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Das Parlament
Nr. 26 / 21.06.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Sönke Giard-Weiss

Bislang hat niemand Öl in Darfur entdeckt

Der Sudan steht vor einer humanitären Katastrophe und Organisationen streiten um Begriffe
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet ist die Situation im Sudan wieder einmal eskaliert. Beobachter sprechen von der aktuell weltweit größten humanitären Katastrophe. Übergriffe, Plünderungen und Zerstörungen von Seiten arabischer Milizen haben vor allem in den Regionen Darfur und Shilluk zu Flüchtlingselend und einer drohenden Hungersnot geführt. Das Leben Hunderttausender von Menschen ist akut bedroht.

Während ihre Dörfer angegriffen, geplündert und zerstört wurden, blieb der Zivilbevölkerung nur die Flucht, um das nackte Überleben zu retten. Allein in Darfur befinden sich mehr eine Million Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind. 200.000 Menschen haben den Tschad erreicht; die Situation der Vertriebenen ist überall gleich verzweifelt. Ob sie in Flüchtlingslagern, bei anderen Familien untergekommen sind oder im Freien leben müssen - es fehlt an sauberem Wasser und Lebensmitteln, die gesundheitliche und hygienische Situation ist desolat, vor allem die Kinder sind unterernährt und drohen zu sterben, wenn keine Hilfe kommt.

Während der Dialog zwischen sudanesischer Regierung und den Rebellen der Sudan People's Liberation Army (SPLA) in Kenia wenigstens einen Erfolg hervorgebracht hat - ein Friedensvertrag wurde vor kurzem endlich unterzeichnet - planen Nichtregierungsorganisationen (NROs) ihre Soforthilfe-Maßnahmen in und um Darfur sowie im Tschad. In der Shilluk-Provinz bereitet beispielsweise World Vision derzeit die Verteilung von Überlebenspaketen und die medizinische Grundversorgung für etwa 12.000 Menschen vor. Weitere Maßnahmen werden folgen.

Sobald es die Situation zulässt, bringen World Vision und andere NROs überlebenswichtige Güter in die am schlimmsten betroffenen Regionen. Doch diese Hilfe ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Noch ist es heiß und trocken im Sudan. Die Regenzeit steht indes vor der Tür. Hat sie erst eingesetzt, wird es kaum mehr möglich sein, die geschwächten und hungernden Menschen ausreichend zu versorgen. Die Straßen werden nicht mehr befahrbar sein. Die Region um Darfur, die eine Fläche in der Größe Frankreichs umfasst, wird dann einer völlig unzugänglichen Schlammwüste ähneln.

Doch wie kann es sein, dass trotz zahlreicher Frühwarnsysteme und Informationsketten die Internationale Gemeinschaft derart unfähig ist, auf ethnische Säuberungen und Genozide rechtzeitig zu reagieren und diese im Keim zu ersticken? Selbst wenn Jan Egeland, Nothilfe-Koordinator der Vereinten Nationen, dem UN-Sicherheitsrat klipp und klar von "ethnic cleansing" berichtet hat. Vor zehn Jahren schauten wir in Ruanda auch tatenlos zu. Der Vorwurf der Untätigkeit klebt bis heute an den Vereinten Nationen (UN) und ihren Mitgliedstaaten.

Anstatt aus der Tragödie in Ruanda zu lernen, finden wir uns heute im Sudan in einer ähnlichen Situation wieder. Weder die Nachbarländer noch die internationale Gemeinschaft treten für die Menschen im Westen des Sudan ein, versuchen weiteres Morden zu verhindern. Die Gründe sind unterschiedlicher Natur.

UN-Generalsekretär Kofi Annan sprach die ethnischen Säuberungen im Rahmen seiner Rede zum

10. Jahrestag des Genozids von Ruanda zwar an, bat die Nachbarstaaten aber gleichzeitig, sich nicht einzumischen. Die UN werde sich schon darum kümmern. Bis heute hat sich nichts getan. Monate sind seither vergangen. Erinnerungen an die 100 Gräueltage von Ruanda werden nicht nur wach. Sie sind ein lebendiger Albtraum.

Denn eines ist sicher: Keiner kann behaupten, nichts von alldem gewusst zu haben, was im Sudan heute vor sich geht. Es gibt die nötigen Informationen, um sich ein genaues Bild des ganzen Elends zu machen. Doch der Sudan war nie und ist bis heute kein Medienmittelpunkt. Bislang hat noch niemand Öl in Darfur entdeckt.

Der pensionierte General Romeo Dallaire, der die UN-Friedenstruppen in Ruanda befehligte, schrieb in seinen Memoiren, dass es die Schuld der UN-Bürokraten sei, die immer wieder nur Situationen "einschätzen" und "bewerten", sich aber nicht einmischen wollen, wenn bei jeder Krise Tausende von Menschen unnötig sterben. In einem internen UN-Schreiben aus dem Jahre 1994 bezüglich Ruanda steht beispielsweise: "Wir raten unseren Regierungen, sich aufgrund der Sicherheitslage nicht in den Konflikt einzumischen. Die Risiken sind zu groß, und es gibt hier nur Menschen."

Nur Menschen? Was genau passiert derzeit in der Darfur-Region mit den "Nur-Menschen"? Nach Aussage der Vereinten Nationen werden ethnische Säuberungen vorgenommen. Nach Meinung von Menschenrechtsgruppen findet ein Genozid statt. Wieder einmal streiten sich Organisationen um Namen. Schon in Ruanda sprach die UN lediglich von Säuberungen, Amnesty internationale dagegen sprach von Genozid. Was ist der Sinn solchen Definitionsstreits? Spielen Begriffe überhaupt eine Rolle? Ist der gewaltsame Tod unter dem Deckmantel ethnischer Säuberungen weniger schmerzhaft als im Rahmen eines Genozids? Es scheint, dass die Verantwortlichen in den zurückliegenden Jahren wenig oder nichts gelernt haben.

Knapp eine Million Menschen sind in Darfur eingekesselt. Tausende sind bereits ermordet worden. USAID schätzt, dass bis Dezember dieses Jahres jeden Tag 2.500 Menschen an Hunger sterben werden. Dass passiert mit den "Nur-Menschen".

Die notwendigen Nahrungsmittel könnten vom Tschad aus relativ leicht zu den Bedürftigen gebracht werden. Die Transportstrecke beträgt lediglich 120 Kilometer. Doch die dortige Regierung befürchtet, dass aus Abeche ein zweites Lokichokio werden könnte, die kenianische Stadt an der Grenze zum Süd-Sudan, von wo aus seit 20 Jahren humanitäre Nothilfe geleistet wird. Ein Eldorado der Entwicklungshelfer.

Der sudanesischen Regierung ist ebenfalls wenig daran gelegen, der hungernden Bevölkerung zu helfen. Sie hofft, dass durch das Sterben auch der Rück-halt gegenüber der SPLA seitens der Zivilbevölkerung zerfällt. Die internationale Gemeinschaft kritisiert dies zwar ausdauernd. Handeln indes tut sie nicht. In der selben Zeit werden Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, Frauen von Banden vergewaltigt, Kinder mit Macheten zerhackt.

Kürzlich sendeten Südafrika, Mozambique und Äthiopien Truppen nach Burundi, um der afrikanischen Gemeinschaft zu beweisen, dass Afrika seine eigenen Feuer löschen kann. Es war für die beteiligten Staaten gefährlich. Niemand wusste, was passieren würde. Heute ist die Lage in Burundi wieder einigermaßen stabil. Das wahllose Morden hat aufgehört. Dieses Beispiel zeigt, dass sich Afrika selbst helfen könnte, ja sollte.

Was auf diesem Kontinent gebraucht wird, ist eine mobile Schutztruppe, die bei Konflikten schnell und effizient eingreifen kann. Mit einem entsprechend starken Mandat. Ohne UN-Bürokratie. Die Kosten dafür sind jedoch vermutlich zu hoch. Langfristig würde sich eine solche Investition, wenn die internationale Gemeinschaft diese Aktion im Namen globaler Hilfe unterstützen würde, lohnen. Der Aufbau einer solchen Truppe wäre deshalb eine mehr als praktikable afrikanische Lösung für afrikanische Probleme, von denen es auch in Zukunft leider viele geben wird.

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