Sönke Giard-Weiss
Bislang hat niemand Öl in Darfur
entdeckt
Der Sudan steht vor einer humanitären
Katastrophe und Organisationen streiten um Begriffe
Von der Öffentlichkeit weitgehend
unbeachtet ist die Situation im Sudan wieder einmal eskaliert.
Beobachter sprechen von der aktuell weltweit größten
humanitären Katastrophe. Übergriffe, Plünderungen
und Zerstörungen von Seiten arabischer Milizen haben vor allem
in den Regionen Darfur und Shilluk zu Flüchtlingselend und
einer drohenden Hungersnot geführt. Das Leben Hunderttausender
von Menschen ist akut bedroht.
Während ihre Dörfer angegriffen,
geplündert und zerstört wurden, blieb der
Zivilbevölkerung nur die Flucht, um das nackte Überleben
zu retten. Allein in Darfur befinden sich mehr eine Million
Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind. 200.000 Menschen
haben den Tschad erreicht; die Situation der Vertriebenen ist
überall gleich verzweifelt. Ob sie in Flüchtlingslagern,
bei anderen Familien untergekommen sind oder im Freien leben
müssen - es fehlt an sauberem Wasser und Lebensmitteln, die
gesundheitliche und hygienische Situation ist desolat, vor allem
die Kinder sind unterernährt und drohen zu sterben, wenn keine
Hilfe kommt.
Während der Dialog zwischen
sudanesischer Regierung und den Rebellen der Sudan People's
Liberation Army (SPLA) in Kenia wenigstens einen Erfolg
hervorgebracht hat - ein Friedensvertrag wurde vor kurzem endlich
unterzeichnet - planen Nichtregierungsorganisationen (NROs) ihre
Soforthilfe-Maßnahmen in und um Darfur sowie im Tschad. In der
Shilluk-Provinz bereitet beispielsweise World Vision derzeit die
Verteilung von Überlebenspaketen und die medizinische
Grundversorgung für etwa 12.000 Menschen vor. Weitere
Maßnahmen werden folgen.
Sobald es die Situation zulässt, bringen
World Vision und andere NROs überlebenswichtige Güter in
die am schlimmsten betroffenen Regionen. Doch diese Hilfe ist ein
Wettlauf gegen die Zeit. Noch ist es heiß und trocken im
Sudan. Die Regenzeit steht indes vor der Tür. Hat sie erst
eingesetzt, wird es kaum mehr möglich sein, die
geschwächten und hungernden Menschen ausreichend zu versorgen.
Die Straßen werden nicht mehr befahrbar sein. Die Region um
Darfur, die eine Fläche in der Größe Frankreichs
umfasst, wird dann einer völlig unzugänglichen
Schlammwüste ähneln.
Doch wie kann es sein, dass trotz zahlreicher
Frühwarnsysteme und Informationsketten die Internationale
Gemeinschaft derart unfähig ist, auf ethnische
Säuberungen und Genozide rechtzeitig zu reagieren und diese im
Keim zu ersticken? Selbst wenn Jan Egeland, Nothilfe-Koordinator
der Vereinten Nationen, dem UN-Sicherheitsrat klipp und klar von
"ethnic cleansing" berichtet hat. Vor zehn Jahren schauten wir in
Ruanda auch tatenlos zu. Der Vorwurf der Untätigkeit klebt bis
heute an den Vereinten Nationen (UN) und ihren
Mitgliedstaaten.
Anstatt aus der Tragödie in Ruanda zu
lernen, finden wir uns heute im Sudan in einer ähnlichen
Situation wieder. Weder die Nachbarländer noch die
internationale Gemeinschaft treten für die Menschen im Westen
des Sudan ein, versuchen weiteres Morden zu verhindern. Die
Gründe sind unterschiedlicher Natur.
UN-Generalsekretär Kofi Annan sprach die
ethnischen Säuberungen im Rahmen seiner Rede zum
10. Jahrestag des Genozids von Ruanda zwar
an, bat die Nachbarstaaten aber gleichzeitig, sich nicht
einzumischen. Die UN werde sich schon darum kümmern. Bis heute
hat sich nichts getan. Monate sind seither vergangen. Erinnerungen
an die 100 Gräueltage von Ruanda werden nicht nur wach. Sie
sind ein lebendiger Albtraum.
Denn eines ist sicher: Keiner kann behaupten,
nichts von alldem gewusst zu haben, was im Sudan heute vor sich
geht. Es gibt die nötigen Informationen, um sich ein genaues
Bild des ganzen Elends zu machen. Doch der Sudan war nie und ist
bis heute kein Medienmittelpunkt. Bislang hat noch niemand Öl
in Darfur entdeckt.
Der pensionierte General Romeo Dallaire, der
die UN-Friedenstruppen in Ruanda befehligte, schrieb in seinen
Memoiren, dass es die Schuld der UN-Bürokraten sei, die immer
wieder nur Situationen "einschätzen" und "bewerten", sich aber
nicht einmischen wollen, wenn bei jeder Krise Tausende von Menschen
unnötig sterben. In einem internen UN-Schreiben aus dem Jahre
1994 bezüglich Ruanda steht beispielsweise: "Wir raten unseren
Regierungen, sich aufgrund der Sicherheitslage nicht in den
Konflikt einzumischen. Die Risiken sind zu groß, und es gibt
hier nur Menschen."
Nur Menschen? Was genau passiert derzeit in
der Darfur-Region mit den "Nur-Menschen"? Nach Aussage der
Vereinten Nationen werden ethnische Säuberungen vorgenommen.
Nach Meinung von Menschenrechtsgruppen findet ein Genozid statt.
Wieder einmal streiten sich Organisationen um Namen. Schon in
Ruanda sprach die UN lediglich von Säuberungen, Amnesty
internationale dagegen sprach von Genozid. Was ist der Sinn solchen
Definitionsstreits? Spielen Begriffe überhaupt eine Rolle? Ist
der gewaltsame Tod unter dem Deckmantel ethnischer Säuberungen
weniger schmerzhaft als im Rahmen eines Genozids? Es scheint, dass
die Verantwortlichen in den zurückliegenden Jahren wenig oder
nichts gelernt haben.
Knapp eine Million Menschen sind in Darfur
eingekesselt. Tausende sind bereits ermordet worden. USAID
schätzt, dass bis Dezember dieses Jahres jeden Tag 2.500
Menschen an Hunger sterben werden. Dass passiert mit den
"Nur-Menschen".
Die notwendigen Nahrungsmittel könnten
vom Tschad aus relativ leicht zu den Bedürftigen gebracht
werden. Die Transportstrecke beträgt lediglich 120 Kilometer.
Doch die dortige Regierung befürchtet, dass aus Abeche ein
zweites Lokichokio werden könnte, die kenianische Stadt an der
Grenze zum Süd-Sudan, von wo aus seit 20 Jahren
humanitäre Nothilfe geleistet wird. Ein Eldorado der
Entwicklungshelfer.
Der sudanesischen Regierung ist ebenfalls
wenig daran gelegen, der hungernden Bevölkerung zu helfen. Sie
hofft, dass durch das Sterben auch der Rück-halt
gegenüber der SPLA seitens der Zivilbevölkerung
zerfällt. Die internationale Gemeinschaft kritisiert dies zwar
ausdauernd. Handeln indes tut sie nicht. In der selben Zeit werden
Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, Frauen von Banden
vergewaltigt, Kinder mit Macheten zerhackt.
Kürzlich sendeten Südafrika,
Mozambique und Äthiopien Truppen nach Burundi, um der
afrikanischen Gemeinschaft zu beweisen, dass Afrika seine eigenen
Feuer löschen kann. Es war für die beteiligten Staaten
gefährlich. Niemand wusste, was passieren würde. Heute
ist die Lage in Burundi wieder einigermaßen stabil. Das
wahllose Morden hat aufgehört. Dieses Beispiel zeigt, dass
sich Afrika selbst helfen könnte, ja sollte.
Was auf diesem Kontinent gebraucht wird, ist
eine mobile Schutztruppe, die bei Konflikten schnell und effizient
eingreifen kann. Mit einem entsprechend starken Mandat. Ohne
UN-Bürokratie. Die Kosten dafür sind jedoch vermutlich zu
hoch. Langfristig würde sich eine solche Investition, wenn die
internationale Gemeinschaft diese Aktion im Namen globaler Hilfe
unterstützen würde, lohnen. Der Aufbau einer solchen
Truppe wäre deshalb eine mehr als praktikable afrikanische
Lösung für afrikanische Probleme, von denen es auch in
Zukunft leider viele geben wird.
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