptanliegen ist es dabei, dafür Sorge zu tragen, dass
die nationalen Haushaltsnotwendigkeiten auch auf europäischer
Ebene ihren Niederschlag finden.
Es ist nach meiner Auffassung schließlich eine der
wichtigsten Aufgaben der Europäischen Union, den zunehmenden
Globalisierungs- und Internationalisierungsprozess
verantwortungsvoll und vor allem menschenwürdig zu gestalten.
In unserer außerordentlich schnelllebigen Zeit, in der die
Welt von Tag zu Tag kleiner wird, ist es von besonderer Bedeutung,
dass gerade auch die Politik auf europäischer Ebene die
Menschen "nicht alleine lässt". Dazu möchte ich
beitragen, sowie auch zur erfolgreichen Integration der zehn neuen
Mitgliedstaaten. Ingo Friedrich
Dr. Ingo Friedrich ist Vizepräsident des Europäischen
Parlaments und Spitzenkandidat der CSU.
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